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# taz.de -- Schulbetrieb nach den Ferien: Bedingt unterrichtsbereit
> Im Herbst sollen die Schulen trotz Deltavariante normal öffnen. Wie die
> Politik den Regelunterricht plant – und wo die Probleme liegen.
Bild: Präsenzunterricht soll es nach den Ferien überall geben – aber mit Ma…
Berlin taz | Die Rückkehr aus den Sommerferien stellen sich die
Bildungsminister:innen etwa so vor: Die Schulen öffnen ohne
Einschränkungen, wie vor der Pandemie. Mit vollen Klassen, ganztags,
Wahlfächern, Sportfesten und Klassenfahrten. Wer Wissenslücken oder
sonstigen Förderbedarf hat, erhält individuelle Hilfe – wer einen Abschluss
macht, das Versprechen, keinen Nachteil davonzutragen.
Hygieneregeln soll es je nach Infektionslage zwar noch geben,
Schulschließungen aber nur im äußersten Notfall. Die Normalität, so hört
man von Stuttgart bis Kiel, [1][sei man den Kindern, Jugendlichen und
Eltern nach den Zumutungen der vergangenen Monate schuldig.]
An den Schulen stoßen diese Pläne auf viel Zustimmung, lösen aber auch
Unbehagen aus. Denn die hochansteckende Deltavariante breitet sich auch
hierzulande rasend schnell aus. Binnen vier Wochen ist ihr Anteil in
Deutschland laut Robert Koch-Institut (RKI) von 4 auf 59 Prozent
hochgeschnellt. Als die Kultusministerkonferenz (KMK) Mitte Juni den
uneingeschränkten Regelunterricht nach dem Sommer beschloss, spielte die
Deltavariante noch kaum eine Rolle. Jetzt dominiert sie das nationale
Infektionsgeschehen.
Die meisten Expert:innen gehen davon aus, dass sich diese Entwicklung
bald in deutlich höheren Infektionszahlen niederschlagen wird. Auch, weil
seit vergangenen Mittwoch für Reiserückkehrer:innen aus den
bisherigen Virusvariantengebieten Portugal und Großbritannien keine strenge
Quarantänepflicht mehr besteht.
## Die neue deutsche Sorglosigkeit
Im August dann könnten deutschlandweit die Coronamaßnahmen enden. Das
hieße: wieder volle Büros, gut besuchte Konzerte, Zehntausende Fußballfans
im Stadion. Viele fragen sich, wie zuletzt auch Bundestagspräsident
Wolfgang Schäuble, wie sich die neue deutsche Sorglosigkeit mit den
geplanten Schulöffnungen verträgt.
„Ich habe Angst davor, dass die Menschen jetzt wieder leichtfertig werden“,
sagt etwa Carola Stöhr. Die 58-Jährige leitet eine Grundschule im
fränkischen Altdorf. So kurz vor den bayerischen Sommerferien dürfen Stöhrs
Schulkinder ein lang verschobenes Zirkusprojekt nachholen. „Das freut mich
riesig für sie. Die Kinder erleben endlich wieder Gemeinschaft und haben
Erfolgserlebnisse.“ Stöhr befürchtet aber, dass es bei steigenden
Infektionszahlen auch schnell wieder vorbei sein könnte mit der
zurückgewonnenen Normalität. Und das möchte die Schulleiterin unbedingt
vermeiden.
„Wir haben die Folgen der Schulschließungen bei den Kindern sehr deutlich
gesehen“, sagt Stöhr der taz. [2][Nach der Rückkehr zum Präsenzunterricht
nach Pfingsten zeigten viele Kinder Defizite] im Sozialverhalten, die
Konflikte nahmen zu. „Wir brauchen im neuen Schuljahr ganz viel
Präsenzunterricht und Sozialtraining, um diese Kinder aufzufangen.“
Von den Erwachsenen fordert Stöhr deshalb, rücksichtsvoll mit den neuen
Freiheiten umzugehen. Dann habe sie auch keine Angst vor Delta. Zur
Wahrheit gehört aber auch: Die Altdorfer Grundschule hat bereits jetzt in
jedem ihrer 23 Klassenzimmer einen Luftfilter. „Das gibt natürlich
zusätzliche Sicherheit“, räumt Stöhr ein.
