# taz.de -- Sascha Lobo zu Netzdurchsetzungsgesetz: „Ich suche die echte Deba… | |
> Am Freitag debattiert der Bundestag über einen Gesetzentwurf von Heiko | |
> Maas. Netzwerke sollen Hetze schneller löschen. Sascha Lobo will mehr | |
> Dialog. | |
Bild: Er hasst mich, er hasst mich nicht, er … – Gesetze könnten in Online… | |
taz: Herr Lobo, Sie sind für Dialog als Strategie gegen Hass im Netz, | |
Bundesjustizminister Heiko Maas schlägt das Netzdurchsetzungsgesetz vor. | |
Wer von Ihnen hat recht? | |
Sascha Lobo: Ich finde Gesetze nicht grundsätzlich falsch, um gegen Hass im | |
Netz vorzugehen. Ich glaube aber, dass das konkrete Gesetz undurchdacht | |
ist, ein Schnellschuss, der sich an einer Debatte entlanghangelt, ohne die | |
Debatte zu verstehen. Abgesehen davon hilft es natürlich nicht gegen die | |
Entwicklung, dass die Autoritären weltweit offenbar besser mit dem Internet | |
umgehen können als die Nichtautoritären. | |
Was stört Sie konkret? | |
Allein schon die Tatsache, dass man Fake News und Hassrede in einen Topf | |
wirft, halte ich für falsch. Und vielleicht müsste man nicht in einer | |
großen Koalition da rangehen, 20 Minuten vor der Bundestagswahl – weil dann | |
ist völlig klar, dass alles über die Maßen parteipolitisiert wird. Das sind | |
konkrete Punkte, warum ich dieses Gesetz schlecht finde. Aber das ist | |
gleichzeitig auch ein Aufruf dazu, über Gesetze nachzudenken, die | |
sinnvoller sind. Ich glaube, dass es das geben könnte. | |
Das heißt: Anders ausgestalten und Sie wären dabei? | |
Das will ich so nicht sagen. Ich glaube, dass es sinnvoll sein kann, ein | |
Gesetz zu schaffen. Ich glaube aber auch, dass man nicht den Fehler machen | |
darf, zu hoffen, wenn bloß das richtige Gesetz erlassen ist, wenn bloß | |
Facebook den richtigen Algorithmus aus der großen Kiste holt – dann ist das | |
ganze Problem gelöst. Wir haben ein gesellschaftliches Problem. Und das | |
kann unter Umständen sehr groß werden. In anderen Ländern ist es schon sehr | |
groß geworden. Das hängt natürlich nicht nur an den sozialen Medien, aber | |
sie sind Teil davon. In den USA etwa haben soziale Medien in Verbindung mit | |
redaktionellen Medien wie Fox News etwas gebildet, das ich „Amalgam der | |
Boshaftigkeit“ nenne. Dort werden absichtsvoll feindselige, | |
gesellschaftliche Stimmungen geschürt – oft auch wider besseres Wissen und | |
kontrafaktisch. Dagegen muss man aufklären. | |
Sie schlagen vor, mit Menschen, die man als rechts außen wahrnimmt, in den | |
Dialog zu treten, um sie zurück auf demokratischen Grund zu ziehen. Wie | |
umschifft man die Normalisierung, die Verharmlosung ihrer Aussagen? | |
Ich war mir wie viele andere total sicher, dass der Brexit nicht | |
durchkommt. Dass Trump nicht gewinnt. Diese Gewissheiten waren offenbar auf | |
Sand gebaut. Und diese Gewissheiten haben auch damit zu tun, dass bestimmte | |
Instrumente der Zivilgesellschaft – und zwar gerade der | |
liberal-demokratisch interessierten Öffentlichkeit, der Multiplikatoren – | |
nicht so wirksam waren, wie man dachte. Man hat gemerkt, dass die liberalen | |
Öffentlichkeiten in einer Blase gelebt haben. Es kann sein, dass sie früher | |
oder später platzt. Aber dann möchte ich zumindest mit versucht haben, | |
diese liberale Demokratie zu stützen. | |
Okay. Aber wie vermeidet man die Normalisierung rechter Positionen durch | |
