| # taz.de -- Bundeswehr und die AfD: Offizier und Parteisoldat | |
| > Ein Oberstleutnant und AfD-Politiker bewertet die nationale | |
| > Sicherheitslage – einschließlich Bedrohungen von rechts. Muss das | |
| > Konsequenzen haben? | |
| Bild: In der Julius-Leber-Kaserne in Berlin werden militärische Entscheidungen… | |
| Berlin taz | Über mangelnde Wertschätzung kann Oberstleutnant Stefan P. | |
| sich nicht beklagen. Erst Anfang Juli erhält er eine Dankurkunde für 25 | |
| Dienstjahre bei der Bundeswehr, bekommt Sonderurlaub und 350 Euro | |
| Zuwendung. Routinemäßig steht ihm das zu, wenn er sich auf dem Papier | |
| nichts hat zuschulden kommen lassen. So wird es der taz berichtet. Stefan | |
| P. arbeitet für das Territoriale Führungskommando mit Sitz in der | |
| Julius-Leber-Kaserne in Berlin. Von hier aus wird die Sicherheitslage in | |
| Deutschland beobachtet und im Kriegsfall die Verteidigung organisiert, | |
| ebenso wie in Friedenszeiten die schnelle Katastrophenhilfe. Die 16 | |
| Landeskommandos sind ihm unterstellt. | |
| Stefan P. ist in der Abteilung J2, als Sachgebietsleiter für die | |
| Nachrichtenlage im Inland. Er bewertet Bedrohungen für die Bundeswehr und | |
| ihre Nato-Verbündeten in Deutschland. Dafür steht P. im Austausch mit den | |
| Geheimdiensten, dem [1][Militärischen Abschirmdienst] (MAD) und dem | |
| Bundesnachrichtendienst (BND). Er gibt Einschätzungen ab zu äußeren | |
| Risiken, beispielsweise durch Russland, oder zu Gefahren aus dem Inneren | |
| der Truppe, etwa durch RechtsextremistInnen. Wenn, wie im Falle der | |
| [2][„Patriotischen Union“], eine rechte Terrorgruppe aus ReichsbürgerInnen, | |
| ehemaligen Soldaten und AfD-PolitikerInnen einen Staatsstreich plant, so | |
| landet der Fall auch auf seinem Tisch. | |
| Doch Stefan P. ist nicht nur Offizier in sicherheitsrelevanter Position bei | |
| der Bundeswehr. Er ist auch seit Jahren Mitglied der [3][AfD]. In seiner | |
| Heimat in Rheinland-Pfalz saß er als Abgeordneter im Kreistag, bis heute | |
| vertritt er die AfD dort in Ausschüssen. | |
| P. ist also aktiver Politiker einer Partei, die der Verfassungsschutz als | |
| [4][rechtsextremen Verdachtsfall] beobachtet – und er erhält als Offizier | |
| täglich sensible Informationen von Geheimdiensten. Nicht nur das: Er gibt | |
| zur Sicherheitslage in Deutschland selbst Bewertungen ab, die an höchste | |
| Bundeswehrkreise gesendet werden – sowie an Teile der Bundesregierung. | |
| ## Mehr Sensibilität für rechtes Gedankengut | |
| Der MAD, der für die Überprüfung des Soldaten zuständig ist, weiß das. Er | |
| muss es wissen: Stefan P. hat in seiner Position Einblick in geheime | |
| Verschlusssachen und wird daher regelmäßig einer Sicherheitsüberprüfung | |
| unterzogen. Auch seine Vorgesetzten wissen es. Denn nach Informationen der | |
| taz gab es zu P.s Mitgliedschaft anonyme Hinweise. Doch Konsequenzen hatte | |
| das bis heute keine. Im Gegenteil. | |
| Der Umgang mit dem Oberstleutnant steht für ein Problem, das die Bundeswehr | |
| seit Jahren versucht in den Griff zu bekommen: Rechte und | |
| RechtsextremistInnen in der Truppe. Dabei werden ernste Bemühungen | |
| bekundet, sie loszuwerden: Der MAD will heute transparenter sein als | |
| früher, seit 2019 gibt es eine [5][Koordinierungsstelle für | |
| Extremismusverdachtsfälle] im Bundesverteidigungsministerium, die | |
| Wehrbeauftragte lobt eine „Null-Toleranz-Politik“. | |
| Hört man sich bei SoldatInnen um, so erzählen zumindest jene, die mit der | |
| taz sprechen, dass es durchaus eine gesteigerte Sensibilität für rechtes | |
| Gedankengut in der Truppe gibt, aber sich immer noch sehr viel verbessern | |
| müsse. Alles hänge vom Vorgesetzten ab, dem man den Vorfall melde, erzählt | |
| einer. Zu oft wollten die das dann „intern“ regeln und nicht auf | |
