| # taz.de -- Festival für junge Regie: Kein „Leises Servus“ zum Abschied | |
| > Wegen Geldmangels soll das Dresdner Fast-Forward-Festival für junge | |
| > europäische Regie nicht fortgeführt werden. Am Sonntag ging die 15. | |
| > Ausgabe zu Ende. | |
| Bild: Der Hauptpreis der Jury ging an „Steal this Performance“ von Pauli Pa… | |
| Von Abschiedsstimmung war bei diesem 15. Jahrgang des | |
| Fast-Forward-Festivals wenig zu spüren. Sie mag sich höchstens darin | |
| geäußert haben, dass alle acht Inszenierungen noch ausverkaufter waren als | |
| sonst. Vorwiegend an sehr junge Gäste, darunter zahlreiche Studierende aus | |
| Europa. Man spricht Englisch auf den Fluren der vier Spielstätten. | |
| Und man konnte sich erneut teils zu billig amüsieren, aber ebenso | |
| Mitreißendes auf hohem Niveau erleben. Oder im [1][Festspielhaus Hellerau] | |
| bei einem Flashmob verzückt mittanzen, der einen orgiastischen Straßburger | |
| Veitstanz aus dem Jahr 1518 nachempfand. | |
| Im laufenden sächsischen Krisenhaushalt müssen auch die beiden Dresdner | |
| Staatstheater Semperoper und Schauspiel erstmals Kürzungen hinnehmen, in | |
| diesem Jahr etwa 7 Millionen Euro, 2026 6 Millionen. | |
| Geopfert werden soll unter anderem [2][Fast Forward]. Hier sind aber nur | |
| 200.000 Euro herauszuholen, weshalb in Teilen der Belegschaft diese | |
| Entscheidung hinter vorgehaltener Hand angezweifelt wird. | |
| Schärfe der Eröffnungsreden | |
| Äußerlich kaum spürbar, schien das vorläufige Aus für das Festival doch die | |
| Schärfe der Eröffnungsreden zu beeinflussen. Weniger bei Intendant Joachim | |
| Klement, der das Festival bei seinem Dresdner Amtsantritt 2017 aus | |
| Braunschweig mitbrachte. | |
| Kuratorin Charlotte Orti von Havranek hat in den neun Dresdner | |
| Festivaljahren für ihre Auswahl ungezählte Fahrten durch Europa | |
| unternommen. Sie reflektierte eine als unheilvoll empfundene Zeit teils | |
| poetisch mit Voltaires Aufforderung, endlich einen Garten zu bestellen, | |
| teils großartig-zynisch mit Sartre: Wir sind verurteilt, frei zu sein! | |
| Fast Forward will erklärtermaßen „nicht vordergründig Trends aufspüren“, | |
| sondern eine „Bandbreite verschiedenster Theaterformen abbilden“. | |
| Entsprechend folgt Kuratorin Orti von Havranek in ihrer Stückauswahl auch | |
| keinen Konzepten oder Mustern. | |
| Unbeabsichtigt zogen sich aber doch zwei Linien durch diesen | |
| Festivaljahrgang. Die eine durch „Theater auf dem Theater“ markiert, die | |
| andere mit dem Prinzen-Song „Es ist alles nur geklaut“ zu beschreiben. | |
| Auftakt mit Stück über Arbeitswelt | |
| Schon der Auftaktdonnerstag bescherte mit dem unaussprechlichen | |
| „Bidibibodibiboo“ eine italienische Inszenierung über eine geplante | |
| Inszenierung. Theatermacher Daniele will ein Stück schreiben über die | |
| [3][entfremdete, krank machende Arbeitswelt], angefüttert mit den | |
| Erfahrungen seines im Ausbeutungsverhältnis ausharrenden Bruders Pietro. | |
| Beide Linien kreuzten sich im finnischen Beitrag „Steal this performance“. | |
| Völlig zu Recht sprach die Profijury dieser Soloperformance den Hauptpreis | |
| zu und würdigte damit das „ästhetische Feuerwerk“ und den vor Esprit | |
