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# taz.de -- GEW-Vorsitzende über neues Schuljahr: „Ich würde mein Kind impf…
> Masken und Schnelltests werden uns auch im Herbst begleiten, sagt
> GEW-Vorsitzende Maike Finnern. Krisenfest seien die Schulen damit aber
> nicht.
Bild: Laut der GEW-Vorsitzenden werden im neuen Schuljahr auch weiterhin Hygien…
taz: Frau Finnern, die Delta-Variante breitet sich zunehmend auch in
Deutschland aus. Kinder und Jugendliche sind aktuell aber noch weitgehend
ungeimpft. Glauben Sie, dass die Schulen nach den Sommerferien [1][im
Regelbetrieb] öffnen?
Maike Finnern: Das hängt davon ab, was in den kommenden Wochen passiert.
Prinzipiell ist es richtig, dass die Schulen wieder für möglichst alle
Schüler:innen in Präsenz öffnen. Ich glaube aber, dass wir auf jeden
Fall weiter Hygienekonzepte brauchen werden: Abhängig von der
Infektionslage und dem Impffortschritt Masken tragen im Unterricht, aber
auch verpflichtende Schnelltests. Wie es jetzt aussieht, werden die meisten
Jugendlichen im Herbst wohl noch nicht gegen Corona geimpft sein. Die
Schutzmaßnahmen werden uns deshalb auch im neuen Schuljahr begleiten.
Anders kann ich es mir ehrlich gesagt nicht vorstellen.
Ähnlich hat sich vor kurzem Gesundheitsminister Jens Spahn geäußert – und
damit [2][heftige Reaktionen] ausgelöst. Liegen die Nerven so blank, dass
wir der Realität nicht ins Auge blicken wollen?
Es ist momentan sehr schwer, sachlich über diese Themen zu sprechen. Mein
Eindruck ist, dass sich die Fronten verhärtet haben. Man darf nicht
vergessen, dass die 15 Monate Pandemie den Familien alles abverlangt haben.
Im letzten Lockdown waren die Kinder sehr lange zuhause, viele Eltern
gingen auf dem Zahnfleisch. Jetzt sind wir in einer Phase, wo viele denken,
es ist ja schon fast wieder vorbei. Die Zahlen sind gut, das Wetter ist
gut, es läuft die Fußball-EM. Es sieht nach Normalität aus. Da verstehe
ich, dass man ungern über mögliche Einschränkungen im Herbst spricht.
Trotzdem muss man sich der Situation stellen. Sonst machen wir denselben
Fehler wie letzten Sommer, wo viele dachten, Corona sei schon überstanden.
Viele Eltern haben das Gefühl, der Staat stellt die Bedürfnisse von Kindern
und Jugendlichen hinten an. Was können die Ministerien denn tun, um die
Schulen besser zu schützen? Außer für Corona-Impfungen zu werben?
Gegen die sehr ansteckende Delta-Variante brauchen wir alle
Schutzmaßnahmen. Für die Schulen ist es erst mal eine Erleichterung, dass
alle Lehrkräfte, die sich impfen lassen möchten, bis zum Schulstart im
Herbst durchgeimpft sind. Bei den Kindern ist die Frage natürlich
schwieriger. Ich persönlich würde mein Kind impfen lassen, obwohl die
[3][Ständige Impfkommission dies momentan nicht empfiehlt]. Ich kann aber
auch verstehen, wenn Eltern da zurückhaltend sind. Deshalb kommt es jetzt
darauf an, die Schulen über den Sommer krisenfest zu machen, etwa indem
endlich Luftfilter eingebaut werden.
Beim Thema Luftfilter schütteln Viele die Köpfe. Über ein Jahr lang
passierte so gut wie nichts. Seit Mitte Juni nun unterstützt der Bund die
Ausstattung der Klassenzimmer mit Luftfiltern – aber nur für die
Grundschulen.
Es passiert viel zu wenig, keine Frage. Darauf weisen wir ja schon lange
hin. Von Seiten der Politik hören wir immer: Schulen sind ganz wichtig,
Kinder und Jugendliche haben in der Pandemie stark gelitten. Aber dabei
bleibt es dann häufig. Dabei muss jetzt dringend gehandelt werden. Sonst
haben wir wieder die Situation wie letzten Winter, wo die wichtigste
Maßnahme neben der Maskenpflicht das Durchlüften der Klassenzimmer war und
Fördervereine Decken an frierende Schüler:innen verteilen mussten. So
einen Winter wollen wir nicht noch mal erleben.
Wo sehen Sie außer bei den Luftfiltern noch Handlungsbedarf?
Vor allem beim Personal. Wenn wir mehr Lehrkräfte an den Schulen hätten,
dann könnten wir mit kleineren Gruppen arbeiten. Das wäre wichtig, um im
Herbst die Abstandsregeln gut einhalten zu können. Aber es wäre auch gut,
um besseren Unterricht machen zu können. Das haben wir in den Phasen, in
denen wir im Wechselunterricht waren, gelernt. Viele Lehrer:innen haben
uns rückgemeldet: In kleinen Gruppen schaffen sie mehr Stoff und können
auch besser individuell auf die Schüler:innen eingehen. Das würde vor
allem denen guttun, die besonders unter der Pandemie gelitten haben.
