| # taz.de -- Klimabeschlüsse der Bundesregierung: Die Zwei-zu-eins-Koalition | |
| > Die Grünen sind enttäuscht vom Klimaschutzpapier des | |
| > Koalitionsausschusses. SPD und FDP hochzufrieden. Die Rangeleien in der | |
| > Ampel könnten zunehmen. | |
| Bild: Härtere Gangart gegenüber SPD und FDP | |
| Berlin taz | Die einen gehen am Dienstagabend nach Hause, die anderen in | |
| die Verlängerung: Gleich nach dem Ende des Koalitionsausschusses und dem | |
| gemeinsamen Auftritt der drei Parteichef*innen von SPD, FDP und Grünen | |
| unter der Reichstagskuppel laden die Grünen Verhandler*innen zu | |
| Videokonferenzen ein. Sie tauschen sich mit Umweltverbänden, der | |
| Bundestagsfraktion und mit Grünen aus Ländern und dem EU-Parlament aus. Die | |
| Stimmung auf allen Kanälen: Schlecht. „Der Frust über die Koalition ist | |
| groß; besonders darüber, wie sich die SPD positioniert hat“, sagt der grüne | |
| Europa-Abgeordnete Rasmus Andresen. Für die Grünen scheint klar: Sie sind | |
| die Verlierer:innen der bislang längsten Koalitionsausschussitzung der | |
| Ampelregierung. Sie haben gegen SPD und FDP den Kürzeren gezogen – mal | |
| wieder. | |
| Eigentlich soll der Koalitionsausschuss, die nichtöffentlich tagende Runde | |
| der 17 führenden Politiker*innen der Ampelregierung, ihrer Fraktions- | |
| und Parteichef*innen, regelmäßig zusammenkommen, damit man sich auf | |
| Augenhöhe austauschen und Streitthemen geschmeidig abräumen kann. Doch | |
| diesmal hatte sich schon im Vorfeld so viel Unmut angesammelt, waren Briefe | |
| geschrieben und Gesetze geleakt worden, dass klar war: Ein erbaulicher | |
| Sonntagabend wird das nicht. | |
| Und so kam es auch. Von Sonntagabend bis Dienstagabend zogen sich die | |
| Koalitionär*innen zurück, machten die Nacht zu Montag sogar durch. | |
| Zwischendurch flogen der Kanzler und einige Minister*innen zu | |
| unaufschiebbaren Terminen aus, doch sonst drang kein Wort durch die dicken | |
| Mauern des Kanzleramtes nach draußen. Drei Stunden vor Ende der | |
| Marathonsitzung verließ der Bundeskanzler den Ausschuss, statt seiner | |
| führte SPD-Co-Parteichef Lars Klingbeil die Verhandlungen zu Ende. | |
| Heraus kam ein 16-seitiges Papier, ein „Modernisierungspaket für | |
| Klimaschutz und Planungsbeschleunigung“, welches besonders für die Grünen | |
| einige schwer verdauliche Brocken enthält: Neben Bahnschienen werden auch | |
| 1.200 Kilometer Autobahn superschnell ausgebaut und die für jeden Sektor | |
| geltenden Ziele zur CO2-Einsparung aufgeweicht. Bereiche wie der Verkehr, | |
| der unvermindert Treibhausgase produziert, wären fein raus, so die | |
| Befürchtung. Sogar ein eigenes Kapitel zu synthetischen Kraftstoffen, den | |
| umstrittenen E-Fuels, ist drin. Sehr zur Freude der Liberalen. | |
| ## Grünen: Nicht mit uns abgestimmt | |
| Die Vorlage stammt aus dem Kanzleramt, sie sei, so heißt es aus | |
| SPD-Kreisen, von Scholz und Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt lange | |
| vorbereitet und vor allem mit dem Grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck | |
| und FDP-Finanzminister Christian Lindner immer wieder besprochen und | |
| abgestimmt worden – etwa auf der Kabinettsklausur im brandenburgischen | |
| Meseberg Anfang März oder bei gemeinsamen Reisen. | |
| Die Spitzen von Partei und Fraktionen hatten den vollständigen Entwurf | |
| allerdings erst einige Stunden vor der Sitzung des Koalitionsausschusses | |
| erhalten – doch zumindest aus SPD-Sicht standen „keine Überraschungen | |
| drin.“ Und 95 Prozent seien nach dem Sitzungsmarathon auch so geblieben. | |
| Die Erzählungen der Grünen decken sich damit zu großen Teilen, weichen in | |
| einem entscheidenden Detail aber doch ab: Vorgespräche zwischen Scholz, | |
