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# taz.de -- Gescheiterte Aufklärung des VW-Skandals: Die Autokratie
> Diese Woche enden die Befragungen im VW-Untersuchungsauschuss.
> Entscheidende Fragen wurden dort erst gar nicht gestellt.
Bild: Was wussten die VW-Chefs in den oberen Etagen über den Abgasbetrug?
Am 19. Januar um kurz nach zehn morgens ist klar: Die Revolution fällt mal
wieder aus. In Raum 3101 des Bundestags-Bürogebäudes am Spreeufer in Berlin
sitzt Herbert Behrens, Sozialist, Gewerkschafter und Linken-Abgeordneter,
vor dem Klassenfeind. Vor einem Mann, der einmal Herr über 600.000
Angestellte war, 17 Millionen Euro im Jahr verdiente und auf Wunsch Termine
bei Ministern bekam. Martin Winterkorn hat Deutschlands größtes Unternehmen
VW an den Rand des Abgrunds geführt. VW hat aus Profitgier Gesetze
gebrochen, muss 20 Milliarden Euro Strafe zahlen und hat 30.000 Jobs
gestrichen.
An diesem Tag sagt Winterkorn im Untersuchungsausschuss des Bundestages zur
Abgasaffäre aus. Herbert Behrens, der Ausschussvorsitzende, kann ihn zur
Rede stellen. Und seine erste Frage lautet: „Hatte man sich in Ihrem
Konzern vor Aufdeckung des Skandals eine Meinung gebildet zur Reichweite
der EU-Verordnung 715/2017?“
Eigentlich sollte es der Tag der Abrechnung sein. Behrens, helles Hemd zum
dunklen Wollsakko, als Inquisitor. Fünf Meter vor ihm, geschützt von einem
untadeligen Anzug und zwei Anwälten, der ehemalige Gigant des globalen
Kapitalismus. Aber was folgt, ist keine Anklage, sondern ein ruhiges
Expertengespräch. Winterkorn sagt: „Ich wurde nicht informiert.“ Und die
Volksvertreter sind froh, dass er überhaupt zu ihnen spricht.
Ulrich Lange, CDU-Obmann: „Wir versuchen mal, wie weit wir hier kommen mit
der Aufklärung.“
Winterkorn: „Aber Sie verstehen mich schon, dass mir …“
Lange: „Ich verstehe Sie sehr wohl. Aber Sie verstehen auch unsere Rolle.“
Winterkorn: „Natürlich, natürlich.“
## Enge Verflechtungen
Das gegenseitige Verständnis zwischen Fragenden und Befragten in diesem
Ausschuss ist oft groß. Seit Herbst verhören 16 Parlamentarier
Behördenchefs, Politiker, Techniker und Angestellte aus den Ministerien.
Sie sollen klären, was die Bundesregierung vom Abgasbetrug wusste und was
sie dagegen tat. Aber die Gespräche und Akten zeigen etwas
Darunterliegendes: wie eng in Deutschland Politik, Behörden und
Autoindustrie verflochten sind.
12. Sitzung, 10. November 2016.
Ausschussmitglied Christian Müller, CDU: „Das Problem ist ja: Wir müssen
hier etwas aufklären. Wir stehen sehr im Licht der Öffentlichkeit.“
Untersuchungsausschüsse sind die schärfste Waffe des Parlaments. Sie können
Akten anfordern, interne Mails lesen, Zeugen vorladen. Sie haben allein in
dieser Legislaturperiode ans Licht gebracht, wen der Geheimdienst BND
bespitzelt und wie der Verfassungsschutz bei der Suche nach
NSU-Rechtsterroristen versagt hat.
Der Abgas-Ausschuss zeigt: Deutschland ist eine Autokratie.
Zeuge nach Zeuge belegt eine Symbiose von Autobauern, Behörden und Politik.
Die Behörden wussten sehr früh, dass die Abgaswerte der Autobauer nicht in
Ordnung waren; sie wurden gewarnt und hatten eigene Zweifel. Aber sie
wurden nicht selbst aktiv und wimmelten lästige Fragesteller ab. Fast alle
Aussagen lassen sich so zusammenfassen: Alle haben vermutet, dass betrogen
wurde. Aber keiner wollte es so genau wissen. Manchmal bis heute nicht.
