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# taz.de -- Gesetz gegen Hate Speech im Netz: Ein Minister macht sich Feinde
> Facebook, Journalisten und Netzaktivisten vereinen sich zum Widerstand
> gegen Heiko Maas. Dem könnte diese Melange zum Verhängnis werden.
Bild: Arbeitet an einem Netzdurchsetzungsgesetz: Justizminister Heiko Maas
Ja, Heiko Maas hat noch Fans. Einer steht an diesem Montagabend in Wien im
Festsaal des Rathauses und versucht, ZeitungsmacherInnen aus ganz Europa
auf ihrem Kongress ins Gewissen zu reden, bevor er seinen x-ten Medienpreis
in Empfang nehmen darf.
Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo schimpft über Facebook, das „doch
längst selbst reguliert, mit Algorithmen, die wir nicht durchschauen“. Dann
bezeichnet er das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), mit dem der
Bundesjustizminister IT-Riesen unter Androhung von Millionenstrafen zum
Löschen von Hass und Hetze auf ihren Portalen zwingen will, als „Schritt in
die richtige Richtung“.
Eine Teilnehmerin dreht sich um: „Hat Giovanni tatsächlich gerade Maas
gelobt?!“ Ein ungläubiger Tweet verlässt den Raum. Derweil lobbyiert der
Zeit-Chefredakteur weiter für das Gesetz. Während Maas artikulierte Ängste
vor neuen Zensurapparaten im Silicon Valley ein paar Tage zuvor bereits als
„grotesk“ wegwischt hatte, mahnt nun auch di Lorenzo, die Sache mit dem
vorauseilenden Löschen sei „bislang nicht bewiesen“ und das NetzDG „eben
eine Abwägung: Ich finde es schlimmer, wenn widerlichste Hetze oder
eklatante Persönlichkeitsverletzungen unbeanstandet im Netz stehen
bleiben.“
Maas kommt di Lorenzos Offensive zweifellos gelegen: Gegen den
Gesetzentwurf, den die Bundesregierung bereits abgesegnet hat und der
aktuell den Bundestag beschäftigt, positioniert sich eine erstaunlich
breite „Allianz für Meinungsfreiheit“ aus IT-Verbänden, Netzaktivisten und
Medienorganisationen. Der Minister hat zwar di Lorenzo auf seiner Seite,
aber Reporter ohne Grenzen gegen sich, was wiederum kein gutes Zeichen ist.
Der SPD-Politiker positioniert sich indes konsequent als derjenige, der
eine „Strategie gegen rechts“ fährt – wie es auch auf dem Cover seines
neuen Buchs heißt. Maas’ andauernder Kampf gegen Hass im Netz ist Teil
dieses Kurses.
## Erst die Taskforce
Zunächst hatte er es mit einer Taskforce probiert: Bei den Treffen hinter
verschlossenen Türen haben VertreterInnen von Facebook und Google dem
Minister versichert, dass sie beim Überprüfen gemeldeter Einträge besser
würden. Bei Maas, aber auch vielen anderen Kritikern der Konzerne, machte
sich Hoffnung breit.
Maas hat dann von [1][jugendschutz.net] im großen Stil überprüfen lassen,
ob die Plattformbetreiber Wort halten. Googles Videoplattform YouTube hatte
zunächst nur einen von zehn gemeldeten und von [2][jugendschutz.net] auch
als strafbar eingestuften Inhalten gelöscht, Dann waren es bei den
Kontrollen plötzlich neun von zehn Einträgen – eine Überraschung. Das
Problem: Bei Facebook lag die Rate auch Monate nach Einrichtung der
Taskforce noch immer nicht mal bei der Hälfte. Twitter löschte bei der
Überprüfung gar nur ein Prozent. Maas legte das NetzDG vor.
„Endlich tut jemand etwas!“ – das war bei vielen der erste Reflex. Nach d…
Blick in den Gesetzentwurf kam dann allerdings die Kritik. Die
LobbyistInnen von Google und Facebook artikulieren sie inzwischen offen.
Sabine Frank, die bei Google Deutschland das Ressort „Regulierung“ leitet,
warnt etwa, das NetzDG würde „dazu führen, dass im Zweifel Inhalte eher als
heute gelöscht werden, die nicht eindeutig rechtswidrig sind“. Es geht also
um eine Art digitalen Beifang, etwa Satire und journalistische Kommentare,
die Prüfteams im Zweifelsfall lieber löschen, bevor sie Strafen riskieren.
Oder: Sie setzen gleich auf Algorithmen, die mit dem Anspruch
„Meinungsfreiheit“ wenig anfangen können.
