# taz.de -- Kurswechsel bei den Grünen: Kuschelparty für die Mitte | |
> Die Steuern für Spitzenverdiener sollen nicht steigen. So umwerben die | |
> Grünen ihre neue bürgerliche Klientel. Warum kriegt das bloß keiner mit? | |
Bild: Alle Spitzengrünen sind sich einig, egal ob realpolitisch oder links | |
BERLIN taz | Um den Flirt der Grünen mit dem gut verdienenden Bürgertum zu | |
verstehen, hilft es, mit Anton Hofreiter zu sprechen. Hofreiter, Chef der | |
Bundestagsfraktion, bei den Grünen nur „der Toni“, ist ein stämmiger Typ | |
mit Bauchansatz und schulterlangem Haar. Wenn er im Parlament auf die | |
Kanzlerin antwortet, drischt er so energisch auf das Rednerpult, dass die | |
schmalen Mikrofone zittern. | |
Hofreiter will im Wahlkampf 2017 Spitzenkandidat werden – und | |
Bundesminister in einer Koalition. Er ist außerdem – das ist für diese | |
Geschichte wichtig – der wichtigste Vertreter der Linksgrünen. Das ist | |
traditionell der Parteiflügel, der sich für Weltverbesserung, Gerechtigkeit | |
und Revoluzzertum zuständig fühlt – und den Reichtum in Deutschland von | |
oben nach unten umverteilen will. | |
Dieser Hofreiter also lehnt sich an einem heißen Tag im Juli in seinem Büro | |
im Jakob-Kaiser-Haus im Berliner Parlamentsviertel etwas vor. „Ich will | |
keinen Steuerwahlkampf“, sagt er. „Den will bei uns keiner.“ Ein Schluck | |
Apfelschorle. „Es war ein Fehler, dass mit dem Steuerkonzept 2013 auch | |
Teile der Mittelschicht belastet worden wären.“ Hofreiter lehnt sich | |
zurück. | |
Wer 80.000 oder 100.000 Euro im Jahr verdiene, sei wohlhabend, aber | |
bestimmt nicht superreich. „Wer die Mieten in meiner Heimatstadt München | |
kennt, weiß, dass da am Ende des Jahres für eine Normalverdienerfamilie | |
nicht viel übrig bleibt.“ Diese Menschen zahlten Steuern, hätten Kinder, | |
engagierten sich oft ehrenamtlich. „Wir belasten die Mitte nicht, sondern | |
entlasten sie.“ Mehr Geld für Kinderbetreung, für sichere Renten oder | |
bezahlbaren Wohnraum, zählt Hofreiter auf. | |
Moment mal. Die Grünen, das waren doch die mit den Steuererhöhungen. Und | |
jetzt sollen Leute, die 100.000 Euro im Jahr bekommen, plötzlich | |
Normalverdiener sein? Zum Vergleich: Ein Haushalt hat in Deutschland im | |
Schnitt 50.000 Euro zur Verfügung. Bei den Grünen scheint sich eine | |
Weltsicht verschoben zu haben. | |
## Die Grünen, die Steuererhöhungspartei? | |
Linke Umverteilungsfantasien sollen schuld an der Wahlniederlage 2013 | |
gewesen sein, die Pläne für massive Steuererhöhungen für die Mitte. Diese | |
Erzählung wurde von Spitzengrünen und Journalisten seitdem oft wiederholt. | |
Die Grünen, die Steuererhöhungspartei. Diese Lesart ist unterkomplex, weil | |
die Pädophiliedebatte, der Veggie-Day und das Fehlen einer Machtoption für | |
Rot-Grün 2013 wichtiger waren. Aber das Image ist im öffentlichen | |
Gedächtnis hängen geblieben. | |
Bis heute stehen die Grünen deshalb als Partei da, die sich vor allem über | |
Geld streitet. Auch auf dem Parteitag in Münster Mitte November wird es | |
wieder hoch hergehen. Manche wollen die Vermögensteuer durchsetzen, andere | |
