Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neuer Kinofilm „Der Tiger“: Selbstbegegnung eines Ostfront-Tät…
> Dennis Gansel wirft das Publikum in die tiefen Abgründe des 2.
> Weltkriegs: Es ist ein interpretationsfähiger Antikriegsfilm mit Stärken
> und Schwächen.
Bild: Ringt mit seiner Schuld: Leutnant Gerke (gespielt von David Schütter)
Die Exposition verspricht eine Konfrontation mit einigen der grausamsten
Momente des Weltenbrandes: [1][Handlungsort ist die Ostfront], kurz nach
der Schlacht von Stalingrad. Für einen ersten, intensiven, Moment der
Immersion sorgt das Gefechtsgeschehen auf einer brennenden Brücke: Die
Zuschauer*in wird eingesperrt, zusammen mit der Besatzung, in die
beklemmende Enge eines Wehrmachts-Panzers – der titelstiftende „Tiger“.
Für eine Vorstellung der gezeigten Besatzung bleibt keine Zeit: Wir sehen
fünf Männer in ein und derselben Nahtoderfahrung. Ausweglosigkeit, Enge und
Platzangst übertragen sich beängstigend eindrucksvoll. Ein sehr gelungener
Einstieg.
Nach „Napola – Elite für den Führer“ (2004) und [2][„Die Welle“ (20…
und dann gab es auch noch seine Beteiligung an der TV-Neubearbeitung von
„Das Boot“(2022/23) – hat sich Regisseur Dennis Gansel neuerlich an die
deutsche Geschichte begeben. Und wieder sucht der gebürtige Hannoveraner
nah heranzukommen an die, die mitmachen in einem System wie dem
Nationalsozialismus.
„Ich habe unter anderem mit echten Besatzungsmitgliedern des Tiger-Panzers
geredet, die mir von ihren Kriegserfahrungen berichtet haben“, sagt Gansel
der taz. „Oral History, sozusagen.“ Das selbst gesetzte Ziel: ein Blick in
die Psyche der Soldaten und ihre inneren Konflikte.
## Reise durch die Lebenslüge einer Generation
Der Film kommt ohne klassische Dramaturgie und ohne greifbaren roten Faden
aus. Was ihn zum einen angenehm unvorhersehbar macht, aber streckenweise
auch irritierend. Es ist der unzuverlässig erzählte Gang eines
Wehrmachtsoffiziers durch ein Fegefeuer von Erinnerung und Schuldgefühl.
Die Traktion, die die Handlung aufnimmt, gleicht dabei den Panzerketten des
Tigers selbst; langsam, behäbig, aber unausweichlich vorwärts in Richtung
finaler Konfrontation.
Der Weg dahin ist aber nicht linear vorgezeichnet. Etwa in der Mitte des
rund zweistündigen Films bleibt die Fahrt kurz im Matsch stecken, muss
mühsam per Hand wieder freigeschaufelt und wieder in Fahrt Richtung Ende
gebracht werden: Eine längere Sequenz allzu gleichförmiger, wortlos
aufeinander folgender Close-up-Einstellungen will einfach nicht
ineinandergreifen mit einem radikalen Umbruch der gezeigten Gruppendynamik
und dem beginnenden Zusteuern auf das Ende.
Der Weg zum Finale ist dann etwas holperiger geraten, schlussendlich kommt
aber auch die Handlung ins Ziel – und der Film zu seinem Höhepunkt: der
unausweichlichen Gewissheit der eigenen Schuld. Des Versagens aller
Verdrängungsmechanismen, wodurch sich der unvermittelten und ehrlichen
Auseinandersetzung nicht ausweichen lässt.
