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# taz.de -- Ausverkauf der Stadt: Die Hypothek der Linken
> Vor 20 Jahren verkauft Rot-Rot die landeseigene GSW mit über 65.000
> Wohnungen. Eine Scheiß-Entscheidung, sagt der damalige Wirtschaftssenator
> heute.
Bild: Das lacht das Investorenherz: Die GSW-Wohnungen gingen 2004 zum Stückpre…
Berlin taz | Es ist ein Jahrestag, den kaum jemand in Berlin feiern dürfte.
Vor genau 20 Jahren beschloss der damalige rot-rote Senat den Verkauf der
ehemals Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft (GSW). Fast
66.000 kommunale Wohnungen werden damit vom Land an Immobilieninvestoren
verschleudert.
Harald Wolf braucht nicht viele Worte, um den Beschluss vom 25. Mai 2004
aus heutiger Sicht einzuordnen. „Es war eine Scheiß-Entscheidung“, sagt er
zur taz. Wolf ist damals Wirtschaftssenator. Seine Partei, die PDS, heute
Linke, wird 2002 zum Juniorpartner der SPD, die mit Klaus Wowereit den
Regierenden Bürgermeister stellt. In ihren Koalitionsvertrag schreiben
beide Parteien: „Aus Gründen der Vermögensaktivierung ist die Veräußerung
einer Wohnungsbaugesellschaft oder von Wohnungsbeständen unumgänglich.“
Auch weil für Berlin die Hilfen, die den Westteil der Stadt im Kalten Krieg
überlebensfähig gehalten hatten, wegfallen sind, klafft eine Lücke im
Haushalt. [1][Bereits in den 90er Jahren privatisiert das Land den Berliner
Gasversorger vollständig], verkauft Teile der Wasserbetriebe und des
landeseigenen Stromversorgers.
Die landeseigenen Wohnungsunternehmen werden schon damals zur Sanierung der
Finanzen gemolken. Sie müssen einen Teil der Überschüsse an den Haushalt
abführen. Annette Fugmann-Heesing, SPD-Finanzsenatorin in der schwarz-roten
Landesregierung unter CDU-Chef Eberhard Diepgen, generiert noch weitere
Erträge. Kommunale Wohnungsbaugesellschaften müssen sich untereinander
aufkaufen, die Erlöse fließen ans Land.
## Motto: Sparen, bis es quietscht
Damit entzieht das Land den Gesellschaften das Eigenkapital in
Milliardenhöhe und zwingt sie, weitere Bestände zu verkaufen. Ein Großteil
der Mieteinnahmen wird Ende der 90er nur noch für Zinsen und Tilgung
verwendet.
Die Gehag, unter anderem Erbauerin der Neuköllner Hufeisensiedlung, wird ab
1998 in zwei Schritten komplett privatisiert. Auch die GSW ist schon 1999
zu Zeiten des Rot-Rot vorangegangenen Diepgen-Senats zum Verkauf
freigegeben.
Die ohnehin angespannte Finanzlage des Landes spitzt sich ab dem Jahr 2000
noch zu. Infolge des Berliner Bankenskandals muss das Land mit einer
Kapitalzuführung und der Übernahme von Milliardenrisiken aus den
Immobiliengeschäften der Bank einspringen.
Eine erfolgreiche Verfassungsklage der Opposition gegen den von SPD und PDS
vorgelegten Landeshaushalt zwingt die noch verhältnismäßig neuen
Regierungspartner schließlich zu weiteren Einsparungen. „Sparen, bis es
quietscht“, ist das von Wowereit ausgegebene und nicht zuletzt von seinem
SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin exekutierte Motto für die kommenden Jahre.
Eigentlich sieht der Vorschlag des Linke-Vorgängers PDS vor, die
Landes-Wohnungsunternehmen in einer Holding zusammenzufassen und 80.000
Wohneinheiten an Genossenschaften statt an Investoren zu verkaufen.
Organisatorisch und wirtschaftlich wäre das machbar gewesen, „bloß mit der
SPD nicht“, sagt Harald Wolf heute.
## Wohnungen zum Schnäppchenpreis
2004 ist es dann im dritten Anlauf soweit. Die GSW mit ihren 65.700
Wohnungen geht für gerade mal 405 Millionen Euro an ein Konsortium der
amerikanischen Immobilienfonds Whitehall und Cerberus. Dabei übernehmen die
Käufer auch die Unternehmensschulden von über 1,5 Milliarden Euro.
