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# taz.de -- Beschlüsse der Koalition: Mit der Ampel in die Klimakrise
> Der Klimaschutz dominiert das Beschlusspapier der Koalition. Dabei sieht
> die Einigung etwa den Bau neuer Autobahnen vor. Die Kritik fällt breit
> aus.
Bild: Zu viel CO2: Autostau in Berlin
Berlin taz | Um die 30 Verhandlungsstunden waren es am Ende, ehe die
Ampelparteien am Dienstagabend ihren Koalitionsausschuss mit einer Einigung
beendeten. Das beschlossene 16-seitige Papier mit dem Titel
„Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung“ klingt
denn auch ziemlich ambitioniert. Gleichwohl stellt sich die Frage, was die
Beschlüsse von SPD, Grünen und FDP mit Blick auf die Bewältigung der
Klimakrise tatsächlich taugen. Ein Überblick:
## Das Klimaschutzgesetz
Es ist das politische Rückgrat des Klimaschutzes in Deutschland: das
Klimaschutzgesetz. 2019 beschlossen, ist deren Kern: Für jedes Jahr sind
konkrete CO2-Grenzwerte vorgesehen, die die einzelnen Wirtschaftssektoren
jeweils einhalten müssen. Klappt das nicht, muss das zuständige Ministerium
ein Sofortprogramm vorlegen, mit dem die Verfehlung ausgeglichen und für
künftige Jahre vermieden wird.
Dieser Kern des Gesetzes soll nun wegfallen. Künftig will die
Bundesregierung nicht mehr jährlich bilanzieren, wie Bundesfinanzminister
Christian Lindner (FDP) am Dienstag frohlockte. Außerdem wolle man dafür
sorgen, dass die Sektoren „sich gegenseitig helfen“. Die FDP hatte schon
lange dafür plädiert, die Ziele für die einzelnen Wirtschaftssektoren
abzuschaffen und stattdessen nur eine deutsche Gesamtrechnung aufzumachen.
„Die Einhaltung der Klimaschutzziele soll zukünftig anhand einer
sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung überprüft werden“,
heißt es im Beschlusspapier. “Klimaschutz soll damit zu einer echten
Querschnittsaufgabe der Bundesregierung werden“, heißt es nun weiter.
Heißt: „Alle Sektoren leisten ihren Beitrag: Stromerzeugung, Industrie,
Verkehr, Bauen und Wohnen sowie Landwirtschaft.“
Umweltschützer:innen sind entsetzt. Von einer
„Anti-Klimaschutz-Koalition“ sprach etwa Jürgen Resch, Chef der Deutschen
Umwelthilfe. Auch Christoph Bals, Chef von Germanwatch, ist mehr als
unzufrieden. „Die beabsichtigten Neuregelungen vergrößern das Risiko, dass
wir unsere Klimaziele insbesondere im Verkehrssektor massiv verfehlen und
dies über Jahre vertuschen“, sagte er. Im vergangenen Jahr war im
Verkehrssektor zu viel CO2 entstanden, wie auch schon im Vorjahr. Das
damals von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) eingereichte
Sofortprogramm genügte den Ansprüchen des zuständigen wissenschaftlichen
Prüfgremiums nicht, eine Nachreichung gibt es bisher nicht.
Ohne die Sektorziele würde Wissing nicht in die Pflicht genommen. Einem
Gutachten der Umweltrechtorganisationen Client Earth und Green Legal Impact
zufolge, das Mitte März vorgestellt wurde, wäre eine derartige Reform des
Klimaschutzgesetzes sogar verfassungswidrig.
Es zeichnet sich ab, dass die Ampel-Regierung ohnehin nur eine
Schein-Einigung erzielt hat. Die Grünen interpretieren das Beschlossene
nämlich ganz anders als die FDP, wie ein Papier aus Parteikreisen nahelegt.
Es werde „weiterhin klar definierte Minderungsmengen für jeden Sektor
geben“, steht dort. Wie kommt die Partei darauf? Sie verweist auf eine
weitere Passage im Beschluss des Koalitionsausschusses. Demnach werde die
Bundesregierung „weiterhin das jährliche Monitoring der
Emissionsentwicklung vorlegen“.
