Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kinotipp der Woche: Kultureller Kolonialraum
> Die Filmreihe „Asiatische Präsenzen in der Kolonialmetropole Berlin“
> ergündet Topoi der Exotisierung im Weltmetropolengenre des Kinos.
Bild: Anna May Wong in „Piccadilly“ (GBR 1929)
Die Tanzfläche des Londoner Nachtclubs Piccadilly ist gut gefüllt, am Rand
und auf der Empore tummeln sich Gäste, an der Bar fließt der Alkohol in
Strömen. Wer etwas auf sich hält, strömt Nacht für Nacht in den Club, um
die beiden Showtänzer Vic und Mabel zu sehen. Routiniert laufen die beiden
zu Höchstform auf, um das Publikum zu unterhalten.
Spektakulär gleitet Werner Brandes’ Kamera in E. A. Duponts „Piccadilly“
(1929) über die Tanzfläche, um den Auftritt einzufangen. Etwa in der Hälfte
des Auftritts werden die Blicke abgelenkt. Ein dicklicher Mann sitzt
phlegmatisch über seinem Essen, als ein dreckiger Teller seine Empörung
erregt.
Kellner und Restaurantmanager eilen herbei, um den Gast zu beschwichtigen.
Die Aufmerksamkeit kehrt zur Tanzfläche zurück, gerade rechtzeitig für
reißende Begeisterung, die Brandes in Reißschwenks einfängt.
Der Manager des Clubs will es bei den Ausflüchten seines
Restaurantpersonals nicht bewenden lassen und folgt der Spur des Tellers
zurück in die Küche. Die Spurensuche führt ihn zum eigentlichen Star von
„Piccadilly“: Gebannt beobachtet das Personal in der Küche wie die junge
Shosho auf dem Tisch tanzt und nebenher unkonzentriert auf dem Geschirr
herum wischt.
Shosho ([1][Anna May Wong]) wird nach der Episode entlassen, steigt jedoch
kurz darauf zum Star des kriselnden Nachtclubs auf. Zwischen ihr und dem
Manager entwickelt sich eine Beziehung, die den ehemaligen Star Mabel zur
Eifersucht treibt.
In Duponts Film kreuzen sich mehrere Karrierewege. Dupont selbst ist nach
dem weltweiten Erfolg von „Varieté“ (1925) kurz zuvor aus Deutschland nach
Großbritannien gewechselt. Anna May Wong ist frustiert von den rassistisch
festgelegten Rollen im US-Kino jener Jahre kurz vor dem Film aus den USA
nach Europa übersiedelt.
Der Film läuft am Dienstag, den 23. Mai, im Rahmen der Filmreihe
„Asiatische Präsenzen in der Kolonialmetropole Berlin“ im [2][Sinema
Transtopia]. Eingeführt wird der Film von der Kulturwissenschaftlerin Yumin
Li, die derzeit an einer Biografie Anna May Wongs arbeitet. Zu der
Filmreihe erscheint im Herbst ein gleichnamiger Sammelband herausgegeben
vom Kurator der Reihe Kien Nghi Ha im Verlag Assoziation A.
Wie Yumin Li schon 2018 in einem Artikel in der Zeitschrift Sexualities
herausgearbeitet hat, kreuzen sich in „Piccadilly“ eine Reihe von
popkulturellen Topoi wie das Londoner Westend und insbesondere Limehouse
als „kosmopolitischster Bezirk der kosmopolitischsten Stadt
Großbritanniens“, in denen wie in der Szene vom Anfang des Films die
Sphären nah beieinander liegen.
Mit dem Gang in die Küche wechselt der Manager von der weißen, bürgerlichen
Welt der Nachtklubbesucher in die kosmopolitische Welt des Küchenpersonals,
eine Bewegung, die auch in der segregierten Welt des Hollywoodkinos
späterer Jahre wieder und wieder auftauchen wird. Anna May Wongs Shosho ist
eine Wandererin zwischen den Welten, der Türöffner ist in dem Film die
sexualisierte Exotisierung ihrer Tanzauftritte.
Auch in anderer Hinsicht ist „Piccadilly“ ein Wendepunkt. Für die
polnisch-amerikanische Schauspielerin Gilda Gray (Mabel), die als eine der
Protagonistinnen des zeitgenössisch als obszön verrufenen
1920er-Jahre-Modetanzes Shimmy bekannt geworden war, ist „Piccadilly“ der
letzte große Film.
Der Film kommt 1929 als Stummfilm in die britischen Kinos, bleibt in
Großbritannien ein mäßiger Erfolg und wird ein Jahr später in einer
Tonversion mit Soundeffekten und einem neuen Prolog erneut in die Kinos
gebracht. „Piccadilly“ ist ein komplexes Geflecht von Duponts Regie- und
Anna May Wongs Schauspielkunst und von popkulturellen Topoi, deren
Traditionslinien die Präsentation des Films im Rahmen der Filmreihe
verfolgt.
16 May 2023
## LINKS
[1] /!5507423/
[2] https://sinematranstopia.com/de/cooperations/asian-presences-in-the-colonia…
## AUTOREN
Fabian Tietke
## TAGS
Filmgeschichte
Schwerpunkt Rassismus
Kolonialgeschichte
taz Plan
taz Plan
taz Plan
taz Plan
Filmgeschichte
Spielfilm
Filmrezension
Filmfestival
## ARTIKEL ZUM THEMA
Filmempfehlungen für Berlin: Die große Abnabelung
„Panzerkreuzer Potemkin“ in unterschiedlichen Fassungen,
Eltern-Kind-Beziehungen und ein Anna May Wong-Klassiker stehen diese Woche
auf dem Programm.
Kinotipp der Woche: Die Politik des Sammelns
Das Arsenal widmet sich mit Archival Assembly #2 der Arbeit von
internationalen Archiven. Im Kino Arsenal, silent green und Sinema
Transtopia.
Kinotipp der Woche: Ein paar Stockwerke drunter
Die Reihe „Optische Literatur“ zeigt Werke aus der ehemaligen Filmabteilung
des Literarischen Colloquiums Berlin, von Ehe-Epos bis Scheidungsdoku.
Kinotipps für Berlin: Falsche Gurus und das Museum
Das Filmreihe „Irish on Screen“ im Babylon Mitte zeigt aktuelles Irisches
Kino. Das Zeughauskino im DHM macht das Museum selbst zum Thema.
Finnischer Kriegsfilm „Sisu“: Ein toter Nazi ist ein guter Nazi
Im Film „Sisu“ erzählt der finnische Regisseur Jalmari Helander eine
blutige Geschichte aus der Zeit des Lapplandkriegs. Der Italowestern stand
Pate.
Kinotipp der Woche: Auffälliger Inhalt
Beim Radical Frame Film Festival im Berliner Lichtblick Kino erweist sich
das Format des Kurzfilms als große Filmkunst.
Internationale Kurzfilmtage Oberhausen: Trampelpfade verlassen
Das Filmfestival überzeugte mit Vielfalt. Sie zeigte die Welt in Formen der
Abstraktion bis strenger Kurzdoku und eröffnet damit neue Perspektiven.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.