schießen dagegen. Manche werben dafür, reiche Unternehmenserben zu | |
begünstigen, weil man sie für die ökologische Wende braucht. Andere wollen | |
Superreiche zur Kasse bitten. | |
Steuerpolitik, das klingt langweilig, das sind trockene Zahlen, aber im | |
Kern geht es darum, wie die Republik in Zukunft aussieht. Darum, wer | |
profitiert, wer verliert – und wie mutig die Grünen sind. An ihrer | |
Steuerpolitik lässt sich ablesen, wie sehr sie sich für Veränderungen | |
einsetzen, die mächtige Lobbyverbände verhindern wollen. | |
Je länger man Hofreiter zuhört, desto klarer wird: Die Grünen sind | |
bescheiden geworden. Sie wollen Frieden. Die Revoluzzer von einst umarmen | |
heute die Besserverdiener sanft, sie umgarnen mit einer Kuscheloffensive | |
die bürgerliche Mitte. | |
Interessanterweise gibt es trotzdem böse Kommentare. Die Grünen sinnten mit | |
Blick auf die Bundestagswahl 2017 „fast ausnahmslos darüber, wie sie | |
Steuern erhöhen“, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung erst im | |
August. Auch die Welt attestierte dem linken Lager jüngst, es wolle „auch | |
im kommenden Jahr mit dem Ruf nach Steuererhöhungen um die Wählergunst | |
buhlen“. | |
## Reich, wohlhabend – wo liegt die Mitte? | |
Was stimmt? Hofreiter klingt in seinem Büro nicht gerade wie ein Robin | |
Hood, der gegen Reiche kämpft. Sondern eher wie ein Schutzpatron der | |
Gymnasiallehrer, Rechtsanwältinnen oder Oberärztinnen, jener Menschen also, | |
die deutlich mehr verdienen als viele andere Deutsche. Er ist damit nicht | |
allein. | |
Katrin Göring-Eckardt, ebenfalls Fraktionsvorsitzende in Berlin, sagt: „Ja, | |
wir machen das anders als 2013.“ | |
Cem Özdemir, der Parteichef, sagt: „ ‚Mittelschicht‘ sollten wir nicht am | |
Rechenschieber definieren, es gibt auch eine soziokulturelle Mitte.“ | |
Simone Peter, ebenfalls Parteivorsitzende, sagt: „Uns geht es nicht darum, | |
die bürgerliche Mitte zu belasten.“ | |
Robert Habeck, Energiewendeminister in Schleswig-Holstein, der | |
Spitzenkandidat im Bundestagswahlkampf werden will, sagt: „Einen Berg trägt | |
man von oben ab, nicht indem man ein Loch in der Mitte buddelt.“ | |
Alle Spitzengrünen, die 2017 über den Kurs bestimmen werden, sind sich also | |
einig, egal ob realpolitisch oder links. Und Winfried Kretschmann, der | |
wichtige Oberrealo in Baden-Württemberg, hasst Steuererhöhungen sowieso. | |
## Vom Feindbild zum schützenswerten Leistungsträger | |
Solche Einmütigkeit kommt bei den Grünen derzeit wirklich selten vor. Die | |
Gutverdiener der Republik brauchen sich vor der Ökopartei nicht mehr zu | |
fürchten. Das Feindbild linker Ökos, der Spitzenverdiener mit Porsche, | |
Townhouse und „Miles & More-Karte“ der Lufthansa, ist neuerdings ein | |
schützenswerter Leistungsträger der Gesellschaft. | |
Da fragt man sich schon: Wo ist der Furor geblieben, endlich aufzuräumen | |
mit Ungerechtigkeiten der Reichtumsverteilung? Stecken dahinter noch andere | |
Überlegungen als die, bürgerliche Wähler anzusprechen? | |
Schräg hinter Hofreiter steht Thomas Pikettys „Kapital im 21. Jahrhundert“ | |