| Lindner und Habeck habe es zwar tatsächlich gegeben, sie hätten bloß zu | |
| keinen wirklichen Ergebnissen geführt. Das Papier, mit dem der Kanzler in | |
| den Koalitionsausschuss ging, bei den Grünen heißt es nur noch das | |
| Scholz-Papier, sei nicht mit ihnen abgestimmt gewesen. Habecks Punkte aus | |
| den Vorbesprechungen hätten sich darin nicht wiedergefunden. | |
| Entsprechend zäh seien daher die Gespräche verlaufen. Die Grünen fühlen | |
| sich in der Koalition in die Ecke gedrängt: SPD und FDP zeigen ihrer | |
| Ansicht nach überhaupt kein Interesse mehr am Klimaschutz. Im | |
| Koalitionsausschuss hätten sich sowohl die Sozialdemokraten als auch die | |
| Liberalen sofort hinter das Scholz-Papier gestellt. In einer | |
| Eins-gegen-Zwei-Situation sei es dann allein an den Grünen gewesen, in | |
| mühsamen Verhandlungen zumindest Halbsätze zugunsten des Klimaschutzes | |
| abzuändern. | |
| ## FDP lobt sich, SPD zufrieden | |
| Eine Erzählung, die man in der SPD höchst ärgerlich findet, auch die | |
| Sozialdemokratie stünde schließlich für Klimaschutz. Aber bitteschön | |
| pragmatisch und die Menschen mitnehmend. Die Atmosphäre während des | |
| Verhandlungsmarathons sei auch keineswegs „showdownmäßig“ gewesen, sondern | |
| höchst konstruktiv. | |
| Aber wie konstruktiv ist es, 48 Stunden zu verhandeln, um fünf Prozent in | |
| einem angeblich abgestimmten Papier zu ändern? Hat sich das wirklich | |
| gelohnt? Ja, finden FDP und SPD. Der Finanzminister wirkte am Dienstagabend | |
| im Bundestag sogar richtig euphorisch und wünschte sich Marathonsitzungen | |
| mit solchen Ergebnissen monatlich. Gleich nach dem gemeinsamen Statement | |
| der Parteivorsitzenden twitterten die ersten FDP-Politiker*innen | |
| Glückwünsche. Für den Vorsitzenden der FDP Bayern war es „ein | |
| hervorragendes Verhandlungsergebnis“. Der klimapolitische Sprecher der | |
| Fraktion lobte die „sektorübergreifende Rechnung“ und | |
| „Technologieoffenheit“. | |
| Noch am Dienstagabend kursierte ein Papier aus FDP-Parteikreisen, in dem | |
| die Liberalen auf vier Seiten ihre Erfolge verkaufen. Das Klimaschutzgesetz | |
| werde „aus der Planwirtschaft in die Marktwirtschaft überführt“, heißt es | |
| etwa darin. Zudem wird aufgeführt, was die FDP in den Verhandlungen alles | |
| abgewehrt hat. Zum Beispiel „die Reduktion der Pendlerpauschale“, eine | |
| „E-Auto-Quote von 100 Prozent bis 2030 für Firmenflotten und die | |
| Verdoppelung der Dienstwagenbesteuerung ab 2024“. | |
| Auch die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion strahlte am | |
| Mittwochmorgen beim regulären Pressebriefing mit Kaffee und Croissants: Die | |
| SPD-Fraktion sei mit allen Punkten des Papiers zufrieden. | |
| ## Kritik am Kanzler | |
| Ganz anders das Bild bei den Grünen. Sie versuchen noch nicht mal, das | |
| Gesamtergebnis als Erfolg zu verkaufen. Sogar aus der Parteizentrale heißt | |
| es, dass zur Ehrlichkeit gehöre: Die Lücke, gerade beim Klimaschutz im | |
| Verkehr, sei weiter sehr groß. | |
| Die Rückmeldungen von der Basis, so berichten Abgeordnete am Mittwoch, sind | |
| ganz überwiegend negativ. „Es ist bitter, dass Olaf Scholz und Christian | |
| Lindner sich hier gegen den Klimaschutz verbrüdert haben“, sagt Timon | |
| Dzienus, Bundessprecher der Grünen Jugend. Kein Grüner, den man am Mittwoch | |
| ans Telefon bekommt, klingt in der Sache anders. Auf Instagram nennt der | |
| Vorsitzende des Stadtverbands Hannover das Papier einen „Clusterfuck“. | |
| Kaum Kritik gibt es jedoch an der Verhandlungsleistung der sogenannten | |
| Sechserrunde – also an den Partei- und Fraktionsvorsitzenden sowie Robert | |
| Habeck und Annalena Baerbock, die die Grünen im Koalitionsausschuss | |
