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# taz.de -- Betagter Quadratmeteradel: Die Boomer sind an allem schuld!
> Wohnungsmangel, Rentenkrise, Pflegenotstand: Die alternde Babyboomerin
> könnte sich den ganzen Tag schuldig fühlen. Tut sie aber nicht.
Bild: Als Babyboomer gelten in Deutschland die geburtenstarke Generation der 54…
Freundin Hille hat neuerdings auch ihr Schuldgefühl. Sohn Alex,
Schwiegertochter und Enkelin wollen wieder nach Berlin zurückziehen und
suchen eine Wohnung. Hille wohnt mit Ehemann Günni in ihrem alten
Reihenhäuschen, mit mehr Zimmern, als sie brauchen. Tja.
„Vielleicht müssten wir ausziehen und Platz machen für die beiden und die
Kleine“, sagt Hille, „aber Alex ist zum Glück der Meinung, er würde nicht
in sein Elternhaus zurückwollen … allerdings, wenn wir wirklich ausziehen
würden …“ Hille seufzt, „aber wir wollen nicht weg, das Opfer will ich
nicht bringen.“
Man kann sich wegen vielem schuldig fühlen als Alte, die Jüngere angeblich
blockiert oder belastet. Zum Beispiel: Weg mit dem Quadratmeter-Adel, den
Alten, die in ihren zu großen Häusern oder Wohnungen hocken, oft mit
günstigem Altmietvertrag, und nicht mal tauschen wollen mit den Jungen in
ihren zu engen Bleiben! Das [1][Institut der Deutschen Wirtschaft] hat es
neulich vorgerechnet. Fast jede zehnte Mietwohnung der über 70-Jährigen in
deutschen Großstädten ist unterbelegt, da gibt es einige Zimmer mehr, als
die Bewohner:in braucht. Schuldig!
Als Babyboomer gelten in Deutschland die geburtenstarke Generation der 54-
bis 68-Jährigen, die wachsen in das Schuldigsein gerade erst so richtig
rein. Die gehen nämlich nach und nach in Rente, und es werden die nächsten
zehn Jahre immer mehr werden. Überall Fachkräftemangel und die Boomer hauen
in den Sack! Und verfrühstücken dann über Jahrzehnte die Rentenbeiträge der
Jungen. Schuldig!
## Auch noch öfter zum Arzt
Besonders viel Schuld laden die Frauen auf sich, die leben länger als die
Männer. Und gehen öfter zum Arzt. Babyboomerinnen in Wartezimmern ruinieren
mehr und mehr unser Sozialsystem. Schuldig!
Und erst die Pflege. Ein schwarzes Milliardenloch. [2][Die Zahl der
Pflegebedürftigen wird wachsen, in 20, 30 Jahren,] wenn die
Babyboomer:innen in die Hochaltrigkeit kommen. Irgendwo müssen sich
Junge finden, die den Alten den Arsch abwischen. Und die Jungen müssen dann
wieder alles bezahlen, die Pflegekassenbeiträge werden in schwindelnde
Höhen steigen. Schuldig!
Es gibt eine Nebenwirkung: Die Angst vor der Hochaltrigkeit frisst sich
rein ins Gemüt der Babyboomer:innen. Ich kenne Leute, die schon mal
vorsorglich eingetreten sind in Organisationen, die Suizidassistenz
anbieten. Hochaltrige Männer bringen sich nicht selten um.
Es wird keine Lösung sein, die Begleiterscheinungen der Langlebigkeit, des
medizinischen Fortschritts, der niedrigen Geburtenraten, der Wohnungsnot,
des Gefälles zwischen Reich und Arm, zu überdecken mit dem Hass auf die
Alten. Der letztlich Selbsthass ist.
## Freude an Details
Ich habe meine Heldin der Hochaltrigkeit: Tante Zilly, die im Alter von 98
Jahren alleine zu Hause starb, nahezu erblindet, mit ambulanter Pflege. Von
ihr lernte ich die Freude an Details: Wenn die Amseln abends vorm Fenster
flöteten und ihr Pfleger von seinem Kalligrafiekurs schwärmte, dann lebte
sie auf. Ich erzählte ihr von meinem Kajak und den Graureihern am See.
Die Menschen haben Angst davor, in den Spiegel zu schauen, weil sie dort
das Nichts sehen, hat Andy Warhol mal gesagt. Vielleicht brauchen wir mehr
Mut vorm Spiegel, in einer Gesellschaft der Langlebigen.
30 Apr 2023
## LINKS
[1] https://www.iwd.de/artikel/mismatch-auf-dem-wohnungsmarkt-573887/
[2] https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Pflege/_in…
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
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