Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Folgen des Koalitionsausschusses: Auf zehn Spuren durch Frankfurt
> Die Ampel-Koalition hat den beschleunigten Ausbau einiger Autobahnen
> beschlossen. Und die Grünen fragen sich, ob sie das noch irgendwie
> stoppen können.
Bild: In Zukunft mehr Spuren: Die Ampel will den Autobahn-Ausbau beschleunigen
Berlin/Frankfurt am Main taz | Die A5 in Frankfurt ist so ein Fall. Auf
acht Spuren führt die Autobahn durch das Stadtgebiet, führt vorbei an
Wohnhäusern und Industriegebieten, durchquert einen Wald, durchschneidet
Kleingartensiedlungen und grenzt an ein Vogelschutzgebiet. Und sie soll
breiter werden: Auf sechs Kilometern soll in jede Richtung eine Spur
dazukommen. So steht es seit Jahren in den Planungen des Bundes.
Die Umsetzung könnte jetzt Fahrt aufnehmen – nachdem in dieser Woche in
[1][Berlin der Koalitionsausschuss beschlossen] hat, Planungsverfahren
nicht nur für Schienen und Windräder, sondern auch für Autobahnen zu
verkürzen. Der Turbo gilt für den Ausbau von Autobahnen an Stellen, an
denen sich der Verkehr oft staut oder wo er in Zukunft zunehmen könnte. Im
Ergebnispapier der Koalitionäre heißt es dazu technisch, „dass die
Bundesregierung für eine eng begrenzte Zahl von besonders wichtigen
Projekten und Teilprojekten zur Engpassbeseitigung das überragende
öffentliche Interesse festschreiben wird.“ Das
[2][Bundesverkehrsministerium listet 144 solcher Abschnitte] auf.
Viele Grüne hat dieser Beschluss geschockt. Verkehrsminister Volker Wissing
(FDP) hatte die Liste mit 144 Projekten schon beim vorletzten
Koalitionsausschuss im Januar vorgelegt. Damals kam er damit noch nicht
durch. Unter Grünen gab es die Hoffnung, ihn jetzt mit Hilfe der SPD
runterhandeln zu können. Geklappt hat es nicht. „Damit ist eine
Verkehrspolitik zementiert, die nach wie vor auf Straßenbau und
Flächenpolitik setzt statt auf eine klimaachtsame Mobilitätspolitik“, sagt
die Grünen-Abgeordnete Susanne Menge, die im Bundestag für Fernstraßen
zuständig ist.
Nur eine Einschränkung haben [3][die 36-stündigen Verhandlungen im
Koalitionsausschuss] erbracht: Bevor der Bund den Turbo tatsächlich zündet,
fragt er die Bundesländer. „Im Einvernehmen mit dem jeweils betroffenen
Land“ soll die Planungsbeschleunigung für einzelne Abschnitte
festgeschrieben werden, heißt es im Ergebnispapier. Positiv ausdrückt: Im
Sinne des Klimas könnte die Liste noch schrumpfen.
Negativer ausgedrückt: Die Verantwortung für das heikle Thema wird hin- und
hergeschoben – was Grüne in den Bundesländern in neue Nöte bringt. Konnten
sie sich nach Landtagswahlen mit potentiellen Koalitionspartnern nicht auf
einen gemeinsamen Kurs beim Straßenbau einigen, schrieben sie bisher oft in
die Koalitionsverträge: Rechtlich sind wir nicht zuständig. Das Thema liegt
beim Bund.
## Zurück an die Länder
Als in Hessen vor wenigen Jahren der grüne Landesverkehrsminister Tarek
Al-Wazir im Auftrag des Bundes die Räumung des [4][Dannenröder Forsts] für
einen Autobahnbau durchsetzte, verteidigte er sich ebenfalls mit Verweis
auf die Rechtslage. Der Bund habe das Projekt beschlossen, die Gerichte den
Weg freigemacht. „Ich war immer gegen dieses Projekt“, sagte er. Aber: „E…
Minister kann und darf sich nicht aussuchen, welches Gesetz er umsetzt.“
Jetzt, als Teil der Ampel, schieben die Bundes-Grünen die Verantwortung
zurück an ihre Parteifreund*innen in den Ländern. Am Dienstag, kurz
nach Ende des Koalitionsausschusses, erklärten sie ihnen in einer
Videoschalte das Ergebnis. Euphorie über das neue Mitspracherecht machte
sich unter den Teilnehmer*innen nicht breit – zumal bei einigen bald
Wahlkämpfe anstehen. Wie eben in Hessen, wo im Herbst gewählt wird [5][und
Al-Wazir Ministerpräsident werden möchte].
