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# taz.de -- Bürger:innenräte in der Klimakrise: Das Los als Lösung?
> Zufällig ausgewählte Menschen sollen in Freiburg und Umgebung Vorschläge
> für eine bessere Klimapolitik machen. Das erste Fazit fällt gemischt aus.
Bild: Sie sollen die Gesellschaft widerspiegeln: die Teilnehmer:innen bei der A…
Freiburg taz | Nachdem die Schülerin Tabea Trost, der Systemadministrator
Stefan Falk und der Postfilialleiter Heiko Quappe tagelang Dokumente
gewälzt, Expert:innen befragt und sich genau überlegt haben, wie sie die
Region vor der Klimakatastrophe retten können, räuspert sich ein Mitglied
des Horbener Gemeinderates und sagt: „Das, was ihr da gemacht habt, ist
reine Zeitverschwendung gewesen.“
Horben ist ein Dorf bei Freiburg und es hat zusammen mit 15 anderen Städten
und Gemeinden im Mai den ersten interkommunalen Klimabürger:innenrat
Deutschlands ins Leben gerufen. 91 Bürger:innen wurden dafür ausgewählt.
Ihre Aufgabe: Der Lokalpolitik Empfehlungen schreiben, wie die Region
möglichst schnell zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien versorgt werden
kann. Im Oktober liegen sie auf dem Tisch der Gemeinden. Die Reaktion der
Lokalpolitiker:innen entscheidet darüber, was aus ihnen wird: Ein
Anstoß für eine neue Politik oder ein Ärgernis für den Papierkorb.
Bürger:innenräte sollen Bürger:innen in Entscheidungen einbeziehen
und die Demokratie stärken. Das besondere ist, dass die
Teilnehmer:innen ausgelost werden und sich vorher nicht mit dem Thema
auskennen müssen. Sie sollen die Bevölkerung widerspiegeln. In Irland
empfahl eine Citizens’ Assembly nach langen Beratungen und Diskussionen die
Legalisierung der Abtreibung und die Einführung der Ehe für alle, was im
angeblich so konservativen Land eine Überraschung war. Die Regierung setzte
beide Projekte um und der Prozess wurde zum Vorbild.
Doch funktioniert ein Bürger:innenrat auch, wenn es darum geht, die
Klimakrise aufzuhalten? Sind die Lösungen für die Probleme nicht längst
bekannt? Und: Haben wir überhaupt noch die Zeit zu reden, müssten wir nicht
längst handeln?
An politischer Legitimation für die Bekämpfung der Klimakrise fehlt es
jedenfalls nicht. In Umfragen wird das Thema immer wieder als das
drängendste Problem unserer Zeit genannt, selbst während der Hochphase der
Coronapandemie war das so. Gleichzeitig denken fast 75 Prozent der
Bevölkerung [1][laut einer Umfrage], die Bundesregierung tue nicht genug
oder eher nicht genug, um den Klimawandel zu bekämpfen. Auch die Kommunen
bekamen kein gutes Zeugnis.
Es gibt ein Thema, das insbesondere in Baden-Württemberg für Kontroversen
sorgt: Windkraft. Komplizierte Planungsverfahren und erbitterter,
[2][lokaler Widerstand] haben den Windradausbau in Baden-Württemberg
faktisch zum Stillstand gebracht. Im vergangenen Jahr wurden nur 31 neue
Windräder in Betrieb genommen. Da hingt das Ländle sogar Bayern hinterher.
Wird der Rat hier eine Lösung finden?
„Wenn die eigenen Bürger öffentlich Druck machen, können sich die
Gemeinderäte nicht mehr wegducken“, sagt Gabriele Michel. Von ihr ist die
Idee des Freiburger Klimabürger:innenrates ausgegangen. Seit 2019
setzte sich die Autorin und Dozentin mit einigen Mitstreiter:innen für
die Gründung eines solchen Rates ein. In der Zwischenzeit wurde auch ein
bundesweiter Bürgerrat Klima initiiert, der vor der Bundestagswahl 2021
[3][seine Empfehlungen vorlegte]. Auch in Berlin erarbeiteten zufällig
ausgewählte Menschen [4][lokale Forderungen].
