| # taz.de -- taz-Datenprojekt zum Klimaschutz: Heiße Grüße aus Deutschland | |
| > Wie steht es um den Klimaschutz in Deutschland? In einem Datenprojekt hat | |
| > die taz alle Landkreise in den Bereichen Energie, Mobilität, | |
| > Landwirtschaft, Abfall und Gebäude verglichen – mit ernüchternden | |
| > Ergebnissen. | |
| Bild: Postkarten zu jeder Stadt, jedem Landkreis und jedem Bundesland informier… | |
| Die [1][Biotonne ist eine der besten Klimaschützerinnen] Deutschlands. Mit | |
| jeder Kartoffelschale, die in der braunen Tonne landet statt im Restmüll, | |
| sinken die Emissionen Deutschlands ein wenig. Im schlimmsten Fall würden | |
| sich sonst organische Abfälle auf Deponien zu Methan verwandeln, einem | |
| Treibhausgas, das kurzfristig viel mehr schadet als CO2, oder sie würden | |
| mit Restmüll direkt verbrannt. | |
| Durch die braune Tonne landen immer mehr dieser Abfälle in | |
| Vergärungsanlagen, wo das Methan eingefangen und zur Energieerzeugung | |
| verwendet wird. In der Masse heißt das: Der gesamte Bereich Abfall ist | |
| inzwischen klimaneutral. | |
| Doch leider ist der Abfall beim Thema Klimaschutz der kleinste Sektor in | |
| Deutschland, er macht nur 1 Prozent aller Emissionen aus. Alle [2][anderen | |
| Bereiche sind weit davon entfernt], emissionsfrei zu sein. Dennoch ist die | |
| Biotonne ein gutes Beispiel dafür, wie der Klimaschutz der Zukunft | |
| wahrscheinlich aussehen wird. Nicht glänzende, komplexe, | |
| hochtechnologisierte Einzellösungen werden die Erderhitzung stoppen, | |
| sondern Lösungen wie die Biotonne: unspektakulär, vielfältig, geerdet und | |
| alltäglich. | |
| Messwerte, die die Auswirkung der Erderhitzung in Deutschland zeigen, gibt | |
| es zuhauf. Wetterstationen erfassen genau, wie viel Starkregen beim | |
| Hochwasser im Ahrtal pro Quadratmeter gefallen ist und wie viel Zentimeter | |
| der Pegelstand des Rheins während des Niedrigwassers in diesem Sommer noch | |
| hatte. Es gibt sogar detaillierte Berechungen dazu, wie viel Prozent mehr | |
| heiße Tage zum Beispiel dem Landkreis Schmalkalden-Meiningen Mitte des | |
| Jahrhunderts bevorstehen, wenn wir so weitermachen. Der Klimawandel und | |
| seine Folgen lassen sich also präzise erfassen. | |
| Für ein taz-Datenprojekt wollten wir wissen: Wie ist das beim Thema | |
| Klimaschutz? Können wir auch messen, ob wir auf dem richtigen Weg sind, um | |
| die Verhältnisse zu verbessern, bevor es zu spät ist? Kennen wir die | |
| Pegelstände unseres Fortschritts? | |
| In den vergangenen Monaten hat ein Team von taz-Journalist*innen und | |
| Mitarbeiter*innen der FH Potsdam versucht, in Zahlen zu messen, wie | |
| weit Deutschland von einer Klimaschutz-Utopie entfernt ist. Neun | |
| Indikatoren aus den fünf Bereichen – Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft, | |
| Energie und Abfall – haben wir für jede Stadt, jeden Landkreis und die 16 | |
| Bundesländer ausgewertet und geschaut, welche Regionen Deutschlands jeweils | |
| Vorreiter sind. Wir nutzen dabei Daten, die öffentlich zugänglich sind. | |
| In einer Onlineanwendung ist nachzulesen, wie es in jedem einzelnen Ort | |
| aussieht. Dabei haben selbst die Regionen, die vergleichsweise gut | |
| abschneiden, meist noch viel Arbeit vor sich. | |
| ## Die Klimaschutzfortschritte im Verkehr stecken im Stau | |
| In Deutschland kommen laut Daten des Kraftfahrtbundesamts [3][auf 100 | |
| Menschen etwa 58 Autos]. Davon haben 2022 nur 3 einen Elektro- oder | |
| Hybridantrieb und es werden fast 80 Prozent der gefahrenen Kilometer mit | |
| dem Auto zurückgelegt. Dieser Anteil hat sich seit Anfang des Jahrtausends | |
| kaum verändert. Die Autodichte ist in Deutschland seit den 1990er Jahren | |
| sogar gestiegen. | |
| In Städten ist die Autodichte niedriger als in ländlichen Regionen, das war | |