im Regal, die Bibel der Linksliberalen. Darin rechnet der Ökonom akribisch | |
vor, wie sich in einem unregulierten Kapitalismus die Vermögen immer | |
stärker bei den Reichen konzentrieren. Unkontrolliert wachsende | |
Ungleichheit, glaubt Piketty, bedrohe die Demokratie. Viele Grüne, allen | |
voran Hofreiter, sehen das eigentlich genauso. | |
Aber jetzt sagt der grüne Fraktionschef: „Die Wirklichkeit ändert sich | |
nicht dadurch, dass man alles Schöne und Gute ins Parteiprogramm schreibt.“ | |
Hofreiter beugt sich über den Tisch. Wer zwanzig Forderungen aufstelle, | |
aber keine durchsetze, möge sich vielleicht im Recht fühlen. „Aber er | |
verändert nichts. Gerade als Linker muss ich mich fragen, mit welchen | |
Kompromissen ich welche Ziele erreiche.“ | |
Die Kuscheloffensive ist ein Eingeständnis, dass die Wähler weniger | |
Veränderung wollen als die Grünen. Wünsche, die der bürgerlichen Mitte | |
wehtun, wurden entschärft. Ist die obere Mittelschicht vielleicht | |
egoistischer, als die Grünen dachten? I wo. So etwas darf ein | |
Spitzenpolitiker nicht mal denken und ein Grüner schon mal gar nicht. | |
## Nicht staatsaltruistische Wähler | |
Göring-Eckardt sagt es lieber so: „Unsere Wählerinnen und Wähler sind nicht | |
egoistisch, aber auch nicht staatsaltruistisch.“ Sie seien durchaus bereit, | |
mehr zu zahlen, vertrauten aber nicht darauf, dass das Geld wirklich in | |
Kitas oder der Energiewende lande. Göring-Eckardt erzählt, wie Leute ihr im | |
Wahlkampf 2013 empört von verdreckten Toiletten in der Schule ihrer Kinder | |
berichtet hätten. | |
Wenn der Staat nicht Schulklos putzt – warum ihm dann einen Blankoscheck | |
über größere Summen ausstellen? | |
Die Grünen setzen nun auf Versöhnung. 2013 wollten sie den | |
Spitzensteuersatz für Einkommen von 60.000 Euro auf 45 Prozent anheben, ab | |
80.000 Euro sollten 49 Prozent gelten. Heute möchten die Grünen den | |
Spitzensteuersatz erst jenseits eines Singleeinkommens von 100.000 Euro | |
anpassen. Nur minimal allerdings, und auch das ist noch nicht sicher. | |
Auch um die Abschaffung des leidigen Ehegattensplittings machen sie jetzt | |
einen großen Bogen. Verheiratete Gutverdiener, deren PartnerInnen wenig | |
verdienen, bekommen vom Staat saftige Steuernachlässe. Diese im Grunde | |
skandalöse Regelung bevorzugt Spitzenverdiener und verleitet gerade Frauen | |
dazu, zu Hause die Kinder zu hüten. | |
2013 plädierten die Grünen für eine schnelle Abschaffung. Heute verschieben | |
sie die Reform in die ferne Zukunft. | |
Und sonst? Bleiben ein paar umweltschädliche Subventionen, die die Grünen | |
kürzen wollen. Das gehört zum Markenkern. Da wäre die Anpassung der | |
Kapitalertragsteuer, für die inzwischen selbst CDU-Finanzminister Schäuble | |
wirbt. Und natürlich die Vermögensteuer. Sie beträfe allerdings nur | |
mehrfache Millionäre und Milliardäre; die Mitte bliebe komplett außen vor. | |
## Schonprogramm Steuererhöhung | |
Kurz: Das Steuererhöhungsprogramm ist zum Schonprogramm geworden. Früher | |
wollten die Grünen die obersten 10 Prozent zur Kasse bitten, um den | |
