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# taz.de -- Kein CO2-Budget mehr für die Alten: Die Ungnade der späten Geburt
> Als unser Autor jung war, war er schon öko. Trotzdem hat er viel vom
> globalen CO2-Budget verbraucht. Der Rest gebührt deshalb den heutigen
> Jungen.
Bild: Was waren wir früher unterwegs – und heute? Flugzeug nach dem Start in…
Es ist Zeit, den Sommerurlaub zu planen. Ich schimpfe also mal wieder ein
bisschen auf Freunde, die ihre freie Zeit zwischen den Flughäfen von Bali,
Mauritius, Kuba oder Ägypten verbringen. Und schwelge in den Vorzügen von
Chemnitz, Ludwigshafen und dem schienengebundenen Fernverkehr. Da sagt
meine Tochter: „Weißt du, Papa, eigentlich ist es auch ganz schön, mal
fremde Länder zu sehen und da Abenteuer zu erleben.“
Was soll ich sagen: Sie hat recht. Nicht nur, weil sie Jura studiert.
Sondern weil sie 21 ist und ihr CO2-Fußabdruck verglichen mit einem Boomer
aus meiner Generation auf Kinderschuhgröße ist. Selbst im Vergleich zu
einem flügehassenden Klimafanatiker wie mir sieht ihre Bilanz relativ
sauber aus. Was waren wir ihn ihrem Alter unterwegs, auch wenn wir zur
Ökoszene gehörten, die nicht zum Partywochenende nach Malle flog: Aber alle
paar Jahre [1][auf einen Sommer in den USA gespart], mit dem ersten Kind
für zwei Wochen im Winter nach La Gomera geflohen, Recherchereisen nach
Indonesien, China, Brasilien. Aber wenn jetzt bei uns Urlaubspläne gemacht
werden, denke und sage ich: Nee, geht nicht, da müssten wir ja fliegen!
Von der „Gnade der späten Geburt“, die noch Bundeskanzler Helmut Kohl für
seine Nachkriegsgeneration reklamierte, hat die jetzige junge Generation
beim Thema Klima- und Nachhaltigkeitspolitik gar nichts. Wir Älteren haben
die Gnade der frühen Geburt ausgenutzt: Wir haben das Buffet leergefressen,
wenn es um das globale Budget für Treibhausgase, Plastikscheiß an jeder
Ecke und [2][Artenmord per Lieferkette geht].
Die großen Krisen der Nachhaltigkeit tragen eine unglaubliche
Ungerechtigkeit in sich: Zwei Generationen in den Industrieländern haben
dem Globalen Süden, den Armen überall auf der Welt und den Generationen
ihrer Kinder und Enkel die Grundlagen des guten Lebens ruiniert. Und weil
das so ist, muss jede Form von Gerechtigkeit [3][allen Menschen über 40 in
den klassischen Industriestaaten] eine ökologische Payback-Karte
ausstellen: Sorry, Boomer, ihr seid für die nächsten 50 Jahre vom
kostenlosen CO2-Budget erstmal ausgeschlossen!
Altersdiskriminierung? Auf jeden Fall! In der Rationierung von CO2, die
irgendwann (möglichst bald!) kommen wird, wenn wir die Klimaziele endlich
mal ernst meinen, gehen wir Alten und die ganz Alten erstmal leer aus. Was
noch an Mauritius-Flügen, Formel-1-Irrsinn, Saunaheizung per Kohlestrom
oder Fleischorgien bei Grillfesten möglich ist, geht an alle unter 35. Hier
und vor allem anderswo. Globale Lizenzen zum CO2-Ausstoß sind tabu für die
Mittel- und Oberklasse des Globalen Nordens. Das ist dann die konkrete
Umsetzung des Gejammers: „Wir haben die Welt von unseren Kindern nur
geborgt“.
Das wird für die letzte Generation nicht ausreichen, um alle unsere
Wahnsinnstaten zu wiederholen. Aber vielleicht gibt es ihnen einen letzten
Rest Glauben an die Gerechtigkeit zurück. Und vielleicht stimmt es sie ein
bisschen gnädig, wenn sie das Sagen haben und uns im Pflegeheim füttern
sollen. Und wenn ihre Generation irgendwann klären will, wer an dem ganzen
Mist eigentlich schuld ist.
21 Apr 2023
## LINKS
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[3] /Generationenwandel-in-der-Klimakrise/!5819644
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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