# taz.de -- Experte über Wohnungspolitik: „Wohnungen sind kein Spargel“ | |
> Hilft Bauen gegen den Wohnungsmangel? Matthias Bernt forscht zu | |
> Gentrifizierung und Wohnungspolitik und hat bessere Vorschläge. | |
Bild: Preiswerte Wohnungen fehlen, gebaut wird Luxus wie hier in Frankfurt | |
taz am wochenende: Herr Bernt, [1][400.000 Wohnungen möchte die | |
Bundesregierung pro Jahr neu bauen], davon 100.000 Sozialwohnungen. Auf | |
einer Skala von 1 bis 10: Wie sehr hilft „Bauen, bauen, bauen“ gegen die | |
Wohnungsnot? | |
Matthias Bernt: Vielleicht 5? | |
Warum nur so wenig? | |
Es ist zu wenig gebaut worden. Verschiedene Institute schätzen, dass wir | |
bis 2025 etwa 300.000 bis 500.000 neue Wohnungen jährlich brauchen. Wir | |
haben aber nicht nur ein Mengen-, sondern vor allem auch ein Preisproblem. | |
Es fehlen bezahlbare Wohnungen für die unteren Einkommensschichten, und die | |
neu gebauten Wohnungen sind häufig viel zu teuer. Mit steigenden Zinsen | |
wird das Bauen nun teurer. Ob die Neubauziele der Bundesregierung | |
erreichbar sind, steht damit infrage. | |
Das marktwirtschaftliche Argument lautet: Wenn das Angebot steigt, dann | |
sinken auch wieder die Mieten. | |
Das stimmt leider nur begrenzt. International hat es nirgendwo geklappt, | |
dass man sich sozusagen aus der Krise herausbauen kann. Ökonomen sagen: Die | |
Preiselastizität des Wohnungsmarkts ist leider vergleichsweise gering. | |
Was ist damit gemeint? | |
Ein Beispiel: Wenn ich ein Jahr mit guter Spargelernte habe, verkaufen die | |
Bauern den billiger, weil sie ihn sonst wegschmeißen müssten. Denn Spargel | |
verfällt schnell. Wohnungen sind sehr lange auf dem Markt, 100 bis 150 | |
Jahre. Deswegen findet die Wohnungspreisbildung im Wesentlichen im Bestand | |
statt. Sie wird durch Neubau nur marginal beeinflusst. | |
Weil jährlich nur ein ganz geringer Prozentsatz Neubau zum Gesamtbestand | |
dazukommt? | |
Genau. Man müsste ein wahnsinniges Überangebot auf den Markt bringen, um | |
effektiv die Preisbildung im Bestand zu beeinflussen. Aber ein solches | |
Überangebot ist ökonomisch und ökologisch nicht sinnvoll. Auch | |
infrastrukturell nicht. So eine Situation hatte man in den späten | |
Neunzigern in Ostdeutschland. Das hat im Endeffekt dazu geführt, dass der | |
Bund ein sehr teures Programm auflegen musste, um das Überangebot von | |
350.000 Wohnungen wieder abzureißen. | |
Sie sagen, der Wohnungsmarkt funktioniert anders, weil Wohnungen haltbarer | |
sind als Spargel? | |
Es gibt noch mehr Punkte. Der Wohnungsmarkt ist ein untypischer Markt. Ich | |
kann Wohnen zum Beispiel nicht durch andere Produkte ersetzen. | |
Können Sie das an einem Beispiel erklären? | |
Wenn ich wenig Geld habe, kann ich entscheiden: Ich esse weniger Spargel. | |
Oder ich esse Kohl, weil der billiger ist. Aber ich muss wohnen. Spargel | |
kann ich transportieren, Wohnungen nicht. Deswegen spielt die Lage eine | |
enorme Rolle. Wenn es eine Wohnungsknappheit in Hamburg gibt, nutzt es mir | |
nichts, dass ich einen Überhang in Ostsachsen habe. Menschen richten sich | |
auf der Wohnungssuche nicht nur nach Preis-Qualität-Kriterien. Man guckt | |
auf Arbeitswege, möchte das Kind in der Schule halten, seine Freunde auf | |
ein Bier treffen. Das heißt: Man ist unter Umständen bereit, völlig | |
überteuerte Mieten zu akzeptieren. | |