| erwartbar. Relevant ist aber auch das Durchschnittseinkommen, denn je | |
| reicher Menschen sind, desto mehr Autos besitzen sie statistisch. In | |
| Leipzig kommen nur 38 Autos auf 100 Menschen, während es im Hohenlohekreis | |
| in der Region Heilbronn mehr als doppelt so viele sind: 75. In Wolfsburg | |
| sind es mit 116 noch mehr, allerdings werden dort auch [4][alle Dienstwagen | |
| von VW angemeldet]. | |
| ## Selbst neue Gebäude werden meistens fossil beheizt | |
| Bei den Gebäuden hat sich in den vergangenen zehn Jahren der | |
| Energieverbrauch pro Quadratmeter kaum verbessert. Das [5][zeigen Daten des | |
| Beratungsportals CO2Online]. Wohngebäude in Deutschland verbrauchen rund | |
| 128 Kilowattstunden pro Quadratmeter im Jahr, um zu heizen. Nötig wären für | |
| effektiven Klimaschutz aber [6][Werte wie die eines Niedrigenergiehauses]: | |
| weniger als 25 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr. Doch selbst bei | |
| Neubauten wurden noch 2021 in 38 Prozent der Wohnungen und Häuser | |
| Gasheizungen eingebaut. | |
| Regional gibt es große Unterschiede. Wurden in Flensburg 2020 nur 1,3 | |
| Prozent der neuen Wohnungen oder Häuser mit erneuerbaren Energien beheizt, | |
| sind es im Eifelkreis Bitburg-Prüm mehr als 85 Prozent. Auffällig ist ein | |
| Süd-Nord-Gefälle. Die Landkreise im Süden Deutschlands fallen oft ins beste | |
| Drittel, während in Norddeutschland Kreise im schlechtesten Drittel | |
| überwiegen. | |
| ## Die Tierbestände sinken zu langsam | |
| Das Umweltbundesamt schätzt, dass der Fleischkonsum in Deutschland halbiert | |
| werden muss. Unsere Ernährung muss klimafreundlicher werden, die Zahl der | |
| Nutztiere abnehmen. Das passiert zu wenig. Die Zahl der Tiere – gemessen in | |
| sogenannten Großvieheinheiten, die etwa einem Rind, 10 Schafen oder 320 | |
| Legehennen entsprechen – sinkt laut Agrarstrukturerhebung nur leicht. | |
| Zwischen 2010 und 2020 ist sie von 13 auf 12 Millionen zurückgegangen, | |
| zwischendurch aber sogar gestiegen. Würde es so weitergehen, bräuchte es | |
| für eine Halbierung der Tierbestände noch sechs Jahrzehnte. | |
| Bei der Qualität der Tierhaltung gibt es sogar Verschlechterungen: Als | |
| ökologische Grenze gilt in der Landwirtschaft die Haltung von zwei | |
| Großvieheinheiten auf einem Hektar Land. Der Anteil der Tiere, der so | |
| gehalten wird, ist seit 2010 gesunken. Bei den Schlusslichtern des Rankings | |
| werden die Fleischproduktions-Hochburgen in Deutschland sichtbar, in | |
| [7][Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, in Bayern und | |
| Baden-Württemberg]. | |
| ## Beim Energieverbrauch geht es nur langsam voran | |
| Aus der Energieerzeugung kommen in Deutschland oft Jubelmeldungen – meist | |
| ist dabei nur der Bereich der Stromerzeugung gemeint, wo regelmäßig etwa | |
| die Hälfte aus erneuerbaren Quellen kommt. Allerdings ist Strom nur ein | |
| kleiner Teil der Energie, die wir nutzen. Das Gesamtbild ist deutlich | |
| schlechter. [8][Nur etwa 17 Prozent der in Deutschland genutzten | |
| Primärenergie machen Erneuerbare aus] – immerhin weit mehr als die 1,3 | |
| Prozent, die es im Jahr 1990 waren. Bei der Industrie, wo fossile | |
| Brennstoffe noch oft direkt verbrannt werden, sieht es schlechter aus: Nur | |
| [9][etwa 4 Prozent der Energie stammt aus erneuerbaren Quellen]. | |
| Doch ein Blick ins Lokale zeigt, dass es hier große Unterschiede gibt: Vor | |
| allem der Landkreis Stendal ragt heraus, wo die Industrie dank eines | |
| Biomassekraftwerks rund 73 Prozent ihrer Energie aus erneuerbaren Quellen | |
| bezieht. ([10][Lesen Sie hier unsere Reportage aus dem Landkreis Stendal.]) | |
| Insgesamt liegt der Wert aber nur bei 28 von 401 Landkreisen und Städten | |
| bei mehr als 5 Prozent. | |
| ## Konkrete Ziele erzeugen Handlungsdruck | |
| Zumindest der Blick auf den Bereich Abfall fällt positiver aus. Bei der | |