Besonders in Freiburg und Umgebung ist, dass sich mehrere [5][Gemeinden und
Städte zusammengetan] haben. Politische Empfehlungen zu Energie können
nicht an der Stadtgrenze enden, das war die Idee. Aus etwa 4.000 gelosten
Menschen der Region wurden die 91 Teilnehmer:innen ausgesucht. Tabea
Trost, 16, Schülerin aus Freiburg bekam eine der Einladungen, genauso wie
Stefan Falk, 64, Systemadministrator aus Elzach und Heiko Quappe, 39,
Postfilialleiter aus Freiburg.
Damit die Teilnehmer:innen die Bevölkerung der Region möglichst gut
abbilden, wurden unter den Interessierten die Kriterien Alter, Bildung und
Migrationserfahrung berücksichtigt. Beim Alter hat das ganz gut geklappt,
doch Menschen mit Migrationserfahrung sind unterrepräsentiert. Auch bei den
Bildungsabschlüssen ist das Bild verzerrt: Fast 50 Prozent der
Teilnehmer:innen haben eine Fach- oder allgemeine Hochschulreife, dabei
sind es in Baden-Württemberg nur 34 Prozent. Zu dieser Verzerrung kommt es
auch deshalb, weil es ein ehrenamtlicher Job ist, den am Ende dann doch
diejenigen machen, die sich besonders für das Thema interessieren – und
sich das Engagement leisten können. Auch wenn die Teilnehmer*innen eine
Aufwandsentschädigung bekommen.
Rechtlich bindend sind die Empfehlungen des Rates nicht. Also was, wenn die
Gemeinderät:innen die Empfehlungen einfach ignorieren? „Dann wäre das
eine Katastrophe für die Demokratie“, sagt Gabriele Michel. Lokalpolitik
lebe davon, die Menschen vor Ort ernst zu nehmen.
Fünf Samstage treffen sich die Teilnehmer:innen über den Sommer. Am
ersten Tag teilen sie sich nach Themenfeldern in Gruppen auf. Tabea Trost
und Stefan Falk gehen in die Windkraft-Gruppe, Heiko Quappe in eine Gruppe,
die sich mit weiteren erneuerbaren Energien beschäftigt. Außerdem gibt es
die Themenfelder Solar auf Freiflächen, Solar auf Gebäuden und
Energiesparen. Jede Gruppe erarbeitet Empfehlungen, über die dann alle
gemeinsam am Ende abstimmen.
Tabea Trost trägt geblümte Vans, die Haare hat sie in der Mitte
gescheitelt. Sie geht in die 12. Klasse eines Gymnasiums und vor dem
Klimabürger:innenrat hat sie sich noch nie politisch engagiert. „Es
wird ja immer viel gemeckert. Aber ich finde, dass man sich auch einbringen
und etwas vorschlagen muss“, sagt sie. Der Rat sei für sie die Möglichkeit
gewesen, genau das zu machen. „Ich hoffe, dass wir etwas verändern.“
## „Seien Sie radikal“, empfiehlt ein Experte
An den ersten Samstagen lernen sich die Teilnehmer:innen kennen und
hören sich Vorträge von Expert:innen an, die sie auf einen einigermaßen
gleichen Wissensstand zum Klimawandel bringen sollen. Die Veranstaltungen
finden in den teilnehmenden Kommunen statt: in einer Konzerthalle in
Merzhausen; im Kreisgymnasium in Neuenburg und in einer Veranstaltungshalle
in Emmendingen.