In der Landeshauptstadt Wiesbaden hat sich die politische Konkurrenz
schnell auf das Thema gestürzt. Ihnen bietet der Ampelkompromiss Munition
für den Wahlkampf. „29 Autobahnprojekte in Hessen können schnell umgesetzt
werden, weil sie überragendes öffentliches Interesse haben, dem darf sich
die schwarz-grüne Landesregierung nicht verwehren“, sagt
FDP-Spitzenkandidat Stefan Nass. Dass auch die CDU die Liste nicht
zusammenstreichen will, ist ebenfalls kein Geheimnis.
## Dilemma im Wahlkampf
Und so werden bald die Grünen Farbe bekennen müssen – was ihnen sichtbar
schwer fällt. Bei der Räumung des Dannenröder Forst hatten
Klimaaktivist*innen Al-Wazir einst auf Bannern mit dem
brasilianischen Despoten Bolsonaro verglichen, der im Amazonas Urwälder
abholzen ließ. „Bolsonaro in Brasilien – in Hessen Al-Wazir“ stand da.
Eine weitere Entfremdung der Partei von der Umwelt- und Klimabewegung käme
im Wahlkampf ungelegen. Ohnehin gelten auch bei Grünen vor Ort Projekte wie
der zehnspurige Ausbau der A5 in Frankfurt als Klimakiller und
Dinosaurierprojekte. Auf der anderen Seite wollen die hessischen Grünen in
die Mitte wachsen – und viele Wähler*innen fahren nun mal Auto.
Die Partei muss sich nun erst mal sortieren. „Wir werden jetzt die
Bedingungen klären und in der Koalition in Ruhe beraten, was der Beschluss
im Bund für Hessen bedeutet. Verfahrensbeschleunigungen ersetzen nicht die
Frage, ob Jahrzehnte alte Planungen für Neubauprojekte noch zeitgemäß
sind“, sagt Landtagsfraktionschef Mathias Wagner. Zu konkreten Projekten
wollen auf taz-Anfrage weder er noch Al-Wazirs Ministerium etwas sagen.
## Erstmal abwarten
Auch in anderen Landeshauptstädten wollen sich Grüne zunächst nicht
eindeutig festlegen. In Nordrhein-Westfalen, wo sich ein Großteil der
Projekte aus der Ampel-Liste befindet, sagt die Landesvorsitzende Yazgülü
Zeybek zwar: „Bei knappen Planungs- und Umsetzungskapazitäten muss gelten:
Erhalt vor Neubau. Und in Zeiten der Klimakrise muss es heißen: Schiene vor
Straße.“ Aber sie fügt auch an: „Wir werden uns anhören, was aus dem Bund
kommt.“
In Niedersachsen sagt auch der grüne Umweltminister Christian Meyer, dass
die Landesregierung gemeinsam prüfen werde, wo „das Einvernehmen des Landes
erteilt wird und wo nicht“. Dazu benötige man aber noch nähere
Informationen. „Es liegen auch noch keine konkreten, prüffähigen
Gesetzesvorlagen des Bundes als Ergebnis des Koalitionsausschusses vor.“
Das stimmt. Das Bundeskabinett muss die Ampel-Beschlüsse erst noch in
Gesetzesform gießen. Der Entwurf muss auch noch den Bundestag passieren.
Auch dabei gibt es noch Stellschrauben, unter anderem, weil das Papier aus
dem Koalitionsausschuss in Teilen unkonkret bleibt. Einige Grüne wollen
versuchen, die verbleibenden Hebel auch in Berlin noch zu nutzen.
## Umweltprüfung nicht verzichtbar
Werden die Projekte zum Beispiel ohne Umweltauflagen gebaut, wenn sie im
überragenden öffentlichen Interesse sind? Nein, meint der
Grünen-Abgeordnete Lukas Benner. Auf die Prüfung könne nicht pauschal
verzichtet werden. Er verweist auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen
Dienstes des Bundestages, das einen Verzicht auf die Prüfung nur erlaubt,
wenn die politische, administrative und wirtschaftliche Stabilität des
Landes gefährdet ist.
