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# taz.de -- Essay Umverteilung und die Grünen: Ein gutes Leben für alle
> Ökologische Moral braucht Gleichheit. Damit tut sich das grüne Bürgertum
> schwer, doch ökologischer Fortschritt geht nur mit allen.
Bild: Ein Sozialwohnungsbau in Duisburg
Umverteilung hat keinen guten Klang. Viele denken dabei an verschwitzte
Redner, die auf Juso-Kongressen Parolen ins Mikrofon brüllen. Oder an
Strategiepapiere der Linkspartei, in denen die immer gleichen Forderungen
mit extra vielen Ausrufezeichen versehen werden. Umverteilung hat einen
herben Oberton, auch weil in unseren Köpfen nur ein paar Synapsen weiter
rot blinkend die Worte „Staat“ und „Steuern“ aufleuchten. Und die wecken
auch bei Normalverdienern wenig erfreuliche Gefühle, bei besser
Verdienenden sowieso nicht.
Die Abneigung gut verdienender, ökologisch interessierter Bürger gegen
Umverteilung bekamen zuletzt die Grünen im Wahlkampf 2013 zu spüren. Sie
warben dafür, dass Reiche mehr zahlen, um bessere Schulen zu finanzieren
und eine engagierte Energiewende anzuschieben. Das war nicht der einzige
Grund für ihre Niederlage bei der Bundestagswahl. Doch dass die kalte
Steuermathematik im öko-bürgerlichen Kernmilieu schlecht ankam, bestreitet
auch der linke Flügel der Partei nicht mehr.
Es ist eben schwierig, gefestigte Ängste aufzulösen. Umverteilung wird, in
Deutschland vielleicht mehr als anderswo, mit dem hässlichen Gefühl des
Neids assoziiert. Es wirkt schnell engherzig, jenen, die hart für ihren
Erfolg gearbeitet haben, ihren Lohn zu missgönnen, um damit eine anonyme
Staatskasse zu füllen.
## Immer auf den größten Haufen
Umverteilung und Gleichheit haben in hedonistischen Konsumgesellschaften
ein tristes Image, das hierzulande zusätzlich kräftig von
Lobbyorganisationen wie der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“
verstärkt wird. Wenn man allerdings anschaut, wer in Deutschland über
welches Vermögen verfügt, sieht die Sache etwas anderes aus. Reichtum wird
bereits umverteilt – und zwar von unten nach oben. Nirgendwo in der
Eurozone ist die Kluft zwischen Habenichtsen und Millionären so tief
geworden wie hierzulande. Das oberste Hundertstel der Bundesbürger besitzt
fast ein Drittel des Vermögens, die untere Hälfte so gut wie nichts. Das
war vor 15 Jahren noch nicht so krass.
Auch dass mehr Umverteilung die Fleißigen um ihre hart erarbeiteten Euros
bringen würde, stimmt so nicht. Denn das obere Zehntel wird im Wesentlichen
nicht durch Arbeit und Löhne reicher, sondern weil es sein Vermögen clever
anzulegen verstehen – eine Chance, über die die mittellose untere Hälfte
der Deutschen nicht verfügt. Ins Umgangssprachliche übersetzt: Der Teufel
scheißt immer auf den größten Haufen.
Weil die Erbschaftssteuer in Deutschland nahe null ist, gibt es in diesem
Prozess auch langfristig keine Bremse. Kinder von Reichen bleiben reich,
Kinder von Armen arm. In den USA, wo die soziale Spaltung schon immer
tiefer war, besitzen die 400 Wohlhabendsten so viel wie die ärmsten 150
Millionen US-Bürger. Wenn sich nichts grundlegend ändert, ist dies die
Zukunft der Bundesrepublik.
Was tun? Es gibt einen einfachen, wirksamen Weg, Ungleichheit jedenfalls
bei den Einkommen einzuhegen – kräftige Lohnerhöhungen. Das allerdings ist
in ausgefransten Arbeitsgesellschaften schwierig. Die Geschäftsgrundlage
der sozialen Marktwirtschaft hat sich in den letzten 20 Jahren radikal
geändert. Die Produktivität der Wirtschaft steigt fast immer stärker als
die Löhne – so geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter
auseinander. Denn die Gewerkschaften haben im digitalen Kapitalismus an
Schlagkraft verloren. In der Fabrik ließen sich Interessen noch kollektiv
bündeln. Doch der Webdesiger im Start-up, die selbstständige Architektin,
die als Honorarkraft jobbt, und die Altenpflegerin, die Teilzeit arbeitet,
haben vielleicht ähnliche Interessen – aber nicht viel gemeinsam.
## Schattige Parallelwelt
Gerade weil der Markt mehr Ungleichheiten produziert, ist der Staat der
entscheidende Akteur – mehr noch als vor 30 Jahren. Und das Werkzeug, um
die neue Unwucht auszutarieren, sind Steuern. Dass Umverteilung nötig ist,
ist einfach zu verstehen, aber äußerst schwer umzusetzen. Denn die Angst,
dass der Staat ihnen zu tief ins Portemonnaie greift, ist auch beim
aufgeklärten Öko-Bürgertum schnell mobilisierbar. Zu den WählerInnen der
Grünen zählt längst nicht mehr nur der Kreuzberger Sozialarbeiter, der sich
mit prekärem Lohn durchwurstelt. Sondern auch Ärzte und Richterinnen,
Lehrer und Professorinnen. Sie sind überdurchschnittlich gut gebildet,
überdurchschnittlich oft Beamte und verdienen überdurchschnittlich.
