# taz.de -- Grüne suchen Spitzenkandidaten: Die Überflügelnde | |
> Katrin Göring-Eckardt ist für eine Grünen-Spitzenkandidatur gesetzt. Die | |
> Basis entscheidet aber, wie stark sie wird. | |
Bild: Inzwischen mehr als nur eine Reala: Katrin Göring-Eckardt | |
ERFURT taz | Katrin Göring-Eckardt sagt „wir“, und das tue sie „bewusst�… | |
„Obwohl ich anderer Meinung war.“ Konkret geht es beim Grünen-Urwahlforum | |
am Sonntagabend in Erfurt um die zweite Asylverschärfung, der auch | |
grün-mitregierte Länder im Bundesrat zugestimmt hatten. Grundsätzlich geht | |
es um den Spirit der kleinsten Oppositionspartei vor ihrer | |
Bundesdelegiertenkonferenz am kommenden Wochenende. | |
Die Frage lautet für manche: Sind die Grünen eine Partei oder doch eher | |
zwei? | |
Der Murmeltiertag-Steuerstreit, der Zeitpunkt des Auslaufens von | |
Zulassungen für Diesel- und Benzinautos und dann noch die umstrittene | |
ethische Frage, ob Andersdenkende (konkret: der Daimler-Chef) in Münster | |
sprechen dürfen: Auch einige Spitzen-Grüne fürchten insgeheim, dass ihnen | |
dieser Parteitag in Münster um die Ohren fliegen könnte. | |
Vier Bewerber treten für die zwei Stellen als Spitzenkandidaten der Partei | |
im Bundestagswahlkampf an: neben Göring-Eckardt Parteichef Cem Özdemir, der | |
Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter und Schleswig-Holsteins | |
stellvertretender Ministerpräsident Robert Habeck. In Erfurt ist ihr | |
gemeinsamer Tenor: bitte in Münster keine utopistischen | |
Weltrettungsstatements. Alle Beschlüsse müssen darauf zielen, in einer | |
Regierungsrealität ab Herbst 2017 umgesetzt werden zu können. Egal in | |
welcher der vielen Koalitionskonstellationen, die für Grüne möglich sind, | |
wie die elf mitregierten Länder zeigen. Alle vier sagen immer wieder: Wir | |
wollen regieren. Mit Grün ist auf jeden Fall besser als ohne Grün. Das ist | |
anderswo selbstverständliche Grundlage aller Arbeit, aber hier offenbar | |
immer noch nicht. | |
## Göring-Eckardt organisiert sich eigene Mehrheiten | |
Während Özdemir, Hofreiter und Habeck einen bis auf Weiteres offenen Kampf | |
um den Männerjob austragen, ist Göring-Eckardt, 50 Jahre, allein auf weiter | |
Flur. Sie hatte bei der ersten Urwahl vor vier Jahren die damaligen | |
Führungsfrauen Roth und Künast geschlagen und abgelöst, was aber eher eine | |
Abwahl war. Danach hatte Göring-Eckardt eine Kampfabstimmung um den | |
Fraktionsvorsitz gegen Kerstin Andreae gewonnen. Seither ist sie in ihrer | |
Geschlechtsklasse konkurrenzlos. Die jetzige Partei-Co-Chefin Simone Peter | |
trat für die Spitzenkandidatur erst gar nicht gegen sie an und hat sich | |
damit darstellungs- und machtpolitisch marginalisiert. | |
Göring-Eckardt hat die Kandidatur damit sicher. Aber sie hat deshalb nicht | |
automatisch gewonnen, obwohl ihr ein Prozent der Stimmen reicht. Im | |
letzten, krachend verlorenen Wahlkampf hatte sie bei Showmaster Jürgen | |
Trittin nur die Assistentinnenrolle, in der sie sich aber intern neu | |
positionierte. Damit ist es ihr als Erster gelungen, die scheinbare | |
Notwendigkeit einer Flügelzugehörigkeit zu überwinden und eigene | |
Göring-Eckardt-Mehrheiten in der Partei zu gewinnen. | |
Sie geht zu Realatreffen, aber sie immer noch als „Reala“ zu bezeichnen, | |
ist anachronistisch. Sie sagt bewusst „wir“. Sie will draußen angreifen, | |
aber auf keinen Fall innen angegriffen werden. „Superreiche“ mag sie nicht. | |
Das bedingungslose Grundeinkommen ist ihr „supersympathisch“. Theoretisch. | |
Praktisch will Göring-Eckardt endlich loslegen, um das umzusetzen, was | |
gesellschaftlich und politisch geht. | |
## Führungsrolle oder Mitläuferin? | |
Die Frage für sie ist, ob ihr durch ein herausragendes Ergebnis diesmal die | |
Führungsrolle zufällt. Und was es bedeuten würde, wenn sie mit einer als | |
mäßig oder gar desaströs interpretierten Prozentzahl aus der Urwahl ginge. | |
Die Frage für die Parteimitglieder, die laut Eigenwerbung „Boss“ sind und | |
deshalb aus einer Frau auswählen dürfen, lautet also: Wie stark sehen und | |
wie stark machen wir Göring-Eckardt? Und sie lautet daher: Wen stellen wir | |
unter, neben oder über Göring-Eckardt? | |
In Erfurt war zu erahnen, dass die drei Angebote von Habeck, Hofreiter und | |
Özdemir trotz oberflächlicher Ähnlichkeit sehr unterschiedlich sind. Das | |
betrifft nicht die Frage, mit wem die Grünen koalieren sollten, oder eine | |
einzelne Position zu Energiewende oder Vermögenssteuer. Es betrifft die | |
zentrale Frage, wessen Partei die Grünen sein wollen oder können. Und mit | |
welcher Tonlage, Intellektualität und Emotionalität sie auf die | |
Gesellschaft zugehen. | |
## Regieren als Abstiegsprojekt? | |
„Vermutlich“, sagte Cem Özdemir, „werden wir 2017 nicht allein regieren.… | |
Vermutlich nicht, da hat er einen Punkt. Es wird interessant sein, ob in | |
Münster ernsthaft darüber geredet wird, wie die Grünen sich auch mental | |
aufstellen wollen, um den Spagat zwischen ihren großen Zielen und dem | |
täglichen Regieren in der Realität auch auf Bundesebene nicht permanent als | |
Abstiegsprojekt zu spüren. | |
Es wird ein weiter Weg. Als alle vier die Einladung von Daimler-Chef Dieter | |
Zetsche nach Münster mit dem Hinweis verteidigten, dass eine | |
Mobilitätswende Autokonzerne beinhalte, murrte ein Zuhörer, er registriere | |
hier einen „Autofetisch“. Er selbst hingegen stehe für „solidarischen | |
Nahverkehr“. | |
8 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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