# taz.de -- Der Staat als Anteilseigner: Staat, Markt und Macht der Konzerne | |
> Wie sinnvoll ist es eigentlich, dass der Staat an VW beteiligt ist? Die | |
> jüngsten Verwicklungen zwischen Politik und Industrie werfen ein paar | |
> Fragen auf. | |
Bild: #AllMalePanel bei VW: Gewerkschafter Osterloh, Aufsichtsratsvorsitzender … | |
Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Stephan Weil ist gleichzeitig | |
Aufsichtsratsmitglied bei VW – und dieses Doppelmandat kann zu Konflikten | |
führen. Im Oktober 2015 stimmte Weil eine Regierungserklärung zur | |
Dieselaffäre vorher mit dem Konzern ab, weil er faktische Fehler und | |
rechtliche Fallen vermeiden wollte. Als VW-Aufsichtsratsmitglied konnte | |
Weil nicht anders handeln. Dies wirft aber eine grundsätzliche Frage auf: | |
Wie sinnvoll ist es eigentlich, dass der Staat überhaupt an VW beteiligt | |
ist? | |
Es hat historische Gründe, dass das Land Niedersachsen mit 20,2 Prozent an | |
VW beteiligt ist. Denn „Volkswagen“ wurde 1937 unter den | |
Nationalsozialisten gegründet – und das nötige Geld stammte vor allem aus | |
dem Vermögen der Gewerkschaften, das Hitler 1933 beschlagnahmt hatte. Nach | |
Kriegsende übertrug daher die britische Besatzungsmacht dem Land | |
Niedersachsen die Treuhänderschaft über Volkswagen. 1960 wurde der Konzern | |
zwar privatisiert, aber das Land Niedersachsen behielt seine Stimmrechte – | |
und hat durch das VW-Gesetz ein faktisches Vetorecht. | |
Alle anderen Autokonzerne sind privat. Wäre es nicht an der Zeit, dass das | |
Land Niedersachsen seine VW-Anteile verkauft? | |
Das ist letztlich eine politische Frage. Nach dem Krieg gehörte VW nicht | |
nur Niedersachsen, sondern auch dem Bund – der seine Anteile längst | |
abgestoßen hat. Niedersachsen will die Kontrolle über VW aber behalten, | |
weil der Konzern der größte private Arbeitgeber in der Region ist. VW | |
schafft direkt 200.000 Arbeitsplätze in der Automobilindustrie. Hinzu | |
kommen die indirekten Effekte, weil die VW-Mitarbeiter ja auch konsumieren | |
– Familien aufziehen, Häuser bauen, in Kneipen gehen. | |
Der Staat besitzt aber nicht nur Teile von VW, sondern auch Flughäfen, die | |
Deutsche Bahn oder Wasserwerke. Was soll das? | |
Es wird sich nicht vermeiden lassen, dass der Staat sehr stark in die | |
Wirtschaft eingreift. Denn bei vielen Gütern ist es am billigsten, auf | |
einen „Markt“ und einen Wettbewerb von privaten Unternehmen zu verzichten. | |
Dies gilt beispielsweise für alle Infrastrukturprojekte wie Eisenbahnen, | |
Stromtrassen oder Wasserleitungen. Denn es wäre sinnlos und teuer, mehr als | |
ein Netz zu bauen, nur um Konkurrenz zu erzeugen. Sobald es aber nur ein | |
Netz gibt, entsteht ein „natürliches Monopol“, wie Ökonomen dies nennen. | |
Und das würde von privaten Betreibern ausgenützt, falls sie keiner | |
Kontrolle unterlägen. Also muss der Staat einschreiten – und diese Netze | |
entweder selbst betreiben oder mit eigenen Behörden regulieren, wer diese | |
Infrastruktur nutzen darf und zu welchem Preis. | |
Und warum mischt sich der Staat auch bei Krankenhäusern oder Krankenkassen | |
ein? | |
Es gibt Produkte, bei denen das freie Spiel von Angebot und Nachfrage nicht | |
funktioniert. Dazu gehört der „Gesundheitsmarkt“, den es schlicht nicht | |
geben kann, obwohl dieser Begriff in jüngster Zeit Karriere macht. Eine | |
erste Schwierigkeit: Gesundheit hat keinen Preis. Für jeden Kranken ist | |
sein Leben das höchste Gut, und er ist daher erpressbar. Die | |