Für abgehängte Schüler:innen stellt die Bundesregierung eine Milliarde
Euro zur Verfügung. Reicht das, um Lernrückstände und Versäumnisse bei den
sozialen Kompetenzen aufzuholen?
Erst mal freut mich sehr, dass Sie den sozialen Bereich mit angesprochen
haben. In der öffentlichen Debatte wird ja sehr häufig reduziert auf Stoff.
Jetzt stellen Sie sich aber mal einen Jugendlichen vor, der während der
Pandemie zuhause wenig Unterstützung bekommen hat und jetzt in den Ferien,
wenn seine Freunde in den Urlaub fahren, Mathe oder Deutsch nachholen soll.
Ich bin mir nicht sicher, ob das mit der Motivation so klappt. Dazu braucht
es auch ganz andere Instrumente. Deshalb kann es nicht reichen, eine
Milliarde Euro zur Verfügung zu stellen und damit zum Beispiel
Nachhilfeinstitute zu beauftragen. Wir müssen das Schulsystem so verändern,
dass es tatsächlich gleiche Chancen für alle Kinder und Jugendlichen gibt.
Und das kostet viel Geld. Deshalb kann die eine Milliarde nur der erste
Schritt sein.
Was wären Schritt zwei und drei?
Kleine Unterrichtsgruppen und Ganztagsangebote. Idealerweise wären die
Schulen auch einladend und gut ausgestattet, mit digitalen Endgeräten für
alle und mit ausreichenden Schulsozialarbeiter:innen und
Sonderpädagog:innen. Natürlich sind das alles Punkte, die man nicht von
heute auf morgen umsetzen kann. Bis zum Beispiel genügend zusätzliche
Lehrkräfte ausgebildet sind, vergehen einige Jahre. Aber man muss diese
Punkte endlich angehen, wenn man die Chancengleichheit ernst nimmt.
Nimmt man offenbar aber nicht. Vergangenen Freitag scheiterte der
Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen im Bundesrat.
Streitpunkt war wieder mal die Frage, wer bezahlt: Bund oder Länder.
Das ist leider ein typisches Beispiel dafür, warum im Bildungsföderalismus
zurzeit sinnvolle Vorhaben scheitern. Anstatt dass sich Bund, Länder und
Kommunen gemeinsam überlegen, wie man den Rechtsanspruch auf einen
Ganztagsplatz im Grundschulalter gemeinsam gestaltet, streiten sich die
Beteiligten über die Finanzen. Gescheitert ist das Gesetz ja, weil die
Länder wollten, dass der Bund, der den Rechtsanspruch einführen will, alle
Kosten selbst trägt. So kommen wir aber nicht weiter.
Wie denn? Bildungsföderalismus abschaffen? Oder im Gegenteil das
Bundesbildungsministerium abschaffen, wie Winfried Kretschmann gerade
[4][etwas polemisch] ins Spiel gebracht hat?
Ich würde den Bildungsföderalismus nicht abschaffen. Er hat auch viele
Stärken. Gleichzeitig sehe ich aber nicht, dass es ohne die Finanzierung
über den Bund geht. Dann sollte der aber komplett mit den Ländern
kooperieren dürfen. Momentan darf der Bund bei Bildungsprogrammen ja nur
zeitlich befristet und nicht in Personal investieren. Das
Kooperationsverbot muss ganz fallen, damit diese Einschränkungen endlich
wegfallen.
Das löst aber höchstens ein Teil der Probleme. Stichwort Uneinheitlichkeit.
Warum ein Bundesland in der Pandemie die Schulen bei der Inzidenz 100
schließt, ein anders bei 200, versteht doch kein Mensch…
Das stimmt. Deswegen war auch die Bundesnotbremse richtig, die für
einheitliche Regeln gesorgt hat.
Also hadern Sie doch mit dem Föderalismus?
Wir brauchen auf jeden Fall eine Debatte darüber, wie Bund und Länder
besser miteinander kooperieren. Unabhängig davon müssen sich die Länder
untereinander stärker auf gemeinsame Ziele verständigen.
Worauf sich die 16 Bildungsminister:innen prima verständigen können:
dass auch in einer Pandemie möglichst alle Prüfungen geschrieben werden
sollen. Finden Sie das richtig?
Nein, es ist allerhöchste Zeit, die Leistungsfixierung zu überdenken. In
manchen Schulen waren erst nach Pfinsten wieder alle Schüler:innen im
Präsenzunterricht. Und die mussten dann am laufenden Band Prüfungen
schreiben. Das war unnötiger Stress für die Schüler:innen. Aber auch für
viele Kolleg:innen war das ein Dilemma: Sie mussten ja die Prüfungen
abnehmen. Gleichzeitig war ihnen bewusst, dass aus pädagogischer Sicht zu
dem Zeitpunkt ganz anderes dran gewesen wäre. Aus meiner Sicht gehören die
Lehrpläne dringend entrümpelt.
4 Jul 2021
## LINKS
[1] /Schulkinder-nach-der-Coronakrise/!5771703
[2] /Foederalismus-bei-Schulpolitik/!5777388
[3] /Stiko-Chef-zu-Debatte-um-Kinderimpfung/!5774779
[4] /Kretschmanns-Ideen-zu-Foederalismus/!5783436
## AUTOREN
Ralf Pauli
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