| # taz.de -- Deutsche Vorschriften für Windenergie: Energiewende auf Abstand | |
| > Es gäbe genug Platz für Windräder. Dass sie nicht gebaut werden, liegt | |
| > auch am Regelwerk. Eine interaktive Karte zeigt Unterschiede. | |
| Bild: Passt da noch eins? Wo wieviele Windräder stehen dürfen, ist in den Bun… | |
| Berlin taz | Sie sind fertig geplant, genehmigt und bringen mehr Leistung | |
| als die deutschen Atomkraftwerke: Windanlagen mit einer Leistung von | |
| insgesamt 6 Gigawatt. Doch ihr Bau scheitert mal an fehlenden | |
| Transportgenehmigungen der Behörden vor Ort, mal an Lieferkettenprobleme, | |
| mal an drastisch gestiegenen Materialkosten. „Diese Kleinteiligkeit ist es, | |
| die den Ausbau der Windenergie bremst“, sagt Thorsten Lenck vom Thinktank | |
| [1][Agora Energiewende]. | |
| Ein komplexes Geflecht aus Vorschriften, Gesetzen und Verordnungen steht | |
| dem weiteren Ausbau im Weg. Wie wirkmächtig allein unterschiedliche | |
| Abstandsregeln für Windräder sind, macht diese Karte greifbar. In der | |
| interaktiven Anwendung kann man erkunden, wie viel Platz für Windkraft noch | |
| übrig wäre, wenn strenge Abstandsregeln wie in Bayern in ganz Deutschland | |
| gelten würden. Oder wo umgekehrt in Bayern Raum für Windräder entstehen | |
| könnte, wenn Regeln vereinfacht würden. | |
| ## So wenig Fläche bleibt für Windkraft bei verschiedenen Abstandsregeln | |
| Verschieben Sie den Regler: So sähe es aus, wenn dieser Abstand zwischen | |
| Windrad und Wohngebäude überall gelten würde. Die roten Flächen zeigen, wo | |
| nach dieser Regel kein Windrad stehen dürfte. | |
| In den vergangenen Jahren ist der Ausbau der Windenergie in Deutschland nur | |
| schleppend vorangekommen – denn der frühere Bundeswirtschaftsminister Peter | |
| Altmaier (CDU) hat ihn eher gebremst als forciert. Sein Nachfolger Robert | |
| Habeck (Grüne) hat den massiven Ausbau angekündigt. Das Ziel: Bis 2030 | |
| sollen Anlagen mit einer Kapazität von 115 Gigawatt Leistung aufgebaut | |
| werden. Zur Zeit sind es etwa 57 Gigawatt. „Wir brauchen bereits ab 2024 | |
| einen Zubau von 9 bis 10 Gigawatt im Jahr, um die Ausbauziele zu | |
| erreichen“, sagt Energieexperte Thorsten Lenck. In den vergangenen Jahren | |
| waren es weniger als 2 Gigawatt. | |
| Im ersten Halbjahr 2022 gingen nur 238 neue Anlagen in Betrieb, 82 | |
| Windanlagen wurden stillgelegt. Dem [2][Halbjahresbericht des | |
| Beratungsunternehmens Deutsche WindGuard] zufolge produzierten zum 30. Juni | |
| 2022 insgesamt 28.287 Anlagen Strom. Dabei geht es nur um Windräder an | |
| Land. | |
| ## Reichen die neuen Gesetze? | |
| Die Bundesregierung hat nun Schritte für einen beschleunigten Ausbau auf | |
| den Weg gebracht, etwa die Änderung des Naturschutzgesetzes. Damit gelten | |
| einheitliche Standards für die Prüfung beim Artenschutz. Um Genehmigungen | |
| zu erleichtern, wurde gesetzlich klargestellt, dass der Betrieb von | |
| Windenergieanlagen „im überragenden öffentlichen Interesse“ liegt und der | |
| öffentlichen Sicherheit dient. Aber reicht das? | |
| Die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für | |
| Wirtschaftsforschung ist skeptisch, dass die Maßnahmen der Regierung | |
| genügen, um die Ausbauziele für die Windenergie zu erreichen. „Das wird | |
| schwer“, sagt sie. Bis 2030 müssten jedes Jahr 2.500 Windenergieanlagen | |
| gebaut werden. Nach dem verschleppten Ausbau der Vorgängerregierungen habe | |
| die Ampel zwar die richtige Richtung eingeschlagen. „Aber mir fehlt das | |
| Tempo“, sagt sie. | |
