| # taz.de -- Mietenstreit in Berlin: Deckeln und Enteignen | |
| > Am Freitag werden die Unterschriften des Volksbegehrens „Deutsche Wohnen | |
| > enteignen“ übergeben. Der Berliner Senat kontert mit einem Mietendeckel. | |
| Bild: Für schwächere Haie und stärkere Nemos | |
| Berlin taz | Ende März in einer großen Anwaltskanzlei gegenüber vom | |
| Bundesjustizministerium. Ulrich Battis, früher Staatsrechtler an der | |
| Humboldt-Uni, heute Rechtsanwalt, hat zum Thema [1][„Volksbegehren Deutsche | |
| Wohnen & Co enteignen“] geladen. Die Immobilienbranche ist gekommen, | |
| Architekten, Ingenieure, Vertreter der Senatsverwaltungen. Battis erklärt, | |
| warum die Enteignungen juristisch zulässig seien, aber nicht kommen werden: | |
| Sie seien schlicht zu teuer. Kostenschätzungen gehen von bis zu über 30 | |
| Milliarden Euro an Entschädigungen aus. | |
| Seit April sammeln in Berlin Aktivisten Unterschriften für ein | |
| Volksbegehren. Das Ziel: Alle Unternehmen, die mehr als 3.000 Wohnungen in | |
| Berlin besitzen, sollen enteignet werden. Neben der Deutschen Wohnen | |
| beträfe dies weitere börsennotierte Vermieter wie Vonovia oder Akelius. | |
| Berlin ist in den vergangenen Jahren zum Ziel großer Wohnungskonzerne | |
| geworden, die auf steigende Mieten setzen und dafür alle legalen | |
| Möglichkeiten nutzen. | |
| Nach Battis sprechen Vertreter der Senatskanzlei und der Immobilienlobby. | |
| „Hat die Senatskanzlei Erkenntnisse, wer dieses Volksbegehren betreibt?“, | |
| fragt jemand aus dem Publikum und verweist auf frühere Initiativen. „Sind | |
| das nicht immer dieselben 100 bis 200 Leute?“ Der Vertreter der | |
| Senatskanzlei antwortet: Natürlich wisse man, wer hinter dem Volksbegehren | |
| steckt. Aber wenn laut einer Umfrage 54 Prozent der Berliner die Enteignung | |
| der Deutschen Wohnen unterstützten, müsse man das ernst nehmen. | |
| Die Veranstaltung bringt drei Erkenntnisse: Zumindest Teile der | |
| Immobilienlobby kennen ihre Gegner nicht – was heißt, dass sie sie bisher | |
| nicht ernst genommen haben. Es gibt kein einziges Wort der Selbstkritik aus | |
| der Branche, kein „Wir haben verstanden“. Und schließlich geht auch hier, | |
| wie auch bei vielen Kommentatoren aus Union und FDP, die Angst vor dem | |
| Sozialismus um. Die Enteignung von Wohnungen sei nur der Anfang, dann kämen | |
| andere Wirtschaftszweige dran, heißt es aus dem Publikum. | |
| ## Nachtschicht für Aktivisten | |
| Am Freitag übergeben die Initiatoren des Volksbegehrens ihre | |
| Unterschriften. Nach Informationen der taz hatten am Donnerstag zwischen | |
| 50.000 und 60.000 Berliner unterzeichnet. Allerdings stand den Aktivisten | |
| noch eine Nachtschicht vor, um die von zahlreichen Sammelstellen | |
| eingehenden Unterschriften noch zu berücksichtigen. Sicher ist: Die Hürde | |
| der ersten Stufe von 20.000 Unterschriften ist mühelos genommen. Nun prüft | |
| der Senat, ob er sich das Volksbegehren zu eigen macht. Lehnt er ab, sind | |
| in der zweiten Stufe 170.000 Unterschriften notwendig, damit es zu einer | |
| Volksabstimmung kommt. | |
| Die Linkspartei hatte sich dem Volksbegehren frühzeitig angeschlossen, bei | |
| den Grünen bekannte sich der Landesausschuss im Mai dazu. Die SPD ist noch | |
| unentschlossen. Im Oktober 2019 wird ein Landesparteitag abstimmen. | |
| Parteilinke, darunter Juso-Chef Kevin Kühnert, sind dafür, der Regierende | |