## „Organisiertes Staatsversagen“
Die Opposition im Ausschuss erkennt man einfach: Sie trägt keinen Schlips.
Oliver Krischer, grüner Verkehrsexperte („Ich fahre seit Jahrzehnten VW
Passat“) spricht von „organisiertem Staatsversagen“ und schimpft auf die
Industrie. Herbert Behrens, ein schlaksiger Mann mit ernstem Gesicht und
weißen Haaren, sorgt sich vor allem um die Arbeitsplätze bei VW und Co. Wo
sonst gibt es noch so viele gut bezahlte, tariflich abgesicherte Stellen?
Die Autobetriebe sind die Machtbasis der IG Metall. Bei VW geht ohne oder
gegen den Betriebsrat gar nichts. Deshalb war Behrens’ Fraktion anfangs
auch nicht begeistert. Der Ausschuss verursacht viel Arbeit und schadet
vielleicht den Kollegen in den Betriebsräten.
Die Untersuchung solle „das vorbildliche mitbestimmte Unternehmen VW“ nicht
angreifen, versichert Behrens vor Beginn.
Trotz dieser Zerrissenheit startet er mit hohen Erwartungen: „Wir wollen
hier Beeinflussungsstrukturen offenlegen“, sagt Behrens Anfang September in
einem kargen holzgetäfelten Besprechungszimmer des Bundestags, als die
Arbeit losgeht. Er hat gerade die ersten paar hundert der insgesamt 2.000
Aktenordner aus den Ministerien bekommen. Viele sind wegen angeblicher
Betriebsgeheimnisse geschwärzt. Oft dokumentieren die Akten nur das
gewollte Wegsehen.
Aktennotiz des Umweltministeriums, 20. März 2008:
„Die moderne Fahrzeugelektronik ermöglicht es, die Fahrzeuge mit
Einrichtungen auszustatten, die den Betrieb im NEFZ auf dem Rollenprüfstand
(die vorgeschriebenen Abgastests in der Garage, Anmerkung der Redaktion)
erkennen, so dass auf ein für die Abgas- und/oder Verbrauchsmessung
optimiertes Motorkennfeld umgeschaltet wird, das vom normalen Betrieb
abweicht (sog. cycle-beating). Die Überprüfung, ob derartige Einrichtungen
vorhanden sind, ist bisher (…) nicht vorgesehen.“
Das Umweltministerium ahnte also 2008 konkret, dass und wie der Betrug
funktionierte. Sigmar Gabriel war damals SPD-Umweltminister.
18. Sitzung, 15. Dezember 2016.
Sigmar Gabriel: „Niemand war damals in der Lage, Beweise für diesen
Verdacht zu liefern, auch weil es die technischen Möglichkeiten nicht gab.“
## Nur Fragen direkt zur Sache
Auf Herbert Behrens’ große Erwartungen folgt bald die Ernüchterung. Der
Ausschuss darf nur den Zeitraum 2007 bis 2016 untersuchen, erlaubt sind
ausschließlich Fragen direkt zur Sache. Die Arbeit muss nach einem halben
Jahr fertig sein. Gegen die Behörden zu klagen, wenn sie Dokumente
schwärzen, ist praktisch aussichtslos: Ein Urteil käme viel zu spät. Und:
Die Große Koalition hält sechs von acht Sitzen im Ausschuss. Union und SPD
sollen also gegen eigene Parteifreunde in Behörden und Ministerien
ermitteln.
Raum E 700 im Berliner Paul-Löbe-Haus neben dem Reichstag. Der Ausschuss
tagt. Die Luft ist stickig, stundenlang sitzen die Abgeordneten über ihren
Fragen und Notizen. Manche Treffen dauern 14 Stunden, draußen gibt es
Käsebrötchen und Kaffee, unterbrochen wird nur kurz.
Untersuchungsausschüsse sind kein Spaß, sie kosten viel Zeit und Nerven.
Behrens leitet den Ausschuss und muss sich gleichzeitig auch noch auf seine
eigenen Fragen konzentrieren.
