| # taz.de -- Die Macht der Algorithmen: Heiko Maas will das Internet bändigen | |
| > Algorithmen beeinflussen Menschen im Netz. Der Justizminister will diesen | |
| > Einfluss per Gesetz einschränken. Sein Nutzen ist umstritten. | |
| Bild: Alles friedlich in der Bubble. „Filter-Blasen“ sorgen dafür, „dass… | |
| Heiko Maas hat eine Mission: Der Bundesjustizminister will das Internet | |
| unter Kontrolle bringen, in dem Algorithmen regieren und Fake News | |
| gedeihen. Den Anfang machte er mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Nun | |
| nimmt der Minister sich der Algorithmen an. Am vergangenen Montag erklärte | |
| Maas in einer [1][Rede auf einer Konferenz zu digitalem Leben], wie er | |
| diese komplexen Systeme in den Griff bekommen will. Was genau schlägt Maas | |
| vor – und ist das sinnvoll? | |
| Ob wir den Job bekommen oder nicht, wie viel unser Flugticket kostet oder | |
| ob wir als kreditwürdig gelten, darüber entscheidet in Zukunft vielleicht | |
| nur noch ein Algorithmus. Diskriminierung ist dabei nicht ausgeschlossen. | |
| In den USA beispielsweise fallen die automatisiert erstellten | |
| Strafrückfälligkeitsprognosen für Schwarze oft negativer aus als für Weiße | |
| – fälschlicherweise, wie eine [2][Recherche des Non-Profit-Projekts Pro | |
| Publica] zeigte. Maas schlägt deswegen ein „digitales | |
| Antidiskriminierungsgesetz“ vor, ergänzend zum bereits geltenden | |
| Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). | |
| Man sollte doch annehmen, dass das existierende AGG immer dann greift, wenn | |
| ein Mensch diskriminiert wird; sei das nun in der analogen oder in der | |
| digitalen Welt. Wer eine verbotene Waffe im Netz kauft, macht sich ja auch | |
| genauso strafbar, wie wenn er sie in einem dunklen Hinterhof persönlich in | |
| Empfang nimmt. | |
| „Der eigentlich wichtige Schritt wäre, das AGG entsprechend zu erweitern“, | |
| sagt Lena Ulbricht vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Forderungen dazu | |
| gebe es schon länger. „Das Antidiskriminierunsgegesetz ist relativ | |
| eingeschränkt und fokussiert vor allem auf den Arbeitsmarkt“, sagt | |
| Ulbricht. Diskriminierung auf Plattformen etwa werde bisher ebenso wenig | |
| erfasst wie die Bewertung von Kaufkraft. „Das ist aber ein unheimlich | |
| politisiertes Thema und würde ein großes Reformunterfangen bedeuten“, sagt | |
| Ulbricht. „Der Vorschlag eines ergänzenden Gesetzes ist da natürlich | |
| weniger brisant.“ | |
| ## Rückschluss auf Gemütszustand durch Instagram | |
| Entscheidungen, die nur auf Basis automatisierter Auswertung | |
| personenbezogener Daten fallen und für den Betroffenen eine rechtliche | |
| Folge nach sich ziehen oder ihn erheblich beeinträchtigen, sind in | |
| Deutschland [3][laut Bundesdatenschutzgesetz ohnehin reglementiert]. | |
| „Wir wissen zwar, dass im Internet unzählige persönliche Daten | |
| transportiert werden, dass man sie vernetzen und auswerten kann, aber die | |
| Einzelheiten bleiben oft völlig unsichtbar“, sagte Maas laut offiziellem | |
| Redemanuskript. Wer wisse denn schon, welche Daten das eigene Smartphone | |
| täglich mit wem austausche und dass Fotos auf Instagram zur Kalkulation | |
| unseres Gemütszustands ausgewertet werden könnten? | |
| „Echokammern“ und „Filter-Blasen“ sorgen dafür, „dass wir oftmals nu… | |
| auf Positionen treffen, die uns in der eigenen Meinung bestärken“. Maas hat | |
| einen Vorschlag, um diesem Problem beizukommen: ein Transparenzgebot für | |
| Algorithmen. Nutzerinnen und Nutzer sollten selbst einschätzen können, ob | |
| das Netz versuche, sie zu beeinflussen – um dann entscheiden zu können, | |
| welche Filter und Personalisierungen sie akzeptieren wollen und welche | |
| nicht. | |
| Doch selbst wenn ein Unternehmen wie Google seinen Algorithmus offenlegen | |
| würde: Die allermeisten Verbraucher könnten damit nur wenig anfangen. Und | |
| das dürfe man auch nicht von ihnen erwarten, sagt Matthias Spielkamp von | |
| Algorithm Watch. Zwar fordert die Initiative selbst, dass Prozesse | |
| algorithmischer Entscheidungsfindung (ADM) nachvollziehbar sein müssen – | |
| aber nicht unbedingt für den Einzelnen. „Wenn ich mir die Inhaltsstoffe | |
| eines Medikaments ansehe, verstehe ich ja auch kein Wort“, sagt Spielkamp. | |
| „Ich muss mich doch darauf verlassen können, dass eine Zulassungsstelle | |
| geprüft hat, dass ich nicht sterbe, wenn ich ein Medikament nehme.“ | |
| ## Forderung nach Digital-Agentur | |
| Hätten die Unternehmen mit der Offenlegung von im Zweifel unverständlichem | |
| Code ihre Schuldigkeit getan, wäre niemandem geholfen. Auch mit Blick auf | |
| die Wettbewerbsfähigkeit und das Betriebsgeheimnis der Unternehmen sei es | |