| Bürgermeister Michael Müller ist dagegen. | |
| Für Letzteren kommt das Volksbegehren zu einem heiklen Zeitpunkt. Das | |
| rot-rot-grüne Berlin erprobt gerade auch ein neues Koalitionsmodell. Über | |
| Jahrzehnte galt in Deutschland das „Koch-Kellner“-Prinzip: Der große | |
| Koalitionspartner bestimmte die Hauptlinie, der kleinere bekam ein paar | |
| Wünsche erfüllt. Nach der letzten Abgeordnetenhauswahl lagen aber SPD, | |
| Grüne und Linkspartei fast gleichauf. Inzwischen steht die SPD mit 15 | |
| Prozent in den Umfragen hinter Grünen und Linken. Der Bundestrend ist dafür | |
| ebenso verantwortlich wie ein farbloser Michael Müller. Wenn Grüne oder | |
| Linke die Koalition wegen der Wohnungsfrage platzen lassen, ist Müller am | |
| Ende. | |
| Während die Berliner Linken und Grünen sich früh von ihrer Wohnungspolitik | |
| der nuller Jahre distanzierten, als sie für den Verkauf der landeseigenen | |
| Wohnungen eintraten, brauchte die SPD länger. Erst unter dem Druck des | |
| drohenden Volksbegehrens kam sie Ende 2018 auf eine wohnungspolitisch | |
| geradezu revolutionäre Idee: Da Bundesgesetze Mieter nicht ausreichend | |
| schützten, könne das Land Berlin einen eigenen Mietendeckel beschließen. | |
| Ein findiger Jurist, Mitarbeiter einer Senatsverwaltung, hatte die | |
| Regelungslücke in seiner Freizeit ausgegraben – die Sozialdemokraten | |
| machten den Deckel dankbar zu ihrer Sache. | |
| In der vergangenen Woche legte die Linke-Stadtentwicklungssenatorin Katrin | |
| Lompscher Eckpunkte für einen solchen Mietendeckel vor. Demnach sollen für | |
| fünf Jahre die Bestandsmieten eingefroren werden, der Neubau ist | |
| ausgenommen. Das Gesetz soll erst im Januar 2020 in Kraft treten, aber | |
| rückwirkend zum 18. Juni 2019 gelten. An diesem Tag will der Senat die | |
| Eckpunkte für den Mietendeckel beschließen. Der Eigentümerverband „Haus und | |
| Grund“ rief seine Mitglieder deshalb dazu auf, noch bis zum 17. Juni die | |
| Mieten zu erhöhen. | |
| Auch bei der Debatte um gedeckelte Mieten war aus der Immobilienbranche | |
| kein Verständnis für die Mieterseite zu hören. Das hat zur Eskalation der | |
| politischen Situation in Berlin erheblich beigetragen. Obwohl die Mieten in | |
| Berlin seit Jahren deutlich stärker als die Einkommen steigen, ist aus der | |
| Immobilienbranche wenig mehr zu hören als das Mantra: Es müsse mehr gebaut | |
| werden. | |
| Der Haken des Mietendeckels: Gerichte werden entscheiden, ob eine | |
| landesrechtliche Regelung zulässig ist. Bis zu einer Entscheidung dürften | |
| Jahre vergehen. Deshalb plädieren Mieteraktivisten dafür, nicht einseitig | |
| auf den Mietendeckel zu setzen. Auch die Dauer reicht vielen nicht: „Der | |
| Mietendeckel gibt nur für fünf Jahre Sicherheit“, sagt Michael Prütz vom | |
| Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. | |
| Aber auch die juristischen Verfahren über Enteignungen dürften sich über | |
| Jahre hinziehen. Am Ende könnte die Berliner Mieterbewegung mit leeren | |
| Händen dastehen – oder zum Vorbild einer bundesweiten Mietenpolitik | |
| geworden sein. | |
| 14 Jun 2019 | |
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| [1] /Volksbegehren-Deutsche-Wohnen/!5572562 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Reeh | |
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