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# taz.de -- Berliner Schuldenberg wird kleiner: „Wir reden hier von richtig v…
> Schuldenfrei werden wir alle zu Lebzeiten nicht mehr, ruhig schlafen
> können wir trotzdem. Sagt zumindest Berlins Finanzsenator Matthias
> Kollatz im taz-Interview.
Bild: Das Glas ist halbvoll und voller: dem Land Berlin geht es derzeit richtig…
taz: Herr Kollatz, geben Sie lieber Geld aus oder sparen Sie lieber?
Matthias Kollatz: Alle geben deutlich mehr Geld aus, als sie sparen. Der
durchschnittliche Deutsche spart 10 Prozent seines Einkommens und gibt 90
Prozent aus.
Okay, Sie wollen nicht über sich sprechen. Aber wie hält es denn das Land
Berlin?
Das Problem ist, dass Berlin in der Vergangenheit Geld ausgegeben hat, das
es gar nicht hatte. Teilweise wurden Haushalte zu 20 Prozent aus Schulden
finanziert. Das ist natürlich hochproblematisch. Wenn Berlin jetzt spart,
dann ist das kein klassisches Sparen, sondern vor allem Schuldentilgung.
Wie viele Schulden haben wir denn gerade?
Zum 30. Juni waren es knapp 55 Milliarden Euro am Kapitalmarkt. Dazu kommen
noch rund 3 Milliarden Euro Kredite bei öffentlichen Geldgebern, vor allem
beim Bund und der EU.
Also 58 Milliarden Euro Schulden. Das ist eine Zahl mit 9 Nullen. Wir
werden doch zu unser aller Lebzeiten nicht mehr schuldenfrei.
Darum geht es auch gar nicht.
Ach so?!
Lassen Sie mich das mal mit einem Privatmenschen vergleichen: Es kommt
nicht darauf an, ob Sie in einer Mietwohnung ohne Schulden leben oder in
einer Eigentumswohnung mit Schulden. Entscheidend ist, dass die Ausgaben
mit den Einnahmen beherrschbar sind.
Und die Kosten für 58 Milliarden Euro Schulden sind für Berlin
beherrschbar?
Meine Berater und ich gehen davon aus, dass die Schulden dann beherrschbar
sind, wenn sie nicht mehr als 30 Prozent des regionalen
Bruttoinlandsprodukts betragen. Wir sind jetzt bei 43 Prozent und rechnen
damit, dass wir spätestens zur Mitte der nächsten Wahlperiode die 30
Prozent schaffen.
Also im Jahr 2024. Wie viel weniger Schulden müsste Berlin dann haben?
Das kommt natürlich darauf an, wie sich das Bruttoinlandsprodukt
entwickelt. Nach aktueller Prognose dürften es nicht mehr als 50 Milliarden
Euro sein.
Immer noch eine absurd hohe Summe.
Ja. Aber die Staatsverschuldung der Bundesrepublik liegt bei 1.989
Milliarden Euro. Und ich gehe davon aus, dass Ihnen auch das nicht den
Schlaf raubt. Ich glaube, für die Menschen ist wichtig, dass es sich in die
richtige Richtung bewegt, und in Berlin verbessert sich die Situation nun
schon seit einigen Jahren. Der Schuldenhöchststand lag einmal bei 63
Milliarden Euro im Jahr 2011.
Woher kommen denn überhaupt die hohen Berliner Schulden?
Es gibt drei Hauptfaktoren. Einer ist der Zusammenbruch der Berliner
Bankgesellschaft im Jahr 2001, in die Milliarden an landeseigenem Geld
reingeflossen ist. Das andere große Thema sind die Kosten der Deutschen
Einheit. Berlin war da in der besonderen Situation, dass es auf einmal
alles doppelt hatte – das hat enorme Verwaltungskosten verursacht, denen
keine entsprechenden Einnahmen gegenüberstanden. Die Verwaltung musste von
208.000 auf 104.000 Mitarbeiter abgebaut werden. Erst jetzt legen wir im
Rahmen der wachsenden Stadt wieder zu.
Und Schuldentreiber Nummer drei?