sozialökologischen Umbau Deutschlands zu bezahlen. Heute geht es ihnen um | |
das obersten 1 Prozent. „Dass sich Superreiche aus der Gesellschaft in eine | |
Parallelwelt verabschieden, ist das wirkliche Problem“, sagt Hofreiter in | |
seinem Büro. | |
Die Gutverdiener, die die Grünen gerne „die Mitte der Gesellschaft“ nennen, | |
gehören übrigens statistisch nicht mehr zur Mittelschicht. Dafür verdienen | |
sie zu viel. Sie seien aber auch noch nicht reich, sagt Markus Grabka, | |
Soziologe am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Zu Reichtum | |
gehöre in der Regel ein so hohes Vermögen, dass man nicht mehr arbeiten | |
müsse. Grabka sagt: „Ich finde es präziser, von Wohlhabenden zu sprechen – | |
nicht von Mittel- oder Oberschicht.“ | |
Allerdings, auch das sagen Soziologen, fühlen sich die Wohlhabenden | |
hierzulande der Mitte zugehörig. Mitte, das will in Deutschland jeder sein. | |
In dem neuen Kurs der Grünen steckt viel Ernüchterung. Sie akzeptieren, | |
dass ihre überdurchschnittlich gut verdienenden und gebildeten WählerInnen | |
eine engagierte Energiewende, mehr Kitas oder fein ausgebaute Bahnstrecken | |
haben wollen. Aber mehr zahlen will dafür keiner. Die nächste Rate fürs | |
Eigenheim liegt dann doch näher als eine anonyme Spende an den Staat. | |
Aber auch Angst vor Diffamierung spielt eine Rolle. Über sie sprechen | |
wichtige Grüne nur dann, wenn man verspricht, ihren Namen nicht zu nennen. | |
„Für interessierte Kreise, die uns schaden wollen, ist das Steuerthema | |
ideal“, sagt ein Stratege im Bund. So lasse sich zum Beispiel leicht das | |
Bild zeichnen, dass viele Menschen von einer Erhöhungen betroffen seien – | |
obwohl das gar nicht stimme. | |
## Komplexe Materie | |
Da ist etwas dran. Die Materie ist so komplex, dass viele Menschen – auch | |
Journalisten – sie nicht in Gänze verstehen. Und manches wird absichtlich | |
in ein schlechtes Licht gerückt. 2013 verstieg sich der mächtige | |
Wirtschaftsverband DIHK zu der Behauptung, dass durch die grünen | |
Steuerpläne 1,4 Millionen Arbeitsplätze gefährdet seien. Für solche | |
Horrorszenarien fehlte jeder Beleg, trotzdem machte die Behauptung | |
Schlagzeilen. „Leider fehlt in Deutschland der Resonanzraum für linke | |
Finanz- und Steuerpolitik“, sagt eine Grüne, die sich mit der Materie gut | |
auskennt. | |
2013 ist für viele Grüne bis heute ein Trauma. Ihre Steuerpläne wurden | |
damals nicht nur von Union, FDP und Wirtschaftsverbänden in der Luft | |
zerrissen, sondern auch von vielen Medien. Der Spiegel etwa fabulierte sich | |
mit ausgewählten Zahlen einen „Raubzug mit Ansage“ gegen die Mitte | |
zusammen. | |
Eigentlich war der Ansatz damals sehr ehrlich, wenn nicht revolutionär. Es | |
war das erste Mal, dass eine Partei penibel und öffentlich vorrechnete, wie | |
teuer ihre Reformen sind. Jede Idee war gegenfinanziert, während Merkel den | |
WählerInnen das Blaue vom Himmel versprach. | |
Anruf bei dem Politikwissenschaftler Henrik Scheller. Er hat untersucht, | |
wie die überregionalen Tageszeitungen in den Monaten vor der Wahl 2013 über | |