| Im kommenden Jahr soll sich nun etwas ändern: Das „Windenergie an | |
| Land“-Gesetz tritt im Februar in Kraft. Es sieht vor, dass die Bundesländer | |
| bis 2032 2 Prozent ihrer Fläche für Windkraft ausweisen müssen. Zur Zeit | |
| sind nur 0,8 Prozent ausgewiesen. Ein Knackpunkt: Wie die Länder das Ziel | |
| erreichen, bleibt ihnen überlassen. Verfehlen sie es, sollen | |
| länderspezifische Abstandsregeln für die Mindestdistanz zwischen | |
| Windrädern und Gebäuden außer Kraft treten. | |
| Die Bundesländer haben 2020 vom Bund die Möglichkeit bekommen, einen | |
| Mindestabstand von 1.000 Metern zu Wohngebäuden vorzuschreiben. In Bayern | |
| gilt die sogenannte 10-H-Regel: der Abstand eines Windrads zum nächsten | |
| Wohnhaus mindestens zehnmal so groß sein wie die Höhe des Windrads. Bei | |
| einer durchschnittlichen Höhe neuer Anlagen von 200 Metern kommt man da auf | |
| 2 Kilometer Abstand. | |
| Für Windenergieanlagen geeignete Flächen sind genug vorhanden, sagt | |
| Energieexperte Thorsten Lenck. Das neue Gesetz sei ein wichtiger Schritt in | |
| die richtige Richtung. Eines stehe allerdings schon fest: Um die | |
| Ausbauziele zu erreichen, kommen die Zielvorgaben für die Flächenausweisung | |
| zu spät. „Die Flächen müssen früher bereitstehen und Genehmigungsverfahren | |
| beschleunigt werden“, fordert er. | |
| Denn bis ein anvisiertes Windrad steht, dauert es Jahre. Der Bau geht mit | |
| rund 18 Monaten vergleichsweise schnell. Aber der beginnt erst, wenn | |
| sämtliche Genehmigungsverfahren abgeschlossen sind – und die gelten nur für | |
| einen bestimmten Windradtyp. Erst wenn die Genehmigung da ist, wird das | |
| Windrad bestellt. Gibt es dann einen Lieferengpass, kann der Bauherr nicht | |
| einfach auf eine andere Firma umschwenken. Eine Lösung wäre, wenn die | |
| Behörden eine Genehmigung für mehrere Anlagenvarianten ausstellen würden, | |
| sagt Lenck. Auch ein Baubeginn bei absehbar erfolgreicher Genehmigung, mit | |
| dem etwa die Tesla-Fabrik in Brandenburg im Schnelltempo errichtet wurde, | |
| würde für eine Beschleunigung sorgen. | |
| ## Bei LNG-Terminals war Tempo möglich | |
| Bislang dauern Planungs- und Genehmigungsverfahren im Schnitt 7 Jahre. Die | |
| Bundesregierung will das auf drei Jahre verkürzen. Das ist immer noch zu | |
| lang, sagt Energieexpertin Kemfert. „Das darf maximal ein Jahr dauern.“ Die | |
| Genehmigung neuer LNG-Terminals ging in wenigen Monaten über die Bühne. | |
| Diese Geschwindigkeit muss auch bei Windenergieanlagen erreicht werden, | |
| fordert sie. | |
| Damit Windräder bei den Bürger:innen vor Ort akzeptiert werden, ist es | |
| wichtig, sie früh in ein Projekt einzubeziehen, sagt Kemfert. Wenn möglich, | |
| ist auch eine finanzielle Beteiligung sinnvoll, etwa in Form günstiger | |
| Strompreise. In Mecklenburg-Vorpommern geschieht das bereits. Die Ökonomin | |
| plädiert dafür, solche Regeln bundesweit einheitlich einzuführen, damit sie | |
| rechtssicher sind. Eine stärkere Vereinheitlichung der vielen | |
| unterschiedlichen regionalen Vorschriften würde ihrer Auffassung nach dem | |
| Ausbau generell einen großen Schub geben. Dafür müsste die Bundesregierung | |
| aber sehr viel mehr Vorgaben machen als bisher. | |
| 9 Dec 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.agora-energiewende.de/ | |
| [2] https://www.windguard.de/veroeffentlichungen.html?file=files/cto_layout/img… | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Krüger | |
| Michael Kreil | |
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