# taz.de -- Umweltrechtler über das Klimagesetz: „Komfortabel – für den A… | |
> Verfassungsrechtlich muss die Biodiversitätskrise so bekämpft werden wie | |
> die Klimakrise, sagt Martin Gellermann. Doch die Ampel baue Naturschutz | |
> ab. | |
Bild: 144 Straßenbauprojekte sollen nun mit Hochdruck vorangehen | |
taz: Herr Gellermann, FDP-Chef Christian Lindner spricht von einem | |
“Paradigmenwechsel“, weil die [1][Ampelkoalition den Naturschutz neu | |
regeln] will. Schwächt oder stärkt sie ihn damit? | |
Martin Gellermann: Seitdem die Ampelkoalition regiert, wurde das | |
Instrumentarium des Naturschutzes abgebaut. Landschaftsschutzgebiete wurden | |
für Zwecke der Windkraftnutzung freigegeben, Standards des | |
Artenschutzrechtes geschliffen, die Zulassung von Windenergieanlagen selbst | |
in Natura 2000-Gebieten mindestens erleichtert. Nun will die Ampelkoalition | |
bei der Eingriffsregelung eine moderne Form des Ablasshandels zulassen. | |
Ablasshandel? | |
Bisher mussten Träger von Infrastrukturvorhaben, die Schäden an Natur und | |
Landschaft anrichten, hierfür eine Ausgleichs- oder Ersatzleistung durch | |
konkrete Naturschutzmassnahmen erbringen, künftig soll eine Geldzahlung | |
reichen. | |
Die Koalition verspricht in dem 16-seitigen Modernisierungspaket, das sie | |
in ihren 30-stündigen Verhandlungen jüngst geschnürt hat, doch eine | |
„Beschleunigung und Effektivierung des Naturschutzes“? | |
Beschleunigt wird lediglich der Bau von Infrastrukturvorhaben. Wer eine | |
Autobahn baut, Hochspannungsfreileitungen errichtet oder Schienenwege | |
erweitert und dabei Lebensräume wild lebender Tiere oder Pflanzen schädigt, | |
ist bisher in erster Linie zur Erbringung einer Kompensationsleistung in | |
natura verpflichtet. Er muss neuen [2][Lebensraum für Amphibien oder Vögel] | |
schaffen, wenn deren bisherige Laichgewässer oder Brutplätze unter dem | |
Asphalt verschwinden. Künftig sollen sich die Träger von | |
Infrastrukturvorhaben durch Geldzahlungen freikaufen können. Das ist für | |
sie höchst komfortabel. | |
Das gibt es heute auch schon. | |
Das ist bisher aber nicht der Regelfall. Die Ampelkoalition stellt damit | |
die seit 1976 im Bundesnaturschutzgesetz verankerte Eingriffsregelung in | |
Frage, die die Funktion hat, den Status quo der Leistungsfähigkeit des | |
Naturhaushalts zu wahren. | |
Richtig gut geklappt hat das aber auch nicht. Ausgleichsflächen liegen in | |
dicht besiedelten Regionen, sind klein, werden nicht gut gepflegt. Selbst | |
Naturschutzverbände haben erst vor kurzem vorgeschlagen, parallel zu | |
Vorranggebieten für die Windenergie auch Vorranggebiete für die grüne | |
Infrastruktur zu schaffen. | |
Es stimmt, dass die Eingriffsregelung die Erwartungen nicht erfüllt hat. | |
Das liegt aber weniger an der gesetzlichen Regelung, sondern daran, dass | |
sie in der Praxis nicht in gehöriger Form vollzogen wird. Und im Papier der | |
Koalition taucht der Begriff der grünen Infrastruktur ja nicht einmal auf. | |
Dagegen haben sich die Koalitionäre auf sehr konkrete Zumutungen für den | |
Naturschutz verständigt. | |
Wie auf den beschleunigten Ausbau von 144 Autobahnprojekten? | |
Genau. Dagegen bleiben die Aussagen zur Beschleunigung und Effektivierung | |
