# taz.de -- Vergabe der Stromnetz-Konzession: Berlin leuchtet jetzt selbst | |
> Die Entscheidung ist gefallen: Das Stromnetz soll künftig von der | |
> landeseigenen BerlinEnergie betrieben werden. Der bisherige Betreiber | |
> Vattenfall will das prüfen lassen | |
Bild: Berlin von ganz oben. Der Westen ist hier im Norden | |
Vor dem Seiteneingang des Roten Rathauses in der Jüdenstraße stehen drei | |
Dutzend Menschen mit Transparenten und einer Stracciatella-Kirsch-Torte. | |
Die müssen die AktivistInnen vom Bündnis Berliner Energietisch und die | |
Mitglieder der Genossenschaft BürgerEnergie Berlin am Ende selbst aufessen. | |
Gedacht war die Konditorware mit der Aufschrift „Berliner Stromnetz, | |
Öffentliche Hand & Bürgerhand“ für die Mitglieder des Senats – aber die | |
lassen sich diesem Dienstag nicht blicken. | |
Der guten Laune in der Gruppe tut das keinen allzu großen Abbruch. Sie | |
feiern eine Entscheidung, die schon vor Tagen an verschiedene Medien | |
lanciert worden ist: Die Senatsverwaltung für Finanzen hat das seit Jahren | |
laufende Verfahren zur Vergabe der Stromnetz-Konzession abgeschlossen und | |
sich für den kommunalen Bewerber entschieden, den [1][Landesbetrieb | |
BerlinEnergie]. Damit geht der langjährige Konzessionsinhaber, die zum | |
Vattenfall-Konzern gehörende [2][Stromnetz Berlin GmbH], leer aus. | |
Auch die kleine [3][Genossenschaft BürgerEnergie Berlin] hatte mitgeboten. | |
Sie rechnet sich aber immer noch gute Chancen aus, von der BerlinEnergie | |
als Teilhaber mit ins Boot geholt zu werden. „Die Entscheidung stimmt uns | |
äußerst freudig“, sagt Christoph Rinke vom BürgerEnergie-Vorstand, „wir | |
befinden uns damit auf einem sehr guten Weg und werden nun so schnell wie | |
möglich in Verhandlungen mit dem Senat treten.“ Die Möglichkeit, dass die | |
BerlinerInnen über eine genossenschaftliche Beteiligung die Energiewende | |
konkret mitgestalten, stehe ja im Koalitionsvertrag. | |
Die rot-rot-grüne Landesregierung hat für ihre wöchentliche Pressekonferenz | |
zwar keine Torte, aber Pfannkuchen auffahren lassen. Ort dieses Gelages ist | |
nur eben nicht das Rote Rathaus, sondern ein Hochhaus 16 Kilometer weiter | |
südöstlich, in der Neuköllner Gropiusstadt. Und Grund für das Zuckerzeug | |
und den Ortswechsel ist auch nicht die Stromnetz-Entscheidung: Nein, | |
Regierungschef Michael Müller (SPD) und seine beiden Vizes Klaus Lederer | |
(Linkspartei) und Ramona Pop (Grüne) wollen vor Journalisten eine sehr | |
positives Halbzeitbilanz der Ende 2016 begonnenen rot-rot-grünen Koalition | |
ziehen. Und die soll wohl bei dem weiten Panoramablick, der sich von der | |
26. Etage des Degewo-Hochhauses aus bietet, bei den Journalisten besser | |
ankommen. | |
Zur Entscheidung der Finanzverwaltung, der BerlinEnergie den Zuschlag zu | |
geben, äußern sich die drei dann eher sparsam und auch nur auf Nachfrage. | |
Müller tut sich schwer zu erläutern, was ein Stromnetz in Landeshand denn | |
konkret für die Berliner bringen wird. Es gehe um ein gutes Angebot und | |
„auch darum, Klimapolitik umzugestalten“. So eher allgemein steht das auch | |
unter „Fragen und Antworten“ auf der Homepage von BerlinEnergie. Die | |
Details kennt Müller nach eigenen Worten nicht. | |
## Vattenfall will prüfen | |
Pop als zuständige Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe hat der | |
