# taz.de -- Indexmietverträge in Deutschland: Steigt Inflation, steigt Miete | |
> Indexmietverträge sind an die Inflation geknüpft. Die Linkspartei will | |
> die Verträge deshalb verbieten, Wohneigentümer wollen das verhindern. | |
Bild: Es wird immer heißer auf dem deutschen Mietmarkt. Ob eine Abschirmung hi… | |
Ende Juni erhält Verena König einen Brief von ihrer Hausverwaltung. Im | |
Betreff steht: [1][Indexmieterhöhung]. Für König heißt das, ab August muss | |
sie monatlich 94,66 Euro mehr Miete zahlen, 7,9 Prozent mehr als davor. „Es | |
ist eine Katastrophe, alles wird mit der Inflation teurer und dann kommt | |
die Mieterhöhung obendrauf“, klagt König am Telefon. Schon jetzt graut es | |
ihr angesichts der steigenden Energiepreise vor der nächsten | |
[2][Heizkostenabrechnung]. „Wenn das so weitergeht, kann ich diese Wohnung | |
nicht mehr halten“, sagt sie. | |
Das Problem, das König hat, betrifft derzeit Mieter*innen, die einen | |
Indexmietvertrag haben. Bei diesen Verträgen wird die Miete nach dem | |
Verbraucherpreisindex berechnet, der jährlich vom Statistischen Bundesamt | |
erhoben wird – die Miete ist direkt an die Inflation gekoppelt. Steigt die | |
Inflation, [3][steigt die Miete]. | |
Der Index orientiert sich an der durchschnittlichen Preisentwicklung von | |
Waren und Dienstleistungen, die private Haushalte kaufen. | |
Lebensmittelpreise werden etwa berücksichtigt, Kleidung, Versicherungen – | |
aber auch Energie- und Strompreise. Menschen, die einen Indexmietvertrag | |
haben, sind somit doppelt mit den steigenden Energiepreisen konfrontiert. | |
Steigende Energiepreise treiben die Indexmiete hoch, die jährliche | |
Heizkostenabrechnung kommt aber noch obendrauf. Im Mai erreichte die | |
Inflation mit 7,9 Prozent den Höchstwert seit der Wiedervereinigung. Eine | |
jährliche Mieterhöhung in dieser Größenordnung wird wohl kaum ein Haushalt | |
stemmen können. | |
Eine Indexmiete kann vonseiten der Vermieter*innen einmal im Jahr gemäß | |
der Inflation erhöht werden, eine Zustimmung ist nicht erforderlich. Die | |
Erhöhung muss nur schriftlich angekündigt und transparent dargelegt werden. | |
Mieter*innen haben kaum Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren. Verena | |
König will keinen Konflikt mit ihren Vermietern, deshalb wurde ihr Name von | |
der Redaktion geändert. Die taz durfte aber ihre Unterlagen sichten. | |
## Der Mietmarkt ist viel zu angespannt | |
König wohnt gemeinsam mit ihren zwei Kindern in Berlin. Vier Zimmer, 103 | |
qm, östlicher Randbezirk, die Kinder gehen hier zur Schule, haben Freunde, | |
ihre Hobbys. Alles perfekt – außer dem Mietpreis. Ab August werden es 1.530 | |
warm sein. Bei Vertragsabschluss vor sechs Jahren kostete die Warmmiete | |
noch fast 200 Euro weniger. Zudem teilte König sich damals noch die Miete | |
mit ihrem damaligen Partner. Nach Trennung behielt sie die Wohnung, zwei | |
Drittel der Zeit seien die Kinder nun bei ihr. | |
König ist Akademikerin und arbeitet in Teilzeit im Bereich | |
Finanzverwaltung. Nebenbei studiert sie, um sich weiterzubilden. Sie hat | |
ein sehr gutes Haushaltseinkommen. Mit ihrem Gehalt, einer privat | |
vereinbarten Unterhaltszahlung und dem Kindergeld stehen ihr nach eigenen | |