Dass es so wenig bezahlbaren Wohnraum gibt, liegt auch daran, dass es immer | |
weniger Sozialwohnungen gibt? | |
Der Staat hat sich in den letzten Jahrzehnten sukzessive aus der | |
Wohnungsversorgung zurückgezogen. Im Gegenzug hat er zugelassen, dass | |
renditeorientierte Anbieter den Markt immer mehr bestimmen. Das hat sehr | |
viel verändert. Denn Finanzinvestoren zielen auf eine Renditemaximierung | |
durch hohe Wohnungspreise. Und das beeinflusst auch wieder die | |
Bodenpreisbildung, weil diese Renditeerwartungen natürlich in die | |
Kaufpreise für den Boden reingehen. Diese Entwicklung macht es enorm | |
schwierig für gemeinwohlorientierte Träger, heute überhaupt zu bauen. | |
Heißt das, wir müssten die Bodenpreise deckeln? | |
Man braucht viele Dinge gleichzeitig. Das Wichtigste ist: Wir brauchen | |
wieder mehr gemeinwohlorientierte Träger und eine Bodenpolitik, die dafür | |
sorgt, dass die Preise sinken. Durch die geplante Einführung einer neuen | |
Gemeinnützigkeit könnten diese Träger besser gefördert werden. Gleichzeitig | |
muss man toxischen Investitionsmodellen das Leben schwer machen. | |
Wie denn? | |
Den internationalen Finanzinvestoren ist unter Rot-Grün Tür und Tor | |
geöffnet worden. Das muss man ein Stück weit zurückdrehen. Dafür brauchen | |
wir mehr Transparenz. Zurzeit weiß niemand genau, wem die Wohnungen in den | |
Großstädten gehören. | |
Welchen Handlungsspielraum sehen Sie noch? | |
Man könnte auf Bundesebene zum Beispiel den Marktzugang einschränken und | |
alle Anbieter verpflichten, zu Bedingungen zu vermieten, die einer | |
Wohnungsgemeinnützigkeit adäquat sind. Das wäre sogar relativ einfach. Dann | |
gibt es noch Diskussionen über eine Vergesellschaftung von Beständen, die | |
jetzt noch von Finanzinvestoren verwaltet werden. Es gibt heute viele | |
Ideen. Das reicht bis zur [2][Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen], | |
die mit der Brechstange versucht, toxische Investoren vom Berliner | |
Wohnungsmarkt zu vertreiben. | |
Die Initiative möchte private Immobilienkonzerne, die mehr als 3.000 | |
Wohnungen in Berlin besitzen, enteignen. Bei einem Volksentscheid haben 59 | |
Prozent der Berliner*innen dafürgestimmt. Wenn Sie „mit der | |
Brechstange“ sagen – halten Sie das für einen Irrweg? | |
Nein. Diese Initiative hat erstmals wieder Kreativität in die | |
bundespolitische Diskussion gebracht. Das allein ist schon ein wahnsinniger | |
Erfolg. | |
Aber halten Sie Enteignungen für einen richtigen Schritt? | |
Es ist in Berlin offensichtlich, dass es eine Versorgungslücke für | |
einkommensschwache Haushalte gibt, die nicht alleine von den landeseigenen | |
Wohnungsunternehmen geschlossen werden kann. Wir müssen also für einen | |
größeren gemeinwohlorientierten Bestand sorgen. | |
Sollte ein weiterer Mietenanstieg begrenzt werden? | |
Das würde dafür sorgen, dass ein bisschen mehr Spielraum für | |
einkommensschwache Haushalte in den Markt kommt. Wenn wir die | |
Renditeerwartungen beschränken, wirkt sich das auch auf die Bodenpreise | |
aus. Kopenhagen hat zum Beispiel ein Gesetz eingeführt, das Käufer von | |
Wohnungen verpflichtet, für die nächsten fünf Jahre die Miete nicht zu | |
erhöhen – die Dänen nennen das „Anti-Blackstone-Gesetz“. Das hat dazu | |
geführt, dass sich Finanzinvestoren vermehrt aus dem Markt zurückgezogen | |
