| # taz.de -- Protest gegen Gentrifizierung: Laterne, Laterne, enteignet Konzerne | |
| > Hunderte Menschen beschwören beim widerständigen Laternenumzug von Bizim | |
| > Kiez die rebellischen Geister Kreuzbergs. Verdrängung gibt es dort viel. | |
| Bild: Ein Kiezdrache gegen die Investoren | |
| Berlin taz | Leise rieselt der erste richtige Schnee auf Kreuzbergs | |
| Straßen, doch von einer stillen Nacht kann keine Rede sein. Hunderte Kinder | |
| und Erwachsene klirren am Rio-Reiser-Platz in Kreuzberg mit ihren | |
| Schlüsselbunden, die die drohende Verdrängung vieler Menschen aus dem Kiez | |
| symbolisieren sollen. Sie beschwören damit den Kiezdrachen, eine fast zehn | |
| Meter lange und leuchtenden Figur, die den Widerstandsgeist des Viertels | |
| kanalisieren soll. | |
| Und tatsächlich erhebt sich der von Aktivist:innen getragene Drache so | |
| unter dem Gejohle der Menge in die Nacht. „Investoren, gebt fein Acht, der | |
| Kiezdrache ist wach“, schallt ein für diese Perfomance geschriebenes Lied | |
| durch die Straßen. | |
| Bereits das achte Mal fand am frühen Samstagabend der von der Initiative | |
| Bizim Kiez organisierte „widerständige Laternenumzug gegen Verdrängung“ | |
| statt. Trotz Eiseskälte nahmen laut Polizei am Höhepunkt 500 Erwachsene und | |
| Kinder an der Demonstration teil, die quer durch das Viertel zog. Der Umzug | |
| unter dem diesjährigen Motto „Geht’s noch?!“ findet traditionell rund um | |
| den Martinstag statt. | |
| Viele Kinder schwenken an Seilen befestigte Laternen durch die Luft. | |
| Derweil halten ihre Eltern beleuchtete Schilder in die Höhe, auf denen etwa | |
| „Giffey und Geisel abwählen“ zu lesen ist. Immer wieder beziehen sich | |
| Redner:innen in ihren Beiträgen auf die kommenden Wahlen. Die zentralen | |
| Anliegen dabei: das bezirkliche Vorkaufsrecht zu retten und die | |
| Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne umzusetzen. | |
| Im Fokus standen aber die vielen Verdrängungsschicksale im Kiez. Erneut | |
| zeigten die vor den jeweiligen Häusern von Betroffenen gehaltenen Reden, | |
| mit welchen Methoden im Haifischbecken Berlin gearbeitet wird. | |
| Da sind etwa die Vermieter:innen der Oranienstraße 169, eigentlich | |
| [1][renommierte linke Journalist:innen, die zum Teil auch für die taz | |
| gearbeitet haben]. 1993 kauften sie das Haus günstig und sanierten es mit | |
| öffentlichen Fördergeldern – um es jetzt offenbar an einen privaten | |
| Investor zu verhökern. Die Mieter:innen, von denen viele einst | |
| freundschaftliche Verhältnisse zu ihren Vermieter:innen pflegen, | |
| erhalten kaum Auskünfte, selbst Anfragen von zahlreiche | |
| Bezirkspolitiker:innen lassen die Eigentümer:innen zum Teil | |
| unbeantwortet. Unter anderem deshalb fürchten viele Bewohner:innen ihre | |
| Verdrängung. | |
| Akut ist diese Bedrohung bereits für die Mieter:innen der | |
| Manteuffelstraße 51. Nachdem die Wohnungen 1998 in Eigentum umgewandelt | |
| wurden, so erzählt es ein Redner, flattern dort nun die Kündigungen ein. | |
| Demnächst solle eine Rentnerin nach 37 Jahren aus ihrer Wohnung geworfen | |
| werden, weil dort der 19-jährige Sohn des Eigentümers einziehen soll, der, | |
| so heißt es in der Rede, Politiker bei den Grünen werden wolle. „Na | |
