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# taz.de -- Wohin die Religion zieht: Kein Mangel an Aberglaube
> Gott mag tot sein, aber James Dean, Janis Joplin und Maradona sind nie
> gestorben. Das zeigt: der Glaube bleibt. Nur seine Form ändert sich.
Bild: Maradonna, angebeter Fußballgott
Wer bin ich, um einem Pfarrer zu widersprechen, wenn er seine Schäfchen für
die wichtigste Nacht seines Jahres zusammenholt? „Der religiöse
Grundwasserspiegel sinkt“, sagte Pfarrer H. im Gottesdienst in der
Osternacht. „Die Quellen des Glaubens fallen trocken.“ Nicht nur in der
Natur herrscht offenbar Dürre, so eine Meinung.
In mir regte sich der Teufel des Widerspruchs: Einspruch, Euer Ehren! Der
Glaube verdampft bei uns? Das mag so aussehen aus der Sicht der
christlichen Kirchen. Und darüber kann man klagen oder auch Halleluja
rufen. Was aber leider gar nicht stimmt, ist: dass Religion und Glaube auf
dem Rückzug sind und die Aufklärung überall triumphiert. Schön wär´s.
Schauen wir uns mal um: Das Religiöse verschwindet nicht, es zieht nur um.
Die Liturgie packt die Menschen nicht mehr im Petersdom, sondern im
Westfalenstadion. Das Volk singt seine Hymnen beim FC Union, seine
Lichterprozession sind die Bengalos, seine Riten die Choreos der Ultras.
Auf dem Rasen werden die Heiligen, die Märtyrer verehrt. Wer Transzendenz
sucht, der schaue in die Merchandising-Shops von Schalke 04, in die
Gesichter der Fans bei Rockkonzerten oder Demonstrationen, man denke an die
blindwütige Hoffnung auf Heilung durch die Medizin. Gott mag tot sein, aber
James Dean, Janis Joplin und Maradona sind nie gestorben.
Und das ach so gottlose Berlin mit seinem Politik- und Lobbybetrieb? Es
kann beim Festhalten an Unbewiesenem und Unbeweisbarem dem Vatikan leicht
das Weihwasser reichen: Die FDP glaubt fest daran, dass unsere Autos mit
[1][E-Fuel]-Feenstaub fahren können. Sie betet inbrünstig, dass
[2][Gasheizungen] bezahlbar bleiben, auch wenn die Fakten und der
Emissionshandel dagegen sprechen – der immer mal wieder gut mittelalterlich
Ablasshandel genannt wird.
Die Herrscher in Sachsen und Brandenburg setzen alles auf das Phantom von
bezahlbarer Braunkohle bis 2038, auch wenn die Preise für CO2-Zertifikate
diese Klimakiller bis 2030 ganz allein erledigen. CDU/CSU schwören weiter
ewige Treue dem Mantra von Innovation und Investition, das uns über die
letzten Jahrzehnte erst in diese Hölle von Klimawandel und Artensterben
gestoßen hat. Und Hardcore-KlimapessimistInnen satteln immer wieder gern
die Pferde der apokalyptischen Reiter.
Und wir alle glauben, immer und überall: An die Kreditwürdigkeit unserer
Schuldner, an die Haftung unserer Banken. An den nächsten heißen Scheiß von
Tech-Milliardären. [3][Wir glauben daran, dass wir unsere Klimaziele auch
mit jährlich 1 bis 2 Prozent CO2-Reduktion schaffen], auch wenn die
Wissenschaft sagt, dass 6 bis 7 Prozent nötig sind. Wir vertrauen darauf,
dass Klimawandel und Artensterben schon weggehen, wenn wir nur fest genug
die Augen zumachen.
Wer hier auf Erden was zu sagen hat, der muss vor allem an eines glauben:
An unbegrenztes Wirtschaftswachstum in einem begrenzten Ökosystem. Ist das
weniger irre als die Erzählung, dass jemand von den Toten auferstanden ist?
Es mangelt dieser Welt an vielem. Aber sicher nicht an Glauben. Und erst
recht nicht an Aberglauben.
13 Apr 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Bernhard Pötter
## TAGS
Religion
Schwerpunkt Klimawandel
Gott
Kolumne Kulturbeutel
Wir retten die Welt
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Energiekrise
Klimaneutralität
Ampel-Koalition
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