Von den Wänden blicken ernst die Fotos ehemaliger Politiker aus den
Ausschüssen für Petitionsrecht und Umweltschutz. Der Abgasskandal hat beide
Anliegen ramponiert. Stickoxide aus Automotoren führen in Deutschland nach
statistischen Berechnungen jedes Jahr zu 10.000 zusätzlichen Toten. Warum
haben die Behörden nicht eingegriffen?
23. Sitzung, 13. Februar 2017.
Referatsleiter A., Verkehrsministerium: „Wir kamen zu dem Ergebnis, dass
eine konkrete Gefahr nicht besteht.“
## Kampf um die Deutungshoheit
Je öfter der Ausschuss tagt, desto größer wird die Kluft zwischen
Opposition und Koalition. Behrens und sein Kollege von den Grünen sehen
immer mehr Belege für das Nichthandeln der Behörden. Unions-Obmann Ulrich
Lange nennt den Ausschuss „sehr viel Aufwand mit sehr wenig Ertrag“.
SPD-Politikerin Kirsten Lühmann weiß schon „etwa sechs Wochen nach Beginn,
dass da nichts mehr kommt“. Alle Zeugen hätten bestätigt, dass die Behörden
damals bei VW nichts hätten finden können und dass die
Abschalteinrichtungen der anderen Hersteller legal seien. „In einem
Rechtsstaat kann eine Behörde nicht einfach auf Zuruf irgendetwas machen“,
sagt Lühmann, im Zivilberuf Polizistin. Allerdings wurden in diesem
Rechtsstaat die Gesetze zu Umwelt- und Gesundheitsschutz jahrelang
gebrochen. Das interessiert im Ausschuss nur am Rande.
Welche Abgeordneten hier sitzen, ist kein Zufall. Viele kümmern sich in
ihren Fraktionen um Verkehrspolitik. Und damit um die Autokonzerne in ihrer
Heimatregion.
Rechts vom Vorsitzenden sitzt die Union: Obmann Ulrich Lange kommt aus
Nördlingen, wo Hunderte von Leuten jeden Tag nach Ingolstadt pendeln: zum
Stammsitz von Audi, 43.000 Jobs.
Neben ihm: Carsten Müller, Braunschweig, wo VW mit 6.600 Jobs der größte
Industriebetrieb ist. Müller leitet den „Parlamentskreis Automobiles
Kulturgut“ für Oldtimer-Fans.
Neben ihm: Uwe Lagosky, Salzgitter, wo VW seine Motoren bauen lässt, 6.500
Jobs.
Neben ihm: Veronika Bellmann, Wahlkreis Mittelsachsen, wo gleich nebenan in
Chemnitz und Zwickau 10.000 Menschen bei VW arbeiten.
Links von Behrens: die SPD. Obfrau Kirsten Lühmann kommt aus Celle, 50
Kilometer von Wolfsburg. Im VW-Land hängt jeder dritte Industriejob an VW.
Die Stellvertreter: Thomas Viesehon, CDU, stammt aus Kassel, wo das
VW-Getriebewerk 13.300 Jobs garantiert.
Steffen Bilger, CDU, aus Ludwigsburg. Direkte Nachbarschaft: VW-Tochter
Porsche, fast 10.000 Stellen.
Johann Saathoff, SPD, Wahlkreis Emden. Im VW-Werk gibt es 9.500 Jobs.
SPD-Umweltpolitikerin Ulli Nissen stammt aus Frankfurt. Nebenan in
Rüsselsheim beschäftigt Opel mehr als 14.000 Menschen.
## Autokonzerne sind wichtige Parteispender
Neun von zwölf Abgeordneten und Stellvertretern der Großen Koalition im
Ausschuss kommen aus Regionen, wo die Menschen von der Autoindustrie leben.
Die Branche gibt an, direkt und indirekt jeden siebten deutschen Job zu
sichern. Unabhängige Studien fehlen.
Die Autokonzerne sind wichtige Parteispender. Und 2017 ist ein großes
Wahljahr. Vor der letzten Bundestagswahl 2013 flossen von den Kfz-Bauern
und ihren Zulieferern laut Lobbycontrol 3,5 Millionen Euro an die Parteien:
1,9 Millionen an die CDU, 870.000 an die CSU, 270.000 an die SPD und
180.000 an die Grünen. Das waren etwa 2 Prozent aller Spenden bei der SPD,
4 Prozent bei den Grünen, 6 Prozent bei der Union. Nur die Linke ging leer
aus.