Am Abend, bevor neulich der Bundestag erstmals über das NetzDG diskutiert
hat, hatte die SPD-Bundestagsfraktion zu einer Diskussion über
„Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken“ geladen. Dort hatte sogar
Facebook-Lobbyistin Eva-Maria Kirschsieper leichtes Spiel: Sie konnte
schlicht darauf verweisen, dass „zahlreiche Organisationen, die nicht
zwangsläufig dafür bekannt sind, auch unsere Freunde zu sein, große
Bauchschmerzen mit dem Gesetz haben“. Außerdem fände sie es „schwierig,
wenn deren Kritik einfach weggewischt wird, ohne tatsächlich zu überlegen,
wo diese Kritik denn herkommt“.
Facebook, NetzaktivistInnen und JournalistInnen im gemeinsamen Widerstand:
In dieser Melange könnte der Minister ertrinken. Investigativguru Georg
Mascolo fasste die Lage – passenderweise im Berliner Büro von Google – dann
auch so zusammen: Das NetzDG sei „ein gut gemeintes, aber trotzdem schlecht
gemachtes Gesetz“. In einem Punkt habe er aber auch „eine gewisse
Sympathie“ für Maas: Der Minister wolle mit dem Entwurf „den großen Hebel
ansetzen“, damit sich die Konzerne überhaupt bewegen.
Maas ist gleichzeitig aber offensichtlich auch selbst klar, wie heikel sein
Gesetz ist. Auch das zeigt sich bei dem Abend der SPD-Fraktion: Der
Minister verteidigt das NetzDG zwar in einer Rede ausführlich – die
Bundesregierung wolle nun mal „nicht akzeptieren, dass viel zu viele
Menschen in Deutschland den Eindruck haben, das Internet ist ein
rechtsfreier Raum“. Anschließend entzieht er sich jedoch überraschend der
offenen Diskussion.
Stattdessen mischte sich Maas unters Publikum. Auf konkrete Fragen, etwa
der Google-Lobbyistin, zur Methodik der Stichproben (Maßstab deutsches
Recht oder nicht?) reagierte Maas nicht. Lars Klingbeil, der netzpolitische
Sprecher der SPD, raunte bloß: „Der Minister ist nicht Teil des Podiums.“
## Hass bleibt ein Problem
Dabei hat Maas auch Argumente auf seiner Seite, vor allem die Praxis: Der
Hass bleibt ein Problem, oft auch nachdem NutzerInnen aktiv wurden. In den
Kommentaren unter seiner Rede vom Fraktionsabend ist Maas – mal wieder –
der „miese kleine Hitler“, „zum Kotzen widerlich“, „ein Bastard“ und
„Hurensohn“. Noch Meinung oder schon strafbar?
Kommt das NetzDG, dann müssen Portalbetreiber das spätestens binnen sieben
Tagen entscheiden. Der Autor dieser Zeilen hat YouTube die besagten
Einträge gemeldet. Eine Woche später ist – bis Redaktionsschluss – nichts
passiert, bei keinem Kommentar. Da entwickelt sich unweigerlich eine
gewisse Sympathie für das Gesetz.
Der Minister verkauft das NetzDG als Zweisäulenmodell, das IT-Konzerne
ebenso in die Pflicht nehmen soll wie den Polizei- und Gerichtsapparat.
NutzerInnen, die Hass nicht nur fleißig den Portalen, sondern auch
Polizeidienststellen melden, berichten gleichwohl, dass hier erschreckend
viel einfach liegenbleibt. Hausaufgaben für den Minister und nicht zuletzt
auch für seine KollegInnen in den Ländern.
Maas setzt alles daran, dass der aktuelle Bundestag sein NetzDG noch
verabschiedet. Das könnte Ende Juni passieren, aber auch in einer
Sondersitzung des Bundestags in der Sommerpause.
Vor der entscheidenden Abstimmung im Parlament wird Maas seinen Entwurf
aber noch gründlich überarbeiten müssen – der Gegenwind kommt immerhin
inzwischen auch vom Koalitionspartner, vor allem aus dem Süden.
Geht es nach Giovanni di Lorenzo, dann sollen aber auch Medien etwas gegen
Facebook und Co. unternehmen. „Wir enthüllen zwar die Praktiken von
Unternehmen, die bei Abgaswerten schummeln“, mahnt der Zeit-Chefredakteur
vor den versammelten europäischen ChefredakteurInnen in Wien. Die „teils
zweifelhaften Methoden der Internetgiganten“ würden hingegen weitgehend
untergehen: „Verlage gehen zu zahm mit den Internetunternehmen um.“ Bei
Heiko Maas dürfte der Daumen nach oben schnellen.
28 May 2017
## LINKS
[1] http://www.jugendschutz.net/
[2] http://www.jugendschutz.net/
## AUTOREN
Daniel Bouhs
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