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# taz.de -- Energetische Sanierung: Warme Wohnung, heiße Miete
> Viele Wohnhäuser müssen dringend energetisch saniert werden. Was das für
> die Mieter*innen bedeuten kann, zeigt ein Beispiel aus Berlin.
Bild: Maja Eisner in ihrer Wohnung in Prenzlauer Berg
Der Zitronenbaum steht auf einem Baugerüst weit oben im fünften Stock
zwischen drei kleineren Grünpflanzen. Das Gerüst umrahmt Maja Eisners
Balkon, darum herum ist ein dünnes Netz gespannt. Jugendliche und
Tourist*innen klettern gerne mal hoch, nachts lässt Eisner die Balkontür
deswegen nicht mehr auf. Doch damit hat sie sich abgefunden. Das Gerüst
steht seit über einem Jahr. Jetzt nutzt sie es als sonnigen Platz für ihre
Pflanzen. „Meine größte Sorge ist, dass sie nicht genug Licht bekommen“,
sagt Eisner leicht im Scherz.
Eisner wohnt in der Winsstraße in Berlin-Prenzlauer Berg. Die meisten
Häuser hier stammen aus der Gründerzeit, ihre Fronten sind meist verziert.
Von der Fassade an Eisners Haus sieht man derzeit wenig, es ist komplett
eingerüstet. Das Gebäude wird saniert, die Bewohner*innen haben eine
lange Liste mit Modernisierungen zugesandt bekommen. Im Hinterhaus sollen
Balkone angebracht, außerdem Fassade und Dach gedämmt werden. Obendrauf
soll ein neues Stockwerk entstehen. Nachverdichtung im eng besiedelten
Prenzlauer Berg und vor allem: energetische Sanierung. Wenn es denn eine
ist.
Als Maja Eisner 2009 mit ihrem Ehemann einzog, waren die 1.250 Euro
Kaltmiete für rund 125 Quadratmeter schon nicht gerade günstig.
Mittlerweile zahlt man in Prenzlauer Berg eher das Doppelte. Auch Eisner
soll wegen der Sanierung künftig etwa ein Drittel mehr zahlen und käme dann
auf 1.625 Euro kalt. Leisten könnte sich das Paar das: Sie ist
Psychotherapeutin, er Architekt. Schmerzen würde es trotzdem. Eisner heißt
eigentlich anders, doch sie will nicht, dass ihre Patient*innen zu viel
Privates über sie erfahren. „Die googeln alles.“
Eisner hält viele der Maßnahmen für sinnlos, bei anderen bezweifelt sie,
dass sie sie als Mieterin bezahlen muss. Deshalb wehrt sie sich.
Etwa 16 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland gehen auf
Gebäude zurück. Bis 2030 sollen die Emissionen um 68 Prozent gegenüber dem
Jahr 1990 sinken. So steht es im [1][Klimaschutzprogramm 2030 der
Bundesregierung]. Mit der richtigen Sanierung – Wärmedämmung, neue Heizung,
neue Fenster – ließe sich viel Energie sparen. Sie kostet aber auch. Und in
der Regel müssen nicht die Hausbesitzer*innen, sondern die Mieter*innen
zahlen.
Wohnen ist in den vergangenen Jahren sowieso schon teuer geworden, in
letzter Zeit auch wegen stark ansteigender Energiepreise. Die treffen vor
allem ärmere Haushalte, da diese einen hohen Anteil ihres Einkommens für
Energiekosten aufbringen müssen. Machen energetische Sanierungen arme
Mieter:innen noch ärmer? Oder sind sie in Zeiten steigender
Energiepreise ihre Rettung?
## Doppelte Miete durch Modernisierung
38 Grad im Schatten, es ist der heißeste Tag des Jahres. Im gleichen Haus,
ein paar Stockwerke tiefer, kocht Marita Schütz Espresso. Hier in ihrer
Dreiraumwohnung in der Winsstraße hat sie Jahrzehnte verbracht und drei
Kinder großgezogen. Dank ihres alten Vertrags zahlt sie eine günstige
Miete. Erst im vergangenen Jahr wurde sie erhöht, doch wegen der
Modernisierung hatte sie nun erneut eine Mieterhöhung im Briefkasten – und
soll bald fast doppelt so viel zahlen wie bisher. „Das war erst einmal ein
Schock.“
Klar könnte sie eine kleinere Wohnung suchen – aber selbst wenn sie auf
Berlins überlastetem Wohnungsmarkt eine fände, würde sie vermutlich mehr
zahlen als jetzt. Eine ehemalige Kollegin sei gerade nach Brandenburg
umgezogen, hier habe sie sich nichts mehr leisten können. Alleine neu
anfangen, weit weg von Freund*innen, ihrer Familie – das droht Schütz, wenn
sie die Mieterhöhung tatsächlich zahlen müsste.