CDU und SPD hätten Berlin zwar erst in diese Haushaltsnotlage gebracht. Die
Erwartung an die Wohnungspolitik des Diepgen-Senats sei aber ohnehin
geringer gewesen, meint Wolf. Die Grünen, die als einzige Fraktion im
Abgeordnetenhaus gegen den GSW-Verkauf gestimmt hatten, hätten, so Wolf,
das Glück gehabt, dass sie ihr eigenes Konzept zur Privatisierung von
100.000 Wohnungen nicht umsetzen mussten. So bleibt die PDS. „Der
GSW-Verkauf ist heute [2][allen voran unsere Hypothek]“, sagt der ehemalige
Wirtschaftssenator und Spitzenkandidat seiner Partei bei den
Abgeordnetenhauswahlen 2006 und 2011.
Aber, sagt Wolf, immerhin habe man daraus gelernt. Als 2005 die
landeseigene WBM kurz vor der Insolvenz steht und erneut Tausende Wohnungen
verkauft werden sollen, habe sich seine Partei erfolgreich dagegen
gestellt. Im Zuge der Neuauflage von Rot-Rot nach der Wahl von 2006
verhandelt sie in den Koalitionsvertrag dann auch den Passus, dass
Blockverkäufe an große Investmentgesellschaften künftig ausgeschlossen
sind.
Zur selben Zeit wird in Dresden das kommunale Wohnungsunternehmen WOBA mit
fast 50.000 Wohnungen an die amerikanische Investmentgesellschaft Fortress
verkauft – aktiv unterstützt von der PDS. Abgeordnete der Partei stimmen
mit CDU, FDP und SPD der Privatisierung des gesamten städtischen
Wohnungsbestands der sächsischen Landeshauptstadt zu. Am Ende landen die
Wohnungen der GSW und WOBA unter demselben Dach.
## „Pest oder Cholera“
Die Investoren, die in Berlin die GSW gekauft hatten, holen den Kaufpreis
durch eine Neubewertung, den Teilverkauf von Beständen und die Ausschüttung
einer Sonderdividende schnell wieder rein. Obwohl sie sich verpflichtet
hatten, die GSW zehn Jahre lang zu halten, wird schon 2010 der Börsengang
geplant.
Die inzwischen in Linke umbenannte PDS stimmt erneut zu, weil ein Nein den
Verkauf nur aufgeschoben hätte und eine Zerschlagung drohte, sagt Wolf.
„Pest oder Cholera“ seien damals die Optionen gewesen. 2013 übernimmt die
Deutsche Wohnen die GSW, 2021 übernimmt Vonovia die Deutsche Wohnen.
Über 200.000 der fast 500.000 öffentlichen Wohnungen sind in den Jahren
zwischen 1990 und 2005 in Berlin privatisiert worden. Angesichts der
Verheerungen, die sich seit Jahren auf dem Berliner Wohnungsmarkt zeigen,
haben selbst die aktuellen Regierungspartner CDU und SPD 2023 in ihrem
Koalitionsvertrag das Ziel vereinbart, den kommunalen Wohnungsbestand
schrittweise wieder auf eine halbe Million Wohnungen zu erhöhen.
„Ich hätte damals nie gedacht, dass 20 Jahre später Berlin dort steht, wo
es nun ist“, sagt Linken-Politiker Wolf. „Wir haben auch unterschätzt, dass
wir es bei den finanzmarktorientierten Immobilienunternehmen mit einem
neuen Typ zu tun hatten, der sich von den traditionellen Vermietern stark
unterscheidet.“
## Rückkauf als Ziel der Linken
Mit Privatisierungen wie bei der GSW erhielten Finanzinvestoren nicht nur
eine vergoldete Eintrittskarte in den Berliner Wohnungsmarkt. Auch der
verbleibende kommunale Wohnungsbestand der Hauptstadt geriet in Schieflage.
Der Großteil der ehemaligen GSW-Einheiten liegt in den Westbezirken. Somit
konzentriert sich seither vor allem in Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg
das Gros der kommunalen Wohnungen.
Spätestens in den 2010er Jahren hat der Wohnungsmarkt in der Hauptstadt
eine andere Richtung eingeschlagen. Die Linke selbst gibt vor der
Abgeordnetenhauswahl 2016 das Ziel aus, die GSW-Wohnungen zurückzukaufen.