„Ich kann nicht erkennen, dass das beim Autobahnausbau der Fall sein
sollte“, so Benner. Wenn teilweise der Eindruck erweckt werde, ein
„überragendes öffentliches Interesse“ ziehe automatisch den Wegfall der
Umweltverträglichkeitsprüfung nach sich, dann sei das nicht rechtskonform.
Noch lange nicht geklärt ist zudem die Finanzierung des Autobahn-Ausbaus.
Der BUND schätzt, dass es über 30 Milliarden Euro kosten würde, alle 144
Projekte zu realisieren. Nur ein Bruchteil davon steht bisher zur
Verfügung. In den Haushaltsverhandlungen gibt es für das Parlament somit
einen weiteren großen Hebel.
Und dann gibt es am Ende noch ein ganz praktisches Problem: den
Fachkräftemangel in den Behörden und den Planungsbüros. Auch wenn durch den
Ampel-Beschluss einige Planungsschritte wegfallen: Die Zuständigen arbeiten
schon jetzt am Anschlag. Allein mit der Sanierung von Brücken und anderen
bestehenden Abschnitten sind sie gut beschäftigt. Die 144 Ausbau-Abschnitte
werden sie nicht mal eben nebenbei abarbeiten können.
Damit trösten sich jetzt viele Grüne über den Ausgang des
Koalitionsausschusses hinweg: Beschlossen heißt noch nicht gebaut. Eines
leugnet aber dennoch niemand: Verschlechtert hat sich die Ausgangssituation
am Dienstag Abend aber allemal.
2 Apr 2023
## LINKS
[1] /Ergebnisse-des-Koalitionsausschuss/!5925018
[2] https://bmdv.bund.de/planungsbeschleunigung-projekte
[3] /Klimabeschluesse-der-Bundesregierung/!5922204
[4] /Raeumung-des-Dannenroeder-Forsts/!5734763
[5] /Landtagswahl-in-Hessen/!5915598
## AUTOREN
Anna Lehmann
Tobias Schulze
Christoph Schmidt-Lunau
## TAGS
Ampel-Koalition
Grüne
Autobahn
GNS
Verkehrswende
Autobahn
Autobahnbau
Schienen
FDP
Ampel-Koalition
FDP
Ampel-Koalition
FDP
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ausbau der A5: Zehn Spuren für Frankfurt
Trotz breiter Kritik plant Verkehrsminister Wissing in Hessen den Ausbau
der Autobahn. Ein Bündnis ruft am Sonntag zur Fahrraddemo auf der A5 auf.
Geplanter Ausbau der A5: Anachronistischer Größenwahn
Geht es nach der Autobahn GmbH, soll die A5 bei Frankfurt künftig
zehnspurig sein. Von der Verkehrswende scheint man dort nichts zu halten.
Autobahnausbau wird von Ländern verzögert: Wissing auf der Standspur
Nach einer Einigung der Ampel wollte Verkehrsminister Volker Wissing
Vollgas beim Autobahnausbau geben. Nun drücken die Länder auf die Bremse.
Verschleppte öffentliche Investitionen: Mehr Vorsorge, bitte
Die dramatische Lage des Bahnnetzes und der Kraftakt der Energiewende
zeigen: Es ist besser, rechtzeitig in das Richtige zu investieren.
Die Grünen nach dem Koalitionsausschuss: Mehr Großzügigkeit wagen
Die Ergebnisse des Koalitionsausschusses bereiten den Grünen miese Laune.
Dabei täten sie gut daran, sich in Selbstreflexion zu üben.
Klimakonflikt in der Ampel: Der neue rot-grüne Graben
Viele SPDler sind von den Grünen genervt, die einen
Alleinvertretungsanspruch für den Klimaschutz hätten. Kritik am
Koalitionsausschuss gibt es kaum.
Kanzler Scholz im Koalitionsausschuss: Der getarnte Verlierer
Die Grünen sind die Verlierer des Koalitionsausschusses. Allerdings gibt es
einen weiteren – der sich in puncto Klima nun hinter der FDP versteckt.
Podcast „Bundestalk“: Wo ist der Klimakanzler geblieben?
Die Bundesregierung hat sich auf einen Fahrplan für Klimaschutz geeinigt.
Haben sich SPD und FDP dafür gegen die Grünen verbündet?
Klimabeschlüsse der Bundesregierung: Die Zwei-zu-eins-Koalition
Die Grünen sind enttäuscht vom Klimaschutzpapier des Koalitionsausschusses.
SPD und FDP hochzufrieden. Die Rangeleien in der Ampel könnten zunehmen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.