Auch sie heißt eigentlich anders. Sie hofft, sich mit der Hausverwaltung
einigen zu können, und will die Gespräche nicht gefährden. Deshalb will sie
auch nicht allzu viele Details preisgeben. Ihre genaue Miethöhe, wo sich
die Wohnung im Haus befindet – all das würde sie identifizierbar machen.
Einen Teil der Geschichte, die sie mit ihrer Wohnung verbindet, können wir
dennoch erzählen: In den 80er Jahren lag Prenzlauer Berg noch in der DDR,
Schütz bekam eine Wohnung in der Winsstraße zugeteilt. Wie üblich im Altbau
wurde mit Kohle geheizt. Im Kiez gab es ein dichtes Netz an
Kohlenhandlungen, erzählt Schütz. Gegen ein Trinkgeld schleppte der
Lieferant die Pakete in den Keller. Jeden Morgen brachte die damals junge
Mutter die Asche nach unten, holte neue Briketts und entfachte die Öfen.
Eine Stunde dauerte es, bis die Wohnung warm war. Dann weckte sie die
Kinder, machte Frühstück, brachte sie in Krippe und Schule und ging zur
Arbeit. „Heute frage ich mich, wie ich das als Alleinerziehende damals
geschafft habe.“
In „ordentlichen Wintern“, wenn es richtig kalt war, etwa zum Jahreswechsel
1986/87, erinnert sich Schütz, musste sie nachts noch mal nachheizen.
Immerhin, in jenem Winter bekam die Familie einen sogenannten
Außenwandheizer. Einen. Er kam ins Wohnzimmer, wo sich alle tagsüber
versammelten. „Der war für uns so wertvoll wie Goldstaub“, sagt sie. Er
lief mit Gas und leitete die Abgase nach draußen ab. Das war praktisch.
„Aber auch ganz schön laut.“ Für den Außenwandheizer wurde ein
Wanddurchbruch gemacht, und der Straßenlärm landete mitten in der Wohnung.
In der Küche konnte man gar nicht heizen. Noch dazu gab es einen
sogenannten Berliner Kühlschrank unter dem Fenster: einen Einbauschrank aus
Holz, wo man Lebensmittel kühlhalten konnte – weil er kaum Abdichtung nach
außen hatte. Was die Küche im Winter noch kälter machte.
In den 80er Jahren wurde das Haus dann saniert. Neue Elektrik und Gasrohre
wurden verlegt, nicht für die Heizungen, sondern zum Kochen. Energetische
Sanierungen waren damals kein Thema. Kurz vor der Wende bekam Schütz das
Angebot, in einen Neubau zu ziehen. Sie lehnte ab. Krippe, Schule, Arbeit
waren in der Nähe, auch mit den Nachbar*innen verstand sie sich gut.
## Auch selbst sanieren ist möglich
Henning Ellermann ist Gebäudeexperte bei der Deutschen
Unternehmensinitiative Energieeffizienz (Deneff). In diesem Jahr
wird er von Anfragen zu explodierenden Energiekosten geradezu überrollt.
„Die eigentliche soziale Frage ist die jahrelange Nichtsanierung“, sagt er.
„Denn wer jetzt in einem Gebäude der schlechtesten Effizienzklassen wohnt,
hat dieses Jahr ein richtiges Problem.“
Gebäude werden in die Kategorien A (gut) bis H (schlecht) eingeteilt, je
nachdem, wie viel Energie sie verbrauchen. Neubauten fallen in die
Energieeffizienzklassen A und B. Ältere Gebäude schneiden deutlich
schlechter ab. Doch seit etwa einem Jahrzehnt stagniert die Sanierungsrate
bei rund 1 Prozent. Das größte Problem sind die Bauten der Nachkriegsjahre.