| vertreten haben. „Unzufriedenheit darüber, wie unsere Leute verhandelt | |
| haben, habe ich bislang nirgendwo gehört“, sagt der Europa-Abgeordnete | |
| Rasmus Andresen. Die Dauer der Verhandlungen spielt dabei sicher eine | |
| Rolle: Die 48 Stunden scheinen die These zu belegen, dass wirklich hart | |
| verhandelt wurde, aber nicht mehr drin war. | |
| Auf die beiden anderen Parteien konzentriert sich dann auch der öffentlich | |
| geäußerte Ärger der Grünen. Stärker als die FDP nehmen sie dabei | |
| mittlerweile die Partei des Kanzlers ins Visier. Klar erkennbar ist der | |
| Versuch, den öffentlichen Druck vor allem auf Olaf Scholz zu erhöhen, den | |
| die Sozialdemokraten auf Wahlkampfplakaten noch als „Klimakanzler“ betitelt | |
| hatten. | |
| Es ist ein taktischer Schwenk, hinter dem eine größere Strategiefrage | |
| steckt: Die Grünen wollen die Koalition nicht platzen lassen, allein schon, | |
| weil eine bessere Alternative fehlt. Einen Koalitionsausschuss ergebnislos | |
| zu beenden, kommt für sie aber auch nicht infrage – staatstragend, wie sie | |
| längst sind, empfänden sie das als verantwortungslos. Wie aber wollen sie | |
| dann in der Ampel bis zur nächsten Wahl überhaupt noch Klimaschutz | |
| durchsetzen? | |
| ## Härtere Gangart in der Koalition | |
| Intern läuft die Strategiedebatte an. Dabei geht es auch um das Selbstbild | |
| der Grünen als fairer Player in der Ampel, der stets vertrauensvoll mit den | |
| Partnern zusammenarbeitet. Ein Ansatz, der an Grenzen stößt, wenn die | |
| anderen mit härteren Bandagen kämpfen. | |
| „Bei der Existenzfrage Klimaschutz ist die Ausgangslage in der Koalition | |
| 2:1. Die Klimakrise wird sich weiter verschärfen, wenn das nur als | |
| Spezialthema der Grünen verstanden wird“, sagt der Bundestagsabgeordnete | |
| Sven-Christian Kindler. Man müsse inhaltliche Konflikte noch stärker | |
| machtpolitisch analysieren und angehen, folgert er. Konsens ist das in der | |
| Fraktion nicht. Eine Einzelmeinung aber auch nicht mehr. | |
| Zu beobachten sein könnte eine härtere Gangart schon bald in den | |
| Gesetzgebungsverfahren, die aus den Ergebnissen des Koalitionsausschusses | |
| folgen. Rechtlich bindend ist das Papier des Gremiums ja nicht. In vielen | |
| Detailfragen bleibt es zudem schwammig – etwa bei der Frage, ob 30 Jahre | |
| alte Gasheizungen nun gegen klimaneutrale ausgetauscht werden müssen oder | |
| nicht. Sowohl innerhalb des Kabinetts als auch im Bundestag bleibt Raum für | |
| Verhandlungen. | |
| „Ich sehe die Chance, dass wir im Bundestag auf Fachebene noch etwas | |
| herausholen“, sagt der Grünen-Abgeordnete Kassem Taher Saleh. Der | |
| Grünen-Umweltpolitiker Jan-Niclas Gesenhues hat bereits angekündigt, sich | |
| auf Zugeständnisse aus dem Koalitionsausschuss erst einzulassen, wenn SPD | |
| und FDP auch Punkte der Grünen tatsächlich umsetzen. Über „Zugeständnisse | |
| bei ‚Geld statt Fläche‘“ könne überhaupt erst gesprochen werden, wenn | |
| „wirklich ein verbindliches und gutes Flächenbedarfsgesetz für | |
| Biodiversität vorliegt“. | |
| Und bis die Ausschussvereinbarungen zum Autobahnausbau tatsächlich dazu | |
| führen, dass die Bagger rollen, stehen in Bund, Ländern und Kommunen auch | |
| noch diverse Entscheidungen an. Grüne Verkehrspolitiker*innen haben | |
| bereits angekündigt, alle Hebel zu nutzen, die ihnen bleiben. | |
| Auch nach 36 Stunden Koalitionsausschuss ist in der Ampel also noch lange | |
| nicht alles geklärt. Das nächste Gipfeltreffen wird kommen. Nach dem | |
| Ausschuss ist vor dem Ausschuss. | |
| 29 Mar 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
| Jasmin Kalarickal | |
| Anna Lehmann | |
| Tobias Schulze | |
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