| offiziellem Weg, um großes Aufsehen zu vermeiden. Ein anderer ist | |
| frustriert über Überprüfungen durch den MAD, die zu nichts führten. | |
| ## AfD-Mitgliedschaft scheinbar kein Problem | |
| Offiziell bearbeitete der MAD [6][im Jahr 2022 im Bereich des | |
| Rechtsextremismus 773 Verdachtsfälle in der Bundeswehr, darunter 163 neue | |
| Fälle]. Ob auch Oberstleutnant Stefan P. darunter war? Anfang Juli wollte | |
| die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Die Linke) wissen, wie viele | |
| Soldaten, die Abgeordnete der AfD sind oder waren, seit 2018 durch den MAD | |
| überprüft wurden. Doch laut Antwort der Bundesregierung sei die | |
| Parteizugehörigkeit in den Datensystemen des MAD „kein Kriterium, welches | |
| statistisch erfasst wird“. | |
| Im Fall von Stefan P. scheint seine AfD-Mitgliedschaft nicht nur | |
| statistisch nicht erfasst, sondern trotz seiner sensiblen Position auch bei | |
| den Vorgesetzten kein Problem zu sein. Im April übertrug man ihm sogar noch | |
| mehr Verantwortung: Stellvertretend ist er seither zusätzlich der Leiter | |
| des Referats für Lagebearbeitung. Berichte mit seiner Unterschrift landen | |
| etwa beim Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos, Generalleutnant | |
| André Bodemann. | |
| Ebenso werden P.s nationale Sicherheitsbewertungen an wichtige Stellen | |
| innerhalb der Bundeswehr, das Bundesamt für Verfassungsschutz, den BND und | |
| das Bundesinnenministerium geschickt. Bei Bedarf wird wohl auch das | |
| Kanzleramt informiert sowie das Verteidigungsministerium. | |
| Die Berichte des Oberstleutnants haben damit Einfluss auf die Politik. So | |
| soll Stefan P. empfohlen haben, Kasernen für die Drohnenabwehr aufzurüsten, | |
| was dann auch geschah. In einem anderen Fall riet die Bundeswehr ihren | |
| Soldaten dringend, sie sollten nach dem Urteil gegen die [7][Antifaschistin | |
| Lina E.] aus Sicherheitsgründen öffentlich keine Uniformen tragen, und das | |
| bundesweit. Die Bundeswehr befürchtete offenbar Angriffe von Linken auf | |
| Soldaten. Die Lagebewertung, die zu dieser Entscheidung führte, soll von P. | |
| unterzeichnet gewesen sein. | |
| Anders als seine Vorgesetzten und der MAD sehen einige Soldaten im | |
| Territorialen Führungskommando P.s AfD-Mitgliedschaft kritisch – obgleich | |
| seine politische Meinung bei der Arbeit wohl bislang nicht besonders | |
| auffiel. Bis auf einmal: Da soll er stramm rechte AfD-Positionen vertreten | |
| haben, als er sich dienstlich über die Bedrohung durch Flüchtlinge äußerte. | |
| Wie verhält sich die Bundeswehr dazu? Das Territoriale Führungskommando der | |
| Bundeswehr hat auf eine taz-Anfrage nicht reagiert. Das | |
| Verteidigungsministerium und der MAD wollten sich zu dem konkreten Fall von | |
| Oberstleutnant Stefan P. nicht äußern und verwiesen auf Datenschutz und | |
| Persönlichkeitsrechte. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums erklärte | |
| allgemein zum Umgang mit der AfD innerhalb der Bundeswehr: Soldatinnen und | |
| Soldaten seien grundsätzlich frei in der Ausübung ihres politischen | |
| Engagements. Die bloße Mitgliedschaft in einer nicht vom | |
| Bundesverfassungsgericht verbotenen Partei stelle nicht zwingend ein | |
| Dienstvergehen dar, „vielmehr ist der konkrete Einzelfall zu bewerten“. | |
| Ermittelt werde etwa bei einem Verdacht auf Beteiligung an einer | |
| extremistischen Bestrebung. | |
| Solange die Partei nicht verboten oder bundesweit als gesichert | |
| rechtsextrem eingestuft ist, bleibt es also schwierig, SoldatInnen und | |
| BeamtInnen allein wegen ihrer Mitgliedschaft aus dem Staatsdienst zu | |
| entfernen. Allerdings wäre es durchaus möglich, sie von | |
| sicherheitsrelevanten Posten fernzuhalten. | |
| Laut Gesetz besteht ein Sicherheitsrisiko, wenn „Zweifel am Bekenntnis der | |