## Streit um die Kosten der Luftfilter
So umfassend wie in Altdorf [3][sind jedoch nur die wenigsten Schulen mit
Luftfiltern ausgestattet]. Auch, weil viele Ministerien sie nach wie vor
für verzichtbar halten. Sie stützen sich dabei auf die Einschätzung des
Umweltbundesamtes (UBA), wonach Luftfilter nur als „Ergänzung zum aktiven
Lüften geeignet“ seien.
Doch offensichtlich ist das UBA zu einer neuen Einschätzung gekommen. Auf
seiner Webseite hieß es Ende vergangener Woche, in Räumen mit
eingeschränkter Lüftungsmöglichkeit sei „der Einsatz mobiler Luftreiniger
sinnvoll. Fachgerecht positioniert und betrieben ist ihr Einsatz
wirkungsvoll, um während der Dauer der Pandemie die Wahrscheinlichkeit
indirekter Infektionen zu minimieren.“
Bei den Ländern scheint sich das aber noch nicht herumgesprochen zu haben.
Am Donnerstag erst bekundete der Hamburger Schulsenator Ties Rabe (SPD)
sein Unverständnis darüber, warum der Schulbetrieb auch noch von
Luftfiltern abhängen solle. In keinem anderen Lebensbereich würden so
weitgehende Sicherheitsmaßnahmen gelten wie an Schulen.
Mehrere Länder sowie der Bund stellen zwar Fördergelder für entsprechende
Geräte bereit, die für die Ausstattung der Schulen zuständigen Kommunen
schimpfen jedoch über bürokratische Vorgaben und teils hohe
Eigenbeteiligung. In Bayern, wo Ministerpräsident Markus Söder (CSU) jüngst
den ehrgeizigen Plan verkündete, bis zum Schulstart im September sämtliche
75.000 Klassenzimmer im Freistaat mit Luftfiltern auszustatten, gibt es
deshalb mächtig Zoff mit den Kommunen. Sie sollen die Hälfte der Kosten
selber tragen.
## Elternverbände widersprechen den Ministerien
Kritik schlägt den Ministerien auch von Lehrergewerkschaften und
Elternverbänden entgegen. Sie werfen der Politik vor, die Schulen nicht
entschlossen genug vor einer möglichen vierten Welle zu schützen.
Lehrerverbandschef Heinz-Peter Meidinger warnte vergangene Woche in der
Rheinischen Post, dass im Herbst wahrscheinlich nicht mal zehn Prozent der
650.000 Klassenräume in Deutschland einen Luftfilter haben werden. Auf die
Ausbreitung der Deltavariante nach den Sommerferien hält Meidinger die
Schulen für nicht gut vorbereitet.
In den Bildungsministerien sieht man das anders. Wie eine Umfrage der taz
ergab, sind die Bundesländer zuversichtlich, Regelunterricht auch mit einer
dominanten Deltavariante anbieten zu können. „Wir sind optimistisch, dass
das gelingen wird “, heißt es etwa aus Niedersachsen. „Wir sehen keinen
Anlass, vom KMK-Beschluss abzurücken und planen fest mit Präsenzunterricht
nach den Sommerferien“, teilt ein Ministeriumssprecher aus Sachsen mit.
KMK-Präsidentin Britta Ernst (SPD) aus Brandenburg warnte davor, bei einer
möglichen vierten Welle wieder „zuerst“ über Schulschließungen zu
diskutieren.
Die Ministerien verweisen darauf, dass das Personal an Schulen zum
Schulstart weitgehend durchgeimpft sein wird, ebenso ein guter Teil der
Eltern. Zudem stehe mit den Schnelltests noch ein weiterer Baustein zum
Schutz der Schulen zur Verfügung, den es vor einem Jahr noch nicht gegeben
habe. „Die Gefahr, dass sich Kinder und Jugendliche in der Schule mit
Covid-19 anstecken, ist so gering wie nie“, heißt es aus dem hessischen
Bildungsministerium. Sicherheitshalber wollen die Bundesländer aber die
Masken- und Testpflicht in den ersten Wochen im neuen Schuljahr
weiterlaufen lassen.
Viele Wissenschaftler:innen glauben jedoch, dass diese Maßnahmen nicht
ausreichen, um größere Corona-Ausbrüche an Schulen zu verhindern. So warnte
der Dresdner Biomediziner Gerhard Ehninger vor wenigen Tagen, dass die
Deltavariante in kleinen Klassenräumen mit 25 ungeimpften Schüler:innen
„leichtes Spiel“ haben werde.