„Erst in den 70ern wurden Energiestandards eingeführt“, sagt Ellermann. Die
ungedämmten Beton- oder Ziegelbauten machten heute etwa 40 Prozent der
Wohnungen in Deutschland aus. „Häufig sind das Wohnungen mit relativ
niedrigen Mieten, in denen Menschen wohnen, die nicht so viel Geld haben,
aber jetzt auf ihre Kaltmiete von etwa 5 Euro pro Quadratmeter noch mal 5
Euro Heizkosten draufzahlen müssen.“
Das Haus in der Winsstraße ist ein Altbau, doch zum Teil trifft das, was
Ellermann sagt, auch hier zu. Viele Bewohner*innen leben seit
Jahrzehnten in ihren Wohnungen und zahlen eine günstige Miete. Als sie noch
jung waren und Kinder hatten, trafen sie sich oft im Hof. „Das war so ein
Zille-Hof: ein paar Bäume, die sich selbst ausgesät hatten, Mülltonnen,
sonst nichts“, erzählt Marita Schütz. Um es schöner zu haben, bewarben sie
sich nach der Wende um Senatsgelder für Mieter*innen und begrünten
gemeinsam den Innenhof. Und wenn man gemeinsam etwas mache, dann rede man
auch miteinander, sagt Schütz.
In den 90er Jahren erfuhr sie von Nachbar*innen, dass es auch
Senatsförderungen für Mieter*innen gebe, um Kohleöfen gegen
Gasetagenheizungen auszutauschen. Schütz stellte einen Antrag und bekam, so
erinnert sie sich, 5.000 Mark. 7.000 musste sie selbst auftreiben. „Das
habe ich mir von meinen Eltern geborgt. Ich hatte kein Geld übrig.“ Mit den
12.000 Mark ließ sie Rohre verlegen und Heizkörper installieren – auch in
der Küche. Der Außenwandheizer kam weg, das Loch in der Wand wurde
geschlossen.
Die sogenannte Mietermodernisierung der 90er Jahre war Teil des Programms
„Soziale Stadterneuerung“. Heute werden Fördergelder vornehmlich an
Vermieter*innen vergeben. Die rufen sie aber nur selten ab. Der Grund:
Der damit verbundene Aufwand rentiert sich für sie nicht, weil die späteren
Einsparungen hauptsächlich den Mieter*innen zugutekommen. Das bestätigte
kürzlich eine [2][Studie des Berliner Instituts für ökologische
Wirtschaftsforschung (IÖW) und des Freiburger Öko-Instituts].
Marita Schütz mistet aus, geht Papiere durch, häuft sie zu Stapeln, wirft
andere weg. Die Unterlagen zur Modernisierung hat sie auf den
„Schlimm-Stapel“ gelegt. „Ich habe mich gezwungen, alles Zeile für Zeile…
lesen.“ Teil der Ankündigung ist eine Tabelle, aus der hervorgeht, welche
„umlagefähigen“ Modernisierungen wie viel kosten und was davon auf die
einzelnen Mietparteien entfällt. Ein staatlicher Zuschuss wird dort nicht
erwähnt.
Schütz geht die Mappe durch, versucht sich zu erinnern. Im Juni 2021
erhielt sie die Ankündigung, dass ein Gerüst gebaut werden sollte. Es
dauerte Wochen, bis die ersten Arbeiter kamen und Schilder aufstellten,
dann wieder Wochen, bis sie das Gerüst zu bauen anfingen. Irgendwann wurden
nach und nach die undichten Böden der Balkone erneuert. Dann ging es ans
Dach. Wieder stockte es.
Es gibt drei Arten von Sanierungen: Instandsetzungen wie Fassadenanstriche,
deren Kosten Vermieter*innen zahlen müssen; Modernisierungen, die der
Verbesserung der Wohnverhältnisse dienen, etwa das Anbringen von Balkonen
oder der Einbau von Fahrstühlen; und schließlich energetische
Modernisierungen, die Energie einzusparen helfen, zum Beispiel Fassaden-
und Dachdämmung. Dämmen kann die Nebenkosten senken, wenn die
Mieter*innen die Investitionen nicht selbst stemmen müssen. Bei
Modernisierungen und energetischen Sanierungen dürfen
Hauseigentümer*innen 8 Prozent der Kosten dauerhaft auf die
Jahresmiete umlegen. Allerdings darf dadurch die monatliche Miete um
lediglich 2 oder 3 Euro – je nach bisheriger Miethöhe – pro Quadratmeter
steigen. Die Sanierung in der Winsstraße reizt diese Obergrenze wohl gerade
so aus.
