# taz.de -- Kommunale Unternehmen in Berlin: Landeseigentum ist sexy | |
> Noch vor 15 Jahren, als Berlin arm war, wurde Landeseigentum | |
> verscherbelt. Nun wird wieder aufgebaut, doch alle Fehler sind nicht zu | |
> reparieren. | |
Bild: Einst im Landeseigentum: die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin | |
BERLIN taz | Was haben Wohnungsbaugesellschaft GSW, Energieversorger Gasag, | |
Stromversorger Bewag, Wasserbetriebe BWB, Königliche Porzellan-Manufaktur | |
Berlin, die Versicherungen Feuersozietät und Öffentliche Leben oder die | |
Landesbank Berlin gemeinsam? Auch periphere Kenner der Landespolitik werden | |
es erahnen: Alle wurden durch das Land Berlin verkauft bzw. teilverkauft. | |
Ab Mitte der 1990er bis Anfang der 2000er Jahre griff die Privatisierungen | |
um sich. Verantwortlich dafür waren vor allem drei Faktoren. | |
Erstens: Die herrschende neoliberale Ideologie, die einen schlanken Staat | |
propagierte und gleichzeitig die Überlegenheit privaten Kapitals pries. | |
Zweitens: Die schlechten Bilanzen vieler staatlicher Unternehmen, die | |
vielfach Schulden anhäuften, und damit die These der überlegenen Privaten | |
stützten. Drittens: Die strukturellen Defizite staatlicher Haushalte, die | |
nicht nur in Berlin zu immer größeren Schuldenbergen führten. | |
Die Stadt war arm; investierte wenig, an allen Ecken wurde – um ein anderes | |
Wowereit-Zitat dieser Zeit zu bemühen – „gespart bis es quietscht“. Der | |
Verkauf von landeseigenen Unternehmen sollte da zumindest kurzfristig Geld | |
in die Stadtkasse spülen. | |
Wäre es nach CDU, FDP oder den Grünen gegangen, hätte sich die Stadt noch | |
von deutlich mehr Unternehmen getrennt. Die Fraktion der Grünen wollte laut | |
einem Beschluss von 2003 auch Messegesellschaft, Stadtreinigung, | |
Verkehrsbetriebe, die Hafen- und Lagergesellschaft Behala und noch mehr | |
Wohnungen verhökern. | |
Der seit 2002 regierenden Koalition aus SPD und Linken-Vorgängerin PDS | |
stand eine komplett vom Dogma der Privatisierungspolitik eingenommene | |
Opposition gegenüber. Ein Bollwerk dagegen waren Sozialdemokraten und | |
Sozialisten nicht. „Ich bin der Auffassung, dass es weder öffentliche | |
Aufgabe ist, Teller und Tassen zu produzieren, noch das | |
Versicherungsgeschäft zu betreiben“, lautet eine viel zitierte Forderung | |
des damaligen PDS-Wirtschaftssenators Harald Wolf. | |
## Der Sündenfall GSW | |
2004 verkaufte Rot-Rot die Wohnungsbaugesellschaft GSW. Treibender Akteur | |
war der damalige SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin, der sein soziales | |
Unvermögen später in Richtung Rassismus kanalisierte. Gegen durchaus | |
kritische Töne aus der eigenen Partei, auch vom heutigen Regierenden | |
Bürgermeister Michael Müller, hatte Sarrazin den Verkauf forciert, und den | |
Kritikern „Besitzstandswahrung“ vorgeworfen. Gern hätte er auch noch die | |
sechs anderen Wohnungsbaugesellschaften verkauft. | |
Wie absurd diese Politik und die damit verbundene Aufgabe staatlicher | |
Steuerungsmöglichkeiten war, lässt sich anhand weniger Zahlen markieren: | |
Die 65.000 GSW-Wohnungen gingen für 405 Millionen Euro und der Übernahme | |
der Altschulden von etwa 1,5 Milliarden Euro über den Tisch – gerade einmal | |
30.000 Euro pro Wohnung. Dafür bekommt man heute kaum eine Abstellkammer. | |
Ein Traumgeschäft für das US-Konsortium, das damals den Zuschlag erhielt, | |
und die Deutsche Wohnen, die Jahre später übernahm. | |
Diese Woche wurde bekannt, dass die [1][Deutsche Wohnen 700 Wohnungen in | |