Die taz war bei den ersten Treffen nicht dabei. Ein Experte für Raumplanung
habe folgenden Ratschlag geben, erzählt ein Teilnehmer zu einem späteren
Zeitpunkt: „Seien sie radikal in ihrem Empfehlungen. Es kann gar nicht
mutig genug sein.“
Am vierten Samstag sprechen die Mitglieder des Rates Passant:innen auf
den Wochenmärkten der Region an. Trost hat sich den Bauernmarkt im
Freiburger Stadtteil Stühlinger ausgesucht. Unter Kastanienbäumen verkaufen
Landwirt:innen Äpfel und Salat. Die Teilnehmer:innen des Rates haben
sich mit ihrem Info-Stand zwischen den Olivenverkauf und den Bäcker
gestellt.
Tabea Trost spricht eine Frau mit vollen Einkaufstüten an und es schwingt
etwas Stolz in ihrer Stimme mit, als sie den Klimabürger:innenrat
vorstellt. „Das ist ja super“, sagt sie, als Trost ihren Vortrag beendet
hat. Ob sie Anregungen habe, fragt Trost. „Nein, eigentlich nicht. Ich
frage mich eher, ob Sie ein paar Tipps für mich haben. Wir haben zu Hause
eine alte Ölheizung. Wie sieht es denn da mit Zuschüssen aus?“ Trost ist
überfragt, aber sie notiert sich: Informationsangebote schaffen.
Drei Portugiesinnen laufen vorbei. Als Trost sie auf Windkraft anspricht,
sagen sie: „Wir haben überall Windräder bei uns an der Küste. Das ist gar
kein Problem. Wir finden das schön.“
Es ist ein Heimspiel für den Klimabürger:innenrat. Auf dem Freiburger
Wochenmarkt gibt es niemanden, der sich gegen erneuerbare Energien
ausspricht. Trotzdem sind die Gegner:innen der Windräder ein Thema. Wie
soll man mit ihnen umgehen, den Menschen oben im Schwarzwald, die auf ihren
Bergen keine Windräder haben wollen?
## Weniger Widerstand als erwartet
Stefan Falk wohnt in einem kleinen Tal im Schwarzwald. Er war auf dem Markt
seiner Heimatgemeinde Elzach, aber auch dort habe er mit keinem
Windkraftgegner gesprochen. Im Gegenteil. Die Leute interessierten sich für
erneuerbare Energien, sagt Falk.
Dass die Zahl der Windkraftgegner:innen in Baden-Württemberg eher
klein ist, bestätigt eine Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2018, die vom
Energieunternehmen EnBW in Auftrag gegeben wurde. 87 Prozent der Befragten
fanden den Ausbau von Windrändern wichtig. Und: 82 Prozent der Befragten
mit einem Windrad in Wohnortnähe waren damit einverstanden.
Stefan Falk denkt schon seit den 90er Jahren über die lokale Nutzung von
erneuerbaren Energien nach. Damals hatte er die Idee, ein kleines
Wasserkraftwerk zu bauen. Doch als er die Genehmigung beantragte, sagte ihm
ein Mitarbeiter des Landratsamtes: „Das wird zehn Jahre dauern.“
Also dachte sich Falk etwas anderes aus. Er kaufte eine thermische
Solaranlage, 25 Quadratmeter groß, legte das Betonfundament und schweißte
Stahlgestelle auf sein Grundstück. Zuerst belächelten ihn seine
Nachbar:innen dafür, jetzt beneiden sie ihn. „Mich fasziniert es,
Energie zu gewinnen, ohne dass dadurch etwas weniger wird“, sagt Falk.
## Sieben Jahre, bis sich ein Windrad dreht
Seit 2017 fährt er Elektroauto, mittlerweile hat es 85.000 Kilometer auf
dem Tacho. Stefan Falk muss nicht vom Kampf gegen den Klimawandel überzeugt
werden. Er beschreibt seine Motivation so: „Ich habe vier Kinder und ich
möchte, dass sie in einer Welt leben, die noch lebenswert ist.“
Falk arbeitet als Systemadministrator in einer Schule und am liebsten
würde er die Handlungsempfehlungen wie eine Anleitung formulieren, um ein
Computerproblem zu lösen. In etwa so: Um ein Windrad zu bauen, gründen Sie
eine Genossenschaft. Stellen Sie den Antrag. Fangen Sie mit dem Bauen an.