Im Eingangsbereich des Hauses ist der Boden gefliest, die Decke mit Stuck
verziert. Die Holztreppe ist mit Teppich ausgelegt. Oben im fünften Stock
bittet Maja Eisner ins Arbeitszimmer. Ein großer Arbeitstisch steht in der
Mitte des Raums, zwei menschenhohe Palmen recken sich neben der Balkontür
in die Höhe, ein paar Regalbretter mit Büchern, viel mehr gibt es nicht zu
sehen. Außer zwei Rissen an der Decke.
Darüber liegt der Dachboden. Er soll zu einem Dachgeschoss ausgebaut
werden. Arbeiter haben Metallträger in die Decke eingesetzt. Seitdem sei
nichts passiert. Abgesehen davon, dass in Eisners Wohnung Risse entstanden
seien und im Flur sogar ein tellergroßes Loch. „Wir waren arbeiten, beim
Heimkommen habe ich den unten liegenden Putz und dann das Loch gesehen. Man
konnte in den Dachstuhl blicken“, erzählt Eisner und zeigt Fotos.
Geschlossen wurde alles bisher nicht, nur eine Plane über das Loch geklebt.
Die Modernisierungsankündigung hat Eisner in einen Ordner abgeheftet. Sie
blättert, findet den Brief, es sind 13 Seiten. Nicht alles, was als
energetische Sanierung angekündigt worden sei, sei eine, sagt Eisner. Zum
Beispiel die Fenster. „Das ist Quatsch. Als wir einzogen, waren gerade
doppelt verglaste Fenster eingebaut worden. Sie jetzt noch einmal
auszutauschen, wäre energetischer Unsinn.“ Andere Modernisierungen soll sie
bezahlen, obwohl sie sie nicht betreffen. „Jede Wohnung hier ist anders.
Unsere wurde umfassend saniert, bevor wir eingezogen sind. Die wissen
einfach nicht, wie die Wohnungen hier aussehen.“
Eisner will das alles nicht einfach so hinnehmen. Die Fassade im Hof sei
seit Jahrzehnten nicht gestrichen worden, wenn jetzt gemalert und gedämmt
werde, sei die Farbe eine „normale Instandsetzung“. Da wolle sie auch
nichts für das Gerüst zahlen. Und das Dach? „Natürlich dämmt das. Aber das
Ziel ist der Ausbau, um mehr Wohnungen einbauen zu können.“
Eisner hatte eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen. Die bezahlt ihr
einen Anwalt. „Die Hausverwaltung bombardiert uns mit Papier. Wir
bombardieren zurück“, sagt sie bestimmt.
## Nachbar*innen ziehen aus
Viele Mieter*innen schüchtern seitenlange Modernisierungsankündigungen
und die Aussicht auf steigende Mieten ein. Sie kündigen und suchen sich
eine neue Wohnung, sagt Carola Handwerg. Sie war bereits Mietrechtsanwältin
in Prenzlauer Berg, als es hier noch vorwiegend Kohleofenheizungen gab.
Dann erlebte sie die „zweite oder dritte Sanierungswelle“: Balkone
anbringen, Fahrstühle einbauen – alles, was noch nicht gemacht war und
womit sich die Miete erhöhen ließ. Die dreisteste Mieterhöhung, die sie zu
Gesicht bekam, betrug 12 Euro mehr pro Quadratmeter, eine Verdreifachung
der Gesamtmiete.
Mit der [3][Gesetzesänderung von 2019] hörte das erst einmal auf. Dass nur
noch 2 oder 3 Euro Mieterhöhung pro Quadratmeter erlaubt wurden, war vielen
Hauseigentümer*innen offenbar zu wenig. Handwerg bekam kaum noch
Anfragen zur anwaltlichen Beratung wegen Sanierungsvorhaben. Das Gesetz
hatte seinen Zweck erfüllt. „Man konnte Mieter*innen nicht mehr mit
Forderungen von 10 Euro mehr pro Quadratmeter verschrecken“, sagt Handwerg.
