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# taz.de -- taz-Umfrage zu Klima und Energiekrise: So spart Deutschland Energie
> Straßen dunkler, Schwimmbäder kälter, der Osten spart weniger, aber
> protestiert mehr: Die taz hat alle 400 Landkreise zum Umgang mit der
> Energiekrise befragt.
Auch Lloyd und Charlotte spüren die [1][Energiekrise]. Den beiden Eisbären
im Karlsruher Zoo wurde das Wasser abgedreht – zumindest ein Teil.
Normalerweise rauscht in ihrem Gehege ein Wasserfall. Der wurde diesen
Winter reduziert. Lloyd und Charlotte dürfen also nur noch sparsam duschen,
wie alle anderen auch.
Seit Russland die Ukraine angegriffen hatte, war klar, dass Deutschlands
Energieversorgung auf der Kippe steht. Für den Winter drohten
Horrorszenarien: Blackouts, großflächige Stromausfälle, die Industrie müsse
runterfahren, wir würden alle frieren. Außenministerin Baerbock warnte vor
„Volksaufständen“, [2][Rechte mobilisierten für einen „Wutwinter]“.
All das ist nicht passiert. Auch, weil die Regierung gegengesteuert hat:
mit Entlastungspaketen, Gas- und Strompreisbremsen, Flüssiggas-Terminals.
Der Plan, der Deutschland über den Winter bringen sollte, bekam den
hoffnungsvollen Namen
„Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung“, kurz:
EnSikuMaV. Anfang September trat die Verordnung in Kraft, Mitte April läuft
sie aus. Sie sieht vor, dass öffentliche Arbeitsräume nur noch maximal 19
Grad warm sein dürfen, es zum Händewaschen in öffentlichen Gebäuden kein
warmes Wasser geben darf, Denkmäler nicht mehr beleuchtet werden.
Wie kam das an? Wer hat sich daran gehalten – und wer geht längst darüber
hinaus? Die taz hat zwischen November und Januar alle 400 Landkreise
einschließlich der kreisfreien Städte in Deutschland befragt. 339 von ihnen
haben geantwortet. Daraus ergibt sich zum ersten Mal ein Bild über die
öffentlichen Energiesparbemühungen in ganz Deutschland.
Nicht alles, was die Verordnung vorschreibt, oder was beim Energiesparen
möglich ist, liegt in der Verantwortung der Landkreise. Einiges regeln die
Gemeinden, einige Bereiche, wie Schwimmbäder oder die Müllabfuhr, sind oft
privatisiert. Dennoch zeigen die Ergebnisse unserer Umfrage Tendenzen – und
ein ziemlich unaufgeregtes Bild: Die meisten Landkreise geben an, sich an
die Energiesparverordnung zu halten, Widerstand scheint es selten zu geben.
In den vergangenen Monaten war es daher auf Deutschlands Straßen dunkler,
Schwimmbäder waren kälter, öffentliche Einrichtungen auch. Aber: Die Tiere
im Zoo haben nicht gefroren, Schüler*innen auch nicht. Im Osten wurde
weniger gespart als im Westen – allerdings offenbar auch mehr protestiert.
Zwar gaben deutschlandweit die meisten Landkreise an, dass die
Sparmaßnahmen die Bevölkerung nicht besonders einschränken würden. 87
Prozent der Ost-Landkreise allerdings erklärten, dass dort Proteste
stattfanden oder geplant waren, in Westdeutschland war das nur bei acht
Prozent der Kreise der Fall.
Für Markus Zipf von der Deutschen Umwelthilfe besteht ein grundsätzliches
Problem: „Klimaschutz ist keine kommunale Pflichtaufgabe.“ Dabei hätten
Städte, Gemeinden und Landkreise dafür eine zentrale Bedeutung. „Vor allem
bei den CO2-Einsparungen hinken wir stark hinterher“, sagt Zipf.
In der taz-Umfrage wird deutlich: In Regionen, die schon länger gegen die
Klimakrise kämpfen, fielen die Einsparungen der letzten Monate leichter.
Hier zeigen wir einen Teil der Auswertung. Unter
[3][taz.de/umfrage-energiekrise] haben wir alle Ergebnisse in einem
Dokument veröffentlicht.
## Verkehr
An den Hauptstraßen in Emden leuchtet nur noch jede dritte Straßenlaterne.
25 Prozent Energie spart die Stadt in Niedersachsen damit, ohne großen
Aufwand, wie Eduard Dinkela, Sprecher der Stadt, auf taz-Anfrage schreibt.