Angaben im Monat 3.100 Euro netto zur Verfügung. Das Problem ist: König | |
gibt nahezu die Hälfte ihres Einkommens für die Miete aus. Zum Leben | |
bleiben dann 1.500 Euro für drei Personen. „Ich bezahle alles: die Miete, | |
Kleidung, Klassenfahrten“, sagt sie. | |
Als König Ende 2015 den Vertrag unterschrieb, wusste sie nicht, was ein | |
Indexmietvertrag ist. Sie war froh, eine Wohnung bekommen zu haben. Im | |
Vertrag, der auch der taz vorliegt, stand die Indexklausel unter „sonstige | |
Vereinbarungen“: Eine Indexmiete wurde dort ab dem 3. Mietjahr vereinbart. | |
„Indexmiete habe ich erst gegoogelt, als die erste Mieterhöhung kam“ | |
erzählt sie. Indexmieten werden vermehrt erst seit der rasant steigenden | |
Inflation diskutiert und problematisiert. Wie viele Mieter*innen | |
tatsächlich Indexmietverträge haben, ist unklar – statistisch wird das | |
nirgends erfasst. | |
Rudolf Stürzer, Vorsitzender des Vereins Haus und Grund München, schätzt | |
den Anteil der Indexmieten bei den Münchener Mietwohnungen auf 40 Prozent, | |
das beträfe etwa 240.000 Haushalte in der Stadt. „Bei neuen Mietverträgen | |
sind inzwischen etwa 65 Prozent indexiert“ sagte Stürzer der taz. Volker | |
Rastätter vom Mieterverein München geht davon aus, dass Indexmietverträge | |
in München eher „eine Nische sind“. Nur „3 bis 5 Prozent der Mitglieder�… | |
hätten schätzungsweise einen Indexmietvertrag. Die Vorstellungen liegen | |
also weit auseinander. | |
## Indexmieten haben eine hohe Akzeptanz | |
Doch in einer Sache sind sich beide fast einig. „Die Indexmiete hat in der | |
Stadt eine hohe Akzeptanz, weil es viel weniger Rechtsstreitigkeiten als | |
bei Mieterhöhungen nach dem Mietspiegel gibt“, meint Stürzer am Telefon. In | |
den letzten zehn Jahren seien die Mieten nach dem Mietspiegel in München | |
sehr viel stärker gestiegen als die Indexmieten: „Für Mieter war das ein | |
Vorteil.“ | |
Erst seit dem russischen Angriffskrieg habe sich „das Blatt gewendet.“ | |
Volker Rastätter vom Mieterverein München stimmt zu, in der Vergangenheit | |
habe man sogar zu solchen Verträgen geraten. „In den letzten zehn Jahren | |
war eine Indexmiete oft günstiger als Mieten, die nach dem Mietspiegel | |
berechnet werden, weil die Inflation niedrig war“, erklärt Rastätter. | |
Stürzer und Rastätter ziehen daraus unterschiedliche Konsequenzen. Während | |
Haus und Grund München zuversichtlich ist, dass Mieter*innen und | |
Vermieter*innen gemeinsam gute Regelungen finden können, fordert der | |
Mieterverein München eine Kappungsgrenze für Indexmietverträge, so wie sie | |
bei anderen Mietverträgen auch gilt. „Vermieter, die lange gar nicht erhöht | |
haben, holen das jetzt nach. Teilweise müssen Mieter nun Erhöhungen von 30 | |
Prozent auf einmal stemmen“, sagt Rastätter. | |
Zum Vergleich: Bei Mieten, die sich nach der üblichen Vergleichsmiete | |
richten, darf eine Miete maximal um 20 Prozent in drei Jahren steigen. In | |
Lagen, wo der Wohnungsmarkt als angespannt gilt, sind es 15 Prozent in drei | |
Jahren. Die Regierung hat sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, diese | |
sogenannte Kappungsgrenze von 15 Prozent auf 11 Prozent zu senken. | |
Umgesetzt ist das allerdings noch nicht. | |
## „Nicht per se schlecht“ | |
Ein Indexmietvertrag hat noch eine Besonderheit. Die Anfangsmiete muss sich | |
