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# taz.de -- Antifa-Kabinett der Bundesregierung: Mit 89 Maßnahmen gegen den Ha…
> Die Regierung antwortet auf den Rechtsterror und legt ein neues
> Maßnahmenpaket vor. Einige sehen „Meilensteine“, vieles bleibt aber auch
> vage.
Bild: Auf Betroffene hören: Horst Seehofer bei einem Treffen mit Opfern des Ha…
BERLIN taz | Es sollte als großer Wurf präsentiert werden. Ein
Maßnahmenpaket der Bundesregierung gegen Rechtsextremismus, verabschiedet
vom eigens gegründeten Kabinettsausschuss, als Antwort auf den zuletzt
erstarkten Hass. Doch zu einer eigenen Pressekonferenz kam es am Mittwoch
nicht – aufgrund des Coronagipfels der Bundeskanzlerin mit den
Ministerpräsidenten.
Die Regierung veröffentlichte das Paket dennoch, via Pressemitteilungen und
über ihre SprecherInnen – und mühte sich, diesem Gewicht zu verleihen. 89
Punkte umfasst es, sieben Ministerien steuerten diese bei, ebenso die
Bundesbeauftragten für Migration oder Antisemitismus. Manches ist
kleinteilig, manches noch vage, insgesamt aber will die Regierung dafür
eine Milliarde Euro in den nächsten vier Jahren in die Hand nehmen. Für den
Haushalt 2021 sollen 150 Millionen Euro extra ausgegeben werden.
Man gehe mit den Maßnahmen „entschlossen gegen Rechtsextremismus und
Rassismus jeglicher Art“ vor, sagte eine Sprecherin von Kanzlerin Angela
Merkel. Von einem „Meilenstein im Kampf gegen den Rechtsextremismus,
Antisemitismus und Rassismus in Deutschland“ sprach Vizekanzler Olaf Scholz
(SPD). Innenminister Horst Seehofer (CSU) lobte die „große Geschlossenheit“
der Regierung.
Auslöser für das Paket waren die jüngsten rechtsterroristischen Attentate.
Schon nach dem Mord an Walter Lübcke und dem Anschlag von Halle hatte die
Regierung ein erstes Maßnahmenpaket vorgelegt. Nach dem Hanau-Anschlag
folgte die [1][Einsetzung des Kabinettsausschusses gegen Rechtsextremismus]
– mit dem Auftrag, ein weiteres Paket zu erarbeiten. Schon damals fielen
deutliche Worte. Angela Merkel nannte „[2][Rassismus ein Gift]“, Seehofer
beklagte eine „Blutspur des Rechtsterrorismus“.
## Streitpunkt Demokratiefördergesetz
An dem neuen Maßnahmenpaket wurde bis Dienstagnacht gearbeitet. Strittig
war vor allem ein Punkt: [3][Soll ein Demokratiefördergesetz in das Paket]?
Die Sozialdemokraten drängen seit Jahren auf das Gesetz,
zivilgesellschaftliche Initiativen ebenso. Mit dem Gesetz könnten
Demokratieprojekte, etwa Aussteigerprojekte oder mobile Beratungen,
dauerhaft abgesichert werden. Bisher müssen diese sich alle vier Jahre neu
bewerben – eine wiederkehrende Zitterpartie. Die Union aber lehnte das
Gesetz ab, weil es zu tief in den Haushalt des Bundestags eingreife.
Im Maßnahmenpaket wird nun ein „Gesetz zur Förderung der wehrhaften
Demokratie“ angekündigt. Das Familien- und das Innenministerium würden dazu
„zeitnah“ Eckpunkte erarbeiten. Giffey – deren Ministerium viele der
Projekte über das Programm „Demokratie leben“ finanziert – begrüßte, d…
für eine dauerhafte Demokratieförderung nun „der Weg frei“ sei. Man werde
sicherstellen, dass das Engagement „verlässlich und nachhaltig finanziert“
wird. Auch Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) betonte, es werde
„höchste Zeit“, diese zivilgesellschaftliche Arbeit „auf eine stabile
gesetzliche Grundlage zu stellen“.
Ein Sprecher Seehofers sagte dagegen, es könne kein Gesetz geben, das
einzig den Zweck einer dauerhaften Förderung habe. Vielmehr gehe es darum,
dort „die Grundwerte der Demokratie festzuschreiben“ sowie eine Kooperation
von Zivilgesellschaft und Sicherheitsbehörden.
Ein großer Wurf wird in diesem Punkt also zumindest vertagt. Dieser ist
schon eher die Einführung eines Antirassismusbeauftragten des Bundes. Der
allerdings steht gar nicht im Paket, weil er erst 2022 kommen soll. Auch wo
dieser angesiedelt wird, ist noch offen. Aber es ist eine Institution, die
bleibt und ausstrahlt.