die Pläne berichteten. „Das Ergebnis hat uns überrascht“, erzählt Schell… | |
Der Tenor sei meist negativ gewesen, sogar in der Süddeutschen Zeitung und | |
der Frankfurter Rundschau, die zum Mitte-links-Spektrum gehören. „Die | |
Grünen hatten deshalb kaum eine Chance, breite, positive Resonanz zu | |
erzeugen.“ | |
Journalisten schrieben kritische Kommentare, sie zitierten Experten, die | |
das Programm skeptisch sahen, wichtige Grüne wie Kretschmann lieferten | |
entscheidende Stichworte. Scheller lacht am Telefon leise: „Nur die taz | |
berichtete wohlwollend.“ | |
## Furcht vor den Medien | |
Wenn aber eine Regel gilt, dann diese: Wer bei einer Revolution nur die taz | |
an seiner Seite hat, sollte besser hinter der Barrikade bleiben. Die Furcht | |
vor den Medien trieb bei den Grünen nach 2013 seltsame Blüten. Spitzenleute | |
sollen sich dem Vernehmen nach sogar über die Gehälter von | |
Spiegel-Redakteuren informiert haben. | |
Jetzt, vor der Wahl 2017, will es die Ökopartei anders machen. Will mit | |
ureigenen Themen werben, dem Kohleausstieg, ökologischer Landwirtschaft, | |
besseren Kitas und Schulen. Weg mit den bösen Zahlen, her mit den | |
attraktiven Zielen. | |
Wer bezahlt das alles? „Na ja, die Steuereinnahmen sprudeln ja“, antworten | |
grüne Fachleute. Und: Im Haushalt sei immer Spielraum. Heißt übersetzt: | |
Keine Ahnung, mal sehen. Die Ironie dabei ist, dass die Partei damit zu dem | |
Prinzip zurückkehrt, das erst 2013 zu der riskanten Ehrlichkeit führte. | |
Ihre Gegner hatten ihr zuvor ständig vorgeworfen, sie sei eine | |
Wünsch-dir-was-Partei. Im Moment schließt sich also ein Kreis. | |
Simone Peter spricht schnell, zu schnell, und alle paar Sekunden schaut sie | |
hinunter auf die Blätter, die sie vor sich gelegt hat. Ein Besprechungsraum | |
in der Berliner Grünen-Zentrale im Schatten der Charité, ein langer Tisch, | |
gut zwei Dutzend Journalisten, Filterkaffee, stickige Luft. Diese | |
Pressekonferenz an einem Montag im Juli ist wichtig. Hier müssen die Grünen | |
der gespannten Öffentlichkeit ihre entscheidende Kurskorrektur verkaufen. | |
Zweieinhalb Jahre hat sich eine AG über Finanzen und Steuern gestritten, | |
sie wurde nach dem Wahldesaster 2013 ins Leben gerufen. 15 Politiker aus | |
Bund und Ländern, Linke und Realos, Finanz- und Wirtschaftspolitiker, | |
stritten sich in stundenlangen Sitzungen, über die in der Partei gewitzelt | |
wurde, dass der Nahostkonflikt ein Kinderspiel dagegen sei. | |
## Über zwei Jahre diskutieren und immer noch streiten? | |
Die Parteichefin schaut auf und holt Luft. Links neben ihr sitzt Anja | |
Hajduk, Reala aus Hamburg, rechts der linksgrüne Finanzexperte Gerhard | |
Schick. | |
Peter fräst sich durch das Abschlusspapier, 15 eng bedruckte Seiten. Sie | |
spricht über die „Megaaufgabe Investitionen“, den subventionierten | |
Dieselsteuersatz und darüber, dass sich die Grünen über Vermögen- und | |
Körperschaftsteuer nicht einigen konnten. Dann reden Hajduk und Schick – | |
ziemlich lang. | |
„Sie diskutieren über zwei Jahre lang und streiten sich immer noch?“ Ein | |