Freuen Sie sich über den Wind. Erhalten Sie das Geld auf Ihrem Konto!
Doch im echten Leben dauert es dann im Schnitt sieben Jahre, bis sich das
Windrad dreht. Denkmalgeschützte Gebäude, der Rotmilan,
Landschaftsschutzgebiete, all das verzögert oder verhindert den Bau von
Windrädern. Manchmal dauert ein Genehmigungsverfahren so lange, dass
Naturschutzgutachten im Laufe des Prozesses veraltet sind und neu erstellt
werden müssen.
Am Nachmittag des Markttages treffen sich die Mitglieder des Rates in einer
Realschule in Freiburg, um über die Gespräche zu reden. Das Gebäude ist
modern, die Betonwände sind blank, die Decken aus gepresster Holzwolle.
Auch innerhalb der Gruppe ist es schwierig, jemanden zu finden, der gegen
Windräder ist. Einen gibt es allerdings.
Heiko Quappe, 39, sitzt in einer Pause in einer Sofaecke der Schule und
sagt: „Windräder machen die Natur kaputt.“ Er erzählt von Vögeln und von
Insekten, die von Rotoren geschreddert werden.
Was ist mit dem Argument, dass auch die Erderhitzung Arten bedrohe, wenn
Tiere und Pflanzen ihren Lebensraum verlieren?
Quappe redet einfach weiter und weiter, er springt von Vermutung zu
Vermutung und landet bei der Ukraine. Er ist überzeugt, dass Wladimir
Putin dort angegriffen habe, weil er sich bedroht fühlte. Gegenargumente
lässt er nicht gelten, stattdessen wechselt er einfach das Thema.
An Heiko Quappe zeigt sich, wie der Klimabürger:innenrat an Grenzen
stößt. Was können Expert:innen-Inputs und Argumente bewirken, wenn die
Diskussion nicht funktioniert?
Zur Frage, was gesellschaftlicher Dialog, was
Bürger:innenbeteiligung erreichen kann, sind in den letzten Jahren
viele Bücher erschienen. Dass eine relevante Zahl von Menschen Politik als
abgehoben und unnahbar empfindet, ist ein Problem für die Demokratie.
Aber wie viel Kraft sollte eine Gesellschaft investieren, laute
Minderheiten zu verstehen?
Quappe und die Windkraftbefürworter:innen sind kaum ins Gespräch
gekommen. Ein- oder zweimal habe jemand versucht, ihn von Windrädern zu
überzeugen. Aber der habe ihm gar nicht richtig zugehört, sagt Quappe. Man
habe aneinander vorbeigeredet.
Was braucht es, damit man sich gegenseitig ernst nimmt?
Vor allem brauche man Zeit, sagt Heiko Quappe. „Die fünf Tage waren
wahrscheinlich nicht lang genug, um sich richtig kennenzulernen.“
Quappe freut sich, wenn ihm jemand zuhört. Er erzählt, wie froh er sei, am
Klimabürger:innenrat teilzunehmen. Besonders aufmerksam habe er bei
der Videobotschaft eines Managers des regionalen Energieversorgers
zugehört. Der Manager erzählte von Problemen mit dem Bau von Südlink, einer
Stromleitung, die Baden-Württemberg mit Windstrom aus der Nordsee versorgen
soll.
Die Leitung sollte längst fertig sein, aber sie wurde immer wieder
gerichtlich gestoppt, weil die betroffenen Gemeinden mit der
Streckenführung nicht einverstanden waren, und nun könnte es knapp werden
mit dem Strom im Süden, wenn die Atomkraftwerke ausgestellt werden. Quappe
interpretiert das so: „Wir haben den Atomstrom zu früh abgestellt.“
Dass der Klimawandel gestoppt werden muss, steht für ihn aber außer Frage.
