# taz.de -- Rechtsextreme bei Polizei und Bundeswehr: Weit mehr als Einzelfälle | |
> Ein Lagebericht zeigt: In den Sicherheitsbehörden gibt es mehr als 300 | |
> Rechtsextremisten. Erstmals werden auch „private“ Netzwerke benannt. | |
Bild: Innerhalb von drei Jahren sind 327 Mitarbeiter:innen in den Sicherheitsbe… | |
Berlin taz | Sie zeigen den Hitler-Gruß, teilen antisemitische Posts in | |
Chatgruppen und haben Kontakt zu rechtsextremistischen Organisationen: Die | |
Anzahl der Rechtsextremist:innen und Reichsbürger:innen in den | |
Sicherheitsbehörden ist größer als bislang bekannt. Das geht aus dem | |
entsprechenden Lagebericht vor, den Bundesinnenministerin Nancy Faeser | |
(SPD) und Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang [1][am Freitag | |
vorgestellt] haben. | |
Demnach sind innerhalb von drei Jahren 327 Mitarbeiter:innen in den | |
Sicherheitsbehörden aufgefallen, die nachweislich Bezüge zum | |
Rechtsextremismus oder zur Szene der sogenannten Reichsbürger und | |
Selbstverwalter haben. 138 Fälle davon stammen aus den Bundesbehörden, 189 | |
Fälle aus denen der Länder. Betrachtet wurde der Zeitraum vom 1. Juli 2018 | |
bis zum 30. Juni 2021. | |
„Wird die Integrität der Sicherheitsbehörden von innen heraus beschädigt, | |
ist das besonders gefährlich für Rechtsstaat und Demokratie“, sagte Faeser. | |
Von Rechtsextremist:innen in den Sicherheitsbehörden gehe ein hohes | |
Gefahrenpotential aus. Sie versprach: „Wir werden Verfassungsfeinde | |
schneller als bisher aus dem öffentlichen Dienst entfernen.“ Bis Jahresende | |
wolle sie dafür einen Entwurf zur Änderung des Bundesdisziplinargesetzes | |
vorlegen. | |
Erstmals ist in dem Bericht, der jetzt zum zweiten Mal erschienen ist, auch | |
von Netzwerken die Rede. „Das sind keine Einzelfälle“, sagte Faeser, | |
betonte aber auch, dass es sich meistens um private Netzwerke und keine | |
innerhalb der Sicherheitsbehörden handele. Von den 327 | |
Mitarbeiter:innen haben laut Bericht mehr als zwei Drittel | |
Verbindungen zu rechtsextremen Netzwerken gehabt, durchschnittlich geht um | |
mehr als acht Verbindungen. | |
## Auch Kontakte zur NPD und Identitären Bewegung bestehen | |
Zu diesen Kontakten zählen persönliche Bekanntschaften, aber auch die | |
Teilnahme an Demonstrationen und Musikveranstaltungen, Mitgliedschaften in | |
Chatgruppen und Organisationen wie der Identitären Bewegung, der NPD und | |
der „Jungen Alternative“, die Jugendorganisation der AfD. Um die AfD als | |
Gesamtpartei geht es nicht, weil diese im Untersuchungszeitraum noch nicht | |
als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft war. | |
Festgestellt wurden auch Kontakte zu neurechten Vordenkern und Ideologen | |
wie [2][Götz Kubitschek vom Institut für Staatspolitik], dem Herausgeber | |
des [3][rechtsextremen Compact Magazins Jürgen Elsässer] oder dem Kopf der | |
“Identitären Bewegung„ im deutschsprachigen Raum, Martin Sellner. | |
„Erschreckend“ sei das, sagte Haldenwang. | |
Eine ganze Seite ist im Bericht dem [4][Hannibal-Netzwerk gewidmet, zu dem | |
die taz seit November 2018 recherchiert]. Lange haben die | |
Sicherheitsbehörden die Existenz eines Netzwerkes geleugnet, in dem sich | |
unter anderem Spezialkräfte aus Bundeswehr und Polizei in Vorbereitung auf | |
einen „Tag X“ zusammengeschlossen haben. Kopf dieser Preppergruppen war der | |
damalige KSK-Soldat André S. alias Hannibal, Mitglied war auch der | |
rechtsextreme Bundeswehroffizier [5][Franco A., der wegen Terrorvorwürfen | |
in Frankfurt vor Gericht steht]. | |
Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages hat sich seit Ende | |
2018 intensiv mit dem Sachverhalt beschäftigt und bemängelt, dass es unter | |
den Sicherheitsbehörden [6][keine einheitliche Netzwerk-Definition gebe]. | |
Der Begriff „Prepper“ taucht in dem Lagebericht gar nicht auf. | |
Verfassungsschutzchef Haldenwang betonte am Freitag, dass man keine | |
Anhaltspunkte auf Bundesländer übergreifende Netzwerke innerhalb der | |
Sicherheitsbehörden entdeckt habe. Allerdings ist eine relevante Person im | |
Hannibal-Netzwerk Frank T., der Betreiber eines Schießplatzes in | |
Mecklenburg-Vorpommern, auf dem regelmäßig Spezialeinheiten aus ganz | |
Deutschland trainierten. | |
Mitglieder der rechtsextremen Preppergruppe Nordkreuz gelangten dort nicht | |
nur an Behördenmunition, sondern auch an „Insiderwissen etwa zu taktischen | |
Verfahren der dort trainierenden Einsatzeinheiten“, wie es im Bericht | |
heißt. Der Betreiber Frank T., der dem damaligen Innenminister von | |
Mecklenburg-Vorpommern eine Pistole geschenkt hatte, wird im Bericht als | |
„bekannter Rechtsextremist“ bezeichnet. [7][Er ist inzwischen angeklagt.] | |
## Kritik von Links | |
Martina Renner, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion und | |
Rechtsextremismusexpertin, kritisierte denn auch, der Lagebericht liege | |
„fern ab des wirklichen Ausmaßes“. Offen bleibe, inwieweit die nun | |
erkannten Rechtsextremisten in den Behörden ihre Ressourcen und | |
Verbindungen ihren Kameraden außerhalb zur Verfügung gestellt hätten. „Wir | |
sehen also bisher einige lose Enden der Netzwerke“, so Renner. „Es ist | |
notwendig, nun umso konsequenter und härter gegen die Netzwerke der | |
extremen Rechten außerhalb und innerhalb von Behörden vorzugehen.“ | |
Insgesamt sind in dem Lagebericht die Aktivitäten von insgesamt 860 | |
Bediensteten betrachtet worden. 500 arbeits- und disziplinarrechtliche | |
Maßnahmen wurden eingeleitet. In 38 Prozent der bewerteten Fälle lagen die | |
Voraussetzungen für eine weitere nachrichtendienstliche Bearbeitung vor. | |
Aus den Bundesbehörden wurden drei Mitarbeiter entlassen oder nicht in das | |
Beamtenverhältnis ernannt. Aus den Landesbehörden mussten 57 Bedienstete | |
gehen. | |
Die meisten Fälle, in denen ein Rechtsextremismusverdacht vorlag oder sich | |
bereits bestätigt hat, meldeten Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, | |
Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. Berücksichtigt man aber die | |
Größe der Sicherheitsbehörden in den Ländern, liegen die beiden östlichen | |
Bundesländern klar vorn. Auf Bundesebene finden sich die meisten Fälle in | |
der Bundeswehr, es folgen Bundespolizei und Zoll. | |
Im Vergleich zum ersten Bericht, der vor anderthalb Jahren noch von Faesers | |
Vorgänger Horst Seehofer (CSU) vorgestellt wurde, seien die Anzahl der | |
erwiesenen Fälle „deutlich, fast möchte ich sagen dramatisch gestiegen“, … | |
Haldenwang. Das aber liege wohl eher nicht daran, dass es inzwischen mehr | |
Rechtsextreme in den Sicherheitsbehörden gebe. Anders als im ersten Bericht | |
seien nun auch die Fälle aus der Bundeswehr erfasst worden, betonte der | |
Verfassungsschutzchef, außerdem würden Reichsbürger und Selbstverwalter nun | |
miterfasst. Hinzu komme ein größere Sensibilisierung innerhalb der | |
Behörden. | |
13 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Rechtsextremisten-in-Polizei-und-Co/!5854470 | |
[2] /Kubitscheks-Institut-fuer-Staatspolitik/!5801552 | |
[3] /Compact-Magazin-in-der-Krise/!5676890 | |
[4] /Schwerpunkt-Hannibals-Schattennetzwerk/!t5549502 | |
[5] /Prozess-gegen-Bundeswehroffizier/!5851018 | |
[6] /Rechtsextreme-Soldaten/!5727500 | |
[7] /Rechtsextreme-Preppergruppe-Nordkreuz/!5842500 | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
Sebastian Erb | |
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