| Biotonne lassen sich die Nachzügler klar benennen. Laut der Deutschen | |
| Umwelthilfe b[11][ieten 48 Kreise und Städte weiterhin keine Biotonne an]. | |
| Sie liegen in unserer Auswertung fast alle hinten. Schlusslicht ist der | |
| Saale-Holzland-Kreis, er bietet nur ein Bringsystem für Bioabfälle an und | |
| sammelte 2020 nur 8 Kilo pro Person. [12][Im gesamtdeutschen Durchschnitt | |
| waren es 127 Kilo], und in der Stadt Hof auf Platz 1 des Rankings waren es | |
| 365 Kilo. | |
| Das Beispiel Biomüll zeigt, welche Herausforderungen bevorstehen. Die | |
| Einführung der Tonne war nicht einfach. Organische Abfälle stinken, ziehen | |
| Fliegen an, und am Ende bleibt immer noch ein pampiger Rest in der Tonne | |
| zurück – wer will das schon vor der Tür haben? Die Veränderung wurde durch | |
| Mülltrennung Einzelner, war aber auch nur durch politische Entscheidungen | |
| und wirtschaftliches Handeln möglich. Biotonnen müssen abgeholt werden, | |
| Parkabfälle ebenfalls, es müssen Anlagen gebaut und das erzeugte Biogas | |
| verbrannt werden. | |
| Um solche komplexen Veränderungsprozesse zu ermöglichen, muss es klare, | |
| messbare Ziele geben, die nicht in weiter Zukunft liegen, sagt Karsten | |
| Neuhoff vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Neuhoff leitet | |
| dort die Abteilung Klimapolitik, ist Professor und berät Regierungen. Er | |
| und seine Kolleg*innen [13][fordern Frühindikatoren für Klimaschutz] – | |
| also Pegelstände für Fortschritte. Bisher sind die Klimaziele oft sehr | |
| allgemein und in zeitlich weiter Ferne. | |
| „Wenn die Politik sich konkrete Ziele für die kommenden Jahre setzt, wird | |
| sie auch an denen gemessen. Dadurch entsteht auf Verwaltungsseite ein | |
| Handlungsdruck aber auch die politische Rückendeckung für die Umsetzung von | |
| notwendigen Maßnahmen.“ Er stellt sich das vor wie bei Unternehmen, die | |
| verkünden, was sie erreichen wollen, und sogenannte KPIs definieren, also | |
| Werte, anhand derer man Erfolg einschätzen kann. Jedes Jahr 4 bis 5 Prozent | |
| der Gebäude energetisch zu sanieren könnte so ein Ziel sein. Gerade sind es | |
| knapp 1 Prozent. | |
| Er würde sich davon auch Wettbewerb erhoffen. „Auf der lokalen Ebene wird | |
| es spannend, weil ich meinen Ort im Vergleich zu anderen anschauen kann. | |
| Wieso sind andere besser?“ So wie in den Hoch-Zeiten der Coronapandemie | |
| viele auf die Infektionsraten einzelner Landkreise schauten und | |
| herauszufinden versuchten, was anderswo besser klappt, könnten | |
| Bürger*innen in Zukunft auf das Ranking ihrer Gegend für autofreien | |
| Verkehr oder zu erneuerbarer Energie blicken. | |
| . | |
| 2 Dec 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.umweltbundesamt.de/daten/ressourcen-abfall/verwertung-entsorgun… | |
| [2] /Expertenrat-zu-Klimaschutzprogrammen/!5873722 | |
| [3] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/09/PD22_N058_51.h… | |
| [4] https://www.braunschweiger-zeitung.de/wirtschaft/article236661697/Wolfsburg… | |
| [5] https://www.wohngebaeude.info/daten/#/heizen/bundesweit;main=allgemein;sub=… | |
| [6] https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/klimaneutraler-gebaeudebestand… | |
| [7] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/07/PD21_N043_41.h… | |
| [8] https://www.umweltbundesamt.de/daten/energie/primaerenergieverbrauch#defini… | |
| [9] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/04/PD20_152_435.h… | |
| [10] /Stendal-und-sein-Biomassekraftwerk/!5898241 | |
| [11] https://www.duh.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/nach-zehn-ja… | |
| [12] https://www.bmuv.de/themen/wasser-ressourcen-abfall/kreislaufwirtschaft/st… | |
| [13] https://www.diw.de/de/diw_01.c.826609.de/publikationen/wochenberichte/2021… | |
| ## AUTOREN | |
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