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# taz.de -- Die Grünen nach dem Koalitionsausschuss: Mehr Großzügigkeit wagen
> Die Ergebnisse des Koalitionsausschusses bereiten den Grünen miese Laune.
> Dabei täten sie gut daran, sich in Selbstreflexion zu üben.
Bild: Drei Schritte vor, drei Schritte zurück: Grünenpolitiker:innen nach der…
Die miese Laune bei den Grünen ist nur allzu berechtigt: Die zwei anderen
Parteien der Ampelkoalition stutzten die ideell erfolgreichste Partei seit
1980 auf ein Maß zurück, das in etwa ihrem Bundestagswahlergebnis
entspricht.
14,8 Prozent betrug dieses, nicht weniger, aber eben auch nicht so viel
mehr, als dass die Ökopartei wirklich einen auf dicke Hose machen könnte.
[1][Nichts von den Protesten ihrer Funktionäre in den Krisengesprächen der
Koalition fruchtete wirklich.] Herausgekommen ist jetzt ein state of the
art, ein „So liegen die Dinge nun einmal“, an dem nicht zu rütteln sei, wie
Bundeskanzler Olaf Scholz es Ende der Woche ausdrücklich betonte. Nämlich
dass auch Autobahnbauten und -reparaturen keinem Moratorium unterlegen. Das
ist symbolpolitisch betrachtet das Krasseste, mit dem sich die FDP
durchsetzen konnte.
Aber besteht wirklich Anlass für die Grünen, aufs Wehklagen sich zu
verlegen, ja, gar zu fantasieren, mit einem Unionskanzler wie dem
nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst sei die grüne
Klimapolitikagenda viel eher zu realisieren? Überhaupt liest man in grünen
Verlautbarungen ganz gleich auf welcher hierarchischen Ebene erkennbaren
Verdruss mit Blick auf die Ampelregierung. Mal ist es der Kanzler, der zum
Teufel gewünscht wird, mal gleich seine ganze Partei, hauptsächlich aber
bekommt Verkehrsminister Volker Wissing Kommentare verpasst, die hier nicht
zuletzt aus Sorge vor eventueller strafrechtlicher Verfolgung nicht zitiert
werden sollten.
Die Gemengelage so zu betrachten – und dies schreibt einer, der in jeder
Hinsicht massiv Interesse an einer ökologischen Politik hat, gleich mit
welcher Partei, aber selbstverständlich zuvörderst mit den Grünen – ist
freilich antipolitisch. Es ventilieren sich in ihr nur Gefühle, keine
kühlen Überlegungen, wie der Misere der mangelnden Durchsetzungsfähigkeit
abzuhelfen wäre. Denn: Glauben die Grünen ernsthaft, sie seien mit ihren
14,8 Prozent im Bundestag stark genug, um das, was sie klimapolitisch
erreichen wollen, auch durchsetzen zu können? Also bitte!
## Was haben sie selbst zu dieser Misere beigetragen?
Wer eine Etappe verliert, wer eine tüchtige Niederlage erlitten hat, ist
immer gut beraten, nicht mit Fingern auf andere zu zeigen, sondern darüber
nachzudenken, was man selbst dazu beigetragen hat, dass es kam, wie es nun
gekommen ist. Einige Hinweise auf diesen Prozess der erfrischenden
Neuorientierung sind leicht zu ermitteln: In der Öffentlichkeit stehen die
Grünen für eine klimapolitische Transformation, die Angst macht,
finanzielle Furcht – wer soll die bezahlen, die ganzen Wärmepumpen und et
cetera?
Sie verkörpern immer noch, wie in schlechten alten Zeiten, zwar nicht eine
Aura des Verbotshaften, aber sie wollen bestimmte Sachen nicht. So ist der
parteiinterne Konsens, dass es absolut [2][keinen Aus- und Neubau von
Autobahnen geben soll], wie es alle anderen Parteien (inklusive der Union
und hier besonders der CSU) befürworten, dafür aber soll ein Bahnnetz her,
das mit individueller Straßenmobilität konkurrieren kann. Das Image, die
nahezu baufälligen Autobahnen nicht ausbauen zu lassen – ob das im Detail
so zutrifft oder nicht –, haben die Grünen hartnäckig an sich haften.