des Naturschutzes doch reichlich vage. | |
Es soll ein „Flächenbedarfsgesetz“ geben, das Flächen sichert, aus denen | |
dann ein „länderübergreifender Biotopverbund“ entstehen soll. | |
Die Schaffung eines länderübergreifenden Biotopverbundes ist nun wirklich | |
keine grundstürzend neue Idee. Schon mit dem Bundesnaturschutzgesetz 2002 | |
wurden die Länder zur Einrichtung eines derartigen Verbundsystems | |
verpflichtet. Eigentlich [3][müssten jetzt 30 Prozent der Landfläche als | |
Kernflächen einer grünen Infrastruktur gesichert und ökologisch | |
aufgewertet] werden. Verfassungsrechtlich ist es geboten, nicht nur der | |
Klimakrise, sondern auch der nicht minder dramatischen Biodiversitätskrise | |
zu begegnen, weil die natürlichen Lebensgrundlagen auch hierdurch massiv | |
bedroht sind. Das hat die Koalition wohl nicht vor. | |
Bis 2026 sollen beispiellose 4 Milliarden Euro investiert werden, um Moore | |
wieder zu vernässen, Städte zu begrünen, Wälder ökologisch umzubauen. | |
Das ist fraglos zu begrüßen, reicht aber nicht. Entscheidend ist, woher die | |
Flächen dafür kommen sollen. Angesichts der Konkurrenzen auf dem | |
Grundstücksmarkt ist das kein leichtes Unterfangen. Die Ampelkoalition hat | |
sich aber noch nicht einmal auf eine nötige Erweiterung des Vorkaufrechts | |
geeinigt, sondern lediglich eine Prüfung angekündigt. Da bezweifele ich, | |
dass es noch in dieser Legislaturperiode klappt, substanzielle Maßnahmen | |
umzusetzen, die dem Biodiversitäts- und Artenschutz tatsächlich | |
zugutekommen. | |
Der umweltpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Jan-Niclas | |
Gesenhues, sagt, er sei erst bereit, über Änderungen bei der | |
Eingriffsregelung zu sprechen, wenn ein gutes Flächenbedarfsgesetz | |
vorliege. Was schlagen Sie als Alternative vor? | |
Es böte sich eine gesetzliche Regelung an, die nationale Ziele des | |
Biodiversitäts- und Artenschutzes einschließlich der hierfür benötigten | |
Flächen festlegt und einen verbindlichen Zeitplan für deren | |
Unterschutzstellung und ökologische Verbesserung vorgibt. Kurzfristig ließe | |
sich auch der schon bestehende gesetzliche Biotopschutz erweitern, etwa um | |
gefährdete Waldlebensraumtypen und sonstige bedrohte Biotoptypen. Und | |
Gebiete des Netzes Natura 2000, aber auch Naturschutzgebiete, Nationalparke | |
und Kernzonen von Biosphärenreservaten sollten für die Errichtung von | |
Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien Tabuzonen sein. | |
Der Entwurf zur Änderung der Richtlinie für Erneuerbare Energien sieht aber | |
vor, dass alle EU-Mitgliedstaaten besonders geeignete Gebiete für | |
Erneuerbare Energien ausweisen müssen. Mit Ihrem Vorschlag wird das enorm | |
schwierig. | |
Keineswegs, nach den bisherigen Plänen der EU sollen [4][bei der Auswahl | |
dieser Gebiete] vorrangig künstliche und bebaute Flächen wie Dächer, | |
Verkehrsinfrastrukturflächen, Parkplätze und so fort ausgewählt werden. | |
Dagegen sollen Natura 2000-Gebiete sowie Naturparks, Naturschutzgebiete, | |
ausgewiesene Vogelzugrouten und weitere empfindliche und ökologisch | |
wertvolle Gebiete gemieden werden. | |
10 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Hanna Gersmann | |
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