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# taz.de -- Debatte Urwahl Bündnis 90/Die Grünen: Die zwei grünen Parteien
> Die Grünen-Basis kürt das Spitzenduo für 2017. Es geht um die Macht in
> der Partei. Dabei trifft moralischer Reinraum auf Kompromisskult.
Bild: Wollen grüne Spitzenkandidaten werden: Anton Hofreiter, Cem Özdemir, Ka…
Die Grünen beginnen am Wochenende eine Rettungsaktion. Katrin
Göring-Eckardt, Robert Habeck, Anton Hofreiter und Cem Özdemir werden bis
nach Neujahr durchs Land reisen und sich in Urwahlforen der Basis
vorstellen. Samstag in Hannover gastiert die Roadshow das erste Mal. Im
Januar werden die Mitglieder ein Spitzenduo für den Bundestagswahlkampf
küren. Damit soll gelingen, was drei Jahre lang misslang: die
Machtverhältnisse der Partei zu klären.
Denn die Grünen haben sich aufgeteilt. Nicht in zwei Strömungen oder
Denkweisen. Es sind zwei Parteien, die äußerst empfindlich aufeinander
reagieren. Die erste Partei hat als Ideal den moralischen Reinraum, dessen
Schleusentechnik beim Erkennen von Realostaub Alarm auslöst. Die zweite
Partei erhebt die koalitionstechnische Kompromisslerei zum Kult.
Die erste Partei kreidet der anderen an, Weltpolitik in Waffenarsenalen zu
denken. Wohingegen die zweite Partei der ersten vorwirft, Weltpolitik im
Wolkenkuckucksheim veranstalten zu wollen. Die erste Partei möchte reiche
Unternehmer möglichst reich lassen, damit diese das Klima mit retten
können. Die zweite Partei möchte die Reichen dagegen schröpfen, damit der
Staat das Klima besser retten und die Gesellschaft gerechter machen kann.
## Streit war nicht immer schlecht
Neulich hat Cem Özdemir, der Parteichef der einen Grünen, bei [1][Spiegel
Online] ein hartes Vorgehen des Westens gegen Putin verlangt. Woraufhin
sich Simone Peter, Parteichefin der anderen Grünen, gegen Säbelrasseln
wandte und die Einbindung Putins forderte. Özdemir hat im Übrigen den
Daimler-Chef Dieter Zetsche zum Parteitag eingeladen, was seine grünen
Gegner aufheulen lässt wie den Motor des neuesten Mercedes SUV.
Streit ist den Grünen nicht immer schlecht bekommen. Sie haben ihn
ausgetragen, zum Beispiel, als es nach Fukushima ums Tempo des
Atomausstieges ging. Schwierig wurde es, wenn zur selben Zeit mehr als ein
Konflikt tobte, weil man dann nicht wusste, wer die Grünen sind. Das jedoch
ist seit der letzten Bundestagswahl ein Dauerzustand. Linksgrün gegen
Realogrün, aus der alten Spannung wurde ein Riss.
## Das Stuttgarter Machtzentrum
Das hat strukturelle Gründe. In Baden-Württemberg regiert der Realo
Winfried Kretschmann das drittbevölkerungsreichste Bundesland. Sein
Stuttgarter Machtzentrum richtet Politik ganz und gar nach der Logik des
Regierens aus. Während Kretschmann in seine zweite Regierungszeit gegangen
ist, sind die Grünen im Bundestag bereits zum dritten Mal Opposition, seit
mehr als einem Jahrzehnt. Dem Stuttgarter Machbarkeitszentrum steht ein
Berliner Machtlosenzentrum gegenüber, das jedoch wegen seiner
Hauptstadtlage Aufmerksamkeit genießt. Es geht um Asylgesetze, es geht um
Freihandelsabkommen, es geht um die Erbschaftsteuer – die eine grüne Partei
regiert am selben Tisch mit, an dem die andere grüne Partei opponiert.