Anders lief das offenbar in Ludwigshafen: Dort wurde die Beleuchtung zweier
Hochstraßen nahe des Hauptbahnhofs abgeschaltet. Das sei ein Prozess von
zwei bis drei Tagen gewesen, ergibt die Umfrage. Kabel mussten abgeklemmt,
überbrückt oder umgelegt werden.
Knapp die Hälfte der Landkreise (48 Prozent) gibt an, die
Straßenbeleuchtung zu reduzieren, in Umfang, Helligkeit oder Dauer. Die
Angaben unterscheiden sich je nach Region: im Westen reduzieren 50 Prozent
der Landkreise, im Osten nur 38 Prozent. Mehr als die Hälfte (57 Prozent)
der dicht besiedelten Kreise reduziert die Beleuchtung, aber nur gut ein
Viertel der dünn besiedelten (27 Prozent).
Auch Parkplätze werden deutschlandweit weniger beleuchtet, Ampeln später
ein- und früher abgeschaltet. Ein Problem, das mehrere Landkreise angeben:
Die Sicherheit und das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung dürfen nicht
beeinträchtigt werden. Arbeits- und Schulwege sollen beleuchtet bleiben.
Die Kreise wollen nicht, dass Unfälle, Vandalismus und Einbrüche durch mehr
Dunkelheit zunehmen. Deutschlandweite Zahlen dazu, ob bei weniger
Beleuchtung wirklich die Zahl solcher Vorfälle steigt, liegen noch nicht
vor. In Emden, wo nur jede dritte Laterne leuchtet, gab es jedenfalls über
den Winter nicht mehr Unfälle oder Kriminalität, sagt Sprecher Dinkela.
Und: Die Akzeptanz für die Maßnahmen in der Bevölkerung sei hoch. „Die
Leute finden es gut, dass wir als Kommune mit gutem Beispiel vorangehen.“
## Verwaltung
In zwei Dritteln der Landkreis-Verwaltungen (66 Prozent) gibt es klare
Vorgaben, wie viel Energie gespart werden soll: meist rund 20 Prozent. Im
Ravensburger Landratsamt gehen jeden Abend um 20 Uhr die Lichter aus. Und
die Computer, die Drucker, die Kopierer, von ganz allein. Was wenig
spektakulär klingt, ist – zumindest nach den Ergebnissen unserer Umfrage –
eine kleine Sensation: Der Landkreis Ravensburg schaltet in seinen
Landkreisgebäuden seit Oktober automatisiert alle Geräte aus. Wer abends
noch am Computer sitzt, bekommt einen Hinweis auf den Bildschirm und kann
das Runterfahren verzögern.
Zwei Landkreise haben ihren kompletten Fuhrpark elektrifiziert. Einer ist
Pinneberg, wo das der Kreistag schon 2016 einstimmig beschlossen hat. Im
Sommer 2020 hat Pinneberg seinen Elektro-Fuhrpark an den Start gebracht,
schreibt eine Sprecherin auf taz-Nachfrage. Er besteht aus 33 rein
elektrischen Kleinwagen und fünf Hybrid-Fahrzeugen für lange Strecken.
Geladen werden die Autos unter anderem mit Hilfe einer Photovoltaikanlage
auf dem Dach des kreiseigenen Carports.
Markus Zipf von der Deutschen Umwelthilfe sieht bei der Elektrifizierung
der kommunalen Fuhrparks trotzdem noch technische Grenzen, vor allem bei
Schwerlastfahrzeugen, zum Beispiel Müllautos. Die seien noch selten
elektrisch. Auch in Pinneberg, wo das Abfallunternehmen zur Hälfte
privatisiert ist, fährt noch kein E-Müllauto. Dafür seien kleinere
Transportfahrzeuge elektrifiziert, so die Sprecherin der Stadt. Die
Teamleitung der Tatortreinigung fahre zum Beispiel in einem E-Auto mit
Strom aus eigener Produktion.
## Schwimmbäder
Es gibt 3.195 Hallenbäder in Deutschland, 325 in Ost-, 2.819 in
Westdeutschland und 51 in Berlin. So hat es die Deutsche Gesellschaft für
Badewesen vermerkt. In vielen Bädern (68 Prozent) gab es Einschränkungen,
meist wurden die Luft- und Wassertemperatur abgesenkt, durchschnittlich um
zwei Grad.
In Westbädern passierte das häufiger als im Osten. Ludwigshafen am Rhein
hat damit beispielsweise allein rund 20 Prozent Energie eingespart.
Außerdem wurden in vielen Bädern die Öffnungszeiten verkürzt, Warmbadetage
abgeschafft, Außenbecken geschlossen oder nicht mehr beheizt. Allerdings
scheint es in den Bädern wieder wärmer zu werden: Nach Medienberichten
heben die ersten ihre Wasser- und Lufttemperaturen wieder an.
