| # taz.de -- Verdrängung in Berlin-Kreuzberg: Linke Vermieter | |
| > Ausgerechnet eine linke Eigentümergemeinschaft plant den Verkauf ihres | |
| > Mietshauses an einen Investor. Die Mieter*innen protestieren. | |
| Bild: Kein Haus wie jedes andere in Kreuzberg: die Oranienstraße 169, erbaut 1… | |
| Berlin taz | Das Büro von Metin Yilmaz unterm Dach der Oranienstraße 169 | |
| sieht nach Arbeit aus. Der 61-Jährige nennt es seine „Arbeitshöhle“. Auf | |
| unzähligen Regalen stapeln sich Bücher, alte Zeitschriften, CDs und | |
| großformatige Fotodrucke. | |
| Yilmaz arbeitete als Pressefotograf, auch für die taz. Es liegen | |
| Speicherkarten und Kameras herum, aus dem Fenster schaut man auf einen | |
| ruhigen Hinterhof mit Laubbäumen. Yilmaz wohnt seit 1996 dort, sein | |
| Mietvertrag wurde damals in aller Freundschaft und nur mündlich | |
| abgeschlossen. | |
| Yilmaz kennt seine Vermieter*innen schon lange persönlich. Sie sind | |
| ebenfalls Journalist*innen, die teilweise für die taz und andere eher linke | |
| Publikationen geschrieben und gearbeitet haben. Lange hätten die | |
| Eigentümer*innen teilweise selbst vor Ort gewohnt, sagt Yilmaz. Der | |
| Umgang miteinander sei in dem gepflegten Altbau mit 21 Wohnungen und zwei | |
| Gewerbeeinheiten stets freundschaftlich und gut gewesen, sagt Yilmaz. | |
| Eigentlich Vermieter, wie man sie sich wünscht. | |
| Heute aber machen sich viele Bewohner*innen Sorgen, weil die | |
| Eigentümer*innen das Haus verkaufen wollen – nicht an eine | |
| gemeinwohlorientierte Genossenschaft oder ein kommunales | |
| Wohnungsunternehmen, sondern offenbar an einen privaten Investor. Erstmals | |
| hätten die Mieter*innen im Mai von einem geplanten Verkauf erfahren, | |
| seither würden Interessenten durch das Haus geführt. | |
| Die Vermieter*innen stammen aus demselben Kreuzberger Milieu wie Yilmaz | |
| und haben in der Vergangenheit recht deutlich Missstände der Berliner | |
| Mietenpolitik kommentiert. Organisiert haben sich die acht | |
| Eigentümer*innen in einer GbR, zu der namhafte, teilweise | |
| preisgekrönte Journalist*innen gehören, darunter auch ehemalige | |
| taz-Autor*innen, sowie ein Mitglied im Kuratorium der taz Panter Stiftung. | |
| Mehrere Anfragen der taz an Eigentümer*innen blieben unbeantwortet, | |
| ein direktes Gespräch wurde abgewimmelt. | |
| Ähnlich ging es seither den Bewohner*innen. Besorgte Nachfragen wurden | |
| abgeblockt, erzählt Yilmaz: „Sie schrieben uns, dass sie mit uns nicht | |
| darüber zu reden brauchen.“ Besonders ärgere ihn das, weil man sich schon | |
| so lange kenne und sich die lange freundschaftlich verbundenen | |
| Vermieter*innen nun so verhalten wie ein normaler Investor – „das finde | |
| ich ein bisschen arrogant und abgehoben“, sagt Yilmaz. | |
| Er und viele andere Mieter*innen fordern den Verkauf an ein | |
| gemeinwohlorientiertes Wohnungsunternehmen oder eine Genossenschaft, | |
| befürchten aber weiter, höchstbietend an einen Spekulanten verkauft zu | |
| werden, der die Immobilie aufwerten und Mieter*innen verdrängen könnte. | |
| „Unsere Schreckensvision ist, dass wir bei einem internationalen Investor | |
| landen, der zuallererst wohl die Gewerbemieter mit extremen Mieterhöhungen | |
| verdrängen würde“, sagt Yilmaz. Dann kämen sicher auch die Mieter dran. | |
| Kritikwürdig erscheint der Verkauf auch, weil die Eigentümer*innen das | |
| 1993 für 1,2 Millionen Mark gekaufte Haus mit öffentlichen Fördermitteln | |
| saniert haben. [1][Eine kürzlich veröffentlichte Anfrage der | |
| Grünen-Abgeordneten Katrin Schmidberger] bestätigt, dass die Sanierung mit | |
| knapp 3,5 Millionen DM „für besondere wohnungspolitische Projekte“ | |
| gefördert wurde. | |
| Die Eigentümer*innen profitierten dabei von der sogenannten | |
| Selbsthilfeförderung des damaligen Senats. Auch Mieter*innen sollten | |
| dabei für die Instandsetzungen eingespannt werden – im Gegenzug für | |
| günstige Mietkonditionen. Die beantragten Hilfen wurden schließlich von der | |
| damals zuständigen Erneuerungskommission abgesegnet – „unter der | |