Journalist schaut fassungslos zu den dreien hinüber, eine Kollegin grinst | |
hinter ihrer Kaffeetasse. dpa titelt kurz darauf: „Grüne finden keinen | |
Kompromiss für Besteuerung von Vermögen.“ Noch Tage später werden Grüne, | |
die man auf den Fluren des Bundestags auf diesen Auftritt anspricht, vor | |
Wut in die Luft prusten. | |
Das ist nur ein Beispiel von vielen für die katastrophale Kommunikation der | |
Grünen. | |
Der Vorstand wird auf dem Parteitag im November vorschlagen, den | |
Spitzensteuersatz oberhalb eines Singleeinkommens von 100.000 Euro zu | |
erhöhen. Diesen Grenzwert könnten Gutverdiener wieder als Angriff auf ihr | |
Portemonnaie interpretieren; sie ist ein Zugeständnis an die Parteilinken. | |
Doch es kommt am Ende gar keine Steuererhöhung raus. Die Textstelle ist | |
eine Platzpatrone. | |
## Es ist wie verhext | |
Wer das Kleingedruckte liest, merkt: Die Grünen wollen so die 2017 sowieso | |
fällige Anpassung des Grundfreibetrags in der Einkommensteuer finanzieren. | |
Der Grundfreibetrag orientiert sich am Existenzminimum. Es wird regelmäßig | |
angepasst und beim nächsten Mal wegen der niedrigen Inflation kaum steigen. | |
Es ist wie verhext, auch bei der Vermögensteuer. Wichtige Realos aus | |
Baden-Württemberg wollen sie in Münster endgültig abräumen, Linksgrüne | |
ersinnen bereits Gegenstrategien. Medien lieben Streit. Das Image der | |
Grünen als Steuererhöher wird so immer wieder neu lackiert. | |
Die Steuerpolitik hat für die Ökopartei eine Bedeutung bekommen, die sich | |
eigentlich nur noch psychologisch erklären lässt. Manche Realos und manche | |
Linksgrüne haben sich fest ineinander verbissen. In das symbolträchtige | |
Thema werden deshalb viele Konflikte projiziert, die die Grünen anderswo | |
nicht offen austragen. | |
Letzte Frage an Anton Hofreiter, den Linken, der Minister in der nächsten | |
Regierung werden will: Herr Hofreiter, wäre eigentlich mit Merkel eine | |
Vermögensteuer zu machen? | |
Hofreiter denkt eine Sekunde nach. „Ich halte es nicht für ausgeschlossen, | |
mit der Union eine Vermögensteuer zu vereinbaren“, sagt er dann. Die Union | |
habe eine feste Bindung zur christlichen Arbeitnehmerschaft. „Die Spaltung | |
der Gesellschaft kann ihr nicht egal sein.“ | |
Wie heißt es doch so schön? Grün ist die Hoffnung. | |
3 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
## TAGS | |
Grüne | |
Steuerpolitik | |
Besserverdienende | |
Vermögen | |
Anton Hofreiter | |
Katrin Göring-Eckardt | |
Robert Habeck | |
Cem Özdemir | |
Simone Peter | |
Inflation | |
Grüne | |
Grüne | |
Lesestück Interview | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
DDR | |
Bündnis 90/Die Grünen | |
Realos | |
Europäische Union | |
Steuer | |
Grüne | |
Erbschaftsteuer | |
Grüne | |
Steuerpolitik | |
Steuerpolitik | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kommentar Inflation in Deutschland: Es sind die Mieten, stupid | |
Sie geht wieder um – die alte Angst vor Inflation. Doch die Panik, die | |
„FAZ“ und „Welt am Sonntag“ schüren, ist unbegründet. | |