Bloß ohne Windräder. „Photovoltaikanlagen auf Dächern finde ich zum
Beispiel super“, sagt er. Und Geothermie, also die Nutzung der in der
Erdkruste gespeicherten Wärmeenergie.
Stefan Falk und Tabea Trost beschäftigen sich an diesem Nachmittag mit den
Begriffen Windhöffigkeit, Ausbauvorrangebiet und Genehmigungsfreiheit. Die
Gruppe hat sich in ein Klassenzimmer zurückgezogen, gut zehn Menschen
sitzen in einem Stuhlkreis. Besonders die Älteren der Windkraftgruppe
scheinen es darauf anzulegen, die Empfehlungen möglichst kompliziert zu
formulieren und viele Fachbegriffe zu nutzen. Die Teilnehmer:innen
wurden im Laufe des Prozesses mit technischen Details bombardiert. „Das
muss juristisch wasserdicht sein“, sagt eine Frau. Dabei gibt es gar keinen
Juristen in der Gruppe.
## Rücksicht die eigene Wiederwahl ist nicht nötig
Eine Frau möchte, dass jeder ein kleines Windrad auf seinem Grundstück
bauen kann, ohne dafür eine Genehmigung zu beantragen. Die anderen sind
etwas genervt, weil die Frau darüber wohl schon öfter geredet hat, aber sie
lässt sich nicht von ihrem Thema abbringen. „Ich finde wir gehen zu sehr
ins Detail“, sagt Tabea Trost.
[6][Die Moderatorin] lässt die Diskussion laufen, ermuntert
Teilnehmer:innen, die noch gar nichts gesagt haben. Jeder soll zu Wort
kommen, auch wenn das, was er sagt, eher Wunschdenken ist.
Dann wird es auf einmal spannend, denn jemand wirft eine entscheidende
Frage in den Raum: Wie viele Windräder brauchen wir denn eigentlich in den
drei Landkreisen?
„In dieser Studie steht 670, damit die Grundlast gesichert wird.“
„Wirklich so viele?“
„Das kann nicht sein. Das ist ja utopisch. Dann müsste ja auf jedem Berg
ein Windrad stehen.“
„Der eine Experte hat von 270 geredet.“
„Na gut, dann schreiben wir 270 rein.“
Die Gruppe diskutiert, ob man nicht auch empfehlen sollte, auf Feldberg,
Blauen und Belchen, also auf den höchsten Bergen des Schwarzwalds,
Windräder zu bauen. „Da oben ist am meisten Wind“, sagt ein jüngerer
Teilnehmer. Könnte man nicht sogar die Gemeinden verpflichten, zuerst auf
den Gipfeln Windräder zu bauen? Was sie hier sagen, das ist für
Baden-Württemberg ziemlich radikal.
Der Feldberg ist mit 1.493 Metern Baden-Württembergs höchster Gipfel und
ein Symbol, das von zwei Gruppen beansprucht wird. Zum einen sind das die
Naturschützer:innen, denen der Ski-Rummel im Winter zu groß ist, weil er
die letzten Auerhühner des Schwarzwalds bedroht. Zum anderen sind das die
Touristiker:innen, die versuchen, den Gipfel als Naturerlebnis zu
verkaufen, obwohl längst Seilbahnen und eine geteerte Straße hinaufführen.
Beide Gruppen sind sich einig: Windräder haben auf dem Feldberg nichts zu
suchen.
Stefan Falk schaut in sein Smartphone, ihm geht das Ganze zu weit. Feldberg
… Irgendwann nimmt sich Tabea Trost, die Jüngste in der Runde, ein Herz und
sagt: „Wenn wir uns den Feldberg als Ziel setzen, dann kommen wir nicht
weit. Da gibt es zu viel Gegenwehr.“ Es könnten die Worte einer Politikerin
sein, die strategisch überlegt, wie sie am Besten ans Ziel kommt.