solche Dialoge? | |
Das ist eine berechtigte Sorge. Ich begegne ihr so, dass ich die echte | |
Debatte, den Austausch, nicht mit Funktionären suche oder mit Leitmedien | |
der Rechten. Der Jungen Freiheit würde ich kein Interview geben. Wenn ich | |
in Talkshows mit Frauke Petry spreche, dann tue ich das konfrontativ. Ich | |
bin ein großer Freund davon, klare Kante zu ziehen. Aber ich glaube, das | |
ist nur ein Teil der richtigen Herangehensweise. Die Auseinandersetzung im | |
ganz Kleinen, manchmal auch nicht in sozialen Medien, sondern von | |
Angesicht zu Angesicht, das habe ich als überraschend produktiv | |
wahrgenommen. Da kann man schon so etwas wie Zweifel säen. | |
Klare Kante einerseits, Gespräche andererseits – ist das kein Widerspruch? | |
Ich nenne das Zangenstrategie – und ich glaube, dass das gleichzeitig | |
möglich und auch notwendig sein kann. In einigen Bundesländern zeigen die | |
Wahlergebnisse, dass mindestens 25 Prozent der Wähler nicht ausreichend | |
große Abwehrkräfte gegen Rechte und Rechtsextreme haben. Das heißt, es | |
könnte die Situation auftauchen, dass es zu viele Menschen werden, als das | |
man sie noch ignorieren oder ausgrenzen könnte. Um dem zu begegnen, | |
versuche ich, herauszufinden, wer von denen, die ich als rechts wahrnehme, | |
eine Grenze überschritten hat, wo wirklich keine Kommunikation mehr möglich | |
oder akzeptabel ist. Diese Grenze gibt es. Aber dann gibt es Leute, die | |
nicht so rechts sind, wie sie anfangs scheinen. Bei denen kann man | |
versuchen, sie mit Dialogen wieder näher an die liberale Demokratie | |
ranzuziehen. | |
Wie groß ist Ihrer Erfahrung nach der Anteil derer, die noch mit sich reden | |
lassen? | |
Ich kann nicht sagen, ob das 3 Prozent waren, 5 oder 8 oder 12. Aber es war | |
nicht keiner. Es waren mehr als null Menschen. Und das gibt mir in dem Fall | |
Hoffnungen. | |
Sie haben für ZDFneo einen Film darüber gedreht, wie sich soziale Medien | |
auf Gesellschaft auswirken. Was hat Sie in der Recherche am meisten | |
überrascht? | |
Das war ein Versuch über den Mitläufereffekt: Wie stark ist diese kognitive | |
Verzerrung, also systematische Fehler in der Wahrnehmung, der Erinnerung, | |
der Beurteilung unserer Umwelt? Das war erstaunlich bis erschütternd: Wenn | |
man den Leuten Fragen stellt, die sehr schwierig sind, und man gibt den | |
Antworten Like-Zahlen, dann gibt es meist zwei Arten von Antworten: Wer es | |
weiß, sagt das Richtige. Und wer es nicht weiß, richtet sich fast immer | |
nach den Like-Zahlen. Heißt: Wenn man sich nicht ganz sicher ist, schließt | |
man sich der Mehrheit an. In dieser Eindeutigkeit hätte ich das vorher kaum | |
gedacht. | |
Wie beim Publikumsjoker von „Wer wird Millionär“. | |
Genau. Um solche Effekte zu zeigen, haben wir diesen Film gemacht. Welche | |
Mechanismen beeinflussen uns in sozialen Medien? Wie wirken die auf die | |
politische Meinungsbildung? Auf unserer Verhalten in der Öffentlichkeit? | |
Das sind nicht nur die bösen Rechten, die darunter leiden, das sind wir | |
alle. So etwas wie eine Filterblase wirkt auf uns alle. Damit verändert | |
sich die politische Öffentlichkeit. Erst wenn man anfängt, das zu erkennen, | |
hat man überhaupt eine Chance, damit politisch umzugehen. | |
18 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Meike Laaff | |
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