# taz.de -- Scholz-Äußerung über Klimaaktivismus: Ein Kanzler, der verdrängt | |
> Bundeskanzler Scholz hat ziemlich sicher Klimaaktivismus mit dem | |
> Nationalsozialismus verglichen. Das ist ein Skandal, im Grunde ein | |
> Rücktrittsgrund. | |
Bild: Der Bundeskanzler wurde nicht blöde angepöbelt, sondern bekam lediglich… | |
[1][Bundeskanzler Olaf Scholz] hat ziemlich sicher Klimaaktivismus mit dem | |
Nationalsozialismus verglichen. „Ich sage mal ganz ehrlich: Diese | |
schwarzgekleideten Inszenierungen bei verschiedenen Veranstaltungen von | |
immer den gleichen Leuten erinnern mich an eine Zeit, die lange zurückliegt | |
– und Gott sei Dank“, sagte Deutschlands sozialdemokratischer | |
Regierungschef [2][am Freitag auf dem Katholikentag in Stuttgart] an die | |
Klimaaktivist:innen gerichtet, die ihn bei einer Ausführung zur | |
Kohlepolitik unterbrachen. | |
Zugegeben gibt es in Deutschlands Geschichte viele dunkle Zeiten. Es gibt | |
aber eine singulär herausstechende Periode, zu der das kollektive | |
Bewusstsein bei einer Formulierung wie der von Scholz praktisch | |
notwendigerweise springt, sofern es keine sonstige Spezifizierung gibt. | |
Gegen diese Interpretation spricht eigentlich nur, dass ein Bundeskanzler | |
es besser wissen sollte. Jetzt könnte man Scholz wegen seiner typischen | |
Uneindeutigkeit in Schutz nehmen. Aber es ist doch so: Mindestens hat er in | |
Kauf genommen, dass man seine Aussage so deuten kann. | |
Das ist ein Skandal, im Grunde ein Rücktrittsgrund, den das Publikum auf | |
dem Katholikentag auch noch in rauschendem Applaus untergehen ließ. „Der | |
Kanzler der Bundesrepublik relativiert in nur einem Halbsatz die | |
NS-Herrschaft, und auf paradoxe Art und Weise die Klimakrise gleich mit“, | |
[3][twitterte dann Klimaaktivistin Luisa Neubauer am Sonntag]. Wenn es „im | |
Skript steht“, lobe die Regierung die Engagierten für die Umwelt. „Wenn man | |
aber ‚ganz ehrlich‘ ist, sieht man sie dann doch ein bisschen wie Nazis?“, | |
fragte Neubauer. „Was ist das für ein Geschichtsbewusstsein? Was ist das | |
für ein Klimabewusstsein? Alles daran, so irre.“ | |
Am Montag las man in Schlagzeilen, Neubauer werfe Scholz einen NS-Vergleich | |
vor. Das skandalisiert die falsche Seite. Was soll der Kanzler denn sonst | |
gemeint haben? Eine gute Möglichkeit, das zu erklären, wäre beispielsweise | |
die Regierungspressekonferenz am Montag gewesen. Auf den Eklat | |
angesprochen, räumte Regierungssprecherin Christiane Hoffmann ein, dass ein | |
solcher Vergleich „natürlich vollkommen absurd“ sei. Dass Scholz ihn nicht | |
gezogen habe, sagte sie aber nicht: „Äußerungen des Kanzlers stehen für | |
sich und ich würde die jetzt im Grunde hier nicht kommentieren wollen.“ | |
## Aus einem vergangenen Jahrhundert | |
Dass Zwischenrufe unangenehm sind – geschenkt. Immerhin war dieser konkrete | |
Einwand keine Pöbelei, sondern wies dieser darauf hin, dass Scholz’ Fokus | |
auf Kohle-Arbeitsplätze das Problem größer erscheinen lasse, als es ist. | |
„Wenn wir jetzt unsere große Energiewende organisieren, wenn wir dafür | |
sorgen, dass wir auf erneuerbare Energien setzen und aussteigen aus der | |
Kohleverstromung“, hatte der Kanzler gerade gesagt, „dann ist schon die | |
