# taz.de -- „Mephisto“-Aufführung in Dresden: Er ist um keine Rechtfertigu… | |
> „Mephisto“ nach Klaus Mann am Staatsschauspiel Dresden folgt der Karriere | |
> eines Schauspielers in der NS-Zeit – und driftet bisweilen in die | |
> Gegenwart. | |
Bild: „Migration ist was für Schwächlinge“: Am Revolutionären Künstlert… | |
Das Schauspielhaus. „Das letzte gallische Dorf der Demokratie, ruft man und | |
klopft sich auf die Brust, wie es bedrohte Arten tun. Man spielt | |
Widerstand. Man spielt Haltung. Man spielt sogar apokalyptischen | |
Weltuntergang.“ Das schreibt der junge Theaterautor Lukas Polaczek im | |
Programmheft von „Mephisto“, inszeniert zum Saisonstart am Staatsschauspiel | |
Dresden. | |
Steht „Mephisto“ nach dem Roman von Klaus Mann um den Opportunisten Hendrik | |
Höfgen auf dem Spielplan, signalisiert das Theater Selbstbefragung und | |
Zweifel an der eigenen moralischen Standhaftigkeit als Institution. Zehn | |
Inszenierungen an deutschen Theatern hat die Geschichte um Höfgens Karriere | |
im Nationalsozialismus und seine von ihm enttäuschten Freunde seit 2018 an | |
deutschen Theatern erlebt, zuletzt an den [1][Kammerspielen München]. Jetzt | |
folgte in Dresden die Premiere in einer Stadt, in der die AfD bei der | |
letzten Wahl mit 29,4 Prozent der Stimmen stärkste Partei geworden ist. | |
Die unheimlichsten Momente in der Inszenierung des Regisseurs Nicolai | |
Sykosch sind denn auch die, in denen der Text, der aus der Vergangenheit | |
kommt, auf der Bühne nahtlos rüberdriftet in die Rhetorik der Beleidigten | |
der Gegenwart. Etwa wenn der Schauspieler Hans Miklas (Marin Blülle), | |
Kollege Höfgens, und von Anfang an judenfeindlich, darüber klagt, wie er | |
als „Habenichts“ von der Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen | |
ausgeschlossen ist und die Gemeinschaft vermisst. Wenn er dann die | |
Schuldigen unter den Kapitalisten ausmacht, die mit einer gesteuerten | |
Presse die öffentliche Meinung bestimmen, ist der Sprung nur kurz zu der | |
Sprechweise der Rechten der Gegenwart. | |
Wenn Barbara, Höfgens Frau aus gebildetem, großbürgerlichem Milieu, mit | |
Miklas streitet und ihn vergeblich aus seiner von Phrasen umstellten | |
gedanklichen Enge herauszubringen versucht, dann spürt man das Anliegen: | |
Wie soll das gehen, mit Rechten reden? Dass es nicht gelingt, führt die | |
Inszenierung als Trauerspiel vor. | |
Marin Blülle spielt die Wut und Enttäuschung von Miklas, ohne sie an die | |
Karikatur zu verraten. Und das macht vielleicht das Besondere dieser | |
Inszenierung aus, dass sie auf Überzeichnung verzichtet. Selten ist Theater | |
so uneitel zu erleben. Dabei ist „Mephisto“, die Geschichte um die Karriere | |
von Hendrik Höfgen, nahe gebaut an dem Leben von Gustav Gründgens, eine | |
Steilvorlage für Schauspieler:innen, mit großer Virtuosität aufzutrumpfen, | |
die ganze Ambiguität der Figur, die ob ihrer [2][homoerotischen Neigungen] | |
auch Grund zur Furcht vor nationalsozialistischer Verfolgung hatte, den | |
Zynismus, mit dem sie ihren Erfolg im NS betrieb, ihre Eitelkeit und ihre | |
geheuchelte Bescheidenheit in jeder Szene vibrieren zu lassen. | |
Aber so spielt Nadja Stübiger ihren Hendrik Höfgen nicht. Er ist bei ihr | |
eben nicht Mephisto selbst, der jeden Moment berechnet und seine Wirkung | |
durchkalkuliert hat, auch wenn dies seine Glanzrolle ist. Ihr Höfgen, den | |
wir im ersten Drittel des Abends noch recht lustig und von Freundschaft | |
beseelt in Hamburg im Revolutionären Künstlertheater seines kommunistischen | |
Freundes Otto Ulrichs agieren sehen, traut sich selbst nicht mehr über den | |
Weg, als seine Karriere in Berlin vom NS-Ministerpräsidenten und dessen | |
Frau befördert wird. Aber er lernt ständig dazu, für sich selbst eine | |
Maskerade aufzuführen. Er sucht nach Argumenten, sein Bleiben in | |
Deutschland vor emigrierten Freunden zu verteidigen und findet sie wider | |
besseres Wissen, „Migration ist was für Schwächlinge“. Er sucht nach | |
Rechtfertigung für die Annahme des Intendantenpostens und findet sie für | |
einen Moment: Hat er seine Macht nicht genutzt, um seinen alten Freund Otto | |
Ulrichs aus dem KZ zu holen? Aber der, gebrochen von Folter, will trotzdem | |
weiter auf Widerstand setzen und bringt sich schließlich, als Höfgen ihm | |
dafür die Unterstützung verweigert, um. | |
Es gibt komische Momente in dieser gut gebauten, verständlichen und | |
unterhaltsamen Szenenfolge. Zwei Dichter treten auf, vom eigenen Pathos | |
besoffen, der eine in banger Erwartung von der anstehenden Verwesung der | |
Gesellschaft, der andere in erregter Freude über den Aufbau des Neuen, | |
beide von Viktor Tremmel als salbadernde, reaktionäre Genies gespielt. | |
## Abriss einer Gesellschaft | |
Auch sorgt das Bühnenbild von Stephan Prattes für eigene Farben. Als | |
Höfgens Aufstieg in Berlin beginnt, bildet ein Berg aus Stühlen den | |
Mittelpunkt der Bühne. Miklas holt immer mehr dazu, schleudert sie hinauf. | |
Es entstehen Assoziationen vom Abriss einer Gesellschaft, vom geraubten | |
Eigentum der vertriebenen Juden, von einem Scheiterhaufen wie bei der | |
Bücherverbrennung – oder aber wie von einem Gipfel, den „Mephisto“ nun | |
erklimmt. | |
Als die französische Regisseurin Ariane Mnouchkine mit ihrem Théâtre du | |
Soleil in Paris „Mephisto“ 1979 das erste Mal auf die Bühne brachte, war | |
der Roman, den [3][Klaus Mann im Exil] geschrieben und 1936 veröffentlicht | |
hatte, in Deutschland noch immer verboten. Das Mitläufertum Gründgens und | |
die Anpassung der Intellektuellen und Künstler an den Nationalsozialismus | |
aufzuarbeiten, dazu trug die Inszenierung bei, die zugleich ein breites | |
Panorama der Weimarer Republik zeichnete und auch viele Szenen aus dem Exil | |
einflocht. Heute horcht man bang in dieses Stück hinein, wie viel Gegenwart | |
ihm wohl noch beschert werden wird. | |
8 Sep 2025 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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