Herbert Behrens sitzt in seinem Büro hinter dem Reichstag. Auf dem Tisch
ein Kaffeeservice „125 Jahre Arbeiter-Samariter-Bund“, an den Wänden Karten
vom Fernstraßennetz und Nachtzuglinien. Behrens ist Arbeiterkind aus dem
Bremer Umland, Schriftsetzer, Sozialwissenschaftler auf dem zweiten
Bildungsweg, Gewerkschafter. Auch bei ihm zu Hause steht ein großes
Mercedes-Werk mit 12.000 Jobs. Im Studium hat Behrens dort in den neunziger
Jahren zwei Jahre lang am Band gearbeitet, „Wir haben im
drei-Schichten-Betrieb die C-Klasse gebaut, nach der Nachtschicht war dir
alles egal.“
Auf dem Flur vor seinem Büro hängt eine Comic-Grafik. Da wird „Kommunismus�…
mit vielen Pfeilen erklärt, von „klassenloser Gesellschaft“ bis
„Machtfrage“. Behrens war bis 1989 in der DKP. Heute tut er sich schwer mit
der Bezeichnung Kommunist. „Sozialist trifft es besser.“ In der
marxistischen Theorie gibt es den Begriff „Stamokap“ –
„Staatsmonopolkapitalismus“, in dem Wirtschaft und Staat verschmelzen.
Trifft das für ihn bei der Autoindustrie in Deutschland zu? „Ja, durchaus“,
sagt Behrens, „das muss man so sehen.“
## Es geht um den Standort
In seinem Ausschuss sind scharfe Debatten nicht gefragt. Die stundenlangen
Fragerunden schläfern Frager und Beobachter ein. Man muss nicht an die
Stamokap-These glauben, aber der Abgas-Ausschuss zeigt: Unternehmen
schließen mit Behörden und Politik die Reihen, wenn es um den Standort
geht. Die Deutschland AG auf Rädern.
Greenpeace hat 2016 ein „Schwarzbuch Autolobby“ veröffentlicht. Inhalt: 33
Porträts von Politikern und Lobbyisten. „Mitunter verwischt die Grenze
zwischen Lobbyist und Politiker“, schreibt der Umweltverband. Es sind
bekannte Namen, die als Kanzler, Minister oder Ministerpräsident die
Industrie fördern – aber auch frühere Abgeordnete, die noch im Staatsdienst
von ihrem früheren Auto-Arbeitgeber ein Gehalt bezogen oder schlicht die
Seiten wechselten.
Für den VW-Ausschuss bedeutet das, dass die meisten Beamten und Politiker
derselben Erzählung folgen, „ihr Drehbuch“, nennt Herbert Behrens es. Es
geht so: Die Behörden hatten keinerlei Verdacht. Und haben sich nur an die
Regeln gehalten.
24. Sitzung, 16. Februar 2017.
Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU): „Ohne Erkenntnis über illegale
Abschalteinrichtungen gibt es auch keinen Grund, sie zu suchen.“
22. Sitzung, 26. Januar 2017.
Referatsleiter A., Verkehrministerium: „Es gab keinen Zweifel, es gab keine
Hinweise auf Betrug. Als ich das von VW gehört habe, bin ich fast vom Stuhl
gefallen.“
## Erst war es nur ein Verdacht
Schon Jahre zuvor war allerdings im Verkehrs- und Umweltministerium die
Deutsche Umwelthilfe, kurz: DUH, aufgetaucht, um vom Verdacht zu berichten,
die Autobauer nutzten illegale Abschalteinrichtungen. Immer wieder wies der
Geschäftsführer Jürgen Resch öffentlich auf die Messergebnisse und ihren
Verdacht hin.