Parteitag der Grünen: Westfälischer Friede? Eher nicht | |
Die Grünen wollen in Münster ihren Flügelstreit über Steuern beilegen. | |
Parteilinke forden die Vermögensteuer, Realos sind dagegen. | |
Grüne suchen Spitzenkandidaten: Die Überflügelnde | |
Katrin Göring-Eckardt ist für eine Grünen-Spitzenkandidatur gesetzt. Die | |
Basis entscheidet aber, wie stark sie wird. | |
Oskar Lafontaine über SPD und Grüne: „Abwarten, ob sie standhaft bleiben“ | |
Inhaltlich gibt es bei SPD und Grünen kaum Anzeichen für einen | |
Politikwechsel, sagt Lafontaine. Was bedeutet das für eine rot-rot-grüne | |
Koalition? | |
Kretschmann und die Kanzlerin: Verbotene Liebe | |
Die Grünen-Chefin kritisiert Kretschmann für sein Merkel-Lob. Es gebe keine | |
Vorfestlegungen auf Kanzlerkandidaten, sagt Simone Peter. | |
Buch über Stasi und Grüne: ZuträgerInnen aus dem Parteiinneren | |
Im Auftrag der Grünen haben die WissenschaftlerInnen Jens Gieseke und | |
Andrea Bahr erforscht, wie umfassend die Stasi die Partei bespitzelt hat. | |
Grüne und Finanzpolitik: Steuerstreit eskaliert doch | |
Wichtige Realos aus Baden-Württemberg wollen die Vermögensteuer aus dem | |
Programm streichen. Damit brüskieren sie die Berliner Fraktionsspitze. | |
Streit in der Steuerpolitik: Grüne suchen ein bisschen Frieden | |
Vermögens- oder Erbschaftsteuer? Der Streit der Grünen drohte auf dem | |
Parteitag zu eskalieren. Überraschend taucht jetzt ein Kompromissvorschlag | |
auf. | |
Umfrage unter Europaabgeordneten: Was zeichnet die EU aus? | |
Wir haben die Europaparlamentarier gefragt, was das Beste an der EU ist – | |
und wie ihre Vision für die Zukunft aussieht. Hier alle 72 Antworten. | |
Kommentar Erbschaftsteuer: Die soziale Balance ist gefährdet | |
Für neue politische Bündnisse nach der Bundestagswahl lässt der Kompromiss | |
nichts Gutes erahnen: Begünstigt werden seit Jahren die Reichen. | |
Umfrage Grünen-Basis: Sympathie für Umverteilung | |
Mehr Geld für Schulen oder für Sozialtransfers? Die Grünen-Spitze hat jetzt | |
die 60.000 Mitglieder befragt. Ergebnis: Die Basis will beides. | |
Vermögen und Erbe: Unfassbarer Reichtum | |
Die Grünen streiten sich mal wieder über Steuerpolitik. Aber stoppen ihre | |
Pläne das Auseinanderdriften von Arm und Reich? Eine Analyse. | |
Kommentar Steuerpläne der Grünen: Es lebe der Selbstwiderspruch | |
Auch viele Grünen-WählerInnen sind egoistisch und wollen kein Geld abgeben. | |
Selbst wenn der Staat es gut gebrauchen könnte. | |
Debatte der Grünen um Steuerpläne: Nicht ohne meine Frau? | |
Die Grünen richten ihre Finanz- und Steuerpolitik neu aus – müssen dabei | |
aber an ihre gut verdienenden, verheirateten WählerInnen denken. | |
Simone Peter über Grünen-Steuerpläne: „Es geht um mehr Gerechtigkeit“ | |
Simone Peter zieht Bilanz aus dem Wahldebakel 2013. Im Kampf gegen die | |
Arm-Reich-Schere setzt die Grünen-Vorsitzende auf Erbschaft- und | |
Vermögensteuer. | |
Essay Umverteilung und die Grünen: Ein gutes Leben für alle | |
Ökologische Moral braucht Gleichheit. Damit tut sich das grüne Bürgertum | |
schwer, doch ökologischer Fortschritt geht nur mit allen. |