| selbstverständlichen Maßgabe, dass keiner der Wohn- und Gewerbemieter durch | |
| die Sanierung verdrängt wird“, wie es in einem damaligen Fachmagazin hieß. | |
| ## Jetzt weht ein anderer Wind | |
| Die Förderung lief bis zum Februar 1997. In der Folge gab es bis 2017 eine | |
| Sozialbindung. Seitdem diese jedoch ausgelaufen ist, weht ein anderer Wind, | |
| sagt Yilmaz. Mit der Hausverwaltung wurde eine GmbH beauftragt. Seitdem | |
| gebe es im ganzen Haus Mieterhöhungen – „unausgesprochene | |
| Staffelmietverträge bis zur Grenze des Erlaubten“, wie Yilmaz sagt. | |
| Am meisten Sorgen macht Yilmaz und anderen Mieter*innen jedoch der | |
| drohende Verkauf. Mietrechtlich schutzlos sind vor allem die zwei | |
| Gewerbemieter im Haus, das Modegeschäft Luzifer sowie ein Geschäft für | |
| Vintage-Möbel. Beim Letzteren läuft der Mietvertrag im nächsten Jahr aus, | |
| wie der Inhaber der taz sagte. | |
| Nach einem Treffen von 10 Mieter*innen mit dem Arbeitskreis Gemeinwohl | |
| des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg, der dabei hilft, öffentlichen | |
| Wohnraum zu schaffen, schrieben 18 Bewohner*innen einen gemeinsamen | |
| Brief an die Vermieter*innen mit der Bitte, sich ihrer sozialen | |
| Verantwortung bewusst zu sein. | |
| Die Antwort der Vermieter: Man wisse zwar um die schwierige Situation auf | |
| dem Berliner Wohnungsmarkt, aber „ohne dass alle Eigentümer zustimmen“, | |
| könne man nicht an eine Genossenschaft oder Wohnbaugesellschaft verkaufen. | |
| Darauf hätten sich die acht Eigentümer*innen nicht einigen können. | |
| „Deswegen können wir Ihnen an dieser Stelle nur versichern, dass wir bemüht | |
| sind, einen Käufer zu finden, der das Haus langfristig hält und pflegt“, | |
| schreibt die Eigentümergemeinschaft Anfang August in einem Brief, der der | |
| taz vorliegt. Zudem verweist sie darauf, dass die Mietverträge mit allen | |
| Rechten und Pflichten beim Verkauf ihre Gültigkeit behielten. Sie würden | |
| potenzielle Käufer über Mietspiegel, Kappungsgrenze und Milieuschutzgebiet | |
| in Kenntnis setzen. | |
| Nach der Ablehnung eines gemeinwohlorientierten Verkaufs und dem | |
| fortgesetzten Schweigen zu potenziellen Käufern versuchten die | |
| Mieter*innen, diverse Kommunal- und Mietenpolitiker*innen | |
| einzuschalten. Die glaubten zunächst, dass man in diesem Fall doch sicher | |
| etwas im Dialog erreichen könne. | |
| ## Keine Antwort von den Eigentümer*innen | |
| Doch Fehlanzeige: Mehrere Politiker*innen, die sich an die | |
| Eigentümergemeinschaft wendeten, warten bis heute auf eine Antwort: | |
| Bezirksstadtrat Florian Schmidt, Canan Bayram (beide Grüne) und Pascal | |
| Meiser (Linke). Cansel Kiziltepe und Sevim Aydin (beide SPD) bekamen zwar | |
| immerhin eine Antwort, in der hieß es jedoch, dass sich die | |
| Vermieter*innen nicht auf ein Gespräch einlassen und die | |
| Mieter*innen nicht in den Verkaufsprozess einbinden wollen, wie Aydin | |
| der taz mitteilte. | |
| Katrin Schmidberger, grüne Wohnungspolitikerin, findet die Funkstille | |
| seitens der Vermieter*innen besonders enttäuschend, wie sie der taz | |
| sagt: „Weil wohl einige Eigentümer*innen selbst journalistisch tätig | |
| sind und zum Thema Mieten gearbeitet haben, müsste ihnen klar sein, dass | |
| ein renditeorientierter Käufer durchaus Methoden findet, um den Grundsatz | |
| ‚Kauf bricht Miete nicht‘ faktisch auszuhebeln.“ | |
| Allein schon eine Aufwertung des Hauses könne zur Verdrängung der | |
| Altmieter*innen führen – „wie leider schon in anderen Fällen oft | |
| erlebt“. Das Haus in kommunale Hand zu bringen, sei nicht nur aufgrund der | |
| Sozialstruktur der Bewohner*innen wichtig, „sondern auch, weil das Haus | |
| mit öffentlichen Geldern instandgesetzt und modernisiert wurde“, so | |
| Schmidberger. | |
| Auch der grüne Bezirksstadtrat Florian Schmidt sagt: „Es ist schade, wenn | |
| Menschen, die gerade nicht als Spekulanten bekannt sind, nicht einmal ins | |
| Gespräch kommen wollen.“ Er habe Genossenschaften an der Hand, die für | |
| Sondierungen bereitstünden – auch was den Kaufpreis angehe, sagt Schmidt, | |