Und das ist falsch, wie überhaupt politstrategisch und verkehrspolitisch
kontraproduktiv ist, sich buchstäblich für jeden, wie es in einem
grüneninternen Statement jüngst hieß, „Holunderstrauch“ einzusetzen, aber
alle Kraft darauf zu verwenden, bis in die letzte Ecke Straßen zu
verhindern, die schnelleres Fahren ermöglichen. Ebenso untilgbar ist das
Image, gegen jedes Großprojekt zu sein. Beispielhaft dafür ist die
Untertunnelung des Fehmarn-Belts zwischen Schleswig-Holstein und der
dänischen Insel Lolland, mit der der Weg zwischen Hamburg und Kopenhagen
nicht mehr sechs, sondern allenfalls drei Stunden dauern würde.
## Grüne haben ein Interesse, FDP bei Laune zu halten
Grüne, das könnte die Lehre aus der 30 Stunden währenden Krisentagung der
Ampel sein, fahren buchstäblich nicht gut damit, sich als solitäre
Regierungsadvokat*innen für die Sache der Klimapolitik zu verwenden:
Das macht einsam, politisch vor allem.
Davon abgesehen, dass die Grünen, ähnlich wie der in dieser Hinsicht
besonders umsichtige Kanzler, ein Interesse daran haben müssen, ihren
Koalitionspartner FDP bei Laune zu halten, ihn auch öffentlich in aller
Kompliziertheit zu wertschätzen, weil sonst schneller als erhofft die Union
und damit die automobilfetischisierte CSU wieder mit in der Regierung säße.
Davon abgesehen, wird der Weg der Grünen zu einer volksparteiartigen
Formation ein steiniger bleiben, solange ihr öffentliches Auftreten an
alte, sektiererische Vergangenheiten erinnert.
Konkret bedeutet das auch, sich vom degrowthhaften Klein-kleiner-Werden
zu verabschieden und Megaprojekte zu fördern, anstatt sie abzulehnen. Es
bedeutet, Eisenbahnausbauten zu forcieren, ohne vom Autobahnbau in
abgehängten Gegenden zu lassen; Verständnis für Automobilkultur
aufzubringen, [3][die Akteur*innen der „Letzten Generation“] und ihre
Klebereien mal als ultranervig markieren und gelegentlich zumindest auf
tranige Scherzchen über Porschefahrer zu verzichten.
## Klimapolitik geht nicht im Empörmodus
Grüne Politik würde so gesehen dann das Miteinander von scheinbar
unverträglichen Ansätzen ermöglichen. Wie die Grünen es jetzt angestellt
haben, allem Feingefühl von Klimaminister Robert Habeck für die Risiken
einer Strategie des Sowohl-als-auch und seinem formidablen
[4][Gaskrisenmanagement mit LNG-Terminals] zum Trotz, kommt einer Tragödie
gleich: Sie könnten Erfolg in und mit der Ampel haben und werden doch, wie
in alten, bleiernen Zeiten, wieder zu Opfern ihrer eigenen fundamentalen
Ansprüche.
Alles wird nur Schritt für Schritt gehen, drei vor, manchmal drei zurück.
Klimawandelpolitik geht nicht im Empörmodus, sondern nur als mühseliges
Ringen um das bisschen Bessere.
3 Apr 2023
## LINKS
[1] /Klimabeschluesse-der-Bundesregierung/!5922204
[2] /Folgen-des-Koalitionsausschusses/!5923017
[3] /Wie-geht-die-Letzte-Generation-vor/!5921978
[4] /Projekt-vor-der-Kueste-Ruegens/!5925065
## AUTOREN
Jan Feddersen
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