Der Gruppe ist die Radikalität ihrer Idee offenbar unheimlich geworden.
Dabei hätte genau das auch eine Stärke sein können: einen provokanten,
vielleicht sogar utopischen oder unpopulären Vorschlag zu machen. Die
Bürger:innen müssen, anders als Politik:innen, keine Rücksicht auf eine
mögliche Wiederwahl nehmen.
## Was werden die Lokalpolitiker:innen sagen?
Am fünften Samstag trifft sich der Rat in Stegen, einem Dorf zehn Kilometer
von Freiburg entfernt. Heute müssen die Empfehlungen fertig werden. Die
Gruppe hat noch viel zu tun. Doch an diesem Nachmittag spricht erst mal die
Bürgermeisterin von Stegen ein Grußwort.
Die Politikerin mit der Dauerwelle steht auf der Bühne der Turnhalle, Tabea
Trost, Stefan Falk und Heiko Quappe hören höflich zu. Die Luft ist stickig
an diesem Julitag in der Sporthalle.
„Wir in Stegen machen schon viel gegen den Klimawandel“, sagt die
Bürgermeisterin. Die Gemeinde habe ein Lastenrad angeschafft, das
Bürger:innen kostenlos ausleihen können. Es gebe eine Verdirbnix-Box, um
Lebensmittel zu retten. Und die LED-Straßenlaternen.
Eigentlich müsste nun jemand einschreiten und die Bürgermeisterin fragen,
wie um alles in der Welt ein Lastenrad, ein Lebensmittelschrank und ein
paar Laternen die Klimakrise aufhalten sollen, aber das macht keiner. Die
Bürgermeisterin spricht weiter ihre Werbebotschaft.
Etwas fürs Klima tun, das klingt gut. Vielleicht haben viele Gemeinden auch
nur wegen dieses öffentlichen Drucks an diesem Beteiligungsverfahren
teilgenommen. Welcher Bürgermeister kann es sich schon leisten, als
jemand dazustehen, der das Klima nicht schützen will?
Als die Bürgermeisterin ihre Rede beendet hat, setzen sich Tabea Trost und
Stefan Falk in einen Stuhlkreis. „Unsere Vorstellungen sind noch nicht
konkret genug“, sagt Stefan Falk. „Wir sollten deutlich machen: Außer
Windkraft und Solar haben wir nichts, was uns aus der Klemme hilft.“
Kopfnicken. Das soll in die Präambel, das Vorwort.
Die Präambel beginnt mit den Worten: „Der menschengemachte Klimawandel
zerstört die Lebensgrundlage der gesamten Menschheit.“ Und endet: „Je
länger wir warten, umso dramatischer werden die Auswirkungen und umso
drastischer werden die Maßnahmen sein, dem entgegenzuwirken.“
Am Ende des Tages einigt sich die Windkraft-Gruppe auf vier Punkte. Alle
ausgewiesenen Windkraftflächen sollen sofort genutzt werden, an den
Standorten mit dem meisten Wind zuerst. Die Kommunen sollen Planung und
Genehmigung vereinfachen und zusammenarbeiten. Wo bisher kleinere Windräder
stehen, sollen sie durch größere ersetzt werden. Bürger:innen sollen von
den Erträgen lokaler Anlagen profitieren und mit Kommunikation und
Transparenz soll Windkraftkritiker:innen vor Ort begegnet werden.
Alle Punkte werden bei der Abstimmung angenommen. Nur die Zahl der 270
Windräder aus der Diskussion in der Gruppe steht nicht mehr drin. Sie hätte
ein konkreter Anstoß sein können. Irgendwo, im Laufe der Diskussion, ist
sie verloren gegangen.
Alle Forderungen sind abgestimmt, nun folgt die Bewährung: Wie kommen die
Empfehlungen bei denen an, für die sie entwickelt wurden? Was sagen die
Gemeinderät:innen vor Ort?