## „Rasse“ wird aus dem Grundgesetz gestrichen
Der Beauftragte gehört zu den Punkten, auf die sich die Koalition schon im
Oktober einigte. Auch damals schon beschlossen: Der Begriff „Rasse“ wird
aus dem Grundgesetz gestrichen. Eine Arbeitsgruppe des Innen- und
Justizministeriums soll nun eine Neuformulierung finden. Der
Verfassungsschutz darf künftig verschlüsselte Kommunikation mitlesen. Und
zum Rechtsextremismus oder Racial Profiling in der Polizei soll es keine
Studie geben, sondern nur eine zum dortigen Arbeitsalltag und eine über
Rassismus in der Gesellschaft allgemein. [4][Zu mehr war Seehofer nicht
bereit.]
Weitere bereits angedachte Projekte sollen nun forciert werden. Das
Justizministerin will das Veröffentlichen von Feindeslisten und Outings
politischer Gegner unter Strafe stellen. Gleiches soll für „verhetzende
Beleidigungen“ gelten, gemeint sind rassistische oder antisemitische
Schmähungen, die nicht öffentlich geäußert werden und damit keine
Volksverhetzung sind. Auch sollen Opfer von Terrortaten und extremistischen
Übergriffe nun Härteleistungen für wirtschaftliche Schäden erhalten.
Zudem werden Lücken geschlossen. Neue Projekte sollen sich dem Hass im Netz
und Antifeminismus widmen oder Verschwörungsmythen, wie sie derzeit auf den
Coronaprotesten blühen. Neu geschaffen wird ein Beratungszentrum samt
Hotline für Betroffene von Rassismus. Hier sollen Hilfen vermittelt und die
gemeldeten Fälle in einem „Rassismusbarometer“ dokumentiert werden. Auch
wird ab Januar 2021 ein Expertenrat „Integration und Vielfalt“ ins Leben
gerufen.
In vielen Punkten werden aber auch schlicht bestehende Maßnahmen ausgebaut.
Etwa die Tätigkeiten des Opferbeauftragten des Bundes, die politische
Jugendarbeit oder Projekte für mehr Diversität in den Behörden.
## Sicherheitsbehörden und Zivilgesellschaft sollen kooperieren
Wie immer kommt vieles auf die künftige Ausgestaltung der Maßnahmen an.
Etwa bei einem neuen Bundesinstitut Qualitätssicherung, das die
Demokratieprojekte dauerhaft evaluieren soll und beim Innenministerium
angesiedelt wird. Interessant wird auch, wie sich das Ministerium das
geplante „vertrauensbildende Austauschformat“ zwischen Sicherheitsbehörden,
also Polizei und Verfassungsschutz, und Anti-rechts-Projekten der
Zivilgesellschaft vorstellt.
Aus der Zivilgesellschaft kam Lob für das Paket, in Teilen aber auch
Kritik. Die Amadeu Antonio Stiftung sprach ebenso von einem „Meilenstein“,
befand viele Maßnahmen aber als zu vage. Für Josef Schuster vom Zentralrat
der Juden macht die Regierung mit den Maßnahmen deutlich, dass es ihr „mit
dem Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus ernst ist“.
Die Vorschläge dürften jetzt aber „nicht in der Schublade verschwinden“,
sondern müssten auch in der nächsten Legislaturperiode fortgesetzt werden.
Schuster forderte auch das Demokratiefördergesetz ein.
Das tat auch Selmin Çalışkan von der Open Society Foundations. Sie lobte
die geplanten [5][Maßnahmen für Betroffene rassistischer Gewalt]. Hier
gelte es zuletzt verlorenen gegangenes Vertrauen auch in die
Sicherheitsbehörden wieder aufzubauen.
Robert Kusche vom Verband der Opferberatungsstellen lobte die Ausweitung
der Opferentschädigungen und Verbesserungen für zivilgesellschaftliche
Initiativen. Es fehle aber weiter eine Studie zu Rechtsextremismus in der
Polizei und ein humanitäres Bleiberecht für Opfer rassistischer Gewalt.
25 Nov 2020
## LINKS
[1] /Kampf-gegen-Rechtsextremismus/!5669084
[2] /Merkel-zu-Anschlag-in-Hanau/!5665261
[3] /SPD-und-Demokratiefoerdergesetz/!5730322
[4] /Horst-Seehofer-und-die-Polizei/!5722725
[5] /Forderungen-an-Antifa-Kabinett/!5706834
## AUTOREN
Konrad Litschko
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