# taz.de -- Nachrichtendienst der Bundeswehr: Geheimdienst-Arbeit ohne Regeln | |
> Die Bundeswehr betreibt jenseits des MAD ein Nachrichtenwesen und greift | |
> in Grundrechte ein. Die Kontroll-Pläne der Ampel sind unzureichend. | |
Bild: Berlin, 26.10.2020: das Zenrtrum für Politische Schönheit will auf fehl… | |
Als Bundeskanzler Olaf Scholz im Februar 2022 seine Zeitenwende-Rede hielt, | |
katapultierte er die Bundeswehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Seitdem | |
wird in der Öffentlichkeit detailliert über das Beschaffungswesen und die | |
Einsatzbereitschaft von Panzern und Funkgeräten diskutiert. Seltener | |
thematisiert werden hingegen die Aufklärungs- und Überwachungsfähigkeiten | |
der Bundeswehr – obwohl diese immer wichtiger werden. Ausgespart bleibt | |
dabei nicht nur, welche Möglichkeiten die Streitkräfte in diesem Bereich | |
schon jetzt haben, sondern auch, inwieweit diese Aktivitäten überhaupt | |
demokratisch begrenzt und kontrolliert werden. | |
Deutlich wurde das in der jährlich stattfindenden öffentlichen Anhörung der | |
Nachrichtendienste durch [1][das Parlamentarische Kontrollgremium] am 16. | |
Oktober. Die Abgeordneten interessierten sich besonders dafür, wie sich | |
Scholz’ Zeitenwende auf die Dienste und deren Arbeit auswirkt. Wie sich die | |
Änderungen auf die Überwachungstätigkeiten des Militärischen | |
Nachrichtenwesens auswirken, konnten sie hingegen nicht erfragen. Denn: Das | |
Mandat dieses Kontrollgremiums erstreckt sich nicht auf das Militärische | |
Nachrichtenwesen jenseits des offiziellen Militärischen Abschirmdienstes | |
MAD. Deshalb war auch kein:e Vertreter:in der Bundeswehr anwesend – | |
dabei wäre eine demokratische Kontrolle hier dringend geboten. | |
Wie [2][wir in einer Studie aufzeigen konnten], hört das Militärische | |
Nachrichtenwesen Gespräche über Funkgeräte und Handys ab, wirbt | |
Informant:innen im Ausland an und wertet Informationen aus dem Internet | |
systematisch und automatisiert aus. Viele dieser Aktivitäten greifen tief | |
in Grundrechte ein. Da die Bundeswehr sich vorrangig für Bedrohungen | |
außerhalb der Bundesrepublik interessiert, betrifft das meist Personen im | |
Ausland. | |
Der Fall des „Zentrums für Politische Schönheit“ zeigt aber, dass auch ei… | |
deutsche Künstler:innenvereinigung Ziel militärischer Überwachung | |
werden kann: Hier wurden in Zusammenhang mit einer Aktion, [3][in der das | |
Kollektiv auf fehlende Waffenbestände aufmerksam machte], öffentlich | |
zugängliche Informationen über die Aktivist:innen automatisiert | |
zusammengeführt und ausgewertet. Erfahren hat die Organisation davon nur | |
durch investigative Medienberichte. | |
Nach unseren Schätzungen arbeiten 7.000 Mitarbeiter:innen für das | |
Militärische Nachrichtenwesen. Was die Personalressourcen angeht, spielt | |
die Bundeswehr damit in einer Liga mit dem größten Nachrichtendienst des | |
Bundes, dem BND. Für ihn und die anderen beiden Nachrichtendienste, das | |
Bundesamt für Verfassungsschutz und den MAD, gibt es jedoch jeweils ein | |
eigenes Gesetz. | |
Diese legen fest, unter welchen Bedingungen die Dienste überwachen dürfen, | |
wie ihre Befugnisse begrenzt sind und wer die Dienste bei der Ausübung | |
kontrolliert. Auch wenn diese Regeln noch deutlich weiter gehen müssten, | |
ist es wichtig, dass es sie überhaupt gibt. Denn sie beugen dem Missbrauch | |
von Überwachungsbefugnissen vor, ermöglichen die Ahndung von Missständen | |
