| # taz.de -- Mietmarkt in Deutschland: Kommt jetzt die Wende? | |
| > Der Wohnungsmarkt ist leer gefegt. Auch, weil die Politik lange | |
| > geschlafen hat. Die SPD hat nun einen möglichen Ausweg präsentiert: | |
| > Profitbeschränkung. | |
| Bild: Aufgang zum Luftschloss oder doch mehr? | |
| Samstagabend, es ist schon spät, und ich bin etwas angetrunken, | |
| wahrscheinlich aus Verzweiflung. Berlin ist durch, sagt ein Freund trocken. | |
| Ich nehme gleich noch einen Schluck. Wir sprechen über meine Wohnungssuche, | |
| über den Berliner Mietmarkt. | |
| Leider gehört die Wohnungssuche seit über einem Jahr zu meiner | |
| Freizeitbeschäftigung. Unfreiwillig. Wenn eine Hausverwalterin mich zu | |
| einer Besichtigung einlädt, dann versetzt und später ghostet; wenn eine | |
| Hausverwaltung mir unfreundliche E-Mails schickt, in denen mir erklärt | |
| wird, wie ich meine Anfrage zu formulieren habe; wenn ich mich mit 100 | |
| anderen Bewerber:innen durch den verschimmelten Flur einer muffig | |
| riechenden Altbauwohnung quetsche, dann frage ich mich jedes Mal, wie | |
| Vermieter:innen, Eigentümer:innen, Unternehmen es übers Herz bringen, so | |
| mit Menschen umzugehen, die lediglich versuchen, einem Grundbedürfnis | |
| nachzukommen. | |
| Der Staat hat sich aus der Wohnungsversorgung zurückgezogen. Den Markt hat | |
| er die letzten Jahrzehnte damit Anbietern überlassen, die renditeorientiert | |
| sind. Die durchschnittliche Miete ist unter anderem deshalb für | |
| Bestandsmietverträge konsequent gestiegen. Blöd nur, wenn das Einkommen der | |
| Mieter:innen parallel dazu viel langsamer steigt. Und jetzt [1][auch | |
| noch Inflation!] Heute bringt es kaum mehr etwas, sich mit jemandem | |
| zusammenzutun und zum Beispiel mit Partner:in nach einer gemeinsamen | |
| Wohnung zu suchen. Ich spreche aus Erfahrung. | |
| Dass Berlin durch sei, trage ich dann noch ein paar Tage mit mir rum. Wenn | |
| Berlin durch ist und Brandenburg auch schon überfüllt mit Hauptstädtern | |
| ist, wo soll ich dann noch wohnen? In meiner Hysterie stoße ich [2][auf | |
| einen Gastbeitrag der SPD-Politiker:innen] Verena Hubertz und Kevin | |
| Kühnert. Die Lösung des Problems soll nun die Wiedereinführung der | |
| Wohnungsgemeinnützigkeit bringen. Die wurde 1990 abgeschafft, danach ging's | |
| bergab. Massenhafte Verkäufe von Wohnungsunternehmen waren das Ergebnis. | |
| Hunderttausende Wohnungen wurden privatisiert, und die Bestände landeten | |
| bei Privateigentümern wie Deutschlands größtem: Vonovia. | |
| Der SPD-Vorschlag sieht nun vor, Investoren und Unternehmen dazu zu | |
| animieren, günstigen Wohnraum zu bauen. Im Gegenzug bekommen sie vom Staat | |
| Vergünstigungen. Die soziale Wohnungsfrage soll also mit Steuergeschenken | |
| an profitorientierte Investoren nachhaltig gelöst werden. Langfristig soll | |
| damit bezahlbarer Wohnraum gefördert werden. Die zur Verfügung gestellten | |
| Wohnungen könnten dann beispielsweise „mindestens 10 Prozent unter der | |
| ortsüblichen Vergleichsmiete vermietet“ und denen angeboten werden, die es | |
| auf dem Markt sonst schwer haben: „Familien, Alleinerziehende, Studierende, | |
| Rentnerinnen und Rentner.“ Und taz-Redakteurinnen. | |
| Ist das jetzt die Wende? Muss ich schon applaudieren, weil ich in fünf oder | |
| zehn Jahren vielleicht endlich vernünftig wohnen kann? Ich bleibe | |
| skeptisch. Schließlich ist auch der Boden ein Preistreiber, Baumaterial ist | |
| gerade knapp, was ebenfalls die Preise nach oben treibt, und seit der | |
| Pandemie fehlt es an Handwerkern und Bauarbeitern. Die Wiedereinführung der | |
| Gemeinnützigkeit bleibt dennoch [3][das bevorzugte Prinzip, das | |
| Mietervereine und Expert:innen seit Jahren fordern], um für Entspannung | |
| in die Wohnungskrise zu sorgen. | |
| Gemeinnützigkeit bedeutet Profitbeschränkung. Das ist eine klare | |
| Fokussierung auf das, worum es gehen sollte: den sozialen | |
| Versorgungsauftrag. Die Frage ist, wie viele Unternehmen sich davon | |
| überzeugen lassen werden. Und ob die Angebote des Staats reichen, um sie zu | |
| locken. Denn Profitbeschränkung widerspricht nicht nur ihrer Philosophie. | |
| Es passt auch so gar nicht ins kapitalistische Portfolio. | |
| 9 Jul 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Mieterhoehungen-wegen-Inflation/!5855296 | |
| [2] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/kevin-kuehnert-und-verena-hubert… | |
| [3] /Experte-ueber-Wohnungspolitik/!5863156 | |
| ## AUTOREN | |
| Erica Zingher | |
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