Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Roderich Kiesewetter über Nato-Gipfel: „Deutschland ist Kriegszi…
> Der CDU-Verteidigungspolitiker Kiesewetter fordert weitere Sanktionen für
> Russland. Zudem müsse auf Putin klarer reagiert werden.
Bild: Luftverteidigungssystem auf dem Flughafen Vilnius
Herr Kiesewetter, am Dienstag beginnt der [1][Nato-Gipfel]. Welches Zeichen
erhoffen Sie sich von diesem Treffen in Vilnius?
Roderich Kiesewetter: Zunächst einmal, dass die Türkei und Ungarn ihre
Vorbehalte aufgeben, damit Schweden Nato-Mitglied werden kann.
Derzeit stocken die Verhandlungen ja.
Ungarn macht das, was die Türkei macht. Man hat bereits signalisiert, wenn
die Türkei ihre Vorbehalte aufgibt, dann würden sie es auch tun. Aber neben
dem [2][Nato-Beitritt Schwedens] ist es wichtig, dass die Ukraine ganz
klare Sicherheitsgarantien erhält. Dazu zählt auch, dass die militärische
und zivile Unterstützung für die Ukraine aufgestockt wird.
Die [3][Ukraine wirbt um einen schnellen Nato-Beitritt]. Schließen Sie das
aus?
Entscheidend ist, dass die Ukraine die Chance hat, der Nato beizutreten,
sobald die Sicherheitsbedingungen es zulassen. Das muss ganz klar gesagt
werden und darf nicht mehr angezweifelt werden. Es darf auch keine
doppeldeutigen Formulierungen geben, sondern eine klare Perspektive – auch
für die ukrainische Bevölkerung. Die Ukraine muss als Ganzes erhalten
bleiben. Alles andere wäre eine Einladung an Russland, bestimmte Gebiete
besetzt zu halten. Es braucht jetzt als Zwischenschritt zur
Nato-Mitgliedschaft Garantien, gegebenenfalls auch mit einem nuklearen
Beistand – zur Abschreckung.
Soll die Bundesregierung sich beteiligen?
Von deutscher Seite aus sollte jedenfalls die Kampfjet-Allianz unterstützt
werden und die Lieferungen von weitreichenden Systemen, Panzer und mehr
Munition zugesagt werden.
Die USA haben angekündigt, [4][Streumunition an die Ukraine zu liefern].
Die Bundesregierung zeigt Verständnis. Sind solche international geächteten
Waffen im Kriegsgeschehen eingepreist?
Ich wünschte mir dasselbe Maß an Empörung und dieselbe Diskussion, wenn es
um Russland geht. Denn Russland setzt diese von Deutschland abgeschaffte
Munition tausendfach gegen die ukrainische Zivilbevölkerung ein. Wenn die
Ukraine nun Streumunition in Front-Gebieten einsetzt, die ohnehin durch
russische Cluster-Munition für lange Zeit unbewohnbar gemacht wurden, in
denen es keine Zivilbevölkerung gibt, ist dies wahrscheinlich einer der
wenigen Ausnahmen, wo dies legal ist. Daran sieht man, wie fatal es ist,
dass wir durch Verzögerung und Blockade bei Waffenlieferungen fast ein Jahr
verloren haben. Das hat Russland genutzt und sich tief eingegraben und
breite Frontabschnitte vermint. Für uns muss das der klare Appell sein,
mehr weitreichende Waffen und Munition zu senden, alles, was wir selbst
auch verwenden würden.
Nicht nur Waffen liefern, sondern auch mehr deutsche Soldat:innen im
Ausland stationieren – so wie Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD)
[5][es für Litauen angekündigt hat].
Das war ein wichtiges Signal der Bündnissolidarität auch gegen den Rat
vieler aus der Bundeswehr. Pistorius hat sich durchgesetzt gegen die
Bedenkenträger. Es geht um die Stationierung ab 2026. Wahrscheinlich müssen
dann auch Gelder umpriorisiert werden, denn dafür wird es nicht viele
zusätzliche Gelder geben. Aber Litauen steuert auch eine halbe Milliarde
Euro bei.