Notiz Umweltministerium, 24/25. April 2012:
„Resch warf der Industrie (…) planmäßige ‚Cycle Beating‘-Maßnahmen v…
zweiter konkreter Vorwurf war, dass die Hersteller NEFZ-Erkennungsprogramme
(Programme, die erkennen, dass das Auto gerade getestet wird, Anmerkung der
Redaktion) eingebaut habe, die die Motorsteuerung ändern, wenn ein NEFZ
gefahren wird.“
Was hätten die Behörden gebraucht, um selbst zu prüfen? Am besten
rechtskräftige Beweise der Kritiker, sagen die Zeugen. Messergebnisse und
Vermutungen haben nicht gereicht, damit das Kraftfahrtbundesamt ermittelte.
18. Sitzung, 15. Dezember 2016.
Peter Altmaier, CDU, ehemaliger Umweltminister: „Es gab keinerlei rechtlich
verwertbare Hinweise von der DUH, keinerlei konkrete Unterlagen, keinerlei
Beweismittel von Herrn Resch.“
16. Sitzung, 1. Dezember 2016.
Jürgen Resch, DUH-Geschäftsführer: „Das ist die Linie, die durchgehalten
wird. Man sagt: Alle Hinweise, alle Abweichungen, so klar die auch illegal
sind, blieben irrelevant, solange der Beweis nicht da ist. Wir haben an
Deutlichkeit eigentlich nichts ausgelassen. Aber danach wollte man es
meines Erachtens eben nicht mehr hören.“
In dieser Sitzung geht CDU-Obmann Lange den Zeugen DUH-Chef Resch so
frontal an, wie kein Behördenmitarbeiter oder Politiker im Ausschuss sonst
angegriffen wird.
Lange: „Wenn Sie vorsätzlich rechtswidriges, kriminelles Verhalten
vorwerfen, dann müssen Sie das Ganze der Staatsanwaltschaft melden und zur
Anzeige bringen. Bei welcher Staatsanwaltschaft haben Sie konkret welches
Mitglied der Bundesregierung zur Anzeige gebracht?“
Resch: „Bei keiner.“
Lange: „Dann frage ich Sie nochmal: Halten Sie an der Aussage ‚vorsätzlich
rechtswidriges kriminelles Verhalten‘ fest? (…)„
Resch: „Nach meinem Rechtsverständnis ist das ein strafbares Verhalten (…).
Ich bleibe bei meiner Aussage.“
Lange: „(…) Wenn Sie solche Dinge in den Raum stellen und sie dann nicht
zur Anzeige bringen, dann habe ich schon ein gewisses Problem mit Ihrer
Aussage. (…) ich glaube nicht, dass (…) das der Beweisführung hier in
diesem Untersuchungsausschuss in irgendeiner Form dienlich ist. Ich kann
nämlich nicht erkennen, welchen Beweiswert Ihre Ausführung haben soll,
außer einer polemischen Bewertung und dem in einem Rechtsstaat nicht
nachvollziehbaren Hinweis auf eine, ich sage das ganz offen – unserem
Grundgesetz widersprechende Beweislastumkehr.“
Stephan Kühn (Grüne): „Das hat meines Erachtens nichts mit dem
Untersuchungsausschuss zu tun, diese Frage.“
Lange: „War ja keine Frage!“
## Der Skandal bleibt aus
Für die Abgeordneten der Großen Koalition ist also bald klar: Hier gibt es
keinen Skandal.
18. Sitzung, 15. Dezember 2016.
Frage des Grünen-Abgeordneten Krischer an Bundesumweltministerin Barbara
Hendricks, SPD: „Sie kennen doch sicher das Handbuch für Emissionsfaktoren
aus dem Umweltbundesamt, Ihrer nachgeordneten Behörde. Da kann man
nachlesen, (…) dass die Emissionen steigen, obwohl eigentlich die
Grenzwerte immer niedriger sind. Stellt man sich da nicht die Frage: Da
stimmt doch irgendwas nicht?“
Hendricks: „Ehrlich gesagt, ich kenne das Handbuch nicht.“
Krischer: „Ach so, Sie kennen das nicht.“
Hendricks: „Nein, ich finde auch nicht, dass ich das kennen muss.“
## Ein Minister im Aufsichtsrat
SPD und Union halten sich mit peinlichen Fragen an ihr eigenes
Spitzenpersonal zurück. Der SPD-Politiker Stephan Weil ist
Ministerpräsident von Niedersachsen, einem Land, das 20 Prozent der Aktien
des Autobauers hält und das ihn in den VW-Aufsichtsrat geschickt hat. „Vom
VW-Skandal habe ich aus der Tagesschau erfahren“, sagt er den Abgeordneten.