Das ist ein reines Westberliner Thema: der soziale Wohnungsbau. Einer
meiner Vorgänger hat einmal vorgerechnet, dass Berlin das Kunststück
vollbracht hat, den sozialen Wohnungsbau so zu organisieren, dass er 20-mal
so teuer war wie in den anderen Bundesländern.
Wie denn das?
Ich erkläre lieber, wie wir es jetzt besser machen. Wir finanzieren ja
wieder sozialen Wohnungsbau, und da ist klar: Die staatliche Förderung
kommt einmalig am Anfang und ist so konzipiert, dass das Projekt damit
durch den ganzen Lebenszyklus kommt. Es darf kein Fördersystem geben, bei
dem jeden Monat die Miete subventioniert wird. Das führt zu einer
Belastungslawine in der Zukunft.
So war das also früher?
Ja, und das war viel zu teuer.
Wie viele Zinsen zahlen wir denn jedes Jahr auf unsere Schulden?
Wenn man den Gesamtpott betrachtet, liegen wir bei einer Verzinsung von
2,13 Prozent. Wir zahlen aktuell rund 1,3 Milliarden Euro Zinsen pro Jahr.
Als ich hier 2014 anfing, waren es noch 2 Milliarden Euro. Damals haben wir
16 Prozent unserer Steuereinnahmen für Kreditzinsen ausgegeben. Jetzt sind
es 6 Prozent.
Im Moment sind die Zinsen ja auch historisch niedrig. Haben Sie keine Angst
vor Zinssteigerungen?
Die Phase niedriger Zinsen währt jetzt schon außerordentlich lange. Damit
hat niemand gerechnet, auch ich nicht. Aber uns muss klar sein: Das ist die
absolute Ausnahme und nicht die Regel. Deshalb tun wir im Moment alles, um
uns gegen Zinssteigerungen abzusichern. Wenn Darlehen auslaufen und wir
neue aufnehmen, dann versuchen wir, extra lange Laufzeiten mit fester
Verzinsung zu vereinbaren. Kürzlich haben wir eine Milliarde Euro zu einem
Zinssatz von 1,33 Prozent und mit einer Laufzeit von 15 Jahren ausgegeben.
Das ist schon sehr gut.
Sie schichten also die Schulden um – zahlen Sie denn auch was zurück?
Unser neues Regelwerk, also insbesondere die im Grundgesetz verankerte
Schuldenbremse, die ab dem Jahr 2020 gilt, sieht Tilgungen in guten Jahren
vor. Dem können wir uns weder jetzt noch in Zukunft entziehen.
Manche würden das gern. Die Linke etwa fordert mehr Investitionen statt
Tilgung. Sie sehen das wohl anders?
Es ist eine ursozialdemokratische Position, dass Investitionen positive
Effekte haben. Das ist insbesondere in der Krise relevant und ein Punkt,
der zum Beispiel bei der Griechenland-Politik massiv unterschätzt wurde.
Aber das Land Berlin ist nicht in der Krise. Für uns muss die Devise sein:
investieren und tilgen. Das darf man nicht gegeneinanderstellen.
Weil …
… weil wir gerade durch das Tilgen auch Spielräume schaffen. Wir haben
schon jetzt durch Tilgung 128 Millionen Euro weniger Zinszahlungen als noch
2011. Das ist Geld, das wir jedes Jahr ausgeben können.
Jetzt haben wir die ganze Zeit über die Höhe der Schulden gesprochen. Aber
bei wem haben wir die denn überhaupt? Oder ganz spitz gefragt: Finanzieren
Länder wie Saudi-Arabien mit unseren Zinsen Waffenkäufe?
Die 55 Milliarden am Kapitalmarkt begeben wir ganz überwiegend als Bonds.
Bonds sind …
… Staatsschuldverschreibungen. Das läuft so: Es gibt eine Fachplattform,
auf der wir eine Anfrage starten: Wer leiht uns Geld für x Jahre und mit
einer jährlichen Zinszahlung von x? Interessenten können sich dann in ein
sogenanntes Buch eintragen.
Da sind wir wieder bei Saudi-Arabien.