Den Grünen ist es 2013 nicht gelungen, klarzumachen, welche Steuern zu
wessen Lasten und zu wessen Nutzen erhöht werden sollten. Dass sie nicht
den hart arbeitenden Arzt im Krankenhaus meinten, der gut verdient und
bereits hohe Sozialabgaben und Steuern zahlt, sondern den Erben, der
leistungslos zu einem Millionenvermögen kommt. Die Superreichen haben sich
in Deutschland in eine verschattete Parallelwelt zurückgezogen. Sie haben
eigene Codes, eigene Internate und Stiftungen. Sie sind in der Lage, ihr
Vermögen vor dem Staat zu schützen, weil ihr Geld in Steueroasen auf der
ganzen Welt fließt. Dass sich die deutsche Mittelschicht in Wahlen immer
wieder mit den Interessen des obersten Hundertstel solidarisiert, ist
einigermaßen absurd. Aber ein Patentrezept dagegen ist nicht noch nicht
erfunden. Und im Wahlkampf Umverteilung zu fordern, ist riskant.
Sollen Grüne also besser die Finger davon lassen, weil auf diesem Feld für
sie nichts zu gewinnen ist? Das meisten grünen Realos wollen genau das: Das
böse Wort Umverteilung soll durch Chancengerechtigkeit ersetzt werden. Das
klingt ausreichend wolkig, nach mehr Bildung (immer gut), – und vor allem
nicht nach mehr Steuern. Die Grünen können als Klientelpartei, die sich
exklusiv auf die Anliegen der öko-bürgerlichen Mitte konzentriert, bei
Wahlen wahrscheinlich erfolgreich sein. Cem Özdemir und andere sind dabei,
die Partei in eine grüne FDP zu verwandeln – nur dass die nicht aggressiv
Steuerpolitik für Zahnärzte oder Apotheker macht, sondern Interessenpolitik
für urbane Besserverdiener, die viel Geld im Bioladen lassen und ihre
Kinder auf Privat- oder Waldorfschulen schicken. Dagegen spricht nichts.
Dafür sind Parteien da. Nur: Für die Grünen ist es zu wenig.
## Ein heikler Selbstwiderspruch
Als Klientelpartei geraten die Grünen, anders als die Liberalen, von denen
niemand ernsthaft anderes als Lobbypolitik erwartet, in einen heiklen
Selbstwiderspruch. Denn ihr Kernthema ist die Ökologie. Die geht alle an.
Und ökologischer Fortschritt geht nur mit allen. Der Klimawandel trifft die
ganze Gesellschaft. Wer ihn bekämpfen will, kommt nicht um die Tatsache
herum, dass Wohlhabende am meisten konsumieren, am meisten reisen und am
meisten zur Erderwärmung beitragen. Dafür sollten sie einen fairen
Ausgleich zahlen.
Wer die ökologische Landwirtschaft möchte, muss sich auch darum sorgen,
dass Hartz-IV-Empfänger, Armutsrentner und Niedrigverdiener genug Geld für
Bio-Essen haben. Wer internationale Ungleichheit geißelt, kann Ungleichheit
im eigenen Land nicht ignorieren. Wenn die Grünen nur gemütliche
Wohlfühlpolitik für ihr Kernmilieu machen und Umverteilung als altlinkes
Gerümpel entsorgen, betreiben sie langfristig Raubbau an ihrer wichtigsten
Ressource: ökologischer Moral.
Umverteilung ist nur das Mittel. Das Ziel ist, mehr Gleichheit zu schaffen
oder wenigstens die von den Märkten produzierte Ungleichheit zu mildern.
Doch Gleichheit hat gerade in den neobürglichen Komfortzonen einen
schlechten Sound. Wo man mit dem Elektrobike zum Montessori-Kindergarten
fährt, schätzt man die Freiheit weit mehr. Freiheit, das klingt nach
Wahlmöglichkeit, Selbstverwirklichung, Individualität. Bei Gleichheit
hingegen denkt der grüne Stammwähler im Hamburger Schanzenviertel und dem
Frankfurter Nordend an Gleichschritt, Einschränkung, Konformismus. Oder
noch schlimmer: an Unterschicht.
## Fett und psychotisch
Das miese Image der Gleichheit ist auch ein Echo der untergegangenen
totalitären Regime des 20. Jahrhunderts, die im Namen der Gleichheit
Verbrechen begingen. Dabei ist Gleichheit, richtig dosiert, keine freudlose
Angelegenheit, im Gegenteil. Die britischen Sozialforscher Richard
Wilkinson und Kate Pickett haben vor ein paar Jahren in der leider rasch in
Vergessenheit geratenen Studie „The Spirit Level“ (Deutsch: „Gleichheit i…
Glück“) gezeigt, dass zu viel Ungleichheit sich wie Rost in Gesellschaften
frisst. Wo die Kluft zwischen oben und unten geringer ist, wie etwa in
Skandinavien, werden die Bürger älter, haben weniger Neigung, sich
gegenseitig an die Gurgel zu gehen oder zu berauben. Wo die Netze des
Sozialstaats enger geknüpft sind, richten sich weniger Leute mit harten
Drogen zu Grunde, sind seltener fett und psychotisch.
Gesellschaften ohne schroffe Spaltung in Arm und Reich sind gesünder und
vitaler. Und, wichtig für Grüne: Wo es gleicher zugeht, recyceln die Leute
empirisch gesehen entschieden mehr Müll und produzieren auch weniger
Kohlendioxid.
Wo es gleicher zugeht, ist das wechselseitige Vertrauen der Bürger
ineinander größer, ebenso das Interesse am Gemeinwohl. Vertrauen und
Engagement für das Allgemeine – ist nicht das genau der Sauerstoff, den
ökologische Moral braucht?
18 Jun 2016
## AUTOREN
Stefan Reinecke
Ulrich Schulte
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