haben. Gleichzeitig sind die Miet- und die Immobilienpreise gefallen. | |
Ein ähnliches Projekt, der Berliner Mietendeckel, ist hierzulande | |
gescheitert. Die Gegner*innen des Mietendeckels argumentieren so: Mit | |
dem Deckel sei das Angebot nicht gestiegen, sondern gesunken. Mehr | |
Regulierung bewirke, dass kleinere Vermieter ihre Wohnungen verkauften – | |
was wiederum zu einer stärkeren Monopolisierung unter Finanzinvestoren | |
führe. | |
Das halte ich nicht für stichhaltig. Dass kleine Vermieter anfangen, | |
einzelne Wohnungen an große Player wie Vonovia zu verkaufen, passt nicht zu | |
dem, wie dieser Markt funktioniert. Finanzinvestoren sind oft an großen | |
Wohnungspaketen interessiert. Und dass das Wohnungsangebot in der Zeit | |
gesunken ist, lag an der spezifischen Situation. Der Mietendeckel war von | |
Anfang an sehr umstritten, und deshalb sind viele Vermieter in eine Art | |
Vermietungsstreik getreten, um das Urteil aus Karlsruhe abzuwarten. | |
Erst Mietendeckel, jetzt die Forderung nach Enteignung: Ist die Hauptstadt | |
besonders radikal? | |
In der Vergangenheit war Berlin deutlich bezahlbarer als Hamburg, München | |
oder Frankfurt. Dann sind die Preise besonders schnell gestiegen. Wenn es | |
bundesweit einen „Mietenwahnsinn“ gibt, wie das die sozialen Bewegungen | |
nennen, dann ist Berlin die Intensivstation. | |
Die Regierung will keinen weiteren Mieterschutz. Welche Folgen wird diese | |
Politik haben? | |
Wir beobachten eine Zunahme prekärer Wohnraumversorgung, die es vor zehn, | |
zwanzig Jahren noch nicht gab. Die Überbelegung nimmt zu, immer mehr Leute | |
leben in prekären Wohnverhältnissen. Zudem erleben wir eine deutlich | |
zugespitzte Segregation. Wohnungen, die bezahlbar sind, findet man fast nur | |
noch in den Großsiedlungen an den Stadträndern. Das befördert ein | |
Auseinanderdriften der Städte, nicht nur sozial, sondern auch räumlich. | |
Liberale und CDU sagen: Es gibt kein Recht auf ein Wohnen in der | |
Innenstadt. | |
In der Vergangenheit waren Innenstadtquartiere oft die Viertel, in denen | |
ärmere Haushalte gelebt haben, weil diese Gebiete unsaniert und wenig | |
attraktiv waren. Wenn man jetzt sagt, es gibt kein Recht, in der Innenstadt | |
zu wohnen, dann sagt man eigentlich, es gibt ein Recht auf Gentrifizierung. | |
Also dass ein Haushalt, der mehr Geld hat, mehr Rechte hat, am Berliner | |
Kollwitzplatz zu wohnen, als ein Haushalt, der wenig Geld hat. | |
Ich glaube, genau das ist die Überzeugung. | |
Aber dann muss man sich auch nicht wundern, wenn man gespaltene Städte hat. | |
In Großbritannien wurde in den letzten 40 Jahren dereguliert, was das Zeug | |
hält. Heute ist es so: Wenn dort sozialer Wohnungsbau stattfindet, dann ist | |
ein großer Teil der Wohnungen für sogenannte Keyworker reserviert. Das sind | |
Leute, die London braucht, um zu funktionieren: U-Bahn-Fahrer, | |
Krankenschwestern, Lehrer. Selbst die neoliberalsten Banker verstehen das. | |
Verdrängungsprozesse sind nicht nur eine Gerechtigkeitsfrage, sondern | |
extrem dysfunktional. | |
3 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Studie-zum-klimagerechten-Wohnen/!5831698 | |
[2] https://www.dwenteignen.de/ | |
## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
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Klara Geywitz | |
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