Ist die Ankündigung nicht dennoch eine Provokation für Russland?
Nein! Mit dieser Entscheidung geht auch ein Ruck durch die Bundeswehr.
Damit wird deutlich, es sind keine Verteidigungsbeamten im Inland, sondern
es sind Soldaten, und zwar Soldaten, die die Sicherheit Deutschlands und
des Bündnisses verteidigen. Russland versucht sehr schleichend, den
Zusammenhalt der westlichen Staaten zu zerstören, und wir sind hybrides
Kriegsziel. Putin darf nicht an unserem politischen Willen zweifeln, dass
wir die rumänischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger verteidigen, oder
das Baltikum mit seinen rund sechs Millionen Menschen. Die Allianz der
Staaten muss ein klares Signal an Putin senden.
Welches?
Nach der Zerstörung des Staudamms gab es keine Reaktion. Aber jetzt droht
die Sprengung des [6][Kernkraftwerks Saporischschja]. Ein GAU wird offenbar
in Kauf genommen. Deswegen müssen wir hier sehr viel klarer reagieren und
auch politisch klarmachen: wenn es zur Kernschmelze kommt, dann wird dies
genauso behandelt werden, wie der Einsatz einer taktischen Nuklearwaffe.
Und das bedeutet?
Zum Beispiel Kaliningrad von den russischen Versorgungslinien
abzuschneiden. Wir sehen ja, wie Putin reagiert, wenn er unter Druck ist.
Wir brauchen weitere Sanktionen und eine klare Benennung, dass bei einer
Zerstörung des AKW eine Antwort der Stärke und Entschlossenheit folgen
wird.
Welche?
Die exakte Vorgehensweise sollten wir nicht ankündigen, sondern
unberechenbarer für Putin werden. Aber wenn sich etwa Rumänien bedroht
fühlt, beispielsweise wenn [7][Russland in Moldau] vorgeht. Dort leben zu
einem Großteil rumänische Staatsbürger. Dann würde das als Angriff auf das
Bündnis betrachtet werden können und wäre auch ein Grund für die Anwendung
von Artikel fünf. Der US-Senat hat erst kürzlich eine Resolution
eingebracht, in der vorgeschlagen wird, Handlungen Russlands als Angriff
auf die NATO zu werten, wenn es zu einer radioaktiven Verseuchung des
Territoriums der Verbündeten kommt. Es muss sehr klar an Russland
kommuniziert werden, dass so etwas Konsequenzen hätte. Wir sehen ja, wie
Putin reagiert, wenn er unter Druck ist.
Mit Boris Pistorius haben wir einen SPD-Verteidigungsminister. Seine
Vorgänger:innen aus der CDU haben ihm nicht wirklich eine gute Vorlage
hinterlassen.
Das sage ich doch schon die ganze Zeit. Und zweitens war derjenige, der die
Hand darauf hatte, der damalige Finanzminister Olaf Scholz. Wir sehen jetzt
vor allem eine Zeitenwende in der SPD. Bei aller Selbstkritik muss ich auch
sagen, der Union war immer der Regierungsfrieden wichtiger als die
Sicherheit, und heute zahlen alle Parteien den Preis dafür, denn das nutzt
die AfD schamlos aus.
Aufrüstung kostet. Ebenso wie die Zusage, das Zwei-Prozent-Ziel
einzuhalten. Gerechtfertigt in einer angespannten Haushaltslage?
Sicherheit kostet. Wir können nicht einerseits die ganzen Vorteile der
internationalen Ordnung haben wollen und dann die Durchsetzung dieser
Ordnung nicht unterstützen. Wir können Sicherheitspolitik nicht nach
Kassenlage machen. Das haben wir lange genug gemacht, und das geht nicht
mehr: Deutschland ist Kriegsziel. Das muss man auch unserer Bevölkerung
sagen. Wir müssen unseren Wohlstand neu definieren. Den werden wir nur
erhalten, wenn die Länder noch Vertrauen in Deutschland haben und sich
nicht Polen oder die baltischen Staaten von uns abwenden, weil sie sagen,
die machen nur Lippenbekenntnisse.