taz schon nach der vorangegangenen Senatssitzung knapp mailen lassen: „Wir | |
begrüßen, dass der Vergabeprozess über den Betrieb des Stromnetzes einen | |
entscheidenden Schritt weiter ist.“ Das klingt nicht umsonst vorsichtig. | |
Denn Vattenfall, die Mutter des bisherigen Netzbetreibers Stromnetz Berlin | |
GmbH, will die Vergabeentscheidung überprüfen lassen und könnte juristisch | |
dagegen vorgehen. | |
Im Gegensatz zu Müller kann BürgerEnergie-Vorstand Christoph Rinke am | |
Dienstagmittag klar benennen, welche konkreten Vorteile die BerlinerInnen | |
von einer Rekommunalisierung des stark regulierten Stromnetzes haben | |
sollen. Da ist erst einmal das finanzielle Argument: „Die Bundesnetzagentur | |
sichert dem Netzbetreiber eine Gewinnmarge zu, für Vattenfall waren das | |
jährlich gut 100 Millionen Euro. Dieses Geld ist unserer Ansicht nach im | |
Landeshaushalt viel besser aufgehoben.“ | |
Noch wichtiger ist Rinke aber: Das Land könne mit einem eigenen Stromnetz | |
die Energiewende effizienter bewältigen. „Der Senat will Berlin zu einer | |
‚Solar City‘ machen, das heißt: Irgendwann sollen rund 20 Prozent des in | |
der Stadt erzeugten Stroms aus Photovoltaik stammen.“ Weil es dabei oft um | |
Klein- und Kleinst-Erzeuger wie die sogenannten Mieterstrom-Anlagen gehe, | |
brauche Berlin einen Netzbetreiber, der solche Projekte „pushe“. Rinke: | |
„Zwar muss auch ein kommerzieller Betreiber einen diskriminierungsfreien | |
Netzzugang bieten, aber er wird kleine Einspeiser kaum aktiv unterstützen. | |
Das sind völlig unterschiedliche Attitüden.“ | |
Die Opposition im Abgeordnetenhaus lehnt währenddessen eine Übernahme durch | |
die landeseigene BerlinEnergie ab. Sie begründet das vor allem mit den | |
Kosten, die CDU und FDP auf zwei Milliarden Euro schätzen, andere hingegen | |
auf 1,5 Milliarden. „Der Senat betreibt eine Politik nach dem Motto: | |
Verstaatlichen, koste es, was es wolle“, heißt es von der CDU-Fraktion. Die | |
rechnet vor, was sich mit zwei Milliarden sonst so machen ließe: angeblich | |
57 neue Oberschulen oder 100 Kilometer neue Straßenbahntrasse bauen. Von | |
Experten aber ist zu hören, dass der Netzbetrieb an sich kein finanzielles | |
Risiko bildet und sogar einen Gewinn bringen kann, vorausgesetzt, er wird | |
ordentlich gemanagt. | |
## FDP: „Bringt kaum Einfluss“ | |
Der FDP-Umweltpolitiker Henner Schmidt wiederum bezweifelt, dass sich der | |
Netzbetrieb wirklich so für eine andere Klimapolitik nutzen lässt, wie sich | |
Regierungschef Müller das wünscht: „Das Land Berlin erhält dafür kaum | |
energiepolitischen Einfluss, da der Betrieb des Stromnetzes sehr stark | |
gesetzlich reguliert ist.“ | |
Der Chef der Industrie- und Handelskammer, Jan Eder, verweist auf die mit | |
einer Übernahme einhergehende Verantwortung für BerlinEnergie. „Nicht erst | |
der Stromausfall in Köpenick hat verdeutlicht, dass das Stromnetz eine der | |
kritischsten Infrastrukturen ist“, sagte er. Die Sicherheit der Versorgung | |
müsse im Sinne eines prosperierenden Wirtschaftsstandorts zu jeder Zeit | |
gewährleistet sein. | |
5 Mar 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.berlinenergie.de/ | |
[2] https://www.stromnetz.berlin/uber-uns | |
[3] https://www.buerger-energie-berlin.de/ | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
Claudius Prößer | |
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