Darin werde für jeden Sektor die erreichte Minderung transparent
aufgeführt. „Das Vorjahresergebnis wird dahingehend bewertet, ob die zur
Zielerreichung benötigte Minderungsmenge für jeden Sektor erreicht werden
wird.“ Die Frage ist: Hat das jährliche Vorlegen und Bewerten der
Emissionen dann weiter verbindliche Folgen oder erfolgen sie nur pro forma?
„Die Vereinbarungen zu den Sektorzielen und mehrjähriger Gesamtrechnung
lassen sich auch so interpretieren, dass wir das Klimaschutzgesetz
ergänzend nachschärfen müssen“, findet beispielsweise die
Grünen-Abgeordnete Kathrin Henneberger. Also: Alles wie bisher, aber mit
einer zusätzlichen mehrjährigen Perspektive. “Wenn absehbar ist, dass wir
die Klimaziele für 2030 mit dem aktuellen Minderungspfad nicht einhalten,
auch wenn die Zahlen für das aktuelle Jahr stimmen, müssen Maßnahmen mit
Sofortprogrammen aufgelegt werden.“ Der Streit zwischen den
Regierungsparteien dürfte also noch einmal aufflammen, wenn die Reform des
Klimaschutzgesetzes ansteht.
## Das Heizen
Es war einer der großen Streitpunkte der letzten Wochen: Fällt die Ampel
bei der ökologischen Wärmewende hinter ihren eigenen Beschluss aus dem
vergangenen Jahr zurück? Da wurde entschieden: Heizungen, die neu eingebaut
werden, müssen ab 2024 „möglichst“ zu 65 Prozent erneuerbar sein. Schon im
Koalitionsvertrag war diese Regelung vorgesehen, aber erst ein Jahr später.
Konventionelle Öl- und Gasheizungen wären dann nicht mehr möglich – wohl
aber etwa die Kombination aus einer Wärmepumpe und einem Gaskessel.
Obwohl sich die Regierung eigentlich längst geeinigt hat, hängt der
Gesetzesentwurf von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) noch in der
Ressortabstimmung fest. Nun haben die Parteien festgehalten, das Gesetz
noch vor der Sommerpause zu beschließen. Zu der Frage, wie der Austausch
von Öl- und Gasheizungen sozial gefördert werden soll, bleibt der Beschluss
vage. Es werde „zielorientiert geprüft“, wie das aus dem Klima- und
Transformationsfonds erfolgen könne. Das ist ein Sondervermögen, in den
etwa die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung in Deutschland hineinlaufen.
## Negative Emissionen
Die Regierung will sich künftig Ziele für „negative Emissionen“ setzen.
Sprich: Ziele dafür, der Atmosphäre nachträglich Treibhausgase zu
entziehen. Das gilt unter Expert:innen als ebenso wichtig wie politisch
brisant. „Die Bundesregierung macht ernst bei Negativemissionen: In der
Novelle des Klimaschutzgesetz sollen CO2-Entnahme-Ziele für die Jahre 2035,
2040 & 2045 aufgenommen werden – jetzt auch für CCS-basierte Methoden“,
twitterte etwa der Wissenschaftler Felix Schenuit von der Stiftung Politik
und Wissenschaft. Es geht also nicht mehr nur um Aufforstung und andere
natürliche Wege der Kohlenstoffbindung, sondern auch um den Einsatz von
Technologien.
„Die angekündigte Änderung dieser Ziele wird die Diskussionen um sogenannte
‚Restemissionen‘ noch weiter intensivieren.“ Also: Wie viele Emissionen
dürfen auch bei der für 2045 versprochenen Klimaneutralität noch bleiben,
weil sie durch die gleichzeitige Entnahme von Treibhausgas aus der
Atmosphäre wieder entnommen werden? Das Problem ist, dass die Entwicklung
der fraglichen Technologien noch in den Kinderschuhen steckt, mit ihnen
also nur bedingt geplant werden kann. Verlässt man sich zu sehr darauf,
läuft man Gefahr, die nötige Klimaneutralität nicht zu schaffen.