Der Verteidigungsetat wird um rund 2,9 Milliarden Euro aufgestockt.
Außerdem steht noch ein Großteil des Sondervermögens zur Verfügung.
Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe [8][müssen mit Kürzungen
klarkommen]. Finden Sie das richtig?
Entwicklungszusammenarbeit muss stärker mit den außenpolitischen Interessen
koordiniert werden. Es geht eben nicht nur um Softpower, es geht um Smart
Power. Es geht um Diplomatie und Härte.
Wie wollen Sie das vermitteln, ohne dass in der Bevölkerung Ängste
entstehen?
Wir haben über 700 Abgeordnete. Ich glaube, unsere Pflicht ist es, genau
dies zu vermitteln und Orientierung für die Menschen zu bieten. Ich wünsche
mir mehr Bereitschaft bei den Abgeordneten, nicht nur in ihren Wahlkreisen
Bürgergespräche und Diskussionsrunden zu machen, sondern bundesweit aktiv
für eine aufgeklärte Sicherheitspolitik einzutreten.
10 Jul 2023
## LINKS
[1] /Expertin-ueber-Nato-Position-zu-Ukraine/!5941958
[2] /Wegen-Widerstand-der-Tuerkei/!5945821
[3] /Tuerkei-Besuch-von-Selenski/!5945967
[4] /-Nachrichten-im-Ukraine-Krieg-/!5945827
[5] /Deutsche-Soldaten-in-Litauen/!5940262
[6] /Atomkraftwerk-Saporischschja/!5938937
[7] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/moldau-krieg-101.html
[8] /Kritik-am-Bundeshaushalt/!5943138
## AUTOREN
Tanja Tricarico
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Nato
Russland
Ukraine
Moldau
Litauen
Schweden
Verteidigungspolitik
Waffenlieferung
Militär
GNS
Bundeswehr
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Tschetschenien
Litauen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nachrichtendienst der Bundeswehr: Geheimdienst-Arbeit ohne Regeln
Die Bundeswehr betreibt jenseits des MAD ein Nachrichtenwesen und greift in
Grundrechte ein. Die Kontroll-Pläne der Ampel sind unzureichend.
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Wagner-Gruppe entwaffnet
Präsident Selenskyj hat ein positives Fazit nach dem Nato-Gipfel gezogen.
Die Wagner-Kämpfer müssen ihre Waffen abgeben. Es gab wieder
Drohnen-Angriffe auf Kyjiw.
Nato-Gipfel in Vilnius: Der Krieg und das letzte Komma
Beim Nato-Gipfel wird vor allem um Worte gekämpft: Der Ukraine wird gegen
den russischen Angriffskrieg viel versprochen – aber vieles bleibt vage.
Konflikte beim Nato-Gipfel in Vilnius: Nato an der eigenen Front
Die Ukraine will ins Bündnis, nicht alle Mitgliedstaaten sind dafür. Auch
nebensächliche Differenzen werden den Blick aufs Wesentliche verstellen.
Einsatz von Streubomben in der Ukraine: Nicht alle sind verboten
Die USA wollen Streubomben an die Ukraine liefern. Weil sie Zivilisten
gefährden, ist ihr Einsatz geächtet – außer der von kleineren Bomben.
FB-Analysen zum russischen Überfall: Das Schreckliche verstehen
Der italienische Militäranalyst Orio Giorgio Stirpe schreibt auf Facebook
erhellende Post zum Krieg in der Ukraine – und zur Stimmung in Italien.
Tschetschenischer Anwalt im Interview: „Glieder einer Kette“
Abubakar Jangulbajew ist Menschenrechtler und Anwalt. Er spricht über die
Dekolonisierung Russlands und den Überfall auf die russische Journalistin
Jelena Milaschina.
Deutsche Soldaten in Litauen: Ankündigung mit Tücken
Verteidigungsminister Pistorius will 4.000 Soldat:innen dauerhaft in
Litauen stationieren. Die Umsetzung wird dauern.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.