| „das Minimum in Demokratie, Wirtschaft und Politik ist, dass man | |
| miteinander spricht“. | |
| Die Eigentümer*innen sollten sich fragen, zu welchem Preis sie die | |
| Immobilie gekauft haben und wie viel Gewinn man noch erzielen wolle, sagt | |
| Schmidt: „Ich habe immer noch Hoffnung, dass etwas passiert.“ Auch Bayram | |
| fordert die Eigentümer*innen auf, einen gemeinwohlorientierten Käufer | |
| zu suchen. | |
| Noch etwas schärfer wird Pascal Meiser, Kreuzberger Bundestagsabgeordneter | |
| für die Linke: „Das besonders Perfide an dem aktuellen Fall ist, dass der | |
| Eigentümer kein anonymer Luxemburger Fonds ist. Es handelt sich um eine | |
| private Eigentümergesellschaft, deren Mitglieder in der Vergangenheit sonst | |
| zum Teil selbst den Ausverkauf unserer Stadt scharf kritisiert haben, sich | |
| bis jetzt weigern, das Haus an einen gemeinwohlorientierten Erwerber zu | |
| verkaufen. Ich bin mir sicher, dass die Reputation der Eigentümer | |
| nachhaltig beschädigt wird, sollten sie an ihrer unnachgiebigen Haltung | |
| festhalten“, so Meiser zur taz. Auch fordert er wie die Grünen-Politiker | |
| die umgehende Wiederherstellung des Vorkaufsrechts auf Bundesebene – „im | |
| besten Fall könnte die Oranienstraße 169 noch gerettet werden“. | |
| Obwohl das Gebäudeensemble aus der Gründerzeit im Milieuschutzgebiet liegt, | |
| ist der Bezirk machtlos. Das dort geltende kommunale Vorkaufsrecht ist | |
| derzeit nach einem Rechtsstreit ausgehebelt. Trotz Bundesratsinitiativen | |
| unter anderem von Berlin wurde es seither nicht reformiert, weil sich die | |
| FDP in der Ampelkoalition bisher erfolgreich dagegen sperrt. | |
| ## Die Sorgen der Mieter*innen wachsen | |
| Weil auch die Politiker*innen keine Antworten bekamen, wachsen bei den | |
| Mieter*innen weiter die Sorgen. Derzeit ist unklar, wann und an wen das | |
| Haus verkauft wird. Einige von ihnen beteiligten sich nicht zuletzt | |
| deswegen am Jahrestag der Verdrängung der Buchhandlung von Kisch & Co. an | |
| einer Kundgebung in der Oranienstraße. | |
| Eine der Mieter*innen las dabei auch einen mietenpolitischen Kommentar | |
| von Brigitte Fehrle vor, die früher auch in der taz tätig und danach lange | |
| Chefredakteurin der Berliner Zeitung war. Sie kommentierte zur | |
| Wohnungspolitik scharf. So wie am [2][16. 11. 2005], als der rot-rote | |
| Berliner Senat in großem Stil öffentlichen Wohnraum an die Privatwirtschaft | |
| vertickte. | |
| Der Text könnte auch heute von uns stammen, sagte die Mieterin und zitierte | |
| ihre Vermieterin: „Das Land Berlin hat seinen Besitz allen Warnungen zum | |
| Trotz zur internationalen Spekulation freigegeben … Keiner hat das Land | |
| gezwungen, an Großinvestoren zu verkaufen. Der rot-rote Senat hat nur aufs | |
| Geld geschaut, statt zu überlegen, wozu ihn sein Eigentum verpflichtet. | |
| Dazu hätte es zunächst einmal gehört, festzustellen, wem die Wohnungen | |
| eigentlich gehören. Nicht juristisch. Sondern moralisch (…) Viel Arbeit | |
| wurde investiert, um eine soziale und ethnische Mischung auszubalancieren – | |
| oder noch besser im Lot zu halten. Das muss bewahrt werden. In den | |
| Wohnungen steckt mehr als nur materieller Wert. Sie und ihre jeweiligen | |
| Mieter sind geronnene Gesellschaftspolitik. Die ist gar nicht zu bezahlen. | |
| Sie gehört nicht in Investorenhand. Sie gehört uns allen und muss von allen | |
| gepflegt werden. Nicht vom Staat. Von möglichst vielen Einzelnen.“ | |
| Hinweis: In der ursprünglichen Version des Artikels hieß es, dass keiner | |
| der Politiker*innen eine Antwort durch die Eigentümergemeinschaft | |
| erhalten habe. Die SPD-Politiker*innen Cansel Kiziltepe und Sevim Aydin | |
| haben allerdings eine Antwort bekommen, auch wenn diese für die | |
| Mieter*innen ebenso negativ ausfiel. Wir haben das entsprechend | |
| korrigiert. | |
| 3 Nov 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/SchrAnfr/S19-13… | |
| [2] https://www.politische-bildung-brandenburg.de/themen/ernstfall-demokratie/d… | |
| ## AUTOREN | |
| Gareth Joswig | |
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