Die Kommunen sind diejenigen, die auch das meiste für den Prozess gezahlt
haben. 150.000 Euro hat der Bürger:innenrat etwa gekostet:
Organisation, Moderation, Verpflegung der Teilnehmer:innen. Ein Drittel
haben Sponsor:innen übernommen, zwei Drittel zahlen die 16 Gemeinden.
## Der Rat hat die Teilnehmer:innen verändert
Ein Oktoberabend in Horben, das Dorf liegt auf den ersten Höhen des
Schwarzwalds, nur ein paar Kilometer von Freiburg entfernt, aber Horben ist
eine andere Welt als die Stadt unten im Tal.
Die Gemeinderät:innen hier sind bekannt dafür, dass sie gerne
streiten, und eine Ratssitzung dauert auch mal drei bis vier Stunden. Um
fünf nach sieben fehlen noch drei Ratsmitglieder, denn heute hat ein Haus
gebrannt und die Ratsmitglieder sind auch Feuerwehrleute.
Dann kommen die drei fehlenden Ratsmitglieder rein, und es geht los. Vorn
steht ein Vertreter des Klimabürger:innenrates im Horbener
Gemeinderat und stellt das Gutachten vor. Der Mann trägt ein blaues Sakko,
eine beige Hose und er klimpert vor Aufregung mit einem Schlüsselbund in
der Hosentasche. Er sagt: „Ich bin ja eigentlich Freiburger und wohne erst
seit Kurzem in Horben.“
Das kommt nicht gut an, denn der Zuzug aus Freiburg verteuert die Horbener
Immobilienpreise. Und dann sagt er: „Ich habe auch die Schweizer
Staatsbürgerschaft.“ Auch das kommt nicht gut an, ein Seufzen in der Runde,
denn es gibt Schweizer:innen, die sich Ferienwohnungen in Horben kaufen und
ihre Wohnungen die meiste Zeit des Jahres leer stehen lassen.
Der Mann merkt nicht, wie sich die Stirn einiger Rät:innen längst in
Falten gezogen hat, also erzählt er munter weiter, dass er als Biologe
nachweisen konnte, dass die Fledermäuse keine Probleme mit Windrädern haben
und dass er sich auch sehr gut mit Solaranlagen auskenne, denn er habe in
einer Firma mal ein Praktikum gemacht. Hier spricht kein Bürger, hier
spricht ein Experte. Und die Mitglieder des Gemeinderates sitzen da wie
Schüler:innen, denen Nachhilfeunterricht erteilt wird.
## Der Bürgermeister ist skeptisch
Der Mann gehört zur Gruppe „Solaranlagen auf Freiflächen.“ Er führt aus,
dass es in Horben viele Wiesen gebe, auf denen man Solaranlagen aufstellen
könnte. „Das geht sogar bei einer Neigung bis zu 45 Grad, wie Sie die hier
haben“, sagt er und meint damit die Bergwiesen des Dorfes. „Das sollten Sie
machen.“
Dann ist er fertig und der Bürgermeister, der bei den Grünen ist, was er
aber nicht so oft sagt, denn in Horben sind die meisten Einwohner:innen
sehr konservativ, räuspert sich. „Das ist ja schön und gut, was Sie da
sagen und es ist wichtig, dass wir hier darüber diskutieren“, sagt er.
„Aber haben Sie mal die Verordnung zur Öffnung der Ausschreibung für
Freiflächen Photovoltaikanlagen für Gebote auf Acker- und Grünflächen in
benachteiligten Gebieten gelesen?“ Das sagt er, ohne dabei in seine Notizen
zu schauen.
Der Bürgermeister erklärt dann, warum es so gut wie unmöglich sei, in
Horben eine Photovoltaik-Anlage auf eine Wiese zu setzen und er wirft mit
den Begriffen Umweltprüfung, artenschutzrechtliche Prüfung, Änderung des
Flächennutzungsplanes und Ausgleichsmaßnahmen um sich. Es mache einfach
keinen Sinn, so etwas für Horben zu fordern, sagt er.