| strotzenden Umgang mit Theatergeschichte. Zugleich beeindruckten Aufwand | |
| und Technik, final mit einem Klang-Licht-Nebel-Rausch. | |
| Pauli Patinen spielt seine Kernthese „Die Kunstgeschichte ist eine | |
| Geschichte des Plagiats“ süffisant auf einer Erst- und | |
| Zweitbühnenkonstruktion aus und muss sich bald selbst mit seinem | |
| Doppelgänger auseinandersetzen. „Wenn das Publikum etwas zu verstehen | |
| scheint, ist man dem System untreu geworden“, piekt er auf das „System | |
| Selbstinszenierung“ ein und bekennt schließlich: „Ich hasse Theater!“ | |
| Weibliche Kohlhaas-Adaption | |
| Inhaltlich dünn fiel der deutsche Beitrag „I love horses“ mit einer | |
| versucht weiblichen Adaption von Kleists Kohlhaas-Novelle aus. Keine Spur | |
| von der Zentralfrage nach Selbstjustiz des betrogenen Pferdehändlers. Die | |
| drei jungen Frauen Adriana, Janne und Trigal zanken sich vielmehr, wie | |
| Kleist zu inszenieren sei und wer die Hauptrolle spielen dürfe. | |
| Ihrer eigenen Show überdrüssig, pfeifen sie schließlich auf die Mühsal, ob | |
| der Arroganz des Junkers irgendwie zu Recht zu gelangen, und machen lieber | |
| einen „queer-feministischen Pferdehof“ auf. | |
| Den Tiefpunkt der acht Festivalinszenierungen markierte der nach | |
| RAI-Fernsehen klingende italienische Beitrag „Die größte Tragödie der | |
| Menschheit“. Eine makabre Pannenshow, ein Ranking weltgeschichtlicher | |
| Tragödien nach K.o.-Votum des Publikums. | |
| Am Ende „siegte“ die Ausrottung der amerikanischen Urbevölkerung über | |
| deutsche Kolonialverbrechen in Afrika. Wenn das als Parodie gemeint sein | |
| sollte, wurde es durch keinerlei Breaks deutlich. | |
| Publikumspreis für slowenisches Dokutheater | |
| Das Publikum bedachte per Abstimmungszettel die emotional stärkste | |
| Inszenierung aus Slowenien mit einem Preis. „Boško & Admira“ setzt dem als | |
| „Romeo und Julia von Sarajevo“ bekannt gewordenen Liebespaar | |
| christlich-orthodoxer und muslimischer Herkunft ein weiteres Denkmal, | |
| erschossen im serbisch-bosnischen Krieg 1993. | |
| Detailliert recherchiertes Dokutheater, das sich zu einer erschütternden | |
| Anklage gegen die verbrecherischen Folgen von Kriegen überhaupt steigert. | |
| Asche und Erde beherrschen am Ende die Bühne. | |
| Überraschend bekannte sich die Jugendjury bei ihrer Preisvergabe angesichts | |
| einer solchen „Welt unter Beschuss“ zu ihrer Sehnsucht nach „radikaler | |
| Zärtlichkeit“ und „liebevoller Ruhe“. Dem entsprach die sehr intime, üb… | |
| Generationenverhältnisse, das Altern und die Endlichkeit des Lebens | |
| sinnierende niederländischen Zweierperformance „Last Portrait“. Es gibt | |
| also nicht nur die Spaßverwöhnten in der Generation Z. | |
| Die Stelle von Festivalkuratorin Charlotte Orti von Havranek soll immerhin | |
| erhalten bleiben, falls Deutschland und Sachsen doch wieder in | |
| Wirtschaftswunderzeiten zurückfallen. Oder das Festival „irgendwo in | |
| Europa“ eine neue Heimat finden sollte, wie Intendant Klement orakelte. | |
| 18 Nov 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Bartsch | |
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