## Energiewende
Der Ausbau der erneuerbaren Energien soll weiter gefördert werden. Zum
Beispiel will die Ampel Kommunen das Ausweisen von Flächen für die
Windkraft erleichtern. Zudem soll neben Autobahnen und Bahnstrecken
Solaranlagen gebaut werden. “Es soll kein Kilometer Autobahn mehr geplant
werden, ohne die Möglichkeiten der Erzeugung erneuerbarer Energien
auszuschöpfen“, heißt es.
## Autobahnen
Der Verkehrsbereich war wohl eines der umstrittensten Themen der
dreitägigen Verhandlungen – weil er zu viele Treibhausgase verursacht, aber
auch durch die geplante Planungsbeschleunigung. Es geht darum, für welche
Infrastruktur-Projekte Planung und Genehmigungen beschleunigt werden soll.
Die Grünen hatten sich lange dafür starkgemacht, die Schiene zu bevorzugen.
FDP und SPD waren sich hingegen bereits im Vorfeld einig, auch ausgewählte
Straßenprojekte beschleunigen zu wollen.
Die Ampelpartner haben sich nun darauf verständigt: In Zukunft sollen auch
144 Autobahnen von “überragendem öffentlichen Interesse“ sein. Laut dem
Papier sollen nur dort neue Straßen gebaut werden oder weitere Spuren
entstehen, wo Autobahnen besondere „Engpässe“ aufweisen oder sich der
Verkehr staut, wie es heißt.
## Bahn
Für den Ausbau und die Instandhaltung der Bahn und ihrem Schienennetz
wurden im Koalitionsausschuss neue Mittel freigesetzt. Bis 2027 werde die
Bahn 45 Milliarden Euro brauchen. Ein konkreter Vorschlag für die
Finanzierung – ohne im Haushalt dafür zusätzliche Mittel locker zu machen �…
dürfte eine Einigung in dieser Frage auch mit der FDP und ihrem
Finanzminister erheblich erleichtert haben. Diese soll nun in großen Teilen
durch eine Erhöhung der Lkw-Maut finanziert werden. Ob dieses Geld für den
nötigen Schienen-Ausbaureichen wird, ist fraglich. In Fachkreisen ist davon
die Rede, dass der Sanierungsbedarf bei der Bahn inzwischen auf rund 89
Milliarden Euro beziffert wird.
## E-Autos und E-Fuels
Die Ampelpartner haben sich darauf verständigt, dass in Zukunft
Fördermittel für die E-Fuels hierzulande fließen sollen. Dass dürfte
insbesondere die Grünen schmerzen, da der Antrieb mit E-Fuels derzeit als
deutlich ineffizienter gilt als das E-Auto. „E-Fuels werden zwar im Luft-
und Seeverkehr gebraucht, im Straßenverkehr aber werden sie zumindest bis
zum Jahr 2030 keinen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz leisten. Das ist
unter Fachleuten Konsens“, kritisierte Wiebke Zimmer, Vizechefin des
Thinktanks Agora Verkehrswende. “Indem die Bundesregierung sich darüber
hinwegsetzt, schürt sie die Erwartung, dass alles so weitergehen könne wie
bisher.“ Zeitgleich soll aber künftig auch das Ladenetz für E-Autos weiter
ausgebaut werden. An jeder Tankstellen sollen in Zukunft innerhalb der
nächsten fünf Jahre mindestens ein Schnellladepunkt für die elektrisch
angetriebenen Fahrzeuge zur Verfügung stehen.
## Naturschutz
Eingriffe in die Natur beim Bau von Infrastruktur sollen Unternehmen
künftig einfach durch Zahlungen kompensieren dürfen. Bisher müssen
Unternehmen die verloren gegangene Natur durch Pflege und Aufbau von
anderen Flächen ausgleichen. Mit dem Geld sollen dann große
zusammenhängende Flächen gekauft und renaturiert werden. “Dass die
Realkompensation vor Ort weiterhin erste Priorität hat, ist zentral“,
beklagte BUND-Chef Olaf Bandt. Kompensationszahlungen dürfen nicht zum
Freibrief für eine gedankenlose Zerstörung unserer Natur werden.“ Die
Koalition müsse jetzt beweisen, dass mit den Neuerungen realer Naturschutz
flächendeckend umgesetzt werden kann.
29 Mar 2023
## AUTOREN
Nikola Endlich
Susanne Schwarz
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