Bei denen weckten Modernisierungen oft die Hoffnung auf sinkende
Heizkosten. „Wenn dann nach einer energetischen Sanierung die
Heizkostenabrechnung kommt, sind die meisten Mieter*innen enttäuscht.“
Denn oft sei die neue Heizung teurer als die alte. Die Anwältin erklärt:
Wer eine Gasetagenheizung in der Wohnung hat und den Zähler vor der Nase,
achtet eher auf den eigenen Verbrauch. Wenn man nach der Sanierung an die
zentrale Fernwärme angeschlossen werde, erhöhe sich der Verbrauch oft. Noch
dazu ist der Bezug von Fernwärme – obwohl sie ebenfalls überwiegend durch
Gas erzeugt wird – doppelt so teuer wie Gas aus der Therme in der eigenen
Wohnung.
Hinzu kommt: Die meisten Mietshäuser werden laut Deneff-Gebäudeexperte
Henning Ellermann „wahnsinnig schlecht betrieben“. Die Heizungen
verbrauchten 5 bis 20 Prozent zu viel Energie, weil sie falsch eingestellt
seien. Der Gesetzgeber habe nun endlich gegengesteuert. Nach der neuen
Energieverordnung müssten alle Vermieter*innen in den nächsten zwei
Jahren ihre Heizungen optimieren. „Auch das werden die Mieter im Geldbeutel
merken.“
Trotz Coronapandemie, Ukrainekrieg und Materialmangel werde seit etwa
einem halben Jahr wieder mehr saniert, auch energetisch, beobachtet Carola
Handwerg. Zum Nachteil der Mieter*innen. „Es ist die einzige Möglichkeit,
die Miete außerhalb der eigentlich erlaubten Dreijahresfrist zu erhöhen.“
Klimaschutz sei selten der tatsächliche Grund. Wenn die Mieter*innen
können, ziehen sie immer noch aus. „Oder fangen zumindest an, sich
umzusehen.“
Corinna Kodim vertritt bei diesem Thema die andere Seite. Sie ist
Energieexpertin bei Haus und Grund. Dem Verband gehören private
Kleinvermieter*innen an, die zwei Drittel aller Mietwohnungen in
Deutschland besitzen. „Mieter*innen wünschen sich, dass warmmietenneutral
energetisch saniert wird. Das ist nicht möglich. Die Investitionskosten
sind zu hoch“, sagt Kodim. „Vermieter*innen werden nur sanieren, wenn sie
am Ende nicht draufzahlen.“ Daher könne zumeist nur das gemacht werden, was
gesetzlich vorgegeben sei.
Als Maja Eisner im vergangenen Jahr die Ankündigung für den Dachausbau
bekam, zogen sie und ihr Mann aus. Allerdings nur temporär. Sie einigten
sich mit der Hausverwaltung auf eine Mietminderung um 90 Prozent. Vom
Ersparten kamen sie wochen- oder monatsweise in kleineren Wohnungen unter,
die fast so viel wie ihre eigene kosteten. Im April reichte es Eisner mit
dem Hin und Her. Nun wohnen sie wieder in der Winsstraße. Mit der
Hausverwaltung haben sie sich geeinigt, bis auf Weiteres 50 Prozent der
Miete zu zahlen und erst wieder auszuziehen, sobald tatsächlich
weitergebaut wird.
Einigen Nachbar*innen war schon die Ankündigung einer Mieterhöhung
genug: Marita Schütz weiß von allein fünf Mietparteien, die deshalb
ausgezogen sind. Die Wohnungen ständen nun leer und würden saniert. „Damit
hat die Verwaltung erreicht, was sie wollte“, sagt Schütz. Sie glaubt, die
Wohnungen sollten nun fit gemacht werden, um sie als Eigentumswohnungen
verkaufen zu können.