## Schulen
Fast die Hälfte (45 Prozent) der 232 antwortenden Landkreise meldete, dass
auch in ihren Schulen Energie gespart wird. 88 Landkreise machten genauere
Angaben: Mancherorts blieben die Luftreiniger aus, wurden Bewegungsmelder
für die Beleuchtung oder zentrale Thermostate für die Heizungssteuerung
installiert.
Über zwei Drittel der uns antwortenden Landkreise gab an, die
Raumtemperatur in den Schulen zu reduzieren (66 Prozent), meist auf 19 oder
20 Grad. Noch häufiger (73 Prozent) betraf dies die ungenutzten Räume oder
Flure und Treppenhäuser, die meist nicht wärmer als 15 Grad oder 16 Grad
waren. In einem Fall wurden Flure gar nicht beheizt. Zwei Landkreise oder
Städte erklärten, nicht über 10 Grad zu heizen. Einer davon ist Regensburg:
„10 Grad ist recht frisch, das merkt man schon“, sagte Sprecherin Juliane
von Roenne-Styra. Eine „Beschwerdewelle“ habe es deswegen nicht gegeben.
## Klimaschutz-Manager
Klimaschutz-Manager*innen sind Mitarbeitende der Verwaltung, die bessere
Fahrrad-Infrastruktur anstoßen können, Projekte in der Abfallwirtschaft
oder energiesparende Straßenbeleuchtung. Sie haben eine beratende Funktion
auf der Ebene des Landkreises oder der Gemeinden. Seit 2008 gibt es für
Klima-Management Unterstützung vom Bund. [4][Über 1.300 Klima-Manager*innen
gibt es in Deutschland], in jeder achten Kommune. Uns antworteten dazu 220
Landkreise. Auch hier ergibt sich eine regionale Tendenz: Fast alle
Westkreise (96 Prozent) und drei Viertel (76 Prozent) der Ostkreise gaben
an, mindestens eine*n Zuständige*n für Klimaschutz zu haben. Viele
Landkreise haben diese Stelle nach 2008 eingeführt, drei Landkreise schon
in den 1990ern. Stormarn in Schleswig-Holstein war am frühesten dran: Dort
gibt es seit 1995 einen Klimamanager.
## CO2-Bilanzen
Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den CO2-Bilanzen. In Ostdeutschland gab
weniger als die Hälfte (48 Prozent) der Landkreise an, dass Kreis oder
Gemeinden eine CO2-Bilanz erstellen, in Westdeutschland war dies bei vier
Fünftel (80 Prozent) der Fall. Auch hier ragen acht Landkreise heraus, die
sich über ihre CO2-Emissionen seit den 1990er Jahren einen Überblick
verschaffen.
Die Stadt Düsseldorf hat als erste angefangen. Auf Datenbasis von 1987 sei
im Jahr 1992 eine erste Energie- und CO2-Bilanz erstellt worden, erklärte
eine Sprecherin. Ausgangspunkt war die erste [5][UN-Konferenz über Umwelt
und Entwicklung in Rio de Janeiro] 1992. In der Broschüre zur ersten
Düsseldorfer CO2-Bilanz vom Dezember 1992 lautet der erste Satz: „Die
Diskussion um die drohende Klimakatastrophe ist weltweit in Gang gekommen.“
Verstärkte Bemühungen, das Weltklima zu stabilisieren, müssten gerade „von
den Metropolen der westlichen Welt mit ihren hohen
Pro-Kopf-Energieverbräuchen und entsprechendem Ausstoß klimarelevanter Gase
ausgehen“. Diese Sätze sind über 30 Jahre alt und doch bedrückend aktuell.
Mitarbeit: [6][Ruth Fuentes], [7][Adefunmi Olanigan], [8][David Muschenich]
## Auch interessant: Übersicht über Klimaschutz in den Landkreisen
Wie läuft der Klimaschutz in Deutschland? Dieser Frage widmete sich die
[9][taz in einem früheren Datenprojekt]. Schauen Sie in unserer
Online-Anwendung auf den Informations-Karten, wie es in Ihrem Landkreis
aussieht.
3 Mar 2023
## LINKS
[1] /Energiekrise/!t5872932
[2] /Keine-Welle-von-Sozialprotesten/!5907345
[3] /Umfrage-Energiekrise
[4] /Kommunaler-Klimaschutzmanager/!5868408
[5] /!1410156/
[6] /Ruth-Lang-Fuentes/!a81041/
[7] /Adefunmi-Olanigan/!a108116/
[8] /David-Muschenich/!a79444/
[9] /taz-Datenprojekt-zum-Klimaschutz/!5898240
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
Anne Fromm
Malte G. Schmidt
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