# taz.de -- Kanzler Scholz im Koalitionsausschuss: Der getarnte Verlierer | |
> Die Grünen sind die Verlierer des Koalitionsausschusses. Allerdings gibt | |
> es einen weiteren – der sich in puncto Klima nun hinter der FDP | |
> versteckt. | |
Bild: Bräuchte einen umgekehrten Agenda-2010-Moment: Bundeskanzler Olaf Scholz | |
Die Kompromissbildungsschmiede der Ampel hat bislang eher gut funktioniert. | |
Die SPD bekam 12 Euro Mindestlohn, die FDP mehr Minijobs. SPD und Grüne | |
bekamen 60 Milliarden ursprünglich für die Coronakrise geplantes Geld für | |
den Klimafonds, die Liberalen keine Steuererhöhungen. Das war zwar immer | |
weniger als das, was für den sozial-ökologischen Umbau nötig ist. Und | |
Fortschrittskoalition war eine forsche Selbstüberhöhung. Aber für eine | |
Regierung mit Finanzminister Christian Lindner war es solides politisches | |
Handwerk. Und Olaf Scholz gab den ausgleichenden Moderator. | |
[1][Das ist seit dem 30-Stunden-Ampel-Marathon vorbei.] Die | |
Kompromissmaschine läuft nicht mehr rund. SPD und FDP haben die Grünen in | |
deren Kernbereich Klima gemeinsam an die Wand gedrückt. Dass der Kanzler, | |
der nicht zum Überschwang neigt, diesen Notkompromiss fern von | |
hanseatischem Understatement als „sehr, sehr, sehr gut“ feierte, zeigte, | |
dass hier etwas nicht stimmt. Was die Ampel beschlossen hat, hilft weder | |
dem globalen Klima noch dem Binnenklima im Kabinett. Die FDP wird nach | |
diesem Sieg nicht weniger nervös auftreten. Im Gegenteil: Diese Demütigung | |
der Grünen schmeckt nach Wiederholung. | |
Neben dem Grünen gibt es noch einen Verlierer. Er ist schwer zu erkennen, | |
weil gut getarnt: der Kanzler. Scholz sieht sich als Macher. Merkel mit | |
Plan, so hat ihn der Stern vor Jahren mal genannt. Also pragmatisch, aber | |
mit Blick für das große Ganze. Das aber hat Scholz komplett aus den Augen | |
verloren. Ein amputiertes Klimaschutzgesetz für mehr Klimaschutz – diese | |
Gleichung geht in keiner noch so raffinierten Dialektik auf. Die | |
klimapolitische Wende der SPD war offenbar nur eine Fassade, die beim | |
ersten zarten Windstoß umgefallen ist. | |
Die SPD ist keine sozial homogene Milieupartei der urbanen Mittelschicht | |
wie die Grünen. Sie muss an Geringverdiener und Dieselfahrer in der Provinz | |
denken. Sie ist eine Volkspartei in der Abenddämmerung und muss mehr | |
Milieus einbinden. | |
## Klimapolitik zum Kulturkampf | |
Die Aussicht, demnächst keine Gas- und Ölheizungen mehr einbauen zu dürfen, | |
sorgt für Verunsicherung. Es gibt in der SPD-Politik durchaus einen | |
rationalen Kern. Wenn Klimapolitik zum Kulturkampf zwischen liberalen | |
Zentren und frustrierter Provinz wird, verlieren alle (außer der AfD). So | |
weit, so richtig. Aber Angst vor deutschen Gelbwesten zu haben und [2][mit | |
zittrigen Fingern auf den gescheiterten Klimavolksentscheid in Berlin zu | |
zeigen], ist noch keine Politik. Vorsorgliche Anpassung an das, was zu | |
befürchten ist, macht nichts besser. | |
Was fehlt, ist die klare Ansage, wer bei den Heizungen mit welcher Hilfe | |
rechnen kann. Stattdessen blinkt die Ampel konfuse Signale. Statt Ängste | |
einzuhegen, sorgt die Regierung für zusätzliche Verunsicherung. Es fehlt | |
jene Führung, die Scholz gern für sich reklamiert. Der Job der SPD ist es, | |
Klimaschutz mit sozialen Ausgleich zu verkoppeln. Das ließe sich prima über | |
das Klimageld machen, für das sich Hubertus Heil zu Recht engagiert hat. | |
Ärmere, die viel weniger CO2 emittieren, profitieren davon. Reiche mit | |
großen Wohnungen und großen Autos müssen zahlen. Doch dieses Geld soll | |
jetzt offenbar für den Heizungsumbau benutzt werden. Das ist keine gute | |
Idee, denn damit verschwindet die sozialdemokratische Gravur der | |
Klimapolitik. Dass sich die SPD beim Klimaschutz mit der FDP verbündet hat, | |
ist unschön. Dass sie dabei ihre eigene Ideen zu vergessen scheint, ist | |
unverzeihlich. | |
## Technik löst nicht alle Probleme | |
Scholz scheitert zudem an einer Illusion. Er ist überzeugt, dass man den | |
klimaneutralen Umbau als rein technisches Projekt managen und als | |
Win-win-Situation für alle verkaufen kann. So ist es nicht. Eigentlich | |
wissen sehr viele, dass immer mehr immer billigeres Fleisch essen, billig | |
um die Welt jetten und mit immer größeren SUVs die Innenstädte zuparken | |
nicht die Zukunft sein wird. | |
Und dass die Transformation viele Gewinner und viele Verlierer produzieren | |
wird. Die Kluft zwischen dieser Ahnung und Scholz’ Versprechen, dass alles | |
so bleibt, wie es ist, [3][nur mit E-Motor oder E-Fuels, ist groß]. Und | |
wird immer größer. Deshalb klingt Scholz' „Macht euch keine Sorgen“ nicht | |
beruhigend, sondern ziemlich alarmierend. | |
Der Kanzler bräuchte jetzt einen umgekehrten Agenda-2010-Moment. Schröder | |
ist damals mit der Agenda 2010 energiegeladen in die komplett falsche | |
Richtung gestürmt. Er hat die Armen an die Kandare genommen und die Reichen | |
geschont. Aber die Agenda 2010 hat gezeigt, dass das immobile deutsche | |
System in Bewegung gebracht werden kann, wenn man es wirklich will. | |
Kann Scholz das? Begreift er, dass der Klimawandel die wahre Zeitenwende | |
ist? Wenn nicht, bleibt nur leerer Pragmatismus. | |
Der Kanzler bräuchte jetzt einen umgekehrten Agenda-2010-Moment. | |
1 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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