zwar nach dem örtlichen Mietspiegel richten – darf also mit der | |
Mietpreisbremse maximal 10 Prozent über der Vergleichsmiete liegen. Danach | |
gilt für die Indexmiete anders als bei Standardverträgen jedoch keine | |
Grenze mehr nach oben. Anders ausgedrückt: Indexmietverträge sind eine | |
Möglichkeit, trotz Mietpreisbremse unbegrenzt Erhöhungen durchzusetzen. | |
Eine Indexmiete sei „nicht per se schlecht“, erklärt Rolf Bosse, Chef des | |
Hamburger Mietervereins, der taz. „Miete ich zum Beispiel eine unsanierte | |
Wohnung an, dann kann eine Indexmiete von Vorteil sein, wenn | |
Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt werden und die Kosten nicht auf die | |
Miete umgelegt werden können.“ Doch Vermieter*innen würden die | |
Indexmietverträge taktisch klug nutzen: „Indexverträge sind für Vermietende | |
rentabel, wenn keine Modernisierungsmaßnahmen geplant sind und die | |
Ausgangsmiete bereits die ortsübliche Miete übersteigt. Dann kann man davon | |
ausgehen, dass der Verbraucherpreisindex schneller steigt als der | |
Mietenspiegel und Erhöhungen eher verlangt werden können“, so Bosse. Bei | |
Neuvermietungen geht Bosse davon aus, dass mittlerweile die Hälfte der | |
Verträge indexiert ist. | |
Auch politisch gehen die Vorstellungen weit auseinander. Während der | |
Deutsche Mieterverein akuten Handlungsbedarf sieht und eine Kappungsgrenze | |
für Indexmietverträge fordert, hält der Eigentümerverein Haus und Grund | |
Indexmietverträge immer noch für eine „faire Sache“. Schließlich seien | |
Eigentümer*innen auch mit steigenden Kosten belastet. [4][Vonovia, der | |
größte Immobilienkonzern Deutschlands], hat bereits angekündigt, in Zukunft | |
vermehrt auf Indexmietverträge zu setzen. [5][Die Linkspartei fordert, | |
Indexmietverträge abzuschaffen]. | |
Im Mai sagte Bundesbauministerin Klara Geywitz der Funke-Mediengruppe, sie | |
sei „kein Fan von Indexmieten“. Ihr Bauministerium prüft derzeit, wie | |
Mieter*innen von Indexmietverträgen vor übermäßigen Belastungen | |
geschützt werden können. Einen genauen Zeitplan gibt es auf Nachfrage noch | |
nicht. Für Mietrecht ist derzeit ohnehin das FDP-geführte Justizministerium | |
zuständig. Es teilte der taz schriftlich mit, dass es sich „der Diskussion | |
um das Thema Indexmieten bewusst“ sei. Allerdings müsse geprüft werden, „… | |
hier gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht.“ | |
Verena König hat das Gespräch mit ihren Vermietern nicht gesucht – das | |
Verhältnis sei angespannt. „Vielleicht sagen manche, ich muss einfach in | |
eine kleinere Wohnung ziehen. Ich suche, aber einfach ist das nicht in | |
Berlin“, sagt sie. Was sie nun macht? Sie hofft, dass die Inflation wieder | |
abflaut und sie ihre Wohnung halten kann. | |
20 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] /SPD-draengt-auf-Kuendigungsstopp/!5865350 | |
[2] /Umgang-mit-Hartz-IV-Bezieherin/!5859106 | |
[3] /Lage-von-Mieterinnen-in-Deutschland/!5860729 | |
[4] https://www.boersen-zeitung.de/vonovia-will-staerker-auf-indexmieten-umschw… | |
[5] https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-903824 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
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