| der falsche Weg, diese pauschal zur Veröffentlichung ihrer Algorithmen zu | |
| zwingen. | |
| Die nächste Regierung solle eine „Digital-Agentur“ gründen, schlägt Maas | |
| vor. Die Frage, was genau diese tun und können soll, beantwortet er im | |
| Detail aber nicht. Spiegel Online hatte vorab berichtet, sie solle die | |
| „behördliche Kontrolle“ übernehmen, „um die Funktionsweise, Grundlagen … | |
| Folgen von Algorithmen überprüfen zu können“. Im tatsächlichen | |
| Redemanuskript ist aber lediglich die Rede davon, „im Austausch mit | |
| Wissenschaft, Wirtschaft und Verbrauchern mehr Expertise zu erlangen.“ | |
| Allerdings mahnt er „Rechtsdurchsetzung, Aufsicht und die Kontrolle von | |
| Transparenz“ an. | |
| Mit der Forderung nach mehr Expertise macht Maas einen wichtigen Punkt. | |
| Eine [4][Studie der Bertelsmannstiftung] kam im Juni dieses Jahres zu dem | |
| Schluss, dass es sinnvoll wäre, die externe Evaluation von ADM-Systemen zu | |
| fördern. Aktuell sei es sehr schwierig, die Funktionsweise der Algorithmen | |
| zu analysieren und extern zu kontrollieren. In der Studie heißt es, „der | |
| Zugriff auf dafür notwendige Daten, die den Betreibern selbst in gewaltiger | |
| Zahl vorliegen“, sei für externe Wissenschaftler oder Regulierungsbehörden | |
| „mühselig bis unmöglich“. | |
| Ein groß angelegtes Forschungsprojekt zur Funktionsweise und vor allem zu | |
| den Auswirkungen von Algorithmen wäre also durchaus angebracht – eine | |
| Digital-Agentur braucht es dafür aber nicht. Und statt dem Justizminister | |
| wäre wohl eher das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung | |
| zuständig. | |
| ## Zu wenig Grundlagenforschung | |
| Bisher mangele es an Grundlagenforschung, sagt Spielkamp von Algorithm | |
| Watch. Die Vorwürfe der Diskriminierung oder des Missbrauchs beruhten | |
| bisher fast ausschließlich auf Indizien. „Bevor man anfängt, Dinge zu | |
| regulieren, braucht man doch erst mal eine belastbare Datenbasis“, sagt | |
| Spielkamp. | |
| Algorithm Watch selbst startete am Donnerstag mit sechs | |
| Landesmedienanstalten ein Projekt zu Googles Umgang mit der Bundestagswahl: | |
| Nutzer sollen ein Plugin für ihren Browser installieren. Dieses sucht dann | |
| alle vier Stunden auf Google nach einer festen Liste von etwa 15 Partei- | |
| und Politikernamen. | |
| Algorithm Watch erhofft sich, durch die so erhobenen Daten etwas über die | |
| automatisierte Sortierung und Gewichtung der Ergebnisse durch Google zu | |
| erfahren. Zugriff auf die internen Daten des Unternehmens braucht es dafür | |
| nicht unbedingt. „Staatliche Regulierung sollte immer die Ultima Ratio | |
| sein“, sagt Spielkamp. | |
| Der erste Schritt sei es, viel mehr solcher Projekte anzustoßen. „Zur | |
| Freigabe der Daten können wir Unternehmen immer noch zwingen, wenn wir | |
| merken, dass wir sonst nicht weiterkommen.“ | |
| ## Sicherheitslücken | |
| Sei es Wannacry oder Ransomware: Cyberattacken funktionieren, weil Systeme | |
| Sicherheitslücken aufweisen. Die Risiken sind dem Durchschnittsverbraucher | |
| oft nicht bewusst. „Deshalb ist es nicht fair, wenn die Folgen solcher | |
| Sicherheitslücken einseitig auf den Verbraucher abgewälzt werden“, so Maas. | |
| Auch um „europaweit geltende Vorschriften zu IT-Sicherheit, die | |
| verpflichtende Mindestanforderungen definieren“, werde man nicht | |
| herumkommen. | |
| Das ist schön zu hören – passt aber so gar nicht zu dem, was die | |
| Bundesregierung jüngst beschlossen hat. Ende Juni verabschiedete der | |
| Bundestag ein weitreichendes Überwachungsgesetz. Ermittlungsbehörden dürfen | |
| demnach in bestimmten Fällen Schadsoftware auf private Computer, | |
| Smartphones oder Tablets spielen, um diese zu überwachen: den sogenannten | |
| Staatstrojaner. Dafür nutzen sie: Sicherheitslücken. Um dieses Instrument | |
| nutzen zu können, nehmen die Behörden also die Existenz von | |
| Sicherheitslücken wissentlich in Kauf, statt den Hersteller zum Handeln | |
| aufzufordern. | |
| Und auch mit der Forderung nach Transparenz war es in dem Fall nicht weit | |
| her: Das Gesetz wurde gut versteckt als Teil eines Gesetzgebungsverfahrens | |
| beschlossen, in dem es unter anderem um Führerscheinentzug als Strafe ging. | |
| 8 Jul 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.bmjv.de/SharedDocs/Reden/DE/2017/07032017_digitales_Leben.html?n… | |
| [2] https://www.propublica.org/article/machine-bias-risk-assessments-in-crimina… | |
| [3] https://dejure.org/gesetze/BDSG/6a.html | |
| [4] https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/Graue… | |
| ## AUTOREN | |
| Dinah Riese | |
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