## Sollen Zwölfjährige geimpft werden?
Auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach glaubt, dass Masseninfektionen
bei Schüler:innen nur mit einer Kombination aus geteilten Klassen und
Maskenpflicht im Unterricht verhindert werden können – außer man impft die
Schüler:innen. Auch die Virologin Melanie Brinkmann sprach sich zuletzt für
eine Impfung der Schüler:innen aus. Doch genau dieser Baustein fehlt den
Schulen derzeit – und er ist umstritten.
Zwar ist seit Ende Mai ein Impfstoff von Biontech/Pfizer für Personen über
zwölf Jahren zugelassen. Die Ständige Impfkommission (Stiko) [4][hat bisher
aber keine generelle Impfempfehlung für die 12- bis 17-Jährigen
ausgesprochen]. Als Grund führen die Wissenschaftler:innen das geringe
Risiko einer schweren Covid-19-Erkrankung für diese Altersgruppe an. Viele
Politiker:innen verweisen jedoch darauf, dass Kinder genauso schwer an
Corona erkranken können. Seit Wochen drängen sie deshalb die Mitglieder der
Kommission, ihre bisherige Empfehlung zu „überdenken“.
Erst vergangenes Wochenende verlangten unter anderem CSU-Chef Söder und
SPD-Chefin Saskia Esken eine Neubewertung durch die Stiko. Niedersachsens
Bildungsminister Grant Hendrik Tonne (SPD) flehte Stiko-Chef Thomas Mertens
in einem vom letzten Dienstag datierten Brief an, die Stiko möge doch bitte
die neuesten Daten zu geimpften Kindern aus den USA und Großbritannien mit
in ihre Bewertung einfließen lassen. Mertens wiederum erklärte die „laute
Einmischung der Politik“ für „kontraproduktiv“. Es ist nicht der erste
öffentliche Schlagabtausch zwischen Stiko und Politik.
Cornelia Betsch beobachtet, dass der öffentliche Dissens bei den Impfungen
für Kinder und Jugendliche für Verunsicherung sorgt. Im Rahmen der
Cosmo-Studie, die das Vertrauen, Verhalten und Wissen der Bevölkerung rund
um Corona untersucht, fragt die Gesundheitswissenschaftlerin der
Universität Erfurt regelmäßig ab, ob Eltern ihre Kinder impfen lassen
würden.
## Hohe Impfbereitschaft bei Jugendlichen
„Nach der Stiko-Bewertung ist die Bereitschaft bei den Eltern erst mal
eingebrochen“, sagt Betsch der taz. Dabei sei die Impfbereitschaft der
Jugendlichen durchaus hoch, hat Betsch in einem Modellprojekt an einer
Schule im südthüringischen Meiningen herausgefunden. Zusammen mit den
Schüler:innen haben Betsch und ihr Team einen Infoflyer zum Impfen
speziell für Schüler:innen erstellt. „Es ist wichtig, dass wir die
Jugendlichen mit ihren Fragen stärker miteinbeziehen“, sagt Betsch.
Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linkspartei) und auch das RKI
haben schon Interesse an dem Flyer bekundet.
Die Länder wollen Schüler:innen spezielle Impfangebote machen. So wie im
Landkreis Siegen-Wittgenstein in NRW. Dort sollen ab dieser Woche 30.000
Schüler:innen und Studierende bevorzugt geimpft werden.
Forscher:innen der Uni Saarland und der Uni-Kinderklinik Bochum wollen
zeigen: Wenn Jugendliche geimpft sind, ist Präsenzunterricht eher möglich.
Für Schulleiterin Carola Stöhr aus Altdorf ist die Impfdebatte momentan
irrelevant. Für ihre Grundschulkinder ist derzeit noch kein Impfstoff
zugelassen. „Schnelltests und Masken werden uns auch im neuen Schuljahr
länger begleiten“, ist sie sich sicher. Viel Zeit, über das neue Schuljahr
nachzudenken, hat sie aber noch nicht. Gerade wertet Stöhr die
Lernstandskontrollen aus, die in Bayern am Ende des Schuljahres
durchgeführt werden. Danach muss Stöhr noch das Nachhilfeprogramm für die
Sommerferien auf die Beine stellen. „Woher ich die Lehrkräfte dafür nehmen
soll, weiß ich noch nicht.“
11 Jul 2021
## LINKS
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[4] /Aktuelle-Nachrichten-in-der-Coronakrise/!5784090
## AUTOREN
Ralf Pauli
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