Getragen wird die Erzählung vom Zerbrechen aller Kompensationsstrategien
entlang des zunehmend gebetsmühlenartiger vorgetragenen Glaubenssatzes:
„Wir hatten keine Wahl, wir haben nur Befehle befolgt.“ Gelungen ist die
ambivalente, auch schauspielerisch gut umgesetzte Auseinandersetzung mit
dieser im Protagonisten Leutnat Gerke (David Schütter) reifenden
Überzeugung. Und den nicht ins Gegenteil zu verkehrenden Schluss: „Aber die
Verantwortung!“
## Kriegsverbrechen aus Sicht der Täter
Eben diese verhandelt der Protagonist mit sich selbst. Den beanspruchten
direkten Einblick in Gerkes Psyche gewährt der Film dann allerdings nicht.
In Sequenzen wortloser Einkehr dürfen die Zuschauer*innen die Stille
selbst mit Inhalt füllen. Ein Stilmittel, das anfangs gut funktioniert,
dann allerdings doch zu oft bemüht wird und deutlich an Effekt verliert.
Etwas weniger reine Projektionsfläche hätte hier gutgetan.
Was völlig fehlt: die Perspektive der Opfer von SS und Wehrmacht. Solche
Szenen seien gedreht worden, so Gansel, aber nicht verwendet – „weil der
Ansatz der Erzählweise durch solche Brüche nicht mehr funktioniert hätte“.
Der Film bleibt täterzentriert, bei der Wahrnehmung der Soldaten. Braucht
es wirklich nochmal zwei Stunden Film, die illustrieren, wie sich
Befehlsträger der Wehrmacht eine Opfer-Haltung schaffen?
Wäre die Empathie [3][bei den zivilen Opfern des Vernichtungskrieges], bei
Müttern und Kindern, nicht besser aufgehoben? Die explizite Grausamkeit
geschieht off-screen: Bei einigen der besonders schrecklichen Gräueltaten
durch SS-Männer, sagt der Regisseur, wäre es „geradezu voyeuristisch
gewesen, diese Nähe abzubilden“.
Die Stärke des Films liegt vor allem in der unvermittelten Deutlichkeit,
mit der die kriegsertüchtigte Jugend vor eine besonders harte Wahrheit von
Kriegen gestellt wird: Nicht nur die [4][Kombattanten] sind dein Ziel. Hier
musst du Mütter zusammen mit ihren Kindern töten, ohne ihnen dabei in die
Augen zu gucken. Die historische Genauigkeit, mit der die Exzesse der SS
dargestellt wurden, ist bemerkenswert.
Eine ehrliche Konfrontation mit der Schuld unserer Großväter und
Urgroßväter.
18 Sep 2025
## LINKS
[1] /Die-Deutschen-und-der-Krieg/!6059911
[2] /Mitlaeufertum-im-deutschen-Film/!5185304
[3] /Ueberfall-auf-die-Sowjetunion-1941/!5777525
[4] https://www.rosalux.de/news/id/51288/im-krieg-ist-nicht-alles-erlaubt
## AUTOREN
Lennart Sämann
## TAGS
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
Deutscher Film
Neu im Kino
Schuld
Deutsche Geschichte
Stalingrad
Wehrmacht
zeitgenössische Fotografie
Spielfilm
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
## ARTIKEL ZUM THEMA
Besuch im Panzermuseum: Mit Panzern gegen den Faschismus
Im deutschen Panzermuseum in Munster wird nicht nur technisches Großgerät
gezeigt, sondern auch, was diese Gewaltmaschinen anrichten.
Finnischer Kriegsfilm „Sisu“: Ein toter Nazi ist ein guter Nazi
Im Film „Sisu“ erzählt der finnische Regisseur Jalmari Helander eine
blutige Geschichte aus der Zeit des Lapplandkriegs. Der Italowestern stand
Pate.
Jubiläum der Wehrmachtsausstellung: Endlich ehrliche Erinnerung
Die neu konzipierte Wehrmachtsausstellung wurde vor 20 Jahren eröffnet. Sie
zerstörte endgültig die Legende von der „sauberen Wehrmacht“.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.