Die Beteiligten haben sich in der Teilung eingerichtet, sie würden sie
bestimmt noch munter weiterbetreiben. Dummerweise steht aber im Herbst 2017
schon wieder eine Bundestagswahl an. Wanken die Grünen in ihrem jetzigen
Zustand ins Wahljahr, wird es nichts mit dem Regieren, dann gestalten
andere. In Umfragen liegen sie bei 11 bis 12 Prozent. Das ist wenig und
Ausdruck der Zerrissenheit. Die Urwahl soll nun wenigstens eine Formation
fürs Wahljahr herstellen.
Im künftigen Spitzenduo ist Katrin Göring-Eckardt, realogrüne
Fraktionschefin im Bundestag, per Quote gesetzt, weil keine Frau es mit ihr
aufzunehmen vermag. Göring-Eckardt wäre gern Vizekanzlerin. Sie hat ihre
Hartz-IV-Zustimmungs-Vergangenheit erfolgreich bewältigt, bei den
Linksgrünen macht sie sich als notorische Risikominimiererin
vergleichsweise selten unbeliebt. Für den zweiten Platz im Spitzenduo
kandidieren ihr Fraktionschefkollege Anton Hofreiter, der
schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck und Parteichef Cem
Özdemir.
Die Nominierung des Schwaben Özdemir wäre eine Entscheidung zugunsten
Kretschmanns – und dessen Präferenz für ein Bündnis mit CDU und CSU. Ein
Spitzenduo aus ihm und Göring-Eckardt brächte viel Prominenz und
Professionalität mit. Aber selbst wenn Göring-Eckardt ein bisschen links
blinkt, hätten sie Schwierigkeiten, die zweite grüne Partei mitzunehmen.
Linksgrüne Persönlichkeiten mit Bindekraft stehen ihnen an der Spitze von
Partei und Fraktion nicht zur Verfügung. Anton Hofreiter fehlen Erfolge.
Und Simone Peter hat ungefähr so viel Ansehen, wie wenn man früher Claudia
Roths Standing von dem Jürgen Trittins abgezogen hätte.
## Grüne Roadshow
Gewänne Hofreiter die Urwahl, stünde immerhin ein kantiger Öko an der
Spitze. Aber Kretschmann würde ihn nicht ernst nehmen und von Stuttgart aus
dazwischenfunken. Göring-Eckardt an Hofreiters Seite würde ins grüne
Bürgertum hinein senden, sich aber zugleich nach links absichern. Wenn's
dumm läuft, eine Fortschreibung des Status Quo.
Habeck als Spitzenkandidat riefe die Wiedervereinigung der Partei aus. Er
positioniert sich mittig, auf Distanz zu Berlin und als Mann auf der Suche
nach grüner Gemeinsamkeit: von einem grünen Freiheitsbegriff über den
Klimaschutz bis zur strategisch wichtigen Unabhängigkeit von fossilen
Brennstoffen. Aber Habeck bliebe kaum Zeit, Vertrauen zu schaffen, zumal
die Linksgrünen ihn verdächtigen, am Ende doch eine Jamie-Oliver-Version
des schwarz-grünen Kretschmann zu sein.
Nimmt man mal eine grüne Perspektive ein und betrachtet die Ausgangslage
optimistischer, dann kann man vor der Roadshow sagen: besser spät als nie.
Vielleicht haben die Grünen Glück, und das Wahlergebnis reicht doch noch
für die eine (Schwarz-Grün) oder andere (Rot-Rot-Grün) Machtoption.
Dann bräuchte es trotzdem einen linken Grünen, der Schwarz-Grün einem
Parteitag verklickert. Oder der im rot-rot-grünen Bündnis gegenüber der
Linkspartei anschlussfähig ist, aber zugleich von den grünen Realos
respektiert wird. Okay, Hofreiter. Es gibt da noch einen, der eine Roadshow
nicht nötig hat. Geht es ums Regieren, werden die Grünen ihn in irgendeiner
Form brauchen, den Jürgen Trittin.
20 Oct 2016
## LINKS
[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/cem-oezdemir-assad-und-putin-bomb…
## AUTOREN
Georg Löwisch
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