# taz.de -- Berlin als Vorbild: Hanseatische Enteignung | |
> Die Volksinitiative „Hamburg enteignet“ startet: Profitorientierte | |
> Wohnungskonzerne mit mehr als 500 Wohnungen sollen vergesellschaftet | |
> werden. | |
Bild: Will die Gewinne des Immobilienkonzerne einkassieren: Die Volksinitiative… | |
HAMBURG taz | An ein neues Bild sollen sich die Hamburger:innen in den | |
kommenden Monaten auf öffentlichen Plätzen, bei Flohmärkten, auf | |
Demonstrationen oder dem Wochenmarkt gewöhnen: Menschen in magentafarbenen | |
Warnwesten, die gutgelaunt Unterschriften sammeln. [1][Aus Berlin kennt man | |
das Bild schon], nur waren die Westen Hunderter Aktivist:innen dort in | |
Gelb und Weinrot gehalten. | |
[2][Nach dem Berliner Vorbild „Deutsche Wohnen & Co enteignen“], die nach | |
mehrjähriger Arbeit eine erfolgreiche Volksabstimmung über die Enteignung | |
großer profitorientierter Wohnungskonzerne durchdrückte, ging am Donnerstag | |
in Hamburg die Volksinitiative „Hamburg enteignet“ an den Start. | |
Die Kampfansage der Aktivist:innen ist deutlich: Alle privaten, | |
profitorientierten Wohnungskonzerne auf dem Hamburger Markt sollen | |
enteignet werden, wenn sie mehr als 500 Wohnungen besitzen. In der Summe | |
dürfte es damit um bis zu 100.000 Wohnungen gehen. Das entspricht rund zehn | |
Prozent aller Wohnungen in der Stadt. | |
„Uns geht es nur um die dicken Fische“, betont Hanno Hinrichs, einer der | |
Sprecher der Initiative. In Hamburg sind das etwa die Immobilienkonzerne | |
Akelius, Heimstaden oder Vonovia. | |
## „Gescheiterte Wohnungspolitik“ | |
Wer etwa aus der Vermietung von zwei, drei Wohnungen seine Rente bestreite, | |
sei davon hingegen nicht betroffen. Ausgenommen sind ebenfalls die | |
Wohnungsgenossenschaften und das städtische Wohnungsunternehmen Saga. „Die | |
Saga ist nicht unser Gegner“, sagt Hinrichs. | |
Notwendig sei die Enteignung, weil die Versorgung der Hamburger Bevölkerung | |
mit bezahlbarem Wohnraum kaum mehr gesichert sei – seit Jahren stiegen die | |
Mieten in Hamburg, ohne dass bislang ein Ende in Sicht sei. „Die Situation | |
spitzt sich immer weiter zu“, sagt Initiativen-Sprecherin Marie Kleinert. | |
Zu wenig unternehme der Hamburger Senat gegen diese Entwicklung: „Dessen | |
Wohnungspolitik ist gescheitert“, sagt Kleinert. | |
[3][Seit 2011 gibt es das Hamburger Bündnis für das Wohnen], um jedes Jahr | |
mehrere Tausend Wohnungen nicht nur zu genehmigen, sondern sie auch | |
fertigzustellen. Sie sollen dem wachsenden Zuzug nach Hamburg Rechnung | |
tragen, aber auch dämpfend auf die Mietpreisentwicklung einwirken. | |
Ins Boot holte der Senat dafür die Wohnungswirtschaft und die sieben | |
Hamburger Bezirke. Der Deal: Die Stadt sorgt für ausreichend Bauflächen, | |
dafür baut die Wohnungswirtschaft jährlich genügend Wohnungen – wovon ein | |
Drittel günstiger Wohnraum mit einer Preisbindungsfrist von 30 Jahren ist. | |
## Profitieren sollen alle Hamburger Mieter:innen | |
„Dieser Drittelmix wird jedoch nicht mehr umgesetzt“, sagt Kleinert mit | |
Verweis auf jüngst veröffentlichte Zahlen – von 7.500 im vergangenen Jahr | |
fertiggestellten Wohnungen waren nur 1.900 Sozialwohnungen. Hinzu kommt: in | |
Hamburg fallen jährlich mehr Wohnungen aus der Preisbindung, als neue | |
fertiggestellt werden. | |
Richten soll es nun das von den Aktivist:innen anvisierte | |
Vergesellschaftungsgesetz. Die Wohnungsbestände sollen gegen eine geringe | |
Entschädigung in die Hand einer Anstalt öffentlichen Rechts überführt | |
werden. Statt Gewinne zu erwirtschaften und sie an Aktionäre auszuschütten, | |
sollen die Mieten verringert werden. „Über den dadurch sinkenden | |
Mietenspiegel profitieren letztlich alle Hamburger Mieter:innen davon“, | |
sagt Kleinert. | |
Klar machen die Aktivist:innen aber auch: Um den Neubau von günstigem | |
Wohnraum geht es der Volksinitiative nicht, das sei eine weitere Baustelle | |
in der Wohnungspolitik. | |
Gelassen reagieren die Aktivist:innen auf den Hamburger | |
Verfassungsschutz, der vor dem Start der Unterschriftensammlung der | |
Initiative in die Parade fahren wollte: Am Mittwoch verschickte er eine | |
Mitteilung, in der er vor der Initiative warnt: Daran würden sich | |
„linksextremistische“ Gruppen beteiligen – namentlich die | |
Interventionistische Linke. Die wolle im Fokus zahlreicher Menschen | |
stehende Probleme wie die Mietpreiskrise nur für eigene Zwecke nutzen. „Wir | |
sind nicht verdächtig, wir machen nur von unserem Recht Gebrauch“, sagt | |
Hinrichs. Inakzeptabel sei die Einmischung des Verfassungsschutzes dennoch. | |
## Noch ein langer Weg zum Ziel | |
Im ersten Schritt müssen die Aktivist:innen innerhalb der kommenden | |
sechs Monate 10.000 Unterschriften sammeln. Sollte die Bürgerschaft | |
anschließend – wovon auszugehen ist – den Gesetzentwurf nicht | |
verabschieden, kann die Initiative ein Volksbegehren beantragen: Dann | |
brauchen sie innerhalb von drei Wochen die Unterstützung von fünf Prozent | |
der wahlberechtigten Hamburger:innen. | |
Lehnt die Bürgerschaft das Vorhaben anschließend erneut ab, käme es zum | |
Volksentscheid, über den alle wahlberechtigten Hamburger:innen | |
abstimmen können – das könnte parallel zur nächsten Bürgerschafts- oder | |
Bundestagswahl in 2025 der Fall sein. | |
Als wahrscheinlich gilt darüber hinaus, dass der Hamburger Senat Zweifel an | |
der Verfassungsmäßigkeit des Vorhabens anmelden wird und Klage vor dem | |
Hamburgischen Verfassungsgericht einreichen wird. | |
Bis zum ausgerufenem Ziel ist es jedoch ein mühsamer Weg. Das zeigt auch | |
das Berliner Vorbild: Zwar stimmte dort im vergangenen Jahr eine deutliche | |
Mehrheit der Wähler:innen für die Enteignung, doch berät noch eine | |
Expert:innenkommission, ob sich der Entscheid überhaupt umsetzen | |
lässt. Im kommenden Jahr wird mit einem Ergebnis gerechnet. | |
15 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Enteignungsvolksentscheid-in-Berlin/!5803784 | |
[2] /Enteignungsvolksentscheid-in-Berlin/!5803784 | |
[3] /Wohnungsbau-in-Hamburg/!5852471 | |
## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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