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# taz.de -- Bei der Letzten Generation mitmachen: Memme, Feigling, Hasenfuß
> Unsere Autorin würde Straßen blockieren – hätte sie nicht solche Angst.
> Denn die Aktionen spalten nicht, findet sie. Vielmehr sind es die
> Parteien, die ihre Glaubwürdigkeit verspielen.
Bild: Unserer Autorin bleibt nur das Wort. Aktion in Berlin am 24. April
Angsthase, Memme, Feigling, Waschlappen, Hasenfuß – suchen Sie sich aus,
wie Sie mich nennen. Denn hätte ich keine Angst, wäre ich bei den Blockaden
der Letzten Generation dabei. Ich würde mich auf die Straße setzen, mich
ankleben. Und bereitwillig den Hass von Autofahrenden auf mich ziehen. Auch
den Geifer von PolitikerInnen, solchen, die dem Populismus verfallen sind,
weil es ihren Zwecken und nicht der Welt dient. Nicht zuletzt würde ich die
Häme und Hetze der Bild ertragen. Nur bin ich nicht mehr mutig.
Und das, obwohl „Mut“ und „Wut“ so nah beieinanderliegen. Die Wut habe …
doch. Wut auf all jene, und in der Politik scheint es die Mehrheit zu sein,
die nicht so handeln wollen, dass ein Aufbruch sichtbar ist, der die
Erderwärmung stoppt. Nur, was ist so schwer, das W in Wut auf den Kopf zu
stellen, damit Mut daraus wird? Und was so schwer, beides zu verbinden?
Wutmut. Mutwut. Wir brauchen das, um die Klimakatastrophe aufzuhalten. Und
um die Politik dahin zu bringen, den Menschen in diesem Land die Wahrheit
zu sagen. Die politisch Verantwortlichen können nicht so tun, als gebe es
ein Grundrecht aufs Weiter-so, aufs Autofahren, Fliegen, Wasser
verschmutzen, Luft verschmutzen, Wälder roden, Ressourcen verschwenden,
Autobahnen bauen, Profit schützen. Die Menschen müssen wissen, dass das
direkt ins Verderben führt. Die PolitikerInnen müssen es ihnen sagen. Denn:
[1][„Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“]
Danke, Ingeborg Bachmann, Sie nahmen es vorweg, als Sie dies bei der
Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden 1959 sagten. So kurz nach
der NS-Zeit, in der die Menschen politischen Lügen zuhauf gefolgt waren,
glaubten Sie, die Menschen seien bereit, der Wahrheit ins Auge zu sehen.
„Wir wollen alle sehend werden“, sagten Sie.
## Für die Wahrheit braucht es Mut
Für die Wahrheit, das wusste Bachmann, braucht es Mut. Wieso aber so viele
in der Politik den Menschen gegenwärtig die Wahrheit nicht zumuten, ist ein
Debakel. Auch sie sind Feiglinge. Ihre Angst gilt, anders als meine, nicht
dem Mob, sondern dem Souverän.
Es wird jetzt viel darüber geredet, dass die Aktionen der Letzten
Generation die Klimabewegung spalte. Dass sie mit ihren Blockaden die
Glaubwürdigkeit des Klimaschutzanliegens verspiele. Das Gegenteil ist
richtig: Die, die den BürgerInnen signalisieren, dass sie weiter
Kohlendioxid verprassen können – die FDP, [2][Kanzler Scholz], die ganze
Kohorte von CDU, CSU – verspielen ihre Glaubwürdigkeit, weil sie den
Menschen die Wahrheit nicht zumuten.
Die Politikverantwortlichen müssen ihr Narrativ dem Klimanotstand anpassen.
„Wir schaffen das“, auch wenn es Einschränkungen bedeutet, müsste es
lauten. Stattdessen tun sie, als könne alles bleiben. So fördern sie die
Spaltung der Gesellschaft. Sie heizen den Konflikt an und die Erde.
## Halb totgeschlagen bei einer Demonstration
Mich allerdings macht diese Erkenntnis nicht mutiger. Ich wurde einmal, in
den 80er Jahren, [3][von Polizisten halb tot geschlagen] bei einer
Demonstration. Die Fratze, die dieser Gewalt nicht Einhalt gebot, sie gar
legitimierte, ertrage ich nicht mehr. Hart auf dem Boden aufschlagende
Schuhe. Breite Schultern. Geschwellte Brüste. Geballte Fäuste. Stiere
Blicke. Genau das, was ich sehe, wenn ich in Videos aufgebrachte Autofahrer
auf die am Boden sitzenden DemonstrantInnen losgehen sehe. Sie aus dem Weg
zerrend. Wer ist gesetzlos?
Mir bleibt jetzt nur das Wort. Und Bewunderung für Ingeborg Bachmann.
Innerhalb der gesellschaftlichen Grenzen, sagte sie, sei unser Blick auf
das Vollkommene der Liebe, der Freiheit oder jeder reinen Größe gerichtet –
wobei das Vollkommene auch das Unmögliche, Unerreichbare sein könne. „Im
Widerspiel des Unmöglichen mit dem Möglichen erweitern wir unsere
Möglichkeiten. Daß wir es erzeugen, dieses Spannungsverhältnis, an dem wir
wachsen, darauf, meine ich, kommt es an; daß wir uns orientieren an einem
Ziel, das freilich, wenn wir uns nähern, sich noch einmal entfernt“, sagte
sie.
Soll heißen, die Letzte Generation, Fridays for Future und alle, die die
Erde nicht brennen sehen wollen, kämpfen mit ihren Mitteln weiter für eine
Politik, die den Klimawandel stoppt. Sie werden daran wachsen. Und ich? Ich
strenge mich hart an, diese Angst doch zu überwinden.
24 Apr 2023
## LINKS
[1] https://jochenteuffel.files.wordpress.com/2019/12/bachmann-die-wahrheit-ist…
[2] /Olaf-Scholz-zu-Kritik-an-Klimaplaenen/!5925078
[3] /Debatte-ueber-toedliche-Polizeigewalt/!5926222
## AUTOREN
Waltraud Schwab
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