Seit 2014 ist das Winsviertel als soziales Erhaltungsgebiet ausgewiesen,
auch Milieuschutzgebiet genannt. Ziel ist es, die
Bewohner*innenstruktur im Kiez zu erhalten, Mietsteigerungen und
Umwandlung in Wohneigentum einzuschränken. In Milieuschutzgebieten gelten
etwas strengere Regeln für Modernisierungen. Eigentümer*innen müssen
diese beim Bezirksamt beantragen. Das informiert dann wiederum die
Mieter*innen und bietet kostenfreie Rechtsberatung an. Die meisten
Modernisierungen kann der Milieuschutz allerdings nicht verhindern. So
werde die Verdrängung nur verzögert, meint Schütz.
Etwa Anfang 2020 erhielten die Mieter*innen ihres Hauses einen Brief vom
Bezirksamt, das sie zu einer Informationsveranstaltung einlud. Der
Eigentümer hatte Sanierungen angemeldet: Fahrstühle einbauen, Dachgeschoss
ausbauen und Balkone im Hof anbringen. Auf den Fahrstuhl hatte sich Schütz
erst gefreut: „Ich dachte, wenn ich meinen Lebensabend hier verbringen
will, dann ist es praktisch, mit dem Fahrstuhl zur Wohnung fahren zu
können.“ Doch der Aufzug soll auf halber Treppe halten. „Das nutzt mir doch
nichts, wenn ich dann immer noch Treppen steigen muss.“ Im Juni kam dann
ein Brief, dass das Haus wieder verkauft worden war. Der neue Vermieter aus
München übernahm die Genehmigungen für die Sanierung. Doch in der
Modernisierungsankündigung wurden nicht nur Balkone, Dach und Fahrstühle
aufgelistet, sondern noch eine Reihe anderer Maßnahmen. Unter anderem soll
Schütz’ Gasetagenheizung raus – ihr Eigentum. Sie soll an die
Zentralheizung im Keller angeschlossen werden. Ihr Gas- soll durch einen
Elektroherd ersetzt werden. Dafür stellt die Hausverwaltung rund 1.000 Euro
in Rechnung. „1.000 Euro für einen Herd? Ich kann mir einen für 300
kaufen.“
## Kein Theater, kein Konzert, kein Kino
Im Durchschnitt geben Berliner Haushalte etwa ein Drittel ihres Einkommens
für Wohnen und Energie aus. Und: Wer weniger hat, zahlt anteilig mehr. Bei
Haushalten mit unter 1.500 Euro Einkommen sind es über 40 Prozent, bei 900
Euro sogar 53 Prozent.
„Die Sanierungsrate muss deutlich steigen, und gleichzeitig soll Wohnen
bezahlbar bleiben. Daraus ergeben sich Zielkonflikte“, schreiben
Forscher*innen des IÖW und des Öko-Instituts. Sie haben sich angeschaut,
wie eine „sozialverträgliche Wärmewende“ in Berlin gelingen könnte und
welche Kosten auf arme Haushalte in Mietshäusern zukommen oder was sie
sogar einsparen könnten.
Als Worst Case bezeichnen sie es, wenn Vermieter*innen die Kosten in
größtmöglichem Umfang auf die Mieter*innen umlegen und keinerlei
Förderungen in Anspruch nehmen. Den Berechnungen zufolge stiegen die
Ausgaben von armen Haushalten für Wohnen und Energie auf 50 bis 60 Prozent
ihres Einkommens. Im sogenannten Best Case, wenn Vermieter*innen nur
einen Teil der Kosten auf die Mieter*innen umlegen und umfangreiche
Fördermittel in Anspruch nehmen, könnten die Wohnkosten für
Geringverdiener*innen sogar leicht sinken. Sie betrügen dann aber
immer noch über 40 Prozent ihres Einkommens. Mehr ist offenbar nicht drin –
im besten Fall werden die Wohnkosten nicht wesentlich gesenkt, aber
immerhin auch nicht erhöht.