| herzlich willkommen“, ruft der Redner spöttisch ins Mikro. | |
| ## Luxuswohnungen verstecken sich | |
| Das Beispiel Reichenberger Straße 142 zeigt derweil, warum Neubau eben kein | |
| Allheilmittel gegen den überlasteten Wohnungsmarkt ist. Im Hinterhof soll | |
| dort ein freistehendes Haus entstehen, in dem auf 6 Geschossen nur eine | |
| Gewerbeeinheit und [2][10 Wohnungen] geplant sind – die für 650.000 bis 2,5 | |
| Millionen Euro angeboten werden. | |
| Unter dem Slogan „Hype & Hide“ wirbt die Immobilienfirma EverEstate sowohl | |
| mit dem alternativen Kreuzberger Flair als auch damit, dass das Haus „nicht | |
| einsehbar“ ist. Der Redner des angrenzenden Hausprojekts Lause, welches | |
| [3][selbst lange von Verdrängung bedroht war], verspricht aber: „Mit uns | |
| gibt es keinen ruhigen Hinterhof!“. | |
| Trotz dieser deprimierenden Geschichten bleibt die Stimmung weihnachtlich – | |
| und zugleich widerspenstig. Eltern wippen Tee und Glühwein trinkend zu | |
| einer Punkinterpretation eines bekannten Festtaglieds. „Laterne, Laterne, | |
| wir enteignen die Konzerne“, heißt es da. Kinder werfen sich mit | |
| Schneebällen ab, Jugendliche zeichnen Hausbesetzer- und Anarchozeichen auf | |
| verschneite Windschutzscheiben. Widerstand, das lernen die Kinder dabei | |
| vielleicht, kann Spaß machen. | |
| Und es ging es der Demo ja auch um sie. Wie schon im vorherigen Jahr war | |
| die Situation in der Kita IrgendWieAnders in der Oppelner Straße 20 Thema. | |
| Einerseits ist die Kita eine Erfolgsgeschichte, weil Bürgermeisterin | |
| Franziska Giffey nach langen Nachbarschaftsprotesten intervenierte – wonach | |
| der Vermieter von einer besonders drastischen Mieterhöhung abgesehen habe, | |
| erzählt Leiterin Nina Hofeditz. | |
| ## Rücktritt von Geisel gefordert | |
| Daran, dass der Vertrag 2026 auslaufen soll, halte dieser aber fest. Das | |
| drohe der Kita schon bald das Genick zu brechen, sagt Hofeditz. „Aktuell | |
| können wir schon fünf Kinder nicht bis zur Einschulung begleiten – und es | |
| werden jährlich mehr.“ Mit den Kitaplätzen würden Fördergelder wegbrechen, | |
| auch Jobs seien bedroht. | |
| Weit verbreitet war auf dem Protest die Frustration, dass nach dem Ende von | |
| Mietendeckel und Vorkaufsrecht kaum Mittel bleiben, der | |
| Immobilienspekulation etwas entgegenzusetzen. Viele Protestierende hoffen | |
| deshalb auf Deutsche Wohnen & Co enteignen. Die Initiative ist vergangene | |
| Woche in den Wahlkampf eingetreten – obwohl über den Volksentscheid nicht | |
| neu abgestimmt wird. | |
| Auf in der Stadt kaum zu übersehenen Plakaten fordert die Initiative | |
| „Immobilienlobby abwählen!“. Abgebildet sind die durchgestrichenen Köpfe | |
| von, so heißt es dort, „Noch-Senator für Stadtentwicklung“ Andreas Geisel | |
| (SPD), „Noch-Bürgermeisterin“ Franziska Giffey (SPD) und CDU-Chef Kai | |
| Wegner („noch schlimmer“). Kürzlich hat die Initiative auch ihre Forderung | |
| nach dem Rücktritt von Geisel erneuert. | |
| 20 Nov 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Verdraengung-in-Berlin-Kreuzberg/!5889000 | |
| [2] https://www.everestate.de/projects/hype-hide | |
| [3] /Kauf-der-Lause-10/11-in-Kreuzberg/!5685034 | |
| ## AUTOREN | |
| Timm Kühn | |
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