der Karl-Marx-Allee gekauft hat], für geschätzt 300 Millionen Euro. Der | |
Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg prüft, ob wenigstens 81 dieser Wohnungen | |
über das Vorkaufsrecht gesichert werden können. Der Preis: 30 Millionen | |
Euro. Die Vorstellung wie viel Geld es bräuchte, die Zehntausenden | |
verscherbelten Wohnungen zu heutigen Marktpreisen zurückzukaufen, macht | |
schwindelig. | |
## Nichts ist, wie es war | |
Dass dennoch viel Geld in die Hand genommen wird, um auch nur ein paar | |
Dutzend Wohnungen zurück unter staatliche Kontrolle zu bekommen, zeigt wie | |
sich die Haltung in den vergangenen 15 Jahren verändert hat. Die drei | |
Gründe, die einst die Privatisierungspolitik befeuerten, sind ins Gegenteil | |
verkehrt. | |
Erstens: Die neoliberale Ideologie hat zumindest innerhalb der | |
Mitte-Links-Parteien und großen Teilen der Bevölkerung ausgedient, | |
spätestens seit Beginn der Finanzkrise 2008. Die Heilsversprechen der | |
privaten Wirtschaft haben sich nicht nur nicht erfüllt – nicht selten | |
wurden sie zum Horror für die Kunden. Man frage einmal die MieterInnen zu | |
ihren Erfahrungen mit der Deutschen Wohnen. | |
Zweitens: Die landeseigenen Unternehmen haben es geschafft, profitabel zu | |
werden, getrimmt auf Effizienz, dennoch dem Allgemeinwohl verpflichtet. Der | |
jüngst veröffentlichte Bericht über die 56 Unternehmen, die ganz oder | |
teilweise der Stadt gehören, weist einen Gesamtüberschuss von 706 Millionen | |
im Jahr 2016 aus – ein neuer Rekord, bei gleichzeitigen massiven | |
Investitionen von insgesamt 2,2 Milliarden Euro. | |
Drittens: Durch die Verbindung von Sparpolitik und Wirtschaftsaufschwung | |
hat sich die Einnahmesituation der Stadt so verbessert, dass nun | |
[2][jährlich dicke Überschüsse erwirtschaftet werden], allein zwei | |
Milliarden Euro sind es im laufenden. Der Schuldenstand wurde seit dem | |
Höchststand 2011 mit etwa 63 Milliarden um fünf Milliarden abgebaut (siehe | |
Interview links). | |
## Seit 2012 wird wieder aufgebaut | |
Und plötzlich sind alle für Landeseigentum; für eine Stadt die sich nicht | |
weiter arm macht. Schon ab 2012 begann das Pendel zurückzuschlagen, Berlin | |
versucht verloren gegangenes Tafelsilber zurückzuholen. Für mehr als eine | |
Milliarde Euro wurden die Anteile der Wasserbetriebe gekauft. Die Preise | |
für die Verbraucher sanken massiv und sind stabil, die Investitionen wurden | |
hochgefahren – eine Erfolgsgeschichte. | |
Ebenfalls von SPD und CDU wurde der Aufbau eines [3][kommunalen | |
Stadtwerkes] vorangetrieben, das sich um den Rückkauf von Gas- und | |
Stromnetz bemüht und perspektivisch zum zentralen Energieanbieter werden | |
soll. | |
Dass kommunale Wohnungsbauunternehmen die einzige solide Antwort auf die | |
Mondpreise auf dem Berliner Immobilienmarkt sind, bestreitet heute kaum | |
jemand. Die jetzt 300.000 Wohnungen wollen die Gesellschaften bis 2025 | |
[4][um 100.000 aufstocken], einige davon durch Ankäufe, die meisten durch | |
Neubau. Grundstücksverkäufe durch das Land Berlin 2018? Undenkbar. | |
Der jüngst angekündigte Aufbau eines [5][eigenen von der Bahn unabhängigen | |
S-Bahn-Fuhrparks] zeigt, wie hoch geschätzt Landeseigentum wieder ist. | |
Ganze 3,2 Milliarden Euro nimmt man dafür in die Hand. Das „arme Berlin“ �… | |
momentan nur noch Spuk aus alten Tagen. | |
13 Nov 2018 | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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