Ja, theoretisch könnten saudi-arabische Banken oder Firmen diese Bonds
kaufen. Im Regelfall tun sie das aber nicht. Witzigerweise gilt es aber als
Qualitätsmerkmal, wenn das chinesische Devisenamt Bonds kauft. Und die
haben auch schon unsere Bonds gekauft. Wenn andere Kreditgeber das sehen,
greifen die auch gern zu.
Gibt es überhaupt ethische oder ökologische Kriterien bei der
Kreditvergabe?
Nein, bei diesem Thema nicht. Das würde auch keinen Sinn ergeben, weil der
Bond handelbar sein muss. Also selbst wenn wir die Erstvergabe
kontrollieren, können Bonds jederzeit weiterverkauft werden.
Das heißt doch, dass Sie im Prinzip gar nicht wissen, wem das Land Berlin
Geld schuldet?
Im Kern ist das so. Aber wir sind ja auch nicht abhängig von denen. Keiner
unserer Kreditgeber hat einen Einfluss auf unser Handeln.
Aber sie verdienen an uns.
Das stimmt. Aber Leute, wir reden hier von richtig viel Geld. Es ist
schwierig, das anders zu bekommen als über so ein anonym ausgelegtes
System.
Durch die Presse ging neulich, dass das Land Berlin mit Derivaten
ordentlich Verluste eingefahren hat. Ist das nicht dieses Teufelszeug, das
auch bei der Finanzkrise eine Rolle spielte?
Das mit dem Teufelszeug ist ein bisschen übertrieben. Die Frage ist immer,
ob ein Derivat spekulativ eingesetzt wird – das sind dann im Prinzip reine
Wetten. Das klassische Derivat wird aber in Verbindung mit einem
Grundgeschäft eingesetzt: Statt einem fest verzinsten Bond hole ich mir ein
variabel verzinstes Darlehen bei einer Bank und sichere es mit einem
Derivat bei dieser oder einer anderen Bank gegen steigende Zinsen ab.
Früher galt das als Heilslehre der Kreditaufnahme, weil es in der Regel
günstiger ist als die fest verzinsten Bonds. Dafür steckt aber ein Risiko
drin: nämlich, dass die Bank, die uns das Derivat gibt, pleitegeht. Dann
ist die Absicherung weg. Früher dachte man, das geht gar nicht. Inzwischen
ist man da, wie Sie wissen, schlauer.
Aber Berlin hält noch Derivate.
Die stammen größtenteils noch aus der Zeit bis 2012, schon mein Vorgänger
hat das zurückgefahren. Seit meiner Amtszeit sind gar keine neuen Derivate
dazugekommen, weil ich sage: Wir zahlen lieber ein bisschen mehr Zinsen und
machen uns dafür von keiner Bank abhängig.
Und was hat es mit den Verlusten auf sich?
Dabei reden wir von Barwerten. Es ist ja Folgendes eingetreten: Die Zinsen
sind deutlich mehr gefallen, als viele dachten. Und damit ist der Barwert
der Derivate natürlich auch gefallen. Aber das ist ein theoretischer Wert
und hat nichts mit konkreten Zahlungen zu tun. Bisher haben wir noch bei
keinem Derivat, das auslief, Geld verloren. Und das versuchen wir auch für
die Zukunft zu vermeiden.
Wenn sich doch mal nicht alles so gut entwickeln sollte, wie Sie
prognostizieren: Kann Berlin eigentlich pleitegehen?
Technisch ist das nicht vorgesehen. Es gilt ein umfassendes Beistandssystem
der Länder untereinander und vom Bund gegenüber den Ländern. Das käme nur
an sein Ende, wenn alle gleichzeitig pleitegehen. Aber das ist sehr schwer
vorstellbar.
Unser Ruf ist doch trotzdem ruiniert – Berlin gilt gerade den süddeutschen
Ländern als Pleitier der Nation. Oder hat sich daran etwas geändert?
Auf die Veränderung gewisser Vorurteile sollte man nicht allzu viel
Hoffnung setzen. Aber bei denen, die sich wirklich dafür interessieren,
wird schon anerkannt, dass Berlin 2018 das siebente Jahr in Folge keine
Schulden macht. Das hätten viele nicht gedacht.
10 Nov 2018
## AUTOREN
Bert Schulz
Manuela Heim
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