Und tatsächlich kommt während der ersten Koalition aus SPD, Linken und
Grünen 2019 in Spandau und Reinickendorf [3][ein Teil der Bestände wieder
in landeseigenen Hände].
„Die Fehler, die in der Vergangenheit mit dem Verkauf dieser Bestände
gemacht wurden, können wir nicht rückgängig machen, wohl aber den Mietern
die Sicherheit zurückgeben“, sagte die damalige
[4][Linke-Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher] bei der
Rekommunalisierung.
2021 konnten weitere ehemalige GSW-Wohnungen am Kottbusser Tor bei einem
Deal, den die SPD anlässlich der Übernahme der Deutsche Wohnen durch
Vonovia ausgehandelt hatte, zurück in den Besitz der Landeseigenen geholt
werden.
## Kampf um das verspielte Vertrauen
Die Rückkäufe sind umstritten. Von heruntergewirtschafteten
Schrottimmobilien ist die Rede und von überhöhten Kaufpreisen. Für
GSW-Wohnungen, die 2004 noch inklusive Schulden zum Stückpreis von rund
30.000 Euro verkauft worden sind, musste beim Rückkauf ein Vielfaches
hingelegt werden.
Zugleich stimmt 2021 in einem Volksentscheid eine Mehrheit für einen
anderen Weg: die Vergesellschaftung der Wohnungsbestände
renditeorientierter Konzerne und damit auch jene der GSW. „Der starke
[5][Einsatz der Linken für Deutsche Wohnen & Co enteignen] lässt sich auch
darauf zurückführen, eigene Fehler zurückdrehen zu wollen“, sagt Niklas
Schenker.
Er ist seit 2021 wohnungspolitischer Sprecher der Linksfraktion im
Abgeordnetenhaus. Mit dem GSW-Verkauf hat der 1993 Geborene schon allein
biografisch nichts mehr zu tun, allerdings mit den Konsequenzen. Schenker
sagt: „Die Linke musste über viele Jahre das Vertrauen der
mietenpolitischen Bewegung zurückgewinnen.“
Der Linke-Politiker meint aber auch, dass für eine junge Generation der
Mietenbewegung der GSW-Verkauf heute eine geringere Rolle spiele. „Für jene
ist unsere Hypothek als Linke viel eher, dass wir trotz
Regierungsbeteiligung den Volksentscheid ‚Deutsche Wohnen & Co enteignen‘
nicht umsetzen konnten.“
## Lernen von der KPÖ
Der GSW-Verkauf und die Auseinandersetzungen mit Blick auf den
Volksentscheid habe letztlich auch jene in der Partei bestärkt, die einer
Regierungsbeteiligung an der Seite der SPD schon immer kritisch
gegenüberstanden. „Die Linke ist heute eine andere Partei. Wir würden wohl
eher nicht wieder mit wehenden Fahnen in eine Regierungsbeteiligung gehen“,
sagt Schenker.
Auch programmatisch habe sich die Linke in den vergangenen 20 Jahren
verändert. „2004 hatte die Wohnungspolitik nicht ansatzweise den
Stellenwert, den sie heute in der Linken hat.“ Seiner Meinung nach sollte
sich die Linke in Berlin aber noch stärker auf dieses Thema fokussieren.
Von den [6][Wahlerfolgen der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ)]
könne man lernen, wie mit einem solchen Fokus auch an der Wahlurne Erfolge
gefeiert werden können. Die konkreten Forderungen müssten dabei zusammen
mit Mietern und ihrer Bewegung entwickelt werden. Für Schenker steht fest:
„Letztendlich haben wir aus der Regierungsbeteiligung gelernt, dass wir
allein am politischen Verhandlungstisch unsere Forderungen nicht
durchsetzen können.“
25 May 2024
## LINKS
[1] /Kommunale-Unternehmen-in-Berlin/!5549157
[2] /Linkenpolitikerin-uebers-Wohnen/!5880216
[3] /Abgeordnetenhaus/!5570184
[4] /Nach-Ruecktritt-von-Senatorin-Lompscher/!5699971
[5] /Deutsche-Wohnen-Enteignen/!6003284
[6] /Wahlerfolg-der-Kommunisten-in-Salzburg/!5997199
## AUTOREN
Yannic Walther
## TAGS
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