Niemand fragt ihn, ob so die Aufsicht eines Aufsichtsrats aussieht.
Manche Fragen bleiben nicht nur unbeantwortet, sondern vor allem
ungestellt. So behauptet der Verkehrsexperte und frühe Warner Axel
Friedrich, der lange am Umweltbundesamt arbeitete, er habe bei einem
Treffen im Februar 2011 den Abteilungsleiter A. aus dem Verkehrsministerium
auf die Indizien für die Abschalteinrichtung hingewiesen. Zehn Wochen
später vernimmt der Ausschuss ebendiesen Beamten – und fragt ihn nicht nach
diesem Vorwurf.
Die ehemaligen Umweltminister Gabriel und Altmaier erzählen von einer
geplanten „Feldüberwachung“, in der Autos unter realen Bedingungen getestet
werden sollten. Dabei wäre die VW-Lüge wahrscheinlich aufgeflogen. Aber
nichts geschah, weil die Entscheidung darüber nach Gabriels und vor
Altmaiers Amtszeit fiel. Damals im Amt: Umweltminister Norbert Röttgen,
CDU. Der aber steht gar nicht auf der Zeugenliste. Ebenso wenig wie Thomas
Steg, der 2002 bis 2009 Sprecher der Bundesregierung war und jetzt
Cheflobbyist von VW ist.
## Kommt in ein paar Jahren der nächste Skandal?
18. Sitzung, 15. Dezember 2016.
Sigmar Gabriel, Wirtschaftsminister: „Besondere Beziehungen zur
Auto-Industrie? Na klar habe ich das; deshalb bin ich Wirtschaftsminister.
Bei mir in der Region leben die Leute davon, und es gäbe übrigens die DUH
vermutlich nicht, wenn nicht dieses Land in der Lage wäre, ökonomisch
solche Erfolge zu haben, um Umweltschutz finanzieren zu können.“
Am Mittwoch wird Angela Merkel als letzte Zeugin vor dem Ausschuss
sprechen. Die Abgeordneten werden versuchen herauszufinden, wann die
Kanzlerin informiert wurde. Danach schreiben sie ihren Abschlussbericht.
Dabei werden sie darum kämpfen, welche Deutung des Abgasskandals sich
offiziell durchsetzt: Staatsversagen oder kriminelle Einzelfälle? Ein
Standardwerk zur deutschen Autokratie wird der Bericht in jedem Fall.
Fragt man Behrens nach einem Ausweg aus dieser Verflechtung, sagt er:
Transparenz. Bei den Behörden, aber auch durch „öffentliches
Mitspracherecht bei Unternehmensentscheidungen“. Soll heißen: Mehr Macht
für Gewerkschaften. Weil die aber Teil der Autokratie sind, müssten sie
sich ganz neu aufstellen. „Aufsichtsräte könnten viel aufmüpfiger sein.
Sonst haben wir in ein paar Jahren den nächsten Skandal.“
Potenzial dafür gibt es genug. Nach wie vor weiß niemand, wie Dieselmotoren
jemals die Grenzwerte für Stickoxid einhalten sollen, also: ob der Diesel
überhaupt eine Zukunft hat. Auch bei Spritverbrauch und CO2-Werten dieser
Wagen wird viel getrickst. Die gesamte Autoindustrie steht wegen der
Elektromobilität vor einem gigantischen Umbruch.
Die Krise hat es nicht geschafft, den Konsens zwischen Politik und
Industrie zu schwächen. Eher rücken die Bedrängten enger zusammen. Ab
Herbst 2017, zwei Jahre nach Bekanntwerden des VW-Skandals, sollten die
Grenzwerte für Stickoxide bei Dieselwagen eigentlich sinken. Ein Vorstoß
der EU. Aber weil kaum ein Auto diese Grenzen einhält, reagierte die ganz
große Koalition aus Industrie und Politik wie gewohnt. Sie verbesserte
nicht die Motoren. Sie verwässerte das Gesetz.
6 Mar 2017
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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