Solange man Vermieter*innen nicht noch stärker verpflichtet,
energetisch zu sanieren, müssen Anreize helfen. Sibylle Braungardt,
Energieexpertin des Öko-Instituts, unterstützt einen politisch diskutierten
Vorschlag dazu. Bisher können Vermieter*innen 8 Prozent der
Modernisierungskosten dauerhaft auf die Mieter*innen umlegen. Diese
Modernisierungsumlage, fordert Braungardt, könnte gesenkt und befristet
werden. Dadurch würde die Sanierung für Vermieter*innen teurer und
könnte ihr Interesse an einem staatlichen Zuschuss wecken. „Aktuell ist es
für Vermieter*innen oft unattraktiv, eine Förderung zu beantragen, weil
sie dadurch keine Einsparungen haben“, sagt Braungardt. Würden die Gelder
ganz oder teilweise bei den Vermieter*innen verbleiben, wäre das
anders. Dann hätten sowohl sie als auch die Mieter*innen weniger Kosten.
Zusätzlich könnte ein sogenanntes Teilwarmmietenmodell helfen, wobei sich
beide Parteien die Heizkosten teilten. Auch so würden beide von
Einsparungen profitieren. Die Bundesregierung will das Modell laut
Koalitionsvertrag prüfen. Braungardt ist jedoch skeptisch, dass es in
dieser Legislaturperiode umgesetzt wird. „Sie schreiben nichts vom
Umsetzen, sondern vom Prüfen – das ist schon ein Indiz.“
Corinna Kodim von Haus und Grund hält wenig vom Teilwarmmietenmodell. Die
Kosten für Vermieter*innen würden steigen. „Ohne Förderung rechnet sich
das nicht.“ Diese müsse daher gesetzlich verankert werden.
Während die Preise an den Energiebörsen explodieren, senden viele Versorger
ihren Kund*innen dieser Tage Briefe, in denen sie [4][höhere Abschläge]
ankündigen. Je höher die Energiepreise, desto wichtiger werden energetische
Sanierungen. Und desto mehr rechnen sie sich auch für Mieter*innen. Die
Ergebnisse von IÖW und Öko-Institut zeigen: Ob Mieter*innen von
energetischen Sanierungen profitieren oder darunter leiden, kommt ganz
erheblich darauf an, wie die Kosten verteilt werden. Und das ist vor allem
eine Frage politischer Steuerung.
Auch Maja Eisner aus der Winsstraße hält energetische Sanierungen für
wünschenswert – „wenn sie nicht nur so deklariert werden, um uns die Miete
zu erhöhen“. Sie geht davon aus, die meisten Maßnahmen abwenden zu
können,weil ihre Wohnung längst modernisiert ist. Auch hinsichtlich Dach
und Fassade setzt sie auf ihren Anwalt, damit letztlich nur ein geringerer
Anteil der Kosten auf ihre Miete umgelegt wird. Eisners Vorauszahlungen für
die Heizkosten dagegen sind von 100 auf 180 Euro monatlich gestiegen. Um
die Jahresabrechnung muss sie sich dennoch wenig Sorgen machen: Bisher
haben sie und ihr Ehemann jedes Jahr etwa 300 Euro zurückbekommen.
Sicherlich auch, weil sie zum Jahreswechsel immer für etwa vier Wochen nach
Südostasien fahren. „Mein Mann würde sofort den ganzen Winter bleiben, aber
ich muss ja in Berlin arbeiten“, sagt Eisner.
Bei ihrer Nachbarin Marita Schütz sieht das anders aus. Sie hofft, dass die
Hausverwaltung nachgibt und sie wenigstens keinen teuren Herd zahlen muss.
Ihre monatlichen Vorauszahlungen für Gas haben sich verdreifacht. „Da ich
Rentnerin bin, ist das nicht einfach. Vermutlich werde ich auf Kultur
verzichten müssen. Kein Theater, kein Konzert, kein Kino.“ Sie überlege
auch, weniger zu heizen, sich wärmer anzuziehen, vielleicht im Winter den
Balkon als eine Art Außenkühlschrank zu nutzen. Schütz findet energetische
Sanierungen trotz allem richtig. „Aber wenn die Wohnung dadurch so teuer
wird, dass ich sie mir nicht mehr leisten kann, dann nützen sie mir
nichts.“
17 Sep 2022
## LINKS
[1] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/klimaschutzprogra…
[2] https://ecornet.berlin/ergebnis/sozialvertraegliche-waermewende-berlin
[3] https://www.berliner-mieterverein.de/recht/infoblaetter/info-13-modernisier…
[4] /Gaskrise-in-Deutschland/!5872195
## AUTOREN
Johanna Treblin
Jelena Malkowski
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