Verhandlungsmacht würde allein bei den Ärzten und Pharmafirmen liegen, wenn | |
es keine soziale Kontrolle gäbe. Es ist daher nur konsequent, dass in allen | |
westlichen Ländern Honorarordnungen für Mediziner und Preisvorgaben für | |
Arzneien existieren. Ein weiteres Problem: Für private Firmen würde es sich | |
nicht lohnen, spärlich besiedelte Landstriche mit einem Krankenhaus zu | |
versehen. Also muss erneut der Staat eingreifen, um eine flächendeckende | |
Infrastruktur sicherzustellen. | |
Weitere Beispiele, wo der Staat eingreift? | |
Auch der „Wohnungsmarkt“ funktioniert nicht wirklich als Markt. Denn erneut | |
tritt das Problem auf, dass die Macht zwischen Mietern und Vermietern | |
ungleich verteilt ist. Irgendwo müssen die Menschen ja wohnen, was sie | |
erpressbar macht. Dies gilt ganz besonders für die Ärmsten, weswegen der | |
Staat wieder gezwungen ist einzugreifen: mit Preisregulierungen, | |
Sozialwohnungen und Wohngeld. | |
Ist die „Marktwirtschaft“ also eine Fiktion? | |
Die Theorie der „Marktwirtschaft“ geht davon aus, dass es den perfekten | |
Wettbewerb gibt. Diese Konkurrenz ist jedoch – wie die bisherigen Beispiele | |
zeigen – in vielen Branchen gar nicht sinnvoll. Zudem zeigt sich, dass der | |
Wettbewerb selbst dort ausgehebelt wird, wo er theoretisch möglich wäre. | |
Ein schönes Beispiel ist das „Dieselkartell“, das kürzlich aufgedeckt | |
wurde: Die fünf Autokonzerne VW, Audi, Porsche, BMW und Daimler haben in | |
über 60 Arbeitsgruppen eng zusammengearbeitet – und vom Coupé-Dach bis zum | |
Airbag ihre gesamte Ausstattung koordiniert. Gemeinsam beschloss man auch, | |
die Abgasreinigung für die Dieselfahrzeuge zu klein zu dimensionieren, | |
damit im Kofferraum noch Platz für Golfschläger oder eine Stereoanlage | |
bleibt. Also sind wieder staatliche Behörden gefragt – das deutsche | |
Kartellamt und die EU-Kommission –, um diese enge Kooperation der | |
Unternehmen zu untersuchen und auch zu unterbinden. Fazit: Ohne den Staat | |
kann die „Marktwirtschaft“ gar nicht funktionieren. | |
Wenn der Staat so eng mit den Firmen verwoben ist – wer soll die | |
Unternehmen dann kontrollieren? | |
Deutsche denken gern, dass der Aufsichtsrat als Kontrollorgan besonders | |
wichtig wäre. Doch in vielen Ländern, zum Beispiel in Großbritannien oder | |
den USA, haben die Großkonzerne gar keine Aufsichtsräte – sondern dort gibt | |
es nur einen Verwaltungsrat, der das operative Geschäft steuert. | |
Wenn die Aufsichtsräte eher unwichtig sind – wer kontrolliert die Firmen | |
dann? | |
Entscheidend sind die Kunden, die Aktionäre, der Gesetzgeber und die | |
Justiz. Um bei den Kunden anzufangen: Schon jetzt meiden viele Konsumenten | |
Dieselfahrzeuge, weil sie keine Dreckschleudern besitzen wollen. Spätestens | |
wenn der Umsatz einbricht, sind die Aktionäre alarmiert – und üben Druck | |
auf den Vorstand aus. Der Gesetzgeber beeinflusst und kontrolliert die | |
Unternehmen, indem etwa Abgasnormen erlassen werden. Werden sie verletzt, | |
ist die Justiz dran: von Fahrverboten bis zu Milliardenstrafen. | |
Also ist alles perfekt? | |
Nein. Denn die Unternehmen haben trotzdem eine enorme Macht. Sie drohen | |
gern damit, dass es Arbeitsplätze kosten würde, ihnen scharfe Auflagen zu | |
machen. Daher ist in der Dieselaffäre bereits abzusehen, dass der deutsche | |
Staat den Autokonzernen weit entgegenkommen wird – egal ob privaten wie | |
Daimler oder teilweise staatlichen wie VW. | |
8 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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