und geben den Verantwortlichen Rechtssicherheit. | |
## Nur Dienstvorschriften | |
Für die Überwachungstätigkeiten der Bundeswehr existiert hingegen bisher | |
nichts Vergleichbares. Regeln für Eingriffe in Grundrechte wie das | |
Fernmeldegeheimnis oder das Recht auf informationelle Selbstbestimmung | |
finden sich, wenn überhaupt, nur in internen Dienstvorschriften. Um diese | |
Regeln und Vorschriften auf ihre Legitimität hin abklopfen zu können, | |
müssten sie aber öffentlich einsehbar sein. Auch der Bundesbeauftragte für | |
den Datenschutz und die Informationssicherheit (BfDI) forderte jüngst eine | |
solche gesetzliche Grundlage. | |
Anders als der BfDI sehen wir aber auch bei den Kontrollmechanismen | |
Handlungsbedarf. Da Betroffene in der Regel nicht merken, dass sie | |
überwacht werden, können sie sich auch nicht rechtlich dagegen wehren. Um | |
das zu kompensieren, braucht es eine effektive Kontrolle, die die Behebung | |
von Missständen auch durchsetzen kann. Der BfDI kann Missstände bemängeln – | |
ob das zuständige Ministerium der Empfehlung folgt und den Missstand | |
behebt, bleibt ihm überlassen. Was die Kontrolle angeht, sollten deshalb | |
Lücken geschlossen und die Handlungsmöglichkeiten der Kontrollinstanzen | |
gestärkt werden. | |
Es ist nicht so, dass sich die Ampel-Koalition gar nicht mit den Lücken im | |
Nachrichtendienst-Recht befasst. Einige Reformen hat sie bereits auf den | |
Weg gebracht. Bis Ende nächsten Jahres sollen im Rahmen einer sogenannten | |
„Überwachungsgesamtrechnung“ die bestehenden Sicherheitsgesetze auf ihre | |
Wirkung auf die Grundrechte und ihre Effektivität hin untersucht werden. | |
Ein Gremium mit dem klangvollen Namen „Freiheitskommission“ soll dann ab | |
2025 künftige Gesetze in diesem Zusammenhang überprüfen. Nur: Die | |
nachrichtendienstlichen Tätigkeiten der Bundeswehr bleiben bei alldem | |
bislang außen vor. | |
Mehr Einfluss für das Parlamentarische Kontrollgremium | |
Die Bundesregierung sollte dafür sorgen, dass bestehende Kontrollinstanzen | |
überhaupt zuständig sind. Sie sollte die Mandate des Parlamentarischen | |
Kontrollgremiums und des Unabhängigen Kontrollrats auf das Militärische | |
Nachrichtenwesen ausweiten. Mittelfristig sollte sie dafür sorgen, dass für | |
alle Überwachungsaktivitäten vergleichbare Regeln gelten – denn die | |
Unterschiede erhöhen auch den Anreiz, strengere Regeln und Kontrolle durch | |
Kooperationen zu umgehen. Die Bundesregierung sollte also einen | |
einheitlichen Rechtsrahmen für alle nachrichtendienstlichen Tätigkeiten | |
schaffen. | |
So würde die Ampel endlich dem eigenen Anspruch gerecht werden, | |
Überwachungsaktivitäten konsistent zu regeln. Außerdem könnte sie so die | |
eigene Glaubwürdigkeit stärken, wenn sie im In- und Ausland auf die | |
Einhaltung rechtsstaatlicher Standards pocht. In Zeiten geopolitischer | |
Umbrüche, in denen Demokratien von vielen Seiten unter Druck geraten, ist | |
das wichtiger denn je. | |
Corbinian Ruckerbauer ist Experte für Nachrichtendienste und digitale | |
Grundrechte beim Berliner Thinktank „Stiftung Neue Verantwortung“. | |
1 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Linksfraktion-loest-sich-auf/!5973025 | |
[2] https://www.stiftung-nv.de/de/publikation/defizite-der-kontrolle-des-milita… | |
[3] https://politicalbeauty.de/unsere-waffen.html | |
## AUTOREN | |
Corbinian Ruckerbauer | |
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