# taz.de -- Rückläufiger Trend: Immer weniger Sozialwohnungen | |
> Weiterhin fallen mehr Wohnungen aus der öffentlichen Förderung als | |
> Sozialwohnungen gebaut werden. Geld der Ampelkoalition soll das ändern. | |
Bild: Seltener Ablick in Deutschland: Wohnungsbau, hier eine Baustelle in Lübe… | |
Wenn er nicht gerade [1][Klimaaktivist*innen mit Nazis vergleicht], | |
verspricht Bundeskanzler Olaf Scholz auch gern unhaltbare Dinge: Es klang | |
schön, als er als SPD-Spitzenkandidat im Wahlkampf am 10. Juni 2021 auf dem | |
Deutschen Mietertag sagte: „Wohnen ist eine der großen sozialen Fragen | |
unserer Zeit“ und deswegen einen Aufbruch versprach. | |
Die SPD forderte, Mieten in angespannten Wohnungsmärkten einzufrieren, und | |
versprach 400.000 neue Wohnungen pro Jahr zu bauen, davon 100.000 | |
Sozialwohnungen. Während aber wirksame Preisregulationen zugunsten der gut | |
48 Millionen zur Miete lebenden Menschen in Deutschland Verhandlungsmasse | |
für die Koalition mit der FDP gewesen sein dürften, finden sich im | |
Koalitionsvertrag nur noch die ambitionierten Neubauziele wieder. | |
Aber auch die wackeln: Es ist absehbar, dass die versprochenen 400.000 | |
neuen Wohnungen zunächst nicht erreichbar sind. Auch angesichts von | |
Lieferengpässen nach der Coronakrise und dem Ukraine-Krieg und dem schon | |
zuvor bestehenden Fachkräftemangel und einer überlasteten Bauwirtschaft. | |
Zudem steigen Grundstückspreise dort, wo die Wohnungsnot am dringendsten | |
ist: in Großstädten. | |
Allerdings war auch bereits vor dem Ukraine-Krieg absehbar, dass die | |
versprochenen 100.000 öffentlich geförderten Wohnungen und die restlichen | |
300.000 dann wohl teuren Wohnungen ein leeres Versprechen waren. 2021 sank | |
die Zahl der fertig gestellten Wohnungen um [2][vier Prozent auf 293.000 | |
neue Wohnungen], wobei die Zahl der Baugenehmigungen auf einem Rekordhoch | |
von 850.000 Wohnungen liegt. Dennoch wird das Ziel für 2022 voraussichtlich | |
verfehlt werden. | |
## Tiefstand bei den Sozialwohnungen | |
Insbesondere jedoch im Bereich des sozialen Wohnungsbau scheint es | |
unwahrscheinlich, dass in den nächsten Jahren die Ziele erreicht werden: | |
Die Vorgaben von 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr sind zwar ambitioniert | |
und [3][nach Ansicht von Expert*innen geeignet], um den Mangel zu | |
beseitigen. | |
Aber im sozialen Wohnungsbau zeigt sich, dass der Trend der letzten Jahre | |
rückläufig ist: Allein im Jahr 2020 fielen rund 56.000 Wohnungen aus der | |
Sozialbindung, weil die öffentliche Förderung im sozialen Wohnungsbau in | |
der Regel nach einem gewissen Zeitraum ausläuft. Neu errichtet wurden in | |
dem Jahr lediglich 23.0000 – macht ein Minus von 33.000 Wohnungen für 2020. | |
Die Zahlen ergeben sich aus einer der taz vorliegenden kleinen Anfrage der | |
Linken Bundestagsabgeordneten Caren Lay. Laut der Antwort von | |
Staatssekretärin Cansel Kiziltepe [4][für Bauministerin Klara Geywitz] | |
(beide SPD) liegen für das Jahr 2021 noch keine Daten vor. | |
Die Sozialwohnungen haben damit einen Tiefstand erreicht: Rund 1.1 | |
Millionen gab es 2020. Zehn Jahre zuvor waren es noch 1,5 Millionen, | |
Tendenz sinkend. Allein in der vergangenen Legislatur unter der | |
schwarz-roten Regierung von Merkel und Scholz fielen unterm Strich 140.000 | |
Sozialwohnungen weg – trotz zunehmender Wohnungsnot. | |
Wie viele Wohnungen in den nächsten zehn Jahren aus der Sozialbindung | |
fallen werden, weiß die Bundesregierung aktuell laut Auskunft nicht – auch | |
weil die Länder für soziale Wohnraumförderung zuständig sind und Wohnungen | |
mit kommunalen Bau- und Wohnungsgesellschaften bauen sollen. Überhaupt | |
klingen die Antworten so, als wenn die Bundesregierung vorsorglich schon | |
mal die Länder in die Pflicht nehme, denen sie im sozialen Wohnungsbau | |
„eine große Verantwortung“ zuschreibt. | |
Der Bund stellt lediglich Subventionen für den sozialen Wohnungsbau zur | |
Verfügung: 14,5 Milliarden Euro hat die Ampel-Regierung von 2022 bis 2026 | |
eingeplant – um das „Abschmelzen des Sozialwohnungsbestandes zu bremsen und | |
umzukehren“ wie es in der Antwort heißt. Es ist immerhin eine deutliche | |
Steigerung der bisherigen Mittel. | |
## Förderung zu niedrig angesetzt | |
Ob dies ausreicht, ist allerdings fraglich. Eine vom Pestel-Institut im | |
Auftrag von Sozialverbänden, [5][IG Bau und dem Mieterbund durchgeführte | |
Studie] kommt auf einen Subventionsbedarf von mindestens 5 Milliarden Euro | |
Förderung jährlich – auch weil die Preise angesichts von Inflation und | |
Lieferengpässen deutlich stiegen. Wenn man dann noch den Klimaschutz und | |
ökologische Anforderungen ernst nehme, brauche es gar 8,5 Milliarden | |
jährlich für den sozialen Wohnungsbau, heißt es dort. | |
Caren Lay von der Linken hält entsprechend das Investitionsprogramm des | |
Bundes für nicht ausreichend. Sie sagte der taz: „Der soziale Wohnungsbau | |
muss gerettet werden.“ Die Bundesregierung engagiere sich zu wenig gegen | |
den Wegfall von Sozialwohnungen. Es sei „organisierte | |
Verantwortungslosigkeit, nicht genug Mittel bereitzustellen“ und die Schuld | |
für nicht nicht erreichte Ziele schon jetzt bei den Ländern zu suchen. „So | |
wird es schwer, überhaupt eine Zunahme an sozialen Mietwohnungen zu | |
erreichen“, so Lay. | |
Die Linke forderte ein öffentliches Wohnungsbauprogramm nach Wiener Vorbild | |
mit zehn Milliarden Euro jährlich. Ebenso forderte Lay die schnelle | |
Umsetzung der neuen Wohngemeinnützigkeit, die aktuell noch von der | |
Ampel-Regierung geprüft wird. Das ist eine Initiative der Grünen, die | |
Anreize und Förderungen schaffen will, damit Wohnraum dauerhaft | |
sozialgerecht bleibt. | |
31 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Scholz-Aeusserung-ueber-Klimaaktivismus/!5854954 | |
[2] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/wohnungsbau-ziel-geywitz-100.html | |
[3] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/sozialer-wohnungsbau-119.html | |
[4] /Klara-Geywitz-zur-Wohnungsnot/!5846177 | |
[5] https://www.mieterbund.de/fileadmin/public/pdf_PM/Pestel-Studie_Bezahlbarer… | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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