Die Projekte scheiterten an der Bürokratie. „Die Verfahren müssen einfacher
werden, haben Sie daran mal gedacht?“, sagt der Bürgermeister. „Ja, das
haben wir“, sagt der Mann vom Klimarat. Immer wieder stehe im Gutachten,
dass Planungs- und Genehmigungsverfahren vereinfacht und beschleunigt
werden sollen.
Nur sind die Adressatinnen des Gutachtens die 16 Gemeinden – und die können
keine Gesetze ändern. Sie können höchstens versuchen, über persönliche
Kontakte oder über den Gemeindetag Druck auf die Landes- und Bundespolitik
auszuüben.
Hat sich der Rat also an die Falschen gewandt? Bräuchte es eher
Empfehlungen ans Bundesland?
Wenn es nach dem Horbener Ratsmitglied vom Anfang geht, dann war der
Klimabürger:innenrat eine Enttäuschung. „Was Sie uns da vorgestellt
haben, das wussten wir längst.“ Nicht nur Zeit, sondern auch Geld sei
verschwendet worden. „Mit den 100.000 Euro hätte man eine Solaranlage
kaufen können. Dann wäre das Geld wenigstens sinnvoll investiert worden“,
sagt er.
Die Teilnehmer:innen des Rates stellen dem Format hingegen ein gutes
Zeugnis aus. In einer Umfrage sagte eine Mehrheit: „Der
Klimabürger:innenrat hat meinen Glauben in unsere Demokratie
gestärkt.“
Was von beidem wiegt mehr? Eine dritte Sicht könnte auch stimmen.
Vielleicht waren die Erwartungen an den Rat einfach zu hoch. Die
Klimakrise lösen, die Demokratie retten, das kann kein Rat der Welt an
fünf Samstagen schaffen. In Irland debattierten die Mitglieder der
Citizens’ Assembly fünf Monate lang, bevor sie eine Empfehlung zum Thema
Abtreibung gaben.
Die Klimakrise kann man nicht zu einer moralischen Frage verdichten, die
sich mit Ja oder Nein beantworten ließe. Um Lösungen zu finden, muss man
ihre Komplexität verstehen, Puzzleteile zusammensetzen und trotzdem das
große Ganze im Blick haben. Das haben die Teilnehmer:innen gemerkt. Und
wenn Kommunalpolitiker:innen nur auf Schwierigkeiten und
Zuständigkeiten verweisen, müsste doch einigen klar werden, dass es so
nicht weitergehen kann.
Was bleibt also vom ersten interkommunalen Klimabürger:innenrat
Deutschlands? Der Prozess ist noch nicht vorbei. Im Dezember soll es ein
Treffen der Kommunen geben. Dabei wollen die Bürgermeister:innen
überlegen, wie sie die Empfehlungen des Rates umsetzen können.
Und auch die Teilnehmer:innen haben sich in den Monaten verändert.
Tabea Trost will sich weiterhin für den Klimaschutz engagieren. Heiko
Quappe schwärmt für Geothermie. Und Stefan Falk hat wieder eine neue Idee.
Er möchte in seiner Heimatstadt eine Energiegenossenschaft gründen und
Photovoltaikanlagen beauftragen. Eine Sammelbestellung will er anschieben,
möglichst viele sollen mitmachen.
7 Nov 2022
## LINKS
[1] https://www.umweltbundesamt.de/themen/nachhaltigkeit-strategien-internation…
[2] /Ausbau-von-Windkraft/!5870614
[3] /Buergerinnen-gestalten-Klimapolitik/!5782872
[4] /Buergerraete-mischen-sich-ein/!5812973
[5] https://www.buergerrat-regionfreiburg.de/
[6] https://www.allwedo.eu/post/klima-b%C3%BCrger-innen-rat-region-freiburg
## AUTOREN
Jannik Jürgens
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zögerlich.
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