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# taz.de -- Linkenpolitikerin übers Wohnen: „Neubau wird die Not nicht löse…
> Geldwäsche, Steuerprivilegien und ein vergesslicher Staat: Der deutsche
> Wohnungsmarkt hat einige Probleme. Caren Lay hat Lösungsvorschläge.
Bild: In den 1960er Jahren ging Wohnungspolitik noch sozialer – selbst unter …
taz: Frau Lay, spielen Sie „Monopoly“? Oder ist das ein No-Go für eine
linke Wohnungspolitikerin?
Caren Lay: Ich habe das als Kind ein-, zweimal gespielt. Es war aber nie
mein Lieblingsspiel.
Warum greift der Titel Ihres Buches „Wohnopoly“ dieses Spiel dann auf?
Die Grundprinzipien von „Monopoly“, nämlich möglichst viele Immobilien zu
erwerben und die anderen bankrottgehen zu lassen, das beschreibt eigentlich
sehr genau die ungeschriebenen Gesetze unseres Wohnungsmarkts. Gleichzeitig
habe ich während der Recherche gelernt, dass das ursprüngliche Spiel auch
andere Spielregeln hatte.
Ach ja?
Es gab früher zwei Varianten. Das eine war „Monopoly“, ich sage jetzt mal:
die böse Variante. Und dann gab es die gute Variante, die hieß
„Prosperity“. Dort mussten alle Spielerinnen und Spieler ihren Wohlstand
gemeinsam mehren. Es ging nicht um Spekulation oder darum, die anderen
auszustechen. Das wünsche ich mir auch für unseren Wohnungsmarkt: Wir
brauchen mehr Gemeinwohl statt Profitgier. Die heutige Situation ist einer
reichen Gesellschaft überhaupt nicht angemessen. Es betrifft ja nicht nur
Obdachlose und Geringverdiener. Selbst Leute aus der Mittelschicht haben
heute Angst, aus ihren Wohnungen zu fliegen.
In Ihrer Analyse der deutschen Wohnungspolitik schreiben Sie an einer
Stelle, man könnte Konrad Adenauer heute fast als Sozialisten bezeichnen.
Wieso das?
Das war auch für mich überraschend! Der Wohnungsmarkt war in den 1950er bis
in die 1960er Jahre sehr stark reguliert. Und in ausgewählten Städten, in
Hamburg bis in die 70er, in Westberlin bis in die Achtzigerjahre, gab es
eigentlich das, was die Bewegung heute fordert: einen Mietenstopp oder
Deckel für Altbauten. Wenn das heute jemand will, wird das gleich als
linksradikal abgetan. Aber: Das ist kein sozialistisches Hexenwerk, das hat
es alles schon mal gegeben.
Warum konnte Immobilienspekulation zu so einem großen Problem werden?
Seit Mitte der 1960er Jahre wurde der Wohnungsmarkt peu à peu dem Markt
überlassen. Das war ein schwerer politischer Fehler. Dazu kam die
Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit, was im Interesse der privaten
Wohnungswirtschaft erfolgte und auch den Rückgang im sozialen Wohnungsbau
zur Folge hatte. Was aber viele nicht auf dem Schirm haben, sind die
Steuerreformen unter Gerhard Schröder. Die haben erst dazu geführt, dass
große internationale Fonds den deutschen Wohnungsmarkt geentert und in
großem Maßstab Wohnungen der Kommunen aufgekauft haben.
Dass Investoren in den deutschen Wohnungsmarkt drängten, geht auf das Konto
von Schröder. Der Verkauf der landeseigenen GSW in Berlin ist unter Rot-Rot
passiert – ausgerechnet Parteien des linken Spektrums.
Genau. Eine rot-grüne Regierung hat die großen Konzerne auf den deutschen
Immobilienmarkt eingeladen. Und die spektakulärsten Privatisierungen der
Republik, in Dresden war es damals die Gagfah, in Berlin die GSW, sind mit
Zustimmung der PDS passiert. Bei der Privatisierung der GSW hat die PDS
damals geschlossen die Hand gehoben. Es gab keinen Widerstand im Parlament.
Privatpersonen sind die größte Vermietergruppe. Die öffentliche Debatte
wird aber von bösen Immobilienhaien dominiert. Müsste man verbal etwas
abrüsten, um die Mieterbewegung breiter aufzustellen?
Unbedingt. Wenn die Linke im Parlament einen Vorschlag macht, dann sagt die
CDU gleich: Oma Else verliert jetzt ihr Haus. Aber Oma Else ist Teil von
uns. Wir kämpfen auch für ihre Rechte. Wir müssen Teile der Mittelschichten
für uns gewinnen, ohne an der Radikalität der Forderungen zu sparen. In
Wien sind weite Teile der Mittelschicht ohne Umschweife für die
Gemeinnützigkeit, weil sie selbst davon profitieren.
Professionelle private Wohnungsunternehmen haben [1][nur einen Marktanteil
von rund 12 Prozent]. Wie konnten die eine solche Macht entfalten?
Die Macht der großen Konzerne besteht darin, dass man in vielen Städten und
Regionen, wo Massenprivatisierungen stattgefunden haben, nicht um sie
herumkommt. Das ist im Ruhrgebiet so, [2][das gilt aber auch für Berlin]
oder Dresden. Sie halten die Marktmacht vor allem im Segment für
Geringverdiener. Ihr Ziel besteht aber darin, möglichst hohe Dividende an
die Aktionäre auszuschütten.
Dass börsennotierte Konzerne kein Interesse am Gemeinwohl haben, verstehe
ich. Aber was ist mit dem Rest? [3][Die Zahl der Sozialwohnungen sinkt seit
Jahren]. Wie konnte die Politik das zulassen?
Das ist die Gretchenfrage. Seit sechs Jahren sagen eigentlich alle
Parteien, dass Wohnen die soziale Frage unserer Zeit ist. Selbst Horst
Seehofer sagt das. Aber es ändert sich nichts.
Warum?
Die Bundespolitik hat vergessen, dass sie für Wohnungspolitik zuständig
ist, und hat die Verantwortung dem Markt überlassen. Zweitens sind viele
Mitglieder der politischen Klasse nicht in dem Maße von dem Mietenwahnsinn
betroffen. Es spielt aber eine Rolle, welche Perspektive man auf das Thema
hat. Hinzu kommt: Lobbyismus hat nicht nur Einfluss auf die Gesetzgebung,
sondern auch auf den politischen Diskurs.
Wie meinen Sie das?
Vertreter der Immobilienwirtschaft werden von der Bundesregierung [4][viel
öfter eingeladen als Mieterverbände]. Diese Treffen finden in Banken am
Pariser Platz oder in teuren Hotels statt, nicht in der Hochhaussiedlung am
Stadtrand. Deswegen setzen sich die Interessen der Wenigen auch in der
Meinungsbildung durch. Zudem spielen Vorurteile eine Rolle. Manche Kommunen
bauen lieber teure Lofts als Sozialwohnungen in der Hoffnung auf mehr
Steuereinnahmen. Arme Menschen werden hingegen als Kostenfaktor betrachtet.
Diese Ausgrenzung ist politisch gewollt.
Es heißt auch, im Immobilienbereich wird viel Geld gewaschen.
Deutschland gilt als ein Paradies für Geldwäsche! Unsere intransparenten
deutschen Grundbücher sind quasi eine Einladung, Geld in Immobilien zu
verstecken. Und: Bis heute kann man in Deutschland ein Haus mit Bargeld
kaufen.
Das zumindest möchte die Ampelregierung ändern …
Hat sie aber noch nicht. Beraterinnen und Berater der Sparkassen haben mir
von Fällen erzählt, dass sie monatelang eine Familie bei der Finanzierung
unterstützt haben und kurz vor dem Notartermin kommt irgendjemand und
stellt einen Koffer mit mehr Geld auf den Tisch. Wie im Film. Es ist gut
möglich, dass das schmutziges Geld aus Waffen- und Drogenhandel oder
Zwangsprostitution ist. Es gibt Schätzungen, dass bis zu 20 bis 25
Milliarden Euro im Jahr in Immobilien versteckt werden.
Finanzminister Christian Lindner hat angekündigt, stärker gegen Geldwäsche
vorzugehen. Haben Sie sich bei ihm gemeldet?
Nein. Und ich habe ihn bisher nicht als einen Partner im Kampf der
Mieterinnen und Mieter für bezahlbares Wohnen gesehen, sondern als
jemanden, der ohne Umschweife die Interessen der Immobilienwirtschaft
vertritt. Nichtsdestotrotz ist Geldwäsche ein wichtiges Thema. Ich warte
mal den Gesetzesentwurf ab.
[5][Die Regierung setzt vor allem auf Bauen], weniger auf Mieterschutz.
Das stimmt. Aber Neubau alleine wird die Wohnungsnot nicht lösen, die
Spekulation mit Immobilien muss beendet werden. Und die guten Ansätze, wie
die Wiedereinführung der Wohngemeinnützigkeit, scheinen eher zu einem
Nischeninstrument zu verkommen. Sinnvoll wäre es, wenn wie früher in der
Bundesrepublik 30 Prozent der Wohnungen oder wie in der Stadt Wien heute 60
Prozent der Wohnungen gemeinnützig sind. Wir müssen den Mut haben, wieder
in den Markt einzugreifen und stärker zu regulieren.
Manche wollen es radikaler. In Berlin haben 59 Prozent für die Enteignung
großer Immobilienkonzerne gestimmt. Die Linke unterstützt dieses Vorhaben.
Ich hoffe sehr, dass Berlin den Willen der Wähler nicht übergeht und die
Vergesellschaftung auch umsetzt. Ich sehe aber noch zwei andere
Möglichkeiten für den Bund.
Nämlich?
Zuallererst müssen wir den großen Konzernen und Fonds ihre
Steuerprivilegien nehmen. Wir haben da völlig verkehrte Verhältnisse.
Diejenigen, die das meiste aus den Mieterinnen und Mietern pressen, werden
steuerlich belohnt. Das muss sich ändern. Zudem müsste man ihnen mit einem
Mietendeckel die Möglichkeit nehmen, sich auf Kosten der Mieter zu
bereichern.
Und das Zweite?
Es gibt einen interessanten Vorschlag von [6][Wirtschaftsprofessor Stefan
Klinski]. Er fordert eine Art Genehmigungspflicht auf dem Wohnungsmarkt.
Denn: Wer darf sich überhaupt an diesem Wohnungsmarkt beteiligen? Ich
finde, dass Konzerne und Fonds nicht dazugehören, Wohnen ist ein
Grundrecht. Man muss ihnen die Zulassung entziehen und ihnen eine Frist zum
Verkauf einräumen. Es sollten nur Leute Grund erwerben dürfen, die hier
ihren Hauptwohnsitz haben.
28 Sep 2022
## LINKS
[1] https://www.bmwsb.bund.de/Webs/BMWSB/DE/themen/stadt-wohnen/wohnungswirtsch…
[2] /Studie-zum-Wohnungsmarkt-in-Berlin/!5723793
[3] /Ruecklaeufiger-Trend/!5858502
[4] /Treffen-mit-Ampel-Regierung/!5855170
[5] /Experte-ueber-Wohnungspolitik/!5863156
[6] /Neue-Idee-fuer-Berliner-Mietenmarkt/!5850965
## AUTOREN
Jasmin Kalarickal
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