| betroffenen Person zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne | |
| des Grundgesetzes oder am jederzeitigen Eintreten für deren Erhaltung“ | |
| bestünden. Der MAD hielt Stefan P.s Landesverband in Rheinland-Pfalz aber | |
| offenbar für moderat und daher dienstrechtlich unproblematisch. | |
| Tatsächlich hielt sich P. als AfD-Politiker mit markanten Wortmeldungen | |
| zurück. So geht es aus den Protokollen aus seiner Zeit als Abgeordneter des | |
| Kreistages in seiner Heimatregion hervor. 2015 zog er in das Gremium ein | |
| und übte bis 2019 sein Mandat aus. | |
| ## Stefan P. bleibt Parteimitglied | |
| Zwischenzeitlich hatte P. zwar die AfD im Jahr 2015 verlassen, trat 2018 | |
| aber wieder ein. Der damalige [8][Landesvorsitzende der AfD, Uwe Junge, | |
| selbst Oberstleutnant], erklärte dessen Rückkehr so: „Die Sorgen um eine | |
| mögliche Radikalisierung der AfD haben sich als völlig unbegründet | |
| herausgestellt.“ Das war schon 2018 eine gewagte Aussage: Der Streit um das | |
| weitere Abdriften der Partei war in vollem Gange. So hatte die | |
| [9][ehemalige Parteichefin Frauke Petry] die AfD längst verlassen und vor | |
| Extremismus des Flügels um Björn Höcke gewarnt. 2021 [10][trat auch Uwe | |
| Junge] wegen des Einflusses von Höckes Leuten aus der AfD aus. | |
| Stefan P. aber bleibt Parteimitglied. 2019 kandidierte er erneut für den | |
| Kreistag, wurde zwar nicht wieder gewählt, sitzt aber bis heute für die AfD | |
| in einem Ausschuss, zeigt Disziplin und fehlt bei kaum einer Sitzung. | |
| Er sei ein „Hinterbänkler“, sagen Menschen, die mit seiner Arbeit im | |
| Kreistag vertraut sind. P. gehöre eher dem wirtschaftsliberalen Lager an, | |
| während sie seinen aktuellen Kreisvorsitzenden Martin Kallweitt dem | |
| Höcke-Lager zuordnen. | |
| Online erfährt man wenig über Stefan P., aber es scheint keine | |
| Berührungsänste zwischen ihm und dem Rechtsaußen Kallweitt zu geben. 2019 | |
| posieren die beiden mit einem weiteren Kameraden [11][auf Motorrädern für | |
| ein Foto]. Sie werben für die Kreistagswahl: „Wir als AfD setzen uns nicht | |
| nur für die Wiederherstellung der inneren Sicherheit und Ordnung ein, | |
| sondern auch für die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer.“ | |
| ## AfD erfülle Voraussetzungen für Parteiverbot | |
| Am 25. Februar 2022, einen Tag nach der russischen Invasion in die | |
| Ukraine, postet Kallweitt bei Facebook ein Foto, auf dem eine | |
| Russlandfahne zu sehen ist. Im April teilt er einen Post der rechtsextremen | |
| belgischen Partei „Vlaams Belang“. | |
| Ginge es nach dem Deutschen Institut für Menschenrechte, so sollte der | |
| Staat bereits Disziplinarverfahren einleiten, wenn SoldatInnen lediglich | |
| für Positionen der AfD eintreten – auch ohne Mitgliedschaft. Das Institut | |
| wird [12][aus dem Haushalt des Bundestags finanziert] und hat den | |
| gesetzlichen Auftrag, als unabhängige Institution der Bundesrepublik | |
| Deutschland die Öffentlichkeit über die Lage der Menschenrechte zu | |
| informieren. | |
| In einer Analyse vom Juni sieht das Institut die Voraussetzungen für ein | |
| Parteiverbot erfüllt. Bei der AfD sei eine rassistische national-völkische | |
| Ausrichtung in der Gesamtpartei fest verankert und beschränke sich „nicht | |
| etwa allein auf Mitglieder von Teil-Organisationen“. SoldatInnen, die | |
| Mitglieder der AfD sind, seien „vorbehaltlich einer Einzelfallprüfung aus | |
| dem Staatsdienst zu entlassen“. | |
| MAD und Bundeswehr-Verantwortliche scheinen diese Einschätzung bislang | |
| nicht zu teilen. Und Oberstleutnant P.? Der kann sich wohl schon auf die | |
| Urkunde zum nächsten Dienstjubiläum freuen. | |
| 28 Jul 2023 | |
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| Jean-Philipp Baeck | |
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