Frage, was wir dem Arbeiter und der Arbeiterin in den Tagebauen sagen über | |
seine Perspektive.“ | |
Das erscheint wie ein Redebeitrag aus einem vergangenen Jahrzehnt oder | |
Jahrhundert – und offenbart, warum man sich Scholz’ Ansichten zur | |
Klimakrise auch über den unangemessenen Nazi-Vergleich hinaus genauer | |
angucken sollte. Der Kohleausstieg ist beschlossene Sache. Dass der sozial | |
begleitet werden muss, ist eine Binsenweisheit. Wenn man sich anguckt, wie | |
viele Jobs davon betroffen sind, dürfte das auch gut machbar sein: weniger | |
als 20.000 Menschen. Das ist kaum vergleichbar damit, was die | |
Digitalisierung seit ihrem Beginn an Arbeitsplätzen vernichtet hat – und | |
die will wohl niemand zurückdrehen. Es ist auch deutlich weniger, als die | |
erneuerbaren Energien an Arbeitsplätzen bringen. | |
Der Beginn des Zwischenrufs auf der Podiumsdiskussion lässt vermuten, dass | |
letzterer Punkt im nächsten Halbsatz hätte folgen sollen – bevor Scholz aus | |
irgendeinem Grund mit „Gott sei Dank“ an beendete Zeiten erinnerte. | |
Danach setzte der Kanzler seine Diskreditierung der Klimabewegung weiter | |
fort, sprach von einem „sehr schauspielerisch geübten Auftritt“. Das sei | |
keine Diskussionsbeteiligung, „sondern das ist der Versuch, Veranstaltungen | |
für seine eigenen Zwecke zu manipulieren“. | |
## „Kanzler für Klimaschutz“ | |
Jetzt muss man weder Fan jeder Klimagruppe noch jeder ihrer Aktionen sein. | |
Denen, die vor den Gefahren der Klimakrise warnen, aber „eigene Zwecke“ und | |
„Manipulation“ vorzuwerfen, deutet auf eine ausgeprägte Verdrängung des | |
Problems hin. | |
Die Welt hat die Menge an CO2, mit der sie die 1,5-Grad-Erderhitzung nicht | |
sprengt, in knapp über sieben Jahren aufgebraucht, sofern sich nicht | |
radikal etwas ändert. Dem Weltklimarat IPCC zufolge müssen die globalen | |
Emissionen weltweit noch vor 2025 ihren Höhepunkt erreichen, um sich bis | |
2030 praktisch zu halbieren und dann bis 2050 auf null zu kommen. Die Welt | |
geht jenseits der 1,5 Grad nicht einfach unter – aber sie wird eben mit | |
jedem Zehntelgrad ein Stück tödlicher. Deutschlands Klimaziele sind im | |
weltweiten Vergleich nicht die schlechtesten – aber Klimaminister Robert | |
Habeck hat schon Ende vergangenen Jahres angekündigt, dass sie auf | |
absehbare Zeit gar nicht eingehalten werden. | |
Aktuell erhöht Russlands Krieg in der Ukraine den Druck auf die | |
Energiesysteme weiter. Es steht zu befürchten, dass klimaschädliche | |
Kohlekraftwerke länger laufen gelassen werden, um vom russischen Gas | |
abzukommen. Das sollte jemandem, der im vergangenen Jahr als „Kanzler für | |
Klimaschutz“ in den Wahlkampf gezogen ist, große Sorgenfalten auf die Stirn | |
zeichnen. | |
„Die Botschaft ist, dass man uns glauben kann, wenn wir sagen, es wird für | |
jeden eine Perspektive geben“, sagte Scholz über die Kohlearbeiter:innen. | |
Schön wäre es, wenn das auch für den Rest der Welt gelten würde. | |
30 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Olaf-Scholz/!t5013249 | |
[2] /Katholikentag-in-Stuttgart/!5857410 | |
[3] https://twitter.com/Luisamneubauer/status/1530985051336364032 | |
## AUTOREN | |
Susanne Schwarz | |
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