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# taz.de -- Neubau ist kein Allheilmittel: Enteignen, enteignen, enteignen
> Franziska Giffeys Wohnungspolitik ist nach nur einem halben Jahr
> gescheitert. Vielleicht sollte die Regierende Bürgermeisterin ihr Konzept
> ändern?
Bild: Den Neubau beschwören wird einfach nicht reichen
Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hat
Wohnungspolitik zur Chefinnen-Sache erklärt. Und bereits nach einem guten
halben Jahr steht sie vor einem wohnungspolitischen Scherbenhaufen. Das
SPD-Mantra „Bauen, Bauen, Bauen“ kann schon jetzt als gescheitert gelten.
Ebenso sind Giffeys Hoffnungen auf Selbstverpflichtungen gegen
Mieterhöhungen durch die Wohnungswirtschaft mittlerweile geplatzt.
Der Verband der Wohnungswirtschaft BBU stellte in dieser Woche in seinem
Jahresbericht dar, dass Giffey ihre versprochenen 20.000 neuen Wohnungen
pro Jahr vergessen kann, 7.000 davon von landeseigenen Unternehmen. 2021
waren die Neubauzahlen der BBU-Mitgliedsunternehmen erstmals wieder
rückläufig – 2020 wurden noch 6.700 Wohnungen fertiggestellt, 2021 waren es
bloß 5.400. Dass die Zahlen bei allen Anstrengungen kurzfristig zu steigern
sind, scheint unwahrscheinlich.
Denn die schlechten Zahlen seien erst der Beginn eines „Sturmtiefs“ in der
Branche, sagte BBU-Chefin Maren Kern. Die Baukosten stiegen in der
Zeitenwende ebenso wie die Zinsen auf Baudarlehen, [1][hinzu kämen
Lieferschwierigkeiten] und die schon länger bestehenden Kapazitätsengpässe
in der Bauwirtschaft. Vielleicht begreift Giffey es ja, wenn es auch direkt
aus der Wohnungsbranche kommt: Sich aus der Wohnungsnot allein mit Neubau
zu retten, wird nicht funktionieren.
Das von Giffey initiierte Wohnungsbündnis mit der Hoffnung auf preisliche
Selbstregulierung ist bereits im vergangenen Monat gescheitert: Erst
[2][kündigte Berlins größter Wohnungskonzern Vonovia noch während der
Verhandlungen Mieterhöhungen an], dann [3][sprang der Berliner Mieterverein
ab], weil für Mieter*innen in der Vereinbarung quasi nichts
heraussprang. Und schließlich stiegen sogar private Wohnungskonzerne aus:
Der Spitzen-Lobbyverband der Immobilienwirtschaft ZIA unterzeichnete die
gemeinsame Bündniserklärung ebenfalls nicht, weil sie angeblich zu viele
Zugeständnisse an Mieter*innen enthalten hätte – was angesichts der
weichgespülten Vereinbarungen einmal mehr zeigt, wie egal den Konzernen
ihre Mieter*innen sind.
Unterm Strich stehen Berlins Mieter*innen mal wieder alleine da – nur
dass jetzt zu den seit Jahren steigenden Mieten weitere
Lebenshaltungskosten explodieren: Inflation und bevorstehende horrende
Gasnachzahlungen sorgen für noch mehr Existenzangst bis weit in die
Mittelschicht. Und im Bund verhindert die FDP wirksame Mietregulierungen
und blockiert die schon längst versprochene Reform des kommunalen
Vorkaufsrechts.
## Konzerne sind nicht barmherzig
Die SPD sollte zumindest versuchen, den sozialen Sprengstoff zu
entschärfen. Giffey muss nun wenigstens auf wirksame Mietregulierungen wie
einen regionalen Mietendeckel auf Bundesebene hinwirken, nachdem der
Mietendeckel in Berlin scheiterte. Denn Barmherzigkeit ist von den
Wohnungskonzernen in der Krise nicht zu erwarten: Sie werden weiter Mieten
zur Steigerung der Rendite erhöhen.
In Berlin sitzt Giffey mit ihren geplatzten wohnungspolitischen
Vorstellungen allein an ihrem runden Tisch. Vielleicht könnte sie in der
Sommerpause mal über eine Konzeptänderung nachdenken. Wird es nicht sogar
Zeit, über Enteignungen nachzudenken? Selbst die SPD-Basis forderte Giffey
kürzlich auf, ein Gesetz dazu zu erarbeiten.
Giffey sollte sich eingestehen, dass Verhandlungen und Neubau gegen die
Wohnungsnot allein nicht helfen. Eine grundlegende Lösung hin zu einem
gemeinwohlorientierten Wohnungsmarkt kann nur gegen Kapitalinteressen der
privaten Wohnungswirtschaft erzielt werden. Also warum nicht einfach den
erfolgreichen (!) Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungskonzerne
endlich ernst nehmen?
Hinweis: Bei den genannten Neubauzahlen handelte es sich allein um die
BBU-Mitgliederunternehmen. Der Hinweis hat in einer früheren Version
gefehlt.
16 Jul 2022
## LINKS
[1] /Bittere-Bilanz-fuer-Wohnungsbau-in-Berlin/!5864271
[2] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/steigende-mieten-vonovia-i…
[3] /Giffeys-Wohnungsbuendnis-in-Berlin/!5863237
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
Franziska Giffey
Wohnungsmangel
Wohnungswirtschaft